~^
Naturwissenschaftliche
Wochenschrift
BEGRÜNDET VON H. POTONlfi
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr H. MIEHE
IN BERLIN
NEUE FOLGE. 20. BAND
(DER GANZEN REIHE 36. BAND)
JANUAR — DEZEMBER 1921
MIT 112 ABBILDUNGEN IM TEXT
JENA
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1921
Alle Rechte vorbehalten.
Register.
I. Größere Originalartikel
und Sammelberlchte.
Alvcrdes, F., Erblichkeit und Nicht-
Erblichkeit. 377.
Armbruster , L., Neue Urkunden über
das älteste Haustier. 193.
Balss, H., Über Stridulationsorganc bei
dekapoden Crustaceen. 697.
Berger, A., Über die Geschichte und
die neuesten Fortschritte der Kenntnis
der Kakteen. 353.
Czepa, A., Die Reizwirkung der Rönt-
gen- und Radiumstrablen. 657.
Dahl, Fr., Täuschende Ähnlichkeit mit
Bienen, Wespen und Ameisen. 70.
Dahms, P., Über Pflanzenabzüge und
Weingeist zur OrdenszeiL 177.
Eichinger, A. , Die Entstehung von
Roterden und Laterit. 409.
E n g e 1 h a r d t , V., Dante und das Welt-
bild des Mittelalters. 529.
Färber, Ed., Das Kontinuitätsprinzip in
der Chemie. 705.
Fricke, H., W'ind und Wetter als Feld-
wirkungen der Schwerkraft. 97.
Fr öl ich, W. , Der Segelflug und ver-
wandte Bewegungen in Luft und Was-
ser. 197.
Galant, S., Die .xerotherme Ameiseninsel
Saint TriphoQ. 258.
Garns, H. , Übersicht der organogenen
Sedimente nach biologischen Gesichts-
punkten. 569.
Garns, H. , Zur Ameisengeographie von
Mitteleuropa. 4 14.
Gicklhorn, J., Notiz über Stentur
igneus als Ursache auffallender Wasser-
verfärbimg. 382.
Goebel, K. , Pöanzcn als Wetter-
propheten. 129.
Greinacher, H. , Eine umkehrbare
Ventilröhre. 381.
Grimpe, G., Chelifer als Schmarotzer.
628.
Gumbel, E. J., Spekulatives aber die
Endlichkeit der Welt. 85.
Halbfafl, W., Kreislaufprozeß des Was-
sers. 86.
Hansen , A., Zur Metamorphosenlehre. 7.
Heikertinger, Fr, Täuschende
Ähnlichkeit mit Wespen und Bienen
(Sphekoidie). 589.
Heikertinger, Fr., Täuschende Ähn-
lichkeit mit .Ameisen (Myrmekoidie). 709.
Heller, H. , Wie orientiert sich die
Ameise." 44g.
H e 1 1 e r , H , Wilhelm Ustwalds Forschun-
gen zur Farbenlehre. 425.
Hennig, Edw. , Neue Ansichten von
der Entstehung des Erdbildes. 681.
Hcrfs, A. , Die Haut der Schnecken in
ihrer Abhängigkeit von der Lebens-
weise. 601.
Hoppe, W. , Aufbau und geologische
Geschichte der Sinaihalbinsel. 209.
Kästner, M. , Bemerkungen zur Ent-
stehtmg und Besiedlung des Trocken-
torfs. 33.
Keller, R., Elektromikroskopie. 665.
Killermann, S., Zur Geschichte der
Einführung der Papageien. 545.
Klingelhöffer, W. , Der Farbensinn
des Menschen und seine angeborenen
Störungen. 321.
Kobel, F., Problem der Wirlswahl bei
den parasitischen Pilzen. 113.
Kranich feld, H. , Gemeinschaftdien-
liche Zweckmäßigkeit, die Lösung des
Problems der Dysteleologien. 513.
K r a n i c h f e 1 d , H. , Eine neue Unter-
suchung der fremddienlichen Zweck-
mäßigkeit. 617.
Krenkel, E., Moorbildungen im tropi-
schen Afrika. Sl.
Kuhn, K., Die Ausbreitung der elektri-
schen Wellen und die Konstitution der
Atmosphäre. 8.
Kuhn, K., Neuere Erfolge von Max-
wells Theorie der Elektrizität. 585.
Kuhn, O. , Zur Biologie unserer ein-
heimischen Egel. 473.
Küster, E., Das Typhetuni in der frühen
deutschen Graphik. 49.
Lenk, E., Vom Leben zum Tode. 726.
Liek, E. , Über Altem und Verjüngung.
l6l.
Lilienthal, G., Über den Segelflug der
Vögel und das Fliegen der Fische. 64I.
Ltndinger, L., Ein neuer Weg zur
Schädlingsforschung. 255.
Martienssen, O. , Gesetz und Zufall
in der Natur. 505.
Mar Zell, H., Der Holunder (Sambucus
nigra) in der Volkskunde. 133.
Mertens. R., Über die Funktion des
Schwanzes der Wirbeltiere. 721.
Meyer, A., Empirie und Wirklichkeit.
361.
Mo h oro V icii , St., Die Folgerungen
der aUgemcinen Relativitätstheorie und
die Newtonsche Physik. 737.
Möbius, M., Zur Metamorphose der
Pflanzen. 739.
Möller, W. , Der hypothetische Welt-
älher. 577.
N i c k e 1 , G., Äther und Kelativitätstheorie.
430-
Nölke, Fr., Über den Kreislaufprozeß
des Wassers. 310.
Ulbricht, K., Dauer der Eiszeit. 229.
Olbricht, K., Gedanken über die Ent-
wicklung der menschlichen Kultur usw.
476.
Passarge, H., Die Birotationstheorie.
118.
Potonie, R. , Zur Bildung der Braun-
kohlenflöze und Ökologisches über den
Braunkohlenwald. 225.
Potonif, R., Paläoklimatologisches im
Lichte der Paläobotanik. 382.
Pratje,.\., Das Leuchten der Tiere. 433.
Prell, H. , Die Grundtypen der gesetz-
mäßigen Vererbung. 289.
Radovanovitch, Was ist die Zeit-
669.
Rautber, M., Deszendenzprobleme, er-
örtert an den Steinheimer Planorben.
US-
Reiche, K., Eine uralte Kochsalzgewin-
nung in Mexico. 498.
R e i n k e , J., Besitzt ein Vogel Einsicht
in kausale Zusammenhänge- 742.
Schmidt, A, Zur Wünschelrutenfrage.
328-
Scholl, J. , Einsteins Weltbild eine
Zablenüktion? 18 1.
Schönherr, Br., Lorentz-Einstein. I.
Schuster, J., Hundert Jahre Phylopalä-
ontologie in Deutschland. 305.
Schwartz, M., Was ist Pflanzenschutz J
532-
Stromer, E., Die Rückbildung der Hüft-
beine bei Seekühen. 4 II.
Termer, Fr., Kakao und Schokolade
bei den alten Mexicanern und anderen
mittelamerikanischen Völkern. 65.
Tischner, Homöopathie und moderne
Biologie. 625.
Vierhapper, Fr., Eine neue Einteilung
der Pflanzengesellschaften. 265, 281.
Vogtherr, K. , Über die kosmischen
Bewegungen des .\thers. 393.
Voß, H., Die künstliche Parthenogenese
de§ Froscheies, 3>6,
3^^4t;
IV
Register.
Weber, Fr., Pflanze und Elektrizität.
241, 249.
Wiei3mann, H., Die biologisclien Vor-
gänge im Boden. 489.
Wilhelmi, J., Zur Ausgestaltung der
Schädlingsbekämpfung. 312.
Will er, A. , Aus dem Stoffhaushalt
unserer Gewässer. 17.
Willer, A., Neues über Maränen. 561.
Winkler, H. , Christian Gottfried Nees
von Esenbeck als Naturforscher und
Mensch. 337.
Zache, E. , Die chemischen Nieder-
schläge des norddeutschen Diluviums.
457-
Zimmermann, R., Vorkommen des
Ziesels in Sachsen. 102.
II. Einzelberichte.
A. Allgemeines, Biologie,
Zoologie, Anatomie,
Vererbungslehre.
Aichel, O., Kiefer- und Zahnwachstum
usw. 552.
Ariens-Kappers, C. U., Weshalb ist
die Hirnrinde gefaltet f iio.
Barrows, A., In Stein bohrende Assclo.
389-
Baumann, H., Anatomie der Tardi-
graden. 671.
Bro wer, G. A. und V erwey , J., Vogel-
warte Noordwijk aan Zee. 106.
Coccidium bigeminum bei Füchsen. 304.
D e c o p p e t , M., Maikäferproblem in der
Schweiz. 299.
Eggeling, H. V., Inwieweit ist der Wurm-
fortsatz am menschlichen Blinddarm ein
rudimentäres Gebilde? J02.
Fehlinger, H. , Das Carnegie-Institut
zu Washington. 12.
Floericke, K., GewöUuntersuchungen.
539-
Friedenthal, H., Bildung der mensch-
lichen Geschlechtszellen. 465.
Goldschmidt, R. , Die quantitative
Grundlage von Vererbung und Artbil-
dung. 331.
Grote, H., Ornis Rufllands. 523.
Henning, H., Farbige Ölkugeln im
Sauropsidenauge. 692.
Hesse, Einfluß des Untergrundes auf
das Gedeihen des Rehes. 639.
Hermaphroditismus bei verschiedenge-
schlechtlichen Zwillingen des Rindes.
233-
Holmgren, N., Parietalorgane und
ihre Innervation bei Fischen. 346.
Holmgren, N. , Nervus terminalis bei
Knochenfischen. 348.
Jegen, G., Biologie und Anatomie eini-
ger Enchylräiden. 57.
Karstedt, Blastogener Hermaphroditis-
mus. 152.
Key, W. E., Erbveranlagung und soziale
Tüchtigkeit. 349.
Klaatsch, H., Ausbildung der mensch-
lichen GliedmaSen. 370.
Komarek, Höhlenfauna. 690.
Kunze, K., Zentralnervensystem der
Weinbergschnecke. 676.
Latzin, H., Möglichkeiten der theore-
tischen Biologie. 453.
Mackens en, C. v.. Künstliche Beleuch-
tung der Hühnerställe. 717.
Martell, P., Stammesgeschichte des
Hausrindes. 745.
Math er, T. , Naturschutz in den Ver-
einigten Staaten, 55.
Naturschutz in Holland. 3S8.
Naumann, Raubseeschwalbe. 747.
Pax, F., Schlesiens Stellung in tiergeo-
graphischer Hinsicht. 644.
Plath, O. E. , Blutsaugende Fliegen-
larven. 334.
Prell, Problem der Unbefruchtbarkeit.
440.
Schömmer, Geschlechtsbestimmung im
Hühnerei. 184.
Schrader, Geschlechtsbestimmung bei
den Mottenläusen, go.
Schulze, P., Deutsche Hydren. 398.
Schulze, P., Cordylophora lacustris.
651.
Schuster, W., Nahrung der am Wasser
lebenden Vögel. 109.
Seyfarth, C, Langerhanssche Inseln.
716.
Spemann, H. und Falkenberg, H.,
Zum Determinationsproblem. 369.
Steinhardt, Elefant des Kaokofeldes.
612.
Study, Für und wider Darwin. 555.
Verne, J. , Die Natur des roten Farb-
stoffes der Crustaceen. 55-
Versluys,J., Limulus, eine zum Wasser-
leben übergegangene Arachnoide ? loö.
Volz, W., Urwald als Lebensraum. 202.
Wachs, H., Restitution des Auges nach
E.\stirpation von Retina und Linse bei
Tritonen. 123.
Weigold, H., Wanderungen der See-
schwalben. 371.
Wille, J., Deutsche Schabe. 319.
Zeleny, Rückbildung der Augen bei
Drosophila. 648.
Zimmermann, R. , Ende des Wisents.
107, 717.
Zimmermann, R., Kurzohrige Erdmaus,
Microtus subterraneus. 223.
B. Botanik, Bakteriologie,
Landwirtschaft.
Andre, Ursachen des periodischen Dik-
kenwachstums des Stammes. 153.
Barlot, J., Farbreaktionen zur Unter-
scheidung der Pilze. 154.
Baumgärtel, O., Problem der Zyano-
phyzeenzelle. loS.
Brudeck, M. J., Desinfektionskraft von
Formaldehydpräparat K. p. und Kresol-
präparat Nr. 72. 350.
Bracht, E. , Surapfzypressenwald in
Florida. 124.
Bürge ff, H., Sexualität und Parasitis-
mus. 204.
Burgeff, H., Eigenartige Form des
Parasitismus. 137.
Geyr v. Schweppenburg, Pflanzen-
geographie der inneren Sahara. 318.
Gothan, W., Weiteres über die „ältesten
Landpflanzea". 39g.
Heinricher, E., Mistel und Birnbaum.
28.
Heinricher, Bestäubung der Mistel.
232.
Haberlandt, G. , Wundhormone als
Erreger von Zellteilungen. 592.
Kühl, H. , Bekämpfung von Pflanzen
Schädlingen mit kolloidalem Schwefel
636.
Melchior, H. , Saugorgane der Mistel
554-
Molisch, H., Aschenbild und Pflanzen
Verwandtschaft. 234.
Murbeck, Sv. , Biologie der Wüsten
pflanzen. 220.
Riede, ,,Hydropoten" bei Wasserpflanzen
535-
Schneider und Kochmann, Hirten
täschel in der Medizin, 230.
Schulz, A. , Ein vergessener Botanike:
des 16. Jahrhunderts. 417.
Simon, S. V., Stoffstauung und Neu
bildungsvorgänge in isolierten Blättern
1S3.
Skottsberg, C. , Botanischer Garten
mit Naturschutzgebiet. 691.
Tröndle, Aufnahme von Stoffen in die
Zelle, 158.
Wettstein, F. v., Reinkultur der Algen.
6S9.
Wettstein, ^. v,, Künstliche Partheno-
genese bei Vaucheria, 467.
W i s s e 1 i n g h , C, v., Untersuchungen über
Osmose. 136.
C. Physiologie, Medizin
(einschl. Veterinärmedizin),
Psychologie, Hygiene.
Ankylostomum in Tierbeständen. 304.
Biedermann, W. , Wesen und Ent-
stehung diastatischer Fermente. 221.
Carre, Wie eine Infektionskrankheit ent-
steht. 745.
Domo, Einflüsse des Klimas auf die
Gesundheit. 153.
Ernst, Schutzimpfung bei Maul- und
Klauenseuche. 746.
Fox, H., Erkrankung der Pankrfasdrüse
bei Tieren. 304.
Gildemeister, Erforschung der mensch-
lichen Hörgrenze. 631.
Gley, Lehre von der inneren Sekretion.
75-
Kunze, Die Empfindung der Richtung,
aus der der Schall kommt. lo.
Langer, Chemotherapeutische Leistung.
693-
L e u p o 1 d , Beziehungen zwischen Neben-
nieren und Keimdrüsen. 419.
Nervöse Erscheinungen bei Tieren infolge
von Eingeweidewürmern. z6o.
Pferderäude, Übergang auf den Menschen.
704.
Ratten als Überträger der Trichophytie
beim Pferde. 183.
Reuter, Spirochätenkrankheit beiVögeln.
155-
S z ä s z , Technik des Geflügelimpfens. 200.
Zwaardemaker, Physiologische Wirk-
samkeit des Kaliums. 713.
D. Geologie, Hydrographie,
Paläontologie,
Bärtling, R. , Die Endmoränen der
Hauptvereisung zwischen Teutoburger
Wald und Rheinischen Schiefergebirge.
59-
liergt, W. , Das Muttergestein des Ser-
Kegisler.
pentias im sächsischen üranulitgcbirge.
370-
Brauns, R., Meteorstein von Forsbach.
276.
Cloos, R., Geologie der Schollen im
schlesiscben Tiefengestein. 156.
Cloos, H., Mechanismus tiefvulkanischer
Vorgänge. 701.
Feh linger , H., Bergbau in Me.xiko. 319.
GletscherbeweguDg in der Schweiz im
Jahre 1919. 56.
Haenel, H., Warum schlägt die Wün-
schelrute aus? II.
Heim, A., Deckentheorie an der Grenze
von West- und Ostalpen. 204.
Hilber, V., Die geologische Stellung
des Faläolithikums. 54.
Hohen stein, V., Die Löß- und Schwarz-
erdeböden Rheinhessens. 58.
Hohenstein, V., Schlesische Schwarz-
erde. 594.
Jäger, Fr., Die Austrocknung Südafri-
kas. 52.
KoSmat, Geologische Bedeutung der
Schweremessung. 453.
Krenkcl, G. , Beriebt über eine For-
schungsexpedition in Deutsch-Ostafrika.
53-
Mügge, O. , Petrographie des älteren
Paläozoikums zwischen Albungen und
Witzenhausen. 86.
zur Mühlen, L. v., Magnesitbergbau
am Galgenberg bei Zobten. 333.
zur Mühlen, L. v.. Die baltischen Öl-
schiefer. S50.
Neynaber, K., Wirkung von Spreng-
granaten und Minen auf verschiedene
Bodenarten. 302.
Pfizenmeyer, Mammutvorkommen im
Jakutsgebiet. 732.
Philipp, H., Eine neue Theorie der
Gletscherbewegung. 274.
Range, P., Geologie und Mineralschätze
Angelas. 301.
Schmitz, G., Deutsche Olschieferlager.
452.
Schneider höhn, H., Asphaltgänge im
Fischflußsandstein im Süden von Süd-
westafrika. 89.
Stutzer, O. , Geologie der oligozänen
Pechkohlenflöze Oberbayerns. 332.
Werth, E. , Dauer der Spät- und Post-
glazialzeit. 29.
Wüst, G., Verdunstung auf dem Meere.
58-
E. Geographie.
Klute, F., Geographie des Kilima-
ndscharogebiets. 235.
Mager, F., Kurland. 348.
Rein, G. K., Abessinien. 673.
Sapper, K. , Innertropische Akklimati-
sation. 595.
Skottsberg, C. , Die Juan-Fernandez-
(Robinson-)lnseln. 596.
Wi tiaczil , E., Die Grenzlage Wiens. 11.
F. Völkerkunde, Anthropologie,
Vorgeschichte.
Baker, F. C, Eiszeitliche Menschen-
knochen in Nordamerika. 598.
Davenport, C. B. und Love, A. G.,
Körpeimängel in den Vereinigten Staa-
! tcn. 157.
McDougall, W. , Psychische Veran-
lagung und Volkscharakter. 405.
C o h n , L. , Zweck des Tragens von
Nasen-, Lippen- und Wangenpilöcken.
13s- '
Fischer, E., Variieren der morphologi-
schen und physiologischen Merkmale '
der Menschen. 41Ö.
Hilzheimer, Ursprung des Menschen-
geschlechts. 123.
Klaatsch, Die Entstehung der artiku-
lierten Sprache. 418.
K r a u s e , G r., Ethnologie der Balier. 610.
Martin, R., Bedeutung einer anthropo-
logischen Untersuchung der Jugend. 109.
Martin, R., Skelettkultur. 650.
Montelius, Absolute Datierung der
i älteren und jüngeren Steinzeit. 170.
Smith, E. VV. und Dale, A. M., Die
Ilavölker Nord-Rhodesiens. 537.
Teßmann, G., Weltanschauung der Na- 1
turvölker. 63S. '
Verworn, M. , Bonnet, R. , Stein-
mann, G., Die diluvialen Skclettfundc
von Oberkassel bei Bonn. 402. |
Werth, Altsteinzeitliche Funde im Sinai-
gebietc. 275,
G. Physik, Meteorologie,
Astronomie.
A b b o t , Helligkeitsänderungen der Sonne.
420.
Bergstrand, Entfernung des großen
Orionnebels. 90.
Dreis, J., Wolkenstruktur und Wolken-
flächen. 15.
Fowler, W., Doppelstern vom Algol-
typus. 537.
! Gehlhoff, G. und Schering, H., Ab-
sorptionsmessungen in Luft. 172.
Graff, Hauptebene der Milchstraße. 446.
G u ra b e 1 .Wahrscheinlichkeitstheoretische
Betrachtungen zur Endlichkeit der Welt.
731-
Jahreszeitlypen. 186.
John, St., Keine Bestätigung der Rela-
tivitätstheorie. 420.
Kapteyn und van Rhijn, Gesetz der
Verteilung der Fixsterne. 78.
Lenard, Gegen die Relativitätstheorie.
S5I-
Ludendorff und Heiskanen, Radial-
I geschwindigkeit der veränderlichen
! Sterne. 551.
j Meyermann, Ring des Saturn. 421.
; M i 1 1 i k a n , Ausdehnung des ultravioletten
! Spektrums. 79.
O 1 1 m a n n s , Mechanik der physikalischen
Anziehungserscheinungen. 231.
Pease und Anderson, Ein Gasstern.
446.
Pickering, Durchmesserraessung eines
Fixsterns. 637.
Ramsauer, C., Lichtelektrische Wirkung
unterteilter Lichtquanten. 611.
Regener, E., Unterschreitung des Ele-
mentarquantums. 95.
Rutherford, Zerlegung von Elementen
durch «-Strahlen. 728.
Shapley, Neue Forschungen auf dem
Gebiete der Stellarastronomie. 536.
Slipher, Spiralnebel mit auffallend
großen Geschwindigkeiten. 421.
Stcbbins, Algol. 552.
Tietgen, H., Tönen der Telegraphen-
und Fernsprcchleitungen. 57.
Tubandt, C, Die Eleklrizitätsleitung in
festen kristallisierten Stoffen. 387.
Walter, B. , Solarisationserscheinungen.
155-
We th, M., Der positive Spitzenstrom. 121.
Wiechert, .Äther im Weltbild der Phy-
sik. 037.
Zecher, G., Dopplereffekt im Röntgen-
spektrum. 260.
H. Chemie, Mineralogie,
Kristallographie.
Aminoff, G. , s. Flink.
Asch an, O., Neue Bestandteile des Ko-
lophoniums. 647-
Auerbach, R., Polychromie des kollo-
idalen Schwefels. 92.
Bagster, L. S., s. Dehn.
Bamberger, M. und Grengg, R.,
Farben von Mineralien bei tiefen Tem-
peraturen. 317.
Böggild, O. B., Neue Mineralien. 316.
Bragg, W. L,, Anordnung der Atome.
in Kristallen. 608.
Bruhns, G., Hilfsmittel für Ablesen an
Büretten. 452.
Bürki Fr., und Schaaf , F., Zerfall des
Hydroperoxyds durch Basen. 715.
C 1 a s s e n , A. und N e y , O., Atomgewicht
des Wismuts. 299.
Cooling, G, s. Dehn.
Crommelin, Elektrischer Widerstand
der Metalle bei tiefen Temperaturen.
55°-
Dehn, M., Theorie chemischer Um-
setzungen. 29S.
Dennison, D. M. , Kristallstruktur des
Eises. 582.
Dhar, N. R. und Ch att erj i, G., Pepti-
sation. 646.
Dittler, E. , Experimentelle Versuche
zur Bildung silikatischer Nickelerze. 173.
Eitel, W., Zinkblende im Basalt des
Bühls bei Kassel. 104.
Fischer, Fr. undSchrader, H., Her-
kunft des Benzols bei der Leuchtgas-
gewinnung. 93.
Flink, G., Neue Mineralien. 633.
Gibbs, W., Neue Form der Phasen-
regel. 715.
Groh, J. und Hevesy, G. v., Selbst-
diffusionsgescliwindigkeit des geschmol-
zenen Bleis. 201.
Haller, R., Hydroperoxyd als Lösungs-
mittel 11. 371.
Hatschek, E, Abnorme Liesegangsche
Schichtungen. 92.
Heß, K., Aufbau der Zellulose. 467.
Hieber, W., Methode zur Bestimmung
allelotroper Gleichgewichte. 672.
Hoff mann, Radioaktivität aller Ele-
mente. 139.
Hönigschmidt, O. undBirkenbach,
Atomgewicht des Wismut. 56.
Hönigschmid, O. und Dir ken bac h ,
L., Atomgewicht des Berylliums. 567.
Hüll, A. V/., Röntgenstrahlenanalyse der
Kristallstruktur von Metallen. 58 1.
Hüll, A. W., Kristallstruktur des Cal-
ciums. 671.
Kossei, A. und Giese, G. , Farbstoff
des grünen Eiters. 33 1.
IV
Register.
Weber, Fr., Pflanze und Elektrizität.
241, 249.
Wießmann, H., Die biologischen Vor-
gänge im Boden. 489.
Wilhelmi, J., Zur Ausgestaltung der
Schädlingsbekämpfung. 312.
Will er, A. , Aus dem Stoff haushält
unserer Gewässer. 17.
Willer, A. , Neues über Maränen. 561.
Winkler, H. , Christian Gottfried Nees
von Esenbeck als Naturforscher und
Mensch. 337.
Zache, E. , Die chemischen Nieder-
schläge des norddeutschen Diluviums.
457-
Zimmermann, R., Vorkommen des
Ziesels in Sachsen. 102.
II. Einzelberichte.
A. Allgemeines, Biologie,
Zoologie, Anatomie,
Vererbungslehre.
Aichel, O., Kiefer- und Zahnveachstum
usw. 552.
Ariens-Kappers, C. U., Weshalb ist
die Hirnrinde gefaltet? HO.
Barre WS, A., In Stein bohrende Asseln.
389.
Baumann, H. , Anatomie der Tardi-
graden. 671.
Bro wer, G. A. und Ve rwey , J., Vogel-
warte Noordwijk aan Zee. 106.
Coccidium bigeminum bei Füchsen. 304.
Decoppet, M., Maikäferproblem in der
Schweiz. 299.
Eggeling , H. V., Inwieweit ist der Wurm-
fortsatz am menschlichen Blinddarm ein
rudimentäres Gebilde? 702.
Fehlinger, H. , Das Carnegie-Institut
zu Washington. 12.
Floericke, K., Gewölluntcrsuchungen.
539-
Friedenthal, H., Bildung der mensch-
lichen Geschlechtszellen. 465.
Goldschmidt, R. , Die quantitative
Grundlage von Vererbung und Artbil-
duDg. 331-
Grote, H., Ornis Rußlands. 523.
Henning, H., Farbige Olkugeln im
Sauropsidenauge. 692.
Hesse, Einfluß des Untergrundes auf
das Gedeihen des Rehes. 639.
Hermaphroditismus bei verschiedenge-
schlechtlichen Zwillingen des Rindes.
233.
Holmgren, N. , Parietalorgane und
ihre Innervation bei Fischen. 346.
Holmgren, N. , Nervus terminalis bei
Knochenfischen. 348.
Je gen, G., Biologie und Anatomie eini-
ger Enchyträiden. 57.
Karstedt, Blastogener Hermaphroditis-
mus. 152.
Key, W. E., Erbveranlagung und soziale
Tüchtigkeit. 349.
Klaatsch, H., Ausbildung der mensch-
lichen Gliedmaßen. 370.
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Steinhardt, Vom wehrhaften Kiesen.
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Stock, A., Ultra-Strukturcheniie. 16.
Stock, A., Ultra-Strukturchemie. 568.
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Strasburger, Lehrbuch der Botanik.
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Stromer, E., Paläozoologisches Prakti-
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Tarn mann, G., Lehrbuch der Metallo- {
graphie. 748.
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Th ormeyer, F., Philosophisches Wörter-
buch. 352. i
Trünke!, H., Repetitorium der Pflanzen-
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Ulbrich, E., PfianzenkundeBd.il. 159.
Ulbricht, K., Das Kugelphotometer. 142.
Urban, Ign. , Plumiers Leben und
Schriften. 238. ,
Valentin er, S., Grundlagen der Quan-
tentheorie. 432.
Valentiner, S. , Anwendungen der j
Quantenhypothese usw. 734.
Vater, R, Technische Wärmelehre. 470.
Verweyen.J. M., Naturphilosophie. 558.
V e r w o r n , M., Die Anßinge der Kunst.
62.
Verworn, M. , Mechanik des Geisles-
lebens. 55S.
Voigt, A., Exkursionsbuch zum Studium
der Vogelstimmen. 159.
Voigt, A., Wasscrvogelleben. 392.
Wachs, H., Entwicklung, ihre Ursachen
und deren Gestaltung. 16.
Wächter, W., Vademecum für Sammler
von Arznei- und Gewürzpflanzen. IlT,
Wagner, G. , Landschaftsformen von
Württembergisch-Franken. 351.
Waibel, L. , Urwald — Veld —Wüste.
239.
Walt her, J. , Vorschule der Geologie.
79-
Walther, J. , Geologie Deutschlands.
405-
Walther, J., Geologische Heimatkunde
von Thüringen. 536.
Wasielewski, W. v. , Telepathie und
Hellsehen. 334.
Wegener, A., Entstehung der Mond-
krater. 750.
Weil, A., Die innere Sekretion. 486.
Weil, L. W., Grundlagen der techni-
schen Hpdrodynamik. 143.
Wenz, \V., Geologie. 159.
Wiegers, Fr., Diluvialprähistorie als
geologische Wissenschaft. 501.
Wiesner, J., Anatomie und Physiologie
der Pflanzen. 614. '
W i n t e 1 e r , F. , Die heutige industrielle
Elektrochemie. 62.
Wolf, B., Das Recht der Naturdenkmal-
pflege in Preußen. 32.
Wolff, W., Die Entstehung der Insel
Sylt. 64.
Ziehen, Th., Lehrbuch der Logik. 372.
Zwölf länderkundliche Studien. 55S.
V. Anregungen und Antworten.
Ameisen, Kettenbildung derselben. 280.
Athertheorie und Einsteineffekt. 80.
Aufklärung, 504.
Boden, biologischen Vorgänge darin. 736.
Cicindela- Arten, zur Biologie der. 176.
Disjunktionsproblem Keilhacks. 392.
Dominantes Merkmal, Ausbreitung des-
selben in der Natur. 47.
Dünge- und Futtermittel, Untersuchung der-
selben. 240.
Gesellschaft für positivistische Philosophie.
280.
Glazialkosmogonie, zur Kritik der. 735.
Grundwasser und Quellen. 80.
Haeckels Monismus eine Kulturgefahr.
190.
Hellsehen und Namenraten. 48.
Hunde, fischende. 80.
„Inkohlung". 736.
Köppernickel, Herkunft des N.imens. igi,
424, 560.
Kreislauf des Wassers. 392, 504.
Mauersegler, Nislweise. 240.
Naturschutz in den Vereinigten Staaten.
279.
„Orthogenesis, Mutation, Auslese", einige
Bemerkungen zu dem Aufsatz H. Fischers
darüber. 47, 239.
Paläoklimatisches im Licht der Geophysik.
511.
Phyletische Potenz. 176.
Pilzvergiftung durch Tricholoma ligrinum.
175-
Riesensterne, Gaskugeln? 735'
Schöngefärbte Tiere. 264.
Schwalben in der deutschen Urlandschaft.
48.
Singzikaden. 423.
Sprachliche Bemerkung (, .anomal"). 512.
Süfiwassermeduse. 752.
Swift, seine Auffassung vom Tierbau. 80.
Waldschutz durch Vogelschutz. 736.
Wisente im Plesser Tiergarten. 392.
Zodiakallicht. 192.
VI. Abbildungen.
Abraliopsis, Ilaulleuchtorgan. 436.
Aschenbilder von Pflanzen. 234, 235.
Atlantisches Gebiet im Eozän. 685.
Chromosomenverteilung, Schemata. 293,
295.
Crustaceen, Stridulationsorgane. 697—700.
Drosophila, Augen. 648, 64g,
Erdteile im Karbon. 686.
Farbkreis. 425.
Fische, fliegende. Ö41.
Geosynklinalen des Mesozoikums. 688.
Gonostoma elongatum, Leuchtorgan. 437.
Halicoridae, Hüftbeine. 412.
Hunde, altägyptische Darstellungen. 194
bis 197.
Kochsalzgewinnung in Mexiko. 499, 500.
Lampyride, Leuchtorgan. 436.
Lilie, Narbe mit keimenden Pollenkörnern.
667.
Mistel, Saugorgan. 534.
Möwen, im Segelflug. 641.
Noctiluca. 435.
Nordatlantisches Gebiet zur großen Eis-
zeit. 683.
Papageien auf alten Bildern. 548, 549.
Papagei im Bauer. 743.
Parietalorgane bei Fischen. 347.
Penaeopsis stridulans. 69S.
Planorbis multiformis, Stammbaum. 149.
Schnecken, Drüsen. 603.
Segelflugmodelle. 642, 643.
Silene nutans, Blütenstand. 131.
Stenops gracilis, Blinddarm. 702.
Stubbenhorizont bei Senftenberg. 227.
Tiefseetintenfisch. 435.
i Unbefruchtbarkeit, Schema. 442.
Ventilröhre, umkehrbare. 381.
Voratlantischer Kontinentalblock. 685.
VII. Literaturlisten.
16, 32, 48, 64, 80, 112, 128, 144, 160,
208, 280, 288, 304, 336, 352, 376, 408,
432. 448, 472, 488, 512. 543. 500, 584,
600, 616, 624, 648, 680, 696, 704, 736.
O. PäU'sche BiichHr. t.ipperl ,<i: Co. G.
b. H., Nanmbiirg a.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folge ao- Band ;
der gatixen Reihe 36. Band.
Sonntag, den 2. Januar igai.
Nummer 1.
Lorentz- Einstein.
Einsteins „Weltbild" eine Zahlenfiktion f
Philosophisch-kritische Untersuchungen
[Nachdruck verboten.]
Die vorliegenden Ausführungen bringen in
kurzer Fassung einen neuenZusammenhang
zwischen der M a x w e 1 1 - L o r e n t z sehen Theorie
und Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Als
unmittelbare Folgerung ergibt sich, daß Ein-
steins „Weltbild" als bloße mathematische Ab-
straktion zu bewerten ist. Ich erlaube mir zu-
nächst zwei Tatsachen zur Vergleichung
nebeneinander zu stellen.
Da eine Bewegung der Erde relativ zum Licht-
äther experimental nicht nachzuweisen ist, nahmen
H. A. Lorentz und Fiz Gerald an, daß alle
Körper, die sich gegen den Äther bewegen, in
der Bewegungsrichtung eine Verkürzung auf das
1
I —
j fache ihrer Länge erleiden. — Ein-
steins spezielles Relativitätsprinzip setzt voraus,
daß die Geschwindigkeit eines Lichtstrahles eine
Invariante in allen möglichen Inertialsystemen ist;
Längen und Zeiten werden in ein Abhängigkeits-
verhältnis gebracht; die weitere Rechnung liefert
zahlenmäßig die Lorentzkontraktion.
Lorentz setzte also gewissermaßen das
„Kontraktionsprinzip" als Prämisse und erklärte
die „Konstanz der Lichtgeschwindigkeit" (Michelson-
versuch), während Einstein umgekehrt das
Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindig-
keit als Prämisse setzt und die Lorentzkontraktion
(zahlenmäßig) folgert.
Dieses Wechselspiel erscheint uns äußerst auf-
fällig und erinnert uns unwillkürlich an das be-
kannte Umformungsverfahren: ist a^^b, so ist
log^b = n. Wie hier in jeder der beiden Glei-
chungen jedes Element nur in verschiedener Zu-
sammensetzung wiederkehrt, so finden wir dort
in jeder von beiden Theorien jedes „Prinzip"
nur mit verschiedener Bedeutung wieder. Berück-
sichtigen wir, daß die als Symbol gesetzten
Gleichungen identische Gleichungen sind, so
wird den Ausgangspunkt unserer Untersuchung
die Frage zu bilden haben, ob Einsteins spe-
zielle Relativitätstheorie das Resultat
einer bloßen Umformung der Maxwell-
Lorentzschen Theorie ist. Daran ist näm-
lich nicht zu zweifeln, daß zwischen Einsteins
Lorentz - Transformationen und den Max well -
Lorentzschen Gleichungen ein direkter Zusam-
menhang besteht. — Näheren Einblick in die
Methode solcher Umformung werden wir offenbar
gewinnen, wenn uns folgende Frage beantwortet
von Bruno Schönherr, Zillerthal (Riesengebirge).
ist : Zu welchem Zweck wird im allgemeinen eine
neue Theorie aufgestellt und wie geht der Auf-
bau der Gedankenelemente bei Aufstellung einer
Theorie vor sich? Cournot ^) antwortet uns
darauf in meisterhafter Weise mit einem einzigen
Satze: „Ini allgemeinen ist jede wissenschaftliche
Theorie, die ersonnen wurde, um eine bestimmte
Zahl durch Beobachtung gegebener Tatsachen zu
vereinen, einer Kurve zu vergleichen, die nach
irgendeinem geometrischen Gesetz unter der Be-
dingung gezogen wird, durch eine Reihe vorher
gegebener Punkte hindurchzugehen". Werden
also in eine Theorie neue Erfahrungswerte ein-
geführt, d. h. wird die Zahl durch Beobachtung
gegebener Tatsachen vermehrt, so wird dadurch
die ganze Theorie wesentlich modifiziert; die
Grundbegriffe passen sich den neuen Beobachtun-
gen an und das ganze Tatsachengebiet wird auf
eine neue Art interpretiert. Man sagt: die so
veränderte Theorie ist das Ergebnis einer Induk-
tion — sie ist in der Erfahrung erarbeitet. Die
Grundbegriffe bzw. Grundgleichungen einer neuen
Theorie müssen also immer mit Rücksicht auf
die zu erklärenden Tatsachen zurechtgestutzt und
zurechtgerückt werden. Damit z. B. Newton
sagen konnte, daß sich der Mond wie ein gegen
die Erde schwerer Körper verhält, mußte er die
Galileischen Fallgesetze modifizieren.^)
') Dieses Zitat und das folgende von Poinsot entnehme
ich dem erkenntnistheoretiscben Werke von J. B. Stallo,
„Die Begriffe und Theorien der modernen Physik". Nach
der 3. Auflage des englischen Originals übersetzt von Hans
Kleinpeter. Mit einem Vorwort von Ernst Mach.
2. Auflage. Leipzig, Barth igii. (Cournot S. 105,
Poinsot S. 99.) Die in diesem vorzüglichen Buch (ent-
standen in den siebziger Jahren des vor. Jahrh.) entwickelten
Gedanken haben obigen Untersuchungen als Leitfaden gedient.
*) Es ist gänzlich ausgeschlossen , daß ein menschliches
Zerebralsystem aus sich heraus aus ganz allgemeinen Prinzi-
pien den genauen Betrag für die Perihelbewegung des Merkur
ableiten könnte, wie er von den Astronomen (Leverrier)
als Niederschlag mühevoller Beobachtungen festgestellt wor-
den ist. Der auch hier unvermeidliche induktive Weg ist der,
daß zunächst die Grundgleichungen der N e w t o n sehen Theorie
und eine Gleichung für die Perihelbewegung mittels eines
geometrischen Gesetzes unter einen Hut gebracht werden. Da
in der Gerber sehen Formel für die Perihelbewegung, die
bekanntlich mit der Einstein sehen genau übereinstimmt die
Lichtgeschwindigkeit eingeführt ist, so ermöglicht das 'geo-
metrische Gesetz Minkowskis als Differentialgleichung die
Verbindung mit den Bewegungsgleichungen der New ton-
sehen Attraktionstheorie, was als Resultat die Bewegungs-
gleichungen der Einstein sehen Gravitationstheorie ergibt.
Zweifellos ist diese Kombination mit aufiergewöhnlichem Ge-
schick durchgeführt worden. Es kann nicht genug betont
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. I
Nun ist auch das Verfahren in Gebrauch, die
Rraukateeiner Reilie von—Umformmigen einer
Gleichung, die eine Hypothese enthält und deren
ElemeirteiTichts mehr imä nichts weniger als die
Elemente der zu erklärenden Erscheinung sind,
als neue Hypothesen auszugeben, die in Verein
mit den daraus hervorgehenden Folgerungen
nicht selten als physikalische Theorien prunken.
Ist der mathematische Ausdruck einer „Grund-
hypothese" z. B. a" = b, so wird auf Grund dieser
Methode die Gleichung nach irgendeinem geo-
metrischen Gesetz, das jedoch die Eigenschaft
besitzt in der Gleichung bereits implizite
enthalten zu sein, in eine andere Form verwan-
delt, sagen wir in n = log^b oder a = yb. (Da
Verhältniszahlen ursprünglich Symbole für geo-
metrische Verhältnisse, und da Gleichungen nichts
anderes als ein ökonomischer Ersatz für sonst
ausgedehnte Tabellen von Verhältniszahlen sind,
so kann ein Gleichungssystem nur durch ein
geometrisches Gesetz in ein anderes übergeführt
werden.) Trotzdem all diese möglichen Gleichun-
gen eine so verschiedenartige Physiognomie
haben, so sind sie doch alle identisch, d. h. sie
beschreiben in Wirklichkeit alle nur ein und das-
selbe Tatsachengebiet und zwar kommt bei der
mathematischen Beschreibung nur der Grad der
Erscheinungen in Betracht. Sämtliche auf diesem
Wege umgewandelten Gleichungen enthalten also
dieselben Erfahrungswerte, es sind nirgends
neue Beobachtungsdaten aufgenommen. Ist die
werden, daß es sich hier nur um die Zusammenfassung alge-
braischer Gleichungen unter gleichzeitiger Beobachtung geo-
metrischer Verhältnisse handelt. Die Ableitung der allge-
meinen Relativitätstheorie — die Prinzipien mitsamt des de-
duktiven Weges — ist eine Deutung der Grundgleichungen
der Einst einschen Gravitationstheorie, wie sie auf dem
soeben in einem groben Umriß dargelegten induktiven Wege
zustande gekommen sind, und ist diesen zurechtgerückt und
ihnen angepaßt. Sicherlich wäre Newton seinen Zeitgenossen
als wissenschaftlicher Zauberkünstler erschienen, wenn ihm
daran gelegen hätte, den induktiven Weg seiner Entdeckung
in ein mystisches Dunkel zu hüllen und wenn er dann am
Schluß des umgekehrten deduktiven Weges gesagt hätte: Daß
diese aus der Forderung des Attraktionsprinzipes auf rein
mathematischen Wege fließenden Bewcgungsgleichungen die
Kepler sehen Gesetze liefern, muß nach meiner Ansicht von
der physikalischen Richtigkeit der Theorie überzeugen. Aller-
dings ist für Newton diese Methode weniger empfehlens-
wert, denn sein mathematischer Weg wäre lächerlich kurz
und zu wenig kompliziert. Wie also Newton durch Ein-
beziehung der Planetenbewegungen nach Kopernikus-
Kepler das Galileische konstante ,, Fallpotential" erweitert
hat, so hat Einstein durch Einbeziehung der Perihel-
bewegungen nach Leverrier-Gerber das Newtonsche
Graviialionspotential verfeinert. Ob letztere Übertragung auf
irdische Verhältnisse zulässig ist, das steht freilich auf einem
anderen Blatt. Mit Hinsicht auf den soeben dargestellten Zu-
sammenhaiig hat Einstein aus der Deutung seiner Gravita-
tionsformel nur zwei Schlüsse gezogen, wenn man von seiner
verbogenen Welt absieht: die Krümmung der Lichtstrahlen
und die Verschiebung der Spektrallinien in Gravitationsfeldern.
— Ich möchte ferner an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen,
daß die bewunderungswürdigen Arbeiten bei der Errechnung
des Planeten N.eptun durch Leverrier und Adams <larin
bestandeii haben , daß unter meisterhafter Ausnützung des
mathematischen Handwerkzeuges neue Beobachtungen in ein
bekanntes Schema eingeordnet wurden.
Gleichung für ein Naturgesetz durch rechtwink-
lige Koordinaten festgelegt, so läßt sich dasseltre
Gesetz z. B. auch durch eine Polarkoordinaten-
gleichung ausdrücken; das die Tränsfönftattön
vermittelnde allgemeine geometrische Gesetz
lautet in diesem Falle:
r- ■ cos^ 9 -j- r* • sin"^ y = X- -j- y''.
Das Naturgesetz ist dann in eine andere mathe-
matische Mundart übersetzt und — ein neuer
Gesichtspunkt ist gewonnen. Besteht nun die
Möglichkeit, daß man einer solchen resultierenden
Gleichung eine einigermaßen evidente Deutung
geben kann, d.h. läßt sich in der Gleichung eine
Beziehung finden, die in einem anderweitigen
größeren Tatsachengebiete als allgemeines Gesetz
bekannt ist, so sind nach der bewußten Me-
thode schon die Grundgleichungen für eine
„neue" Theorie gewonnen und vielfach glaubt
man, nun nur so drauflos folgern zu können
und häufig meint man, mit solchen Prinzipien
alle Geheimnisse der Natur erklären zu können.
Da die Gleichungen für „Grundhypothese" und
„resultierende Hypothese" in den meisten Fällen
komplizierter Beschaffenheit sind, so ist ihre
Identität schwer erkennbar und weil der for-
schende Blick meistens auf die Natur der Er-
scheinungen gerichtet ist, so bemüht man sich
zunächst mit der Feststellung, welche von beiden
Hypothesen die richtige ist (was nebenbei bemerkt
häufig den Anlaß zu weitschweifigen Kontroversen
bildet: „Mit Worten läßt sich treftlich streiten,
mit Worten ein System bereiten") und sieht da-
bei den Wald vor Bäumen nicht, d. h. bemerkt
nicht, daß weiter nichtsals ein mathemati-
sches Band die beiden Theorien verbindet.
Die „Grundhypothese", welche die Daten der
Beobachtung in die Rechnung eingeführt hat,
verblaßt natürlich immer mehr, denn sie wird ja
von der neuen „alles umfassenden" und daher die
Gedanken am meisten überwältigenden Theorie
dem Grade nach miterklärt. Dank des mathe-
matischen Vexierbildes, in dem die beiden be-
wußten Theorien stehen, ist die neue Theorie in
der Lage, oft die haarsträubendsten Dinge zu
folgern und sie unbehelligt als unumstößliche
Wahrheiten zu behaupten. Da so eine Theorie
durchaus ein für alle Male alles erklären möchte,
so schießt sie nicht selten mit Hilfe der kargen
Erfahrungswerte, die ihr zugrunde liegen und die
sie von der alten Theorie geliehen hat, bis in die
magischsten Atmosphären und sphärischen Räume
hinaus, um von dort der festeren und geraderen,
hoffnungsvollen und gläubigen Welt die frohe
Kunde mitzubringen, daß alles stimmt und stim-
men muß. „Sitzt ihr nur immer I leimt zusammen,
braut ein Ragout von andrer Schmaus und blast
die kümmerlichen Flammen aus eurem Aschen-
häufchen rausl" usw. Daß es aber nicht stimmen
kann, liegt auf der Hand und zeigt sich auch ge- 1
wohnlich dann, wenn daran gegangen wird, die I
Folgerungen der „Pseudotheorie" mit „Hebeln
N. F. XX. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
und Schrauben" zu lockern. Poinsot äußert
sich zu diesem Thema folgendermaßen :
„Was so manche Köpfe über die den mathe-
matischen Formeln scheinbar zukommende IVIacht
getäuscht hat, liegt an dem Umstand, daß man
ziemlich leicht aus ihnen bereits bekannte Wahr-
heiten ziehen kann, die man sozusagen selbst in
sie eingeführt hat, so daß es den Anschein ge-
winnt, daß uns die Analyse etwas geben würde,
was sie in Wirklichkeit nur in eine andere
Sprache gekleidet hat. Wenn ein Satz bekannt
ist, braucht man ihn nur in Gleichungen zu klei-
den; ist er richtig, so muß jede von ihnen eben-
sowie jede Ableitung aus ihnen richtig sein,
gelangt man so zu einem evidenten oder anders-
woher bekannten Satze, braucht man nur diesen
Satz zum Ausgangspunkte zu machen und die
Entwicklung rückwärts zu gehen, und es gewinnt
den Anschein, als ob uns die Rechnung allein zu
dem Satze geführt hätte, um den es sich handelt.
Darin eben besteht die Täuschung des Lesers".
Es ist selbstverständlich, daß die eben ge-
schilderte Entwicklung in den meisten Fällen i m
Unbewußten vor sich geht. Der ganze Vor-
gang beruht auf dem psychologischen Moment,
daß der Mensch durchaus die Schranken durch-
brechen möchte, die ihm die Natur in seinem
Denken und Handeln überall setzt. Hat er ein-
mal eine Luke, d. h. einen neuen Gesichtspunkt
gefunden, so stürmt das Denken mit einem keine
Grrenzen kennenden Elan hindurch und glaubt
nun die Welt in ihrem innersten Wesen vor sich
ausgebreitet zu sehen. Der so von der Natur
genarrte Theoretiker vergißt dabei ganz, daß die
Wissenschaft auch ein Siück Natur ist, und daß
auch hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen
können und das Weitertreiben der Spekulationen
beeinflußt häufig sein dadurch übermäßig stark
in Anspruch genommenes abstraktes Denken so-
weit, daß ihm immer mehr die Fähigkeit ver-
loren geht. Einfaches als einfach anzusehen. Die
Naturwissenschaft erforscht und erkennt ihr Ob-
jekt durch Beobachtung und Erfahrung, und es
wird wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß
das Beobachten und Erkennen eine Äußerung
der Natur ist. — Es wird nicht unangebracht
sein, wenn ich an dieser Stelle zu diesem Gegen-
stande die folgenden Worte Machs zitiere. Mach
sagt am Eingang seines Vortrages (Über den
Einfluß zufälliger Umstände auf die Entwicklung
von Erfindungen und Entdeckungen):^)
„Den naiven hoffnungsfrohen Anfängen des
Denkens jugendlicher Völker und Menschen ist
es eigentümlich, daß beim ersten Schein des Ge-
lingens alle Probleme für lösbar und an der
Wurzel faßbar gehalten werden. So glaubt der
Weise von Milet, indem er die Pflanze dem Feuchten
entkeimen sieht, die ganze Natur verstanden zu
haben; so meint auch der Denker von Samos,
weil bestimmte Zahlen den Längen harmonischer
Saiten entsprechen, mit den Zahlen das Wesen
der Welt erschöpfen zu können. Philosophie und
Wissenschaft sind in dieser Zeit nur Eins. Rei-
chere Erfahrung deckt aber bald die Irrtümer auf,
erzeugt die Kritik, und führt zur Teilung, Ver-
zweigung der Wissenschaft. — Da nun aber
gleichwohl eine allgemeine Umschau in der Welt
dem Menschen Bedürfnis bleibt, so trennt sich,
demselben zu entsprechen, die Philosophie von
der Spezialforschung. Noch öfter finden wir zwar
beide in einer gewaltigen Persönlichkeit wie
Descartes oder Leibniz vereinigt. Weiter
und weiter gehen aber deren Wege im allge-
meinen auseinander. Und kann sich zeitweilig
die Philosophie soweit der Spezialforschung ent-
fremden, daß sie meint, aus bloßen Kinderstuben-
erfahrungen die Welt aufbauen zu dürfen, so hält
dagegen der Spezialforscher den Knoten des
Welträtsels für lösbar von der einzigen Schlinge
aus, vor der er steht, und die er in riesiger per-
spektivischer Vergrößerung vor sich sieht. Er
hält jede weitere Umschau für unmöglich oder
gar für überflüssig, nicht eingedenk des Voltaire-
schen Wortes, das hier mehr als irgendwo zu-
trifft: »Le supeiflu chose tres necessaire»."
Die eingangs auffällig gewordene doppelte
Wechselbeziehung zwischen Lorentzkontrakiion
und Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt uns
vermuten, daß die Maxwell- Loren tzsche
Theorie und Einsteins spezielle Relativitäts-
theorie in einer solchen Korrelation stehen, wie
sie oben dargelegt wurde. Unsere Aufgabe hat
sich also nun dahin differenziert, zu untersuchen,
ob sich die den unter Diskussion stehenden Theo-
rien zugrunde liegenden allgemeinen Gleichungeti
nach einem bestimmten, in beiden Theorien im-
plizite enthaltenen geometrischen Gesetz direkt
ineinander umrechnen lassen. Da in diesem Falle
die beiden Gleichungssysteme identische Glei-
chungssysteme wären, so wäre damit der Beweis
geführt, daß die beiden Theorien die gleichen und
nur die gleichen Erfahrungswerte in sich bergen.
Weil die Formel für die Lorentzkontraktion mit
den Maxwell-Lorentz sehen Gleichungen iden-
tisch ist ^) und da ferner die Lorentzkontraktion
dem Grade nach aus Einsteins Lorentz-Trans-
formation gefolgert wird, so hätten wir offenbar
das vermittelnde geometrische Gesetz im Prinzip
von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu
suchen. Machen wir nun unter diesen Bedingungen
ein mathematisches Experiment, so finden wir
aus dem Resultat die Richtigkeit unserer Annahme
vollauf bestätigt. Setzen wir nämlich die Werte
der Formel für die Lorentzkontraktion in Ein-
steins allgemeine Gleichung ein, die das Gesetz
von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aus-
drückt, so liefert die Rechnung unmittelbar —
') E. Mach, „Pop.-wiss. Vorles." 4., verm. u. durcbges.
Aufl. Mit 73 Abb. Leipzig, Barth, 1910. (S. 290 u. 291.)
') Es ist kein Unterschied, ob die Formel auf wahrnehm-
bare Körper oder aber auf Elektronenkörper Anwendung
findet.
4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 1
Einst.eins Lorentz-Transformation. Mit Rück-
sicht auf obigen Ausspruch von C o u r n o t müssen
wir nun argumentieren, daß Einstein bei Auf-
stellung der Lorentz - Transformation folgende
Bauanweisung unbewußt benutzt hat:
Die Reihe gegebener Punkte ist in der von
Lorentz aufgestellten Formel für die Lorentz-
kontraktion festgelegt.
: = x']/l
I.
worin x = vt 2.
(x' = Länge des im Äther ruhenden Stabes
X = Länge desselben verkürzten Stabes bei der
Geschwindigkeit v.)
Der Schlüssel zum geometrischen Gesetz findet
sich im Prinzip von der Konstanz der Lichtge-
schwindigkeit.
x' ' — c-t'"^x- — C't". II.
Die Kurve ist das Abbild der Lorentz-Trans-
formation:
x — vt
l/
v-
/l -
— -
c-
V
t —
c--^
1/
v-^
r-
c-2
I.
111.
Dieser Zusammenhang ist in der „Einfachen Ableitung
der Lorentz-Transformation" in Einsteins „gemeinverständ-
licher" Schrift deutlich zu ersehen. Faßt man dort die erste
Gleichung auf S. So (es liegt hier die 5. Aufl. vor) mit der
Gleichung (7b) zusammen, so erhält man unsere Gleichung
(I, l): Zieht man seine Gleichung (6) mit der darüber stehen-
den Gleichung zusammen, so ergibt sich unsere Gleichung
(I, 2\ Diese Gleichungen ergeben zusammen mit seinen
Gleichungen (5) die Lorentz-Transformation. Seine linearen
Gleichungen (5) sind aber zusammengenommen identisch
mit der allgemeinen Gleichung für das Gesetz von der
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (seine Gleichung Sa), nur
ist dort bereits das Verhältnis der Konstanten bestimmt.
Das Konstanlenverhältnis ist -er ausgerechneten Lorentz-
Transformation entnommen. Einstein gibt dem Konstanten-
verhältnis zusammen mit unserer Gleichung (1, 2) eine ,, evi-
dente" Deutung: spezielles Relativitätsprinzip. Da in Ein-
steins Ableitung die Gleichungen für das spezielle Kelativi-
tätsprinzip mit den linearen Gleichungen für das Prinzip von
der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zusammengezogen
werden, so resultieit dort als Ausrechnung unsere Gleichung
(I, l). Die weitere Analyse der Theorie bis auf ihre letzten
Grundbegriffe bildet eine besondere Aufgabe.
Wir haben also gefunden : Die von Einstein
entdeckte Lorentz Transformation ist das Resultat
einer mathematischen Analyse der Maxwell-
Lorentzschen Gleichungen — die Gleichungen
sind nach einem bestimmten Gesichtspunkte
differenziert. Es soll nun etwas näher untersucht
werden, wie die Differenzierung auf Grund des
eben genannten Rezeptes vor sich geht.
Zunächst ist zu beachten, daß die Formel für
die Lorentzkontraktion an und für sich nichts an-
deres zum Ausdruck bringt als die Abhängig-
keitsbeziehung zwischen Verkürzung und Ge-
schwindigkeit der Körper, wobei die physikalische
Ursache der Verkürzung gar keine Rolle spielt.
Es liegt hier der gleiche Kasus vor als z. B, bei
Anwendung der Formel für den freien Fall, denn
bei Gebrauch derselben fragt man auch nicht
nach der Ursache der Fallbewegung. Ein Natur-
gesetz besagt: Es ist nun einmal so, das Experj-,
ment bestätigt immer wieder, daß es so ist, aber
warum es so ist, wissen wir nicht; es ist ledig-
lich das tatsächliche Verhalten auf eine Formel
gebracht. Die Formel für die Lorentzkontraktion
ist eine in eine Gleichung gekleidete Deutung der
Resultate der Michelson- und ähnlicherV ersuche, also
eine in Zahlen gesetzte Hypothese, womit sich die
scheinbare Konstanz der Lichtgeschwindigkeit,
das IVIeßergebnis der Versuche, beschreiben läßt.
Die „Konstanz der Lichtgeschwindigkeit" ist also in
den Maxwell-Lorentzschen Gleichungen im-
plizite enthalten 1 Was bei Lorentz als schein-
bar gilt,') wird nun bei Einstein Wirklichkeit^
seine spezielle Relativitätstheorie setzt die Kon:
stanz der Lichtgeschwindigkeit als Prinzip an die
Spitze. Dieses Postulat hat die Abhängigkeit von
Längen und Zeiten (und auch die Verbannung
des Äthers) zur unabweisbaren Konsequenz. Diese
zunächst labile Abhängigkeitsbeziehung wird in
die F"orm der allgemeinen Gleichung (II) gebracht
und damit die „alles umfassende" Relativitäts-
theorie die bewährte Maxwell-Lorentzsche
Theorie genau in sich einschließt, werden die
Werte der bekannten Formel für die Lorentz-
kontraktion (I) in die Gleichung (II) eingesetzt.
Die Ausrechnung liefert dann die Lorentz-Trans-
formation (111). Einstein schreibt: „Die spe-
zielle Relativitätstheorie ist aus der Maxwell-
Lorentzschen Theorie der elektromagnetischen
Erscheinungen auskristallisiert". Aus diesem Zu-
sammenhange ist deutHch ersichtlich, wie die
„Lorentzkontraktion" in Einsteins Lorentz-
Transformation implizite enthalten ist. Da die
Formel für die Lorentz-Kontraktion für gleich-
förmige Translationsbewegungen gilt, so können
wir ergänzend sagen, daß auch die „spezielle
Relativität" in den Maxwell-Lorentzschen
Gleichungen implizite enthalten ist.
Zwei Beispiele mögen zur weiteren Klärung
der hier in Betracht kommenden Verhältnisse
dienen. Es ist bekannt, daß ein ins Wasser ge-
haltener Stab dem Auge gebrochen erscheint.
Nehmen wir nun an, es fehlte uns der Tastsinn,
mit dem wir sonst die Täuschung konstatieren,
wie würden wir dann die augenfällige Erscheinung
des gebrochenen Stabes deuten können? Wir
würden dann entweder argumentieren : es besteht
in Wirklichkeit das Prinzip von der Brechung
des Lichtes und die Erscheinung des gebrochenen
Stabes ist nur eine scheinbare; oder aber: der
') Neben die Annahme von Lorentz, daß alle Körper
(unabhängig von Material und sonstigem physikalischen Zu-
stand) bei der Bewegung gegen einen materiellen Äther durch
dessen Einwirkung eine spezifisch gleiche Verkürzung erleiden,
wäre die Tatsache zu setzen, daß alle Körper (anabhäifgig
von Material und sonstigem physikalischen Zustand) im luft-
leeren Raum die gleiche Fallbeschleunigung erfahren.
NF. XX. Nr. 1
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
S
Stab wird beim Eintauchen in das Wasser tat-
sächlich gebrochen und die Lichtbrechung ist,
wenn auch eine brauchbare Annahme, nur schein-
bar. Entsprechend folgert Lorentz: das Kon-
tralttionsprinzip ist Wahrheit und die augenfällige
Erscheinung der Konstanz der Lichtgeschwindig-
keit beim Michelsonversuch ist scheinbar, das
Additionstheorem der Lichtgeschwindigkeit gilt ;
und Einstein: das Prinzip von der Konstanz
der Lichtgeschwindigkeit existiert und die Lorentz-
kontrakiion ist scheinbar. Wir sehen , daß in
beiden Fällen ein gemeinsamer Tatbestand nur
verschieden gedeutet wird. — Wir denken uns
ferner in einem unendlich großen, leeren Raum
zwei Weltkörper A und B. Ein Beobachter auf
A nimmt zunächst seinen Weltkörper als ruhend
an und stellt fest, daß B um A eine Kreisbewegung
vollführt, wobei B in demselben Drehungssinn
um seine eigene Achse rotiert. Bei einem Um-
lauf um A macht B acht Umdrehungen um seine
Achse. Der Beobachter setzt sich nun an seinen
Schreibtisch und stellt folgende Reflexionen an.
Er sagt sich, daß sich seine Beobachtung auch da-
mit beschreiben läßt, daß man B als ruhend an-
nimmt, wobei dann sein Weltkörper A eine Kreis-
bewegung um B im entgegengesetzten Drehungs-
sinne macht und in demselben entgegengesetzten
Sinne um die eigene Achse rotiert. Bei acht
Umdrehungen um B macht dann A eine Drehung
um die eigene Achse. Nach weiterem Überlegen
bemerkt der Beobachter, daß noch ein anderer
Standpunkt möglich ist. Er sagt sich nämlich, daß
;man ja auch die Verbindungslinie der Mittel-
punkte der beiden Weltkörper als ruhendes Bezugs-
element auffassen kann, wobei dann A in dem-
selben Sinne wie zuletzt rotiert, während B eine
entgegengesetzte Rotationsbewegung vollführt :
macht nun A einen Umlauf, so macht B deren
sieben. Nach Analogie mit diesem Beispiel dürfen
wir sagen, daß das spezielle Relativitätsprinzip
die augenfällige Erscheinung der Nichtkonstatier-
barkeit der Bewegung der Erde gegen den Licht-
äther beim Michelsonversuch oder besser gesagt,
das hier zutage tretende absolute Verbindungs-
glied zwischen Erde und einem im Äther ruhenden
starren Körper — die Konstanz der Lichtge-
schwindigkeit — zum Bezugselement macht.
Wir müssen bei all diesen Beispielen und
ebenso bei der Behandlung des Gegenstandes
unserer Untersuchung dauernd im Auge behalten,
daß sich unser Denken nicht mit den Dingen,
wie sie an sich sind, sondern mit den Gedanken-
vorstellungen von denselben beschäftigt, und daß
seine Elemente nicht reine Gegenstände, sondern
ihre gedanklichen Gegenstücke sind. Nur mit
von der Wirklichkeit abgerissenen Symbolen
lassen sich Gedankenexperimente über Relativität
. a la Einstein anstellen, denn nicht mit Reali-
täten, sondern mit Gedankenelementen reflektieren
wir — in der Wirklichkeit existiert kein Inei tial-
system. ') „Du gleichst dem Geist , den du be-
greifst, nicht mirl' sagt die Seele der Natur zum
Flaust. Hätte dieser Relativitätsgedanke den Wert
einer universellen Weltformel, so müßte z. B. ein
beseeltes, durch Erwärmen ausgedehntes Stück
Eisen die Veränderung auch dahin interpretieren
können; ich habe mich überhaupt nicht verändert,
sondern das ganze Universum hat sich verkleinert
und abgekühlt. Oder ein Trunkener wäre be-
rechtigt, seine getrübten Beobachtungen dahin
auszulegen : ich bin das Absolute, Unveränderliche
und normal, aber die ganze Welt ist trunken. —
Der Einstein sehe Relativitätsgedanke eignet
sich nicht als Fundament zum Aufbau einer ge-
danklichen Welt.
Formulieren wir nun das Gesamtergebnis un-
serer Untersuchung in Verbindung mit den un-
mittelbar daraus hervorgehenden Folgerungen
allgemeinster Art, so erhalten wir;
Einsteins Lorentz - Transformation ist das
Resultat einer bloßen Verschmelzung der Max-
well- Loren tzschen Gleichungen mit der all-
gemeinen Gleichung, die das Gesetz von der
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ausdrückt und
ist nicht ursprünglich aus dem Prinzip von der
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und dem Re-
lativitätsprinzip hervorgegangen. Die Gnmd-
gleichungen der Maxwell - Lorentz sehen
Theorie und Einsteins spezieller Relativitäts-
theorie sind exakt identische Gleichungen. Das
allgemeine geometrische Gesetz, das in beiden
Grundgleichungen implizite enthalten ist und das
die beiden Grundgleichungen ineinander überführt,
ist das Gesetz von der Konstanz der Lichtge-
schwindigkeit. In Einsteins Lorentz • Trans-
formation sind die gleichen und nur die gleichen
Erfahrungswerte enthalten als in den Maxwell -
Loren tzschen Gleichungen. Einsteins spe-
zielle Relativitätstheorie und die Maxwell-
Lorentzsche Theorie beschreiben das in Be-
tracht kommende Tatsachengebiet der Wirklich-
keit entsprechend, wenn dabei das den Maxwell-
Loren tzschen Gleichungen zugrunde liegende
Erfahrungsbereich innegehalten wird — alles
übrige ist Spekulation. Da wir aus der Erfahrung
nicht wissen, ob die Max well- Lo re ntzschen
Gleichungen in jedem Geschwindigkeitsbereich
Gültigkeit besitzen, so ist z. B. dem Begriff von
der Grenzgeschwindigkeit des Lichtes nur eine ähn-
liche Bedeutung beizumessen, als wie sie etwa
dem Elastizitätsmodul der Festigkeitslehre zu-
kommt. (Natürlich hätte auch schon Lorentz
den Stab verschwinden lassen können, denn man
braucht nur in seiner Kontraktionsformel für die
Geschwindigkeit v die Lichtgeschwindigkeit c zu
setzen und schon schrumpft der Stab zu einem
Nichts zusammen.) Da sich Einstein bei Auf-
stellung seiner Theorie nur in Zahlen bewegt hat,
so ist er nicht berechtigt mit seinen neuen, er-
rechneten Begriffen einen realen, physikalischen
') Für diesen Zusammenhang sind die Überlegungen von
M. Palagyi seines Vortrages „Die Relativitätstheorie in der
modernen Physik" besonders wichtig.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. I
Sinn zu verbinden. Eine vorhandene Theorie
kann wohl durch bloße mathematische Operationen
ausgebreitet, aber niemals vertieft werden. Ein
„alles umfassendes physikalisches Weltbild", wenn
das menschliche Denken jemals ein solches er-
zeugen könnte, ist niemals mit einziger Hilfe
von Mathematik zu konstruieren. Einsteins
„Weltbild" spekuliert unberechtigterweise unerlaubt
weit über die zurzeit festgestellten Beobachtungen
hinaus. Einsteins spezielle Relativitätstheorie
stützt sich nicht auf das Prinzip von der Anpas-
sung der Gedanken an Beobachtungen, sondern
beruht auf dem Verfahren der Anpassung von
Gedanken an Gedanken — kurz gesagt: Ein-
steins „Weltbild" ist eine verunglückte Zahlen-
spekulation I
Wir wollen uns nun zum Schluß den hier
wirksamen Mechanismus des Gedankenanpassens
zusammenfassend zum Bewußtsein bringen. Wir
haben soeben gesehen, daß die Lorentz- Trans-
formation identisch mit den Maxwell-Lorentz-
schen Gleichungen ist, und daß die einzelnen
Elemente in jedem Gleichungssystem ihre Be-
deutung deshalb wechseln, weil jedes System ein
anderes Element zum Bezugselement macht.
Während Lorentz sich auf den im Äther ruhen-
den Körper bezieht, nimmt Einstein Bezug auf
die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die
letztere Festsetzung zwingt das Denken mit
logischer Notwendigkeit zur Verleugnung des
Äthers und zur Annahme der Abhängigkeit von
Längen und Zeiten, und die Verbannung des
Äthers hat weiter eine neue Erklärung der Ent-
stehung des Lichtes zur Folge. Da Einstein
und der größere Teil der Verfechter seiner Lehre
seine Gedankenerzeugnisse für unumstößliche
Wahrheiten halten, so verfallen sie in den uralten
Fehler metaphysischer Theorienbildung, die immer
wieder versucht, die wahre Natur der Dinge aus
den Begriffen von denselben abzuleiten. So kon-
struierte man sich früher zornige Geister, um
sich damit die Vorgänge beim Donnern, bei
Vulkanausbrüchen, bei Sonnenfinsternissen usw.
begreiflich zu machen; und wenn nun leere und
sphärische Räume und errechnete Raum- und
Zeitabhängigkeit zur Erklärung aller Geheimnisse
der Natur dienen sollen, so sehen wir hier weiter
nichts anderes darin als einen modernen Ersatz
für jene ehemaligen metaphysischen Geister — und
dazwischen stellen wir das wüste Treiben der
modernen Spiritisten. Wenn die Alten im Donner
den Zornausbruch eines Geistes sahen, so mag
dies in Anbetracht des zu jener Zeit herrschenden
Aberglaubens noch angehen, denn böse Geister
waren den Menschen schon damals in der Er-
fahrung aus anderen Gebieten zur Genüge be-
kannt. Wenn aber heute die Lorentz- Kontraktion
auf das Vorhandensein eines „Nichtstoffes" zurück-
geführt wird, so sehen wir in diesem Erklärungs-
versuch ein Gemenge von „Idem per idem er-
läutern" mit einem „Obscurum per obscurius er-
klären" und identifizieren ihn mit der zeitgemäßen
Anpassungsmethode: daß das Leder so teuer ist,
daran sind die hohen Schuhpreise schuld. (Ich
bitte, die Verwendung solcher Analogien an dieser
Stelle nicht als den Erguß einer Geschmacklosig-
keit aufzufassen; ich bin mir dabei nur der Tat-
sache bewußt, daß durch Vorführung drastischer
Vergleiche Bände gespart werden: wissenschaft-
liche Ökonomie!) Die verbreitete Annahme, daß
heute die Metaphysik aus den Naturwissenschaften
verschwunden sei, beruht leider auf einem Irrtum.
Wenn es heute noch Physiker und Chemiker gibt,
die bei Gebrauch von Abstraktionsgebilden, wie
Atomen und . Molekülen, wie von wirklichen
Dingen reden, so hat die Philosophie die Pflicht,
ihre Kenntnisse zwecks rücksichtsloser Aufklärung
zu verwerten und hat sämtlichen Spezialisten
z. B. die vortrefflichen Worte des EuckenPhilo-
sophen Otto Braun*) vorzuhalten: „Erfahrung
und Mut des Denkens müssen sich einen: von
Gedanken her erfolgt die Frage an den Stoff,
die Erfahrung gibt die Antwort — und nie
dürfen wir den Begriffen zuliebe uns
der Wirklichkeit verschließen." Atome,
Moleküle, Schwerpunkt usw. sind Begriffe und es
wird wohl niemand behaupten wollen, daß es
einen „wirklichen" Schwerpunkt gibt. Neue
Wahrheiten von apodiktischer Genauigkeit und
Gewißheit liefert nur die experimentelle Forschung
— eine brauchbare Theorie schematisiert die Er-
fahrungswerte. Lassen sich Wahrnehmungen
sammeln und organisieren, so darf dann das
Schema und vor allen Dingen die Art seiner Dar-
legung niemals so beschaffen sein, daß man sich
erst das Gehirn zermartern muß, um das System
begreifen zu können. Weitgehende Folgerungen
einer Theorie haben dann hohen praktischen
Wert, wenn dabei der Forscher die wissenschaft-
liche Einsicht besitzt, daß seine Forderungen in
Wirklichkeit nur approximative Gültigkeit
besitzen, aber einen oft zuverlässigen Führer für
weitere Untersuchungen bilden können. *) Besteht
dann die Möglichkeit, den Verlauf der voraus-
gesagten Vorgänge durch Versuch genau zu be-
stimmen, so können die so neu gefundenen Daten
rückwärts in die den Spekulationen zugrunde
liegenden Gleichungen eingeführt werden (In-
duktion), und erst wenn diese Revidierung statt-
gefunden hat, sind die Grundgleichungen für eine
weitere neue Theorie geschaffen. Brauchbare
Theorien fallen den Menschen nicht als Ergeb-
nisse von bloßen Gedankenexperimenten fix und
fertig abgerundet in den Schoß, sondern sie
müssen erst in der Erfahrung erarbeitet werden.
Die Wissenschaft ist nie eine fertige Größe, son-
dern sie ist stets etwas Werdendes, Unabge-
schlossenes, Bewegtes : die ganze Welt ist in
') Prof. Dr. Otto Braun, „Geistesprobleme und Lebens-
fragen". Ausgewählte Abschnitte aus den Werken Rudolf
Euckens. Reclam Nr. 5993—5995 (S. 29).
') Die Behandlung der allgemeinen Relativitätstheorie
nach diesem Gesichtspunkte mag in einem folgenden Aufsatz
durchgeführt werden.
N. F. XX. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Fluß! Ein Werk, das fruchtbar sein soll, muß tivitätstheorie glaubt ein Abschluß zu sein und
immer Triebe erkennen und fühlen lassen, damit wäre dann — der Sarg der Physik,
es eben leben und wachsen kann. Die Rela-
Zur Metaiiiorphosenlehre. ')
(Nachdruck verboten.) Von Dr. A,
Dem naiven Realismus, der uns gewisser-
maßen angeboren ist, gelten die Dinge so, wie
sie erscheinen. Das ist die natürliche Auffassung
im gewöhnlichen Leben, die auch von Kant ge
billigt wird. Aus der Erkenntnis, daß diese Auf-
fassung unvollkommen ist, sind Wissenschaft und
Forschung erst entstanden. Diese strebt unter
allen Umständen dahin, eine möglichst absolute
Erkenntnis der Gegenstände zu erlangen. Das ist
durch bloße Anschauung nicht möglich. Die
Fähigkeit unseres Denkens nur kann uns Erkennt-
nis verschaffen. Der natürliche Anfang dieser
Tätigkeit ist der Vergleich. Wir suchen einen
uns unverständlichen Gegenstand dadurch besser
zu verstehen, daß wir ihn mit einem uns schon
verständlichen vergleichen. Dadurch kommen
wir aber nur zu einer relativen Erkenntnis und
in den allermeisten Fällen müssen wir uns auch
in der Wissenschaft mit dieser Art Erkenntnis
begnügen.
So ging es anfangs auch mit den Blüten, die
einen so auffallenden Gegensatz zu den Laub-
organen der Pflanzen bilden, daß sie als etwas
davon absolut verschiedenes erscheinen. Mal-
pighi und andere verglichen aber doch
wenigstens die Hüllorgane der Blüten, Kelch und
Blumenblätter mit Laubblättern. Zum morpho-
logischen Vergleich der eigentlichen Fortpflanzungs-
organe kam es aber nicht, weil hier jede Mögliah-
keit eines Vergleichs aufhörte. Die bloße be-
griffliche Unterordnung der Blütenteile unter den
Begriff Blatt ist aber bloße Klassifikation
und keine Hypothese, sie hat für die wissen-
schaftliche Erkenntnis gar keinen Wert. Denn
was hieße es: ein Staubfaden ist ein Blatt, wenn
dies Wort einen bloßen Begriff bedeutet. Ein
„Blatt" gibt es in Wirklichkeit gar nicht, es gibt
nur Laubblätter, Hochblätter, Blumenblätter, Kelch-
blätter, Fruchtblätter. Es müßte also gesagt wer-
den, was für eine Art Blatt ein Staubfaden sein
solle. Das eigentliche, in allem Anfang durch
die Sprache so genannte Blatt ist das große
Organ der Pflanzen, das Laubblatt von flacher
Form. Also wenn eine Beziehung überhaupt an-
genommen wird, kann man nur sagen, ein Staub-
faden ist ein Laubblatt, d. h. der Anlage nach,
denn später gleichen sie sich nicht mehr. Es
hat also nicht bloß den Ort eines Laubblattes,
worauf C. F.Wolf das Hauptgewicht legte, son-
dern auch gewisse innere Eigenschaften der Laub-
biattanlage. Dafür, daß das Alte in neuer Form
erscheint, sind wir gezwungen , eine Ursache an-
zunehmen und da hier Beobachtung nicht
Hansen f.
möglich ist, nehmen wir vorläufig eine hypothe-
tische Ursache an; die Metamorphose. Auf
diesem Standpunkt stehen Goethe, Goebel und
andere Botaniker mit ihm. Durch noch un-
bekannte Wirkungen ändern sich die Eigen-
schaften und danach die ganze Form der Laub-
blattanlage und sie wird zum Sporophyll. Dieser
Standpunkt wird in den meisten Lehrbüchern
vertreten z. B. in Strasburgers Lehrbuch, 1 3. Auf-
lage, durch Fitting S. 169.
Nach Veröffentlichung meiner letzten Arbeit
über Goethes Morphologie ") schrieb mir ein be-
freundeter Kollege, daß er diesen Standpunkt nicht
teilen könne, eine Staubfadenanlage sei doch von
Anfang an eine Staubfadenanlage und keine
Laubblattanlage. Dieser Standpunkt ist der oben-
bezeichnete natürliche Realismus, für den
die Sachen so sind, wie sie scheinen. Wenn er
auch antitheoretisch ist, so ist er doch nicht völlig
atheoretisch. Für ihn ist ein Staubblatt schon in
der Anlage ein Staubblatt, ein Karpell ein Karpell.
Es gibt also keine Metamorphose der Blütenteile.
Diese begrifflich doch als Metamorphosen zu
bezeichnen ist ganz überflüssig und unverständlich,
denn Metamorphose kann nur ein zeitlicher und
räumlicher Vorgang sein. Das findet man schon
bei Kant. Eine Metamorphose von Begriffen
ist weder logisch noch erkenntnistheoretisch zu be-
gründen, sondern führt nur zu scholastischen
Kunststücken, die leicht ad absurdum zu führen
sind. ■' ' ^■'
Nimmt man nämlich diesen Standpunkt für
die Blüten an, dann müßte er auch für die
übrigen Organe gelten. Die Anlage einer Kar-
toffel wäre gleich einer Knollenanlage, die einer
Blattranke kein Blatt, sondern eine Rankenanlage,
der Orchideenknolle keine Wurzel, sondern eine
Knollenanlage. Metamorphosen dürfte es dann
auch hier nicht geben, die Herkunft der Organe
könnte nicht erklärt werden, sie wäre dennoch
Tatsache. Für das Verständnis der Funktion ge-
nügte das auch. Aber diese Anschauung wircl
') Dieser Aufsatz fand sich unter den nachgelassenen Schriften
Adolph Hansens und wurde mir zur Veröffentlichung
übergeben. Da die Metamorphosenlehre das Gebiet ist, welches
den Verstorbenen in den letzten Jahren bis kurz vor seinem
Tod immer wieder stark beschäftigte, so glaubte ich am
Manuskript, abgesehen von den Literaturangaben, keine Ände-
rungen vornehmen zu sollen. Georg Funk.
•) Adolph Hansen, Goethes Morphologie (Metamor-
phose der Pflanzen und Osteologie), GieSen 1919, Verlag
A. Töpelmann. Auch in Ber. d. Uberhess. Ges, f. Natur- u.
Heilk. N. F. Naturw. Abteil. Bd. 7, 19:9, S. 1—200.
NaturwissenschaftKehe Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. I
durch Tatsachen sofort erschüttert. Bei den
Vegetationsorganen sieht man den Vorgang der
Metamorphosen wirkUch, worauf Goethe schon
aufmerksam gemacht hat und was wohl niemand
bezweifelt (Ranken, Kartoffel und OrchisknoUen,
Wurzelknollen usw.).
Bei den Blüten ergibt eine entwicklungsge-
schichtliche Beobachtung kein klares Resultat. Die
Anlage der Blütenteile gleichen Blattanlagen ge-
nau, brauchen aber keine solchen zu sein. Aber
auch hier wird die naive Ansicht durch Tatsachen
erschüttert, durch die sog. Rückschläge. Eine
Staubblattanlage wird oft ein Blumenblatt oder ein
Karpell, bei Vergrünungen ein laubblattähnliches
Gebilde. Das beweist, daß es nicht von Anfang
an eine unveränderliche Staubblattanlage ist,
sondern daß andere Entwicklungsmöglichkeiten
darin verborgen sind. Die Ansicht, ein Staubblatt
ist von Anfang an ein Staubblatt, ist also un-
haltbar.
Mit dem naiven Realismus wäre auch die
phylogenetische Entstehung der Blüten nicht zu
begreifen. Anfangs gab es keine Blütenpflanzen.
Die Blüten müssen aus Vegetationsorganen ent-
standen sein, was man bei den Kryptogamen, Mar-
chantia, Osmunda, Ophioglossum , Botrychium
deutlich sieht, wo die Umwandlung von Laub-
blättern in Sporophylle vor Augen liegt.
Die naive realistische Ansicht, welche die Meta-
morphose bei den Blüten leugnet, kann also auf
keine Weise sich wissenschaftlichen Halt ver-
schaffen und sollte ganz außer Kurs gesetzt wer-
den. Es ist nicht denkbar, daß ohne Metamor-
phose plötzlich Sexualorgane an Pflanzen entstan-
den seien. Zweifellos liegt darin noch eher eine
Energieersparnis, als wenn ohne vorhandene
Grundlage neue Organe entstanden sein sollten.
Die Ausbreituug der elektrischen Wellen und die Konstitution der Atniospliäre.
Von Karl Kuhn.
[Nachdruck verboten.]
Die Reichweite der heutigen Großstationen für
drahtlose Telegraphie beträgt 20000 km. Die
elektrischen Wellen müssen also der vollen Krüm-
mung eines Erdhalbmessers folgen, um zur Emp-
fangsantenne zu gelangen. Durch die theoretischen
Untersuchungen von Sommerfeld *) und seinen
Mitarbeitern H. W. March und W. v. Ryb-
czynski wurde nachgewiesen, daß die Beugung
der viele Kilometer langen elektrischen Wellen
an der Erdoberfläche völlig ausreicht, um trotz
der eigentlich geradlinigen Ausbreitung genügend
Energie zur Empfangsstation gelangen zu lassen.
Sommerfelds Berechnung der durch die Beu-
gung ankommenden Energie stimmt innerhalb der
möglichen Genauigkeit mit den Messungen von
Austin gut überein. Aber schon vor Jahren
hat Marconi**) beobachtet, daß die Reichweite
einer Sendestation bei größeren Entfernungen
während der Nacht beträchtlich zunimmt. Auch
zeigten quantitative Messungen der ankommenden
Empfangsenergie bei konstanter Entfernung wäh-
rend der Nacht eine starke Zunahme gegenüber
den Messungen am Tag. Zunächst machte sich
diese Erscheinung nur bei Entfernungen über
1 000 km bemerkbar ; doch ist es K. E. F. S c h m i d t •')
auch gelungen, bei nur 400 km Entfernung mit
einer hochempfindlichen Apparatur die Zunahme
der Empfangsenergie bei Nacht zu messen. Den
gleichen Einfluß wie die Nacht zeigte auch die
Sonnenfinsternis*) vom 17. April 191 2. Diese
') Jahrbuch d. drahtlosen Telegraphie Bd. 17, S. 2 — 15
(1917)-
') J. Zenneck, Lehrbuch d. drahtlosen Telegraphie.
3. Aufl. Stuttgart 1913.
') Mitteil. d. naturforsch. Gesellsch. zu Halle a. S, Bd. 2,
S. 9 — 12. Halle 1913.
*) Met. Zeitschr. Bd. 37, S. 177—184 (1920).
Verhältnisse kann Sommerfelds Beugungs-
theorie nicht erklären.
Es ist deshalb schon viel früher von Heavi-
side, Eccles') u. a. die Theorie aufgestellt
worden, die großen Reichweiten seien durch Re-
flexion oder Brechung der elektrischen Wellen an
ionisierten Luftschichten zu erklären. Etwa in
der Höhe des Nordlichts soll eine dauernd ioni-
sierte Luftmasse vorhanden sein, die durch eine
korpuskulare Strahlung ^) der Sonne hervorgerufen
sein könnte. Diese Tag und Nacht gleichmäßig
ionisierte Schicht wird allgemein als die Heaviside-
s<Jiiicht^) bezeichnet und durch Spiegelung der
elektromagnetischen Wellen an ihr können die
außergewöhnlichen Reichweiten während der
Nacht erzielt werden. Am Tage dagegen sollen
die Wellen der drahtlosen Telegraphie gar nicht
bis in die Höhe der Heavisideschicht gelangen,
da sich durch die ultraviolette Sonnenstrahlung
bereits in sehr viel geringerer Höhe ionisierte
Zwischenschichten ausbilden sollen , welche die
elektrischen Wellen reflektieren und vom Vor-
dringen zur Heavisideschicht abhalten.
Tatsächlich nimmt die Intensität des Sonneh-
ultravioletts nach den Messungen von W ig and,*)
der diese im Freiballon bis in 9425 m Höhe mit
einem Zinkkugelphotometer nach Elster iirld
G e i t e 1 untersuchte , außerordentlich stark mit
der Höhe zu. Auch weist die elektrische Leit-
fähigkeit der Luft in hohen Atmosphärenschichten
eine beträchtliche Steigerung auf, selbst wenn von
') Physik. Zeitschr. Bd. 13, S. 1163 (1912).
'') Jahrbuch d. drahtlosen Telegraphie Bd. 12, S. 175—
l8j (1917)-
3) 1. c. S. 56—67.
*) Abderhalden, Fortschritte d. naturwiss. Forschung
Bd. 10, S. 246-269 (1914I.
N. F. XX. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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der durch die Luftdruckerniedrigung vermehrten
Beweglichkeit der Ionen abgesehen wird. Nach den
wenigen vorliegenden Messungen von Wigand ')
erreicht die Leitfähigkeit bei 6000 m einen Wert,
welcher gleich dem 22 fachen Betrag des Pots-
damer Mittelwertes für normale Tage ist. In
8865 m Seehöhe maß Wigand eine Leitfähig-
keit, welche 68 mal so groß wie die gleichzeitig
am Erdboden herrschende war. Es ist also an
der Möglichkeit des Vorkommens ionisierter Luft-
schichten in niedrigeren Höhen wohl nicht zu
zweifeln.
Da Sommerfelds Beugungstheorie die nor-
male Ausbreitung der elektrischen Wellen am
Tag völlig einwandfrei darstellt, so haben wir
eigentlich „keinen Grund, bei den Tagesbeobach-
tungen die Mithilfe von reflektierenden Luft-
schichten mit in Anspruch zu nehmen. Wohl
aber dürften diese zur Erklärung der abnorm
großen und gleichzeitig unregelmäßigen Reich-
weiten bei Nacht heranzuziehen sein". (Sommer-
feld^).) In der Nacht schwankt die vergrößerte
Reichweite oft stark; bei konstanter Entfernung
ist die ankommende Energie sehr veränderlich.
Wenn die Ursache davon eine ionisierte Luft-
schicht in großer Höhe ist, so kann diese reflek-
tierende Schicht (die Heavisideschicht) keine
völlig zusammenhängende lückenlose Kugelschale
sein, sondern es ist wohl die rasche Veränder-
lichkeit der ankommenden Signale durch eben-
falls veränderliche Heavisidewolken bedingt.
Die Höhe der ionisierten Heavisidewolken-
schicht berechnet C. J. d e G r o o t ^) für die Tro-
pen zu rund 200 km. Bei seinen Messungen in
Niederländisch - Ostindien konnte de Groot fast
jede Nacht eine „stille Zone" in etwa 3000 km
Entfernung beobachten, die völlig der „Zone des
Schweigens" bei starken Schallphänomenen ent-
spricht. Während also in der Nacht in 3000 km
Entfernung die Zeichen der Sendestation nicht
mehr wahrgenommen werden konnten, waren zur
selben Zeit gleichstarke Empfangsanlagen in
4000 bis 5000 km Entfernung in sehr guter Ver-
bindung mit der Sendestation. Aus der Lage
der „stillen Zonen" ergibt sich die angegebene
Höhe von etwa 200 km für die Heavisideschicht.
Daß in Europa bei Nachtverbindungen eine stille
Zone selten zur Beobachtung kommt, erklärt de
Groot aus der viel stärkeren Ausprägung der
oberen Luftschichten in den Tropen.
Von großer Wichtigkeit für die genaue Höhen-
bestimmung der Heavisideschicht und von ioni-
sierten Zwischenschichten wäre die Ausführung
eines Vorschlags von J.A.Fleming.*) Ähnlich
wie L ö w y und Leimbach'') die Tiefe von Erz-
') Abderhalden, 1. c, S. 243 — 246 und Verhandl. d.
deutsch, phys. Ges. Bd. 16, S. 232 ^^9[4).
^) Jahrbuch der drahtlosen Telegraphie Ed. 12, S. 2 — 15
(191 7)-
') 1. c. S. 15-35.
^1 1. c. S. 183.
°) Phys. Zeilscbr. Bd. 11, S. 697 — 70; (igio) und Bd. 13,
S- 397—403 (I9«2).
lagerstätten und vom Grundwasserspiegel in der
Erde durch Reflexion oder Absorption von ge-
richteten elektrischen Wellen festzustellen suchten,
so will Fleming die Höhe der Heavisidewolken
bestimmen. „Wenn wir gerichtete Luftleiter an-
wenden, um elektrische Wellen unter verschiede-
nen Winkeln nach oben zu senden, und dann
beobachten, wo diese hauptsächlich zur Erde
zurückkehren, könnten wir vielleicht in der Lage
sein, die drahtlose Telegraphie als ein Agens zur
Erforschung der Atmosphäre zu verwenden , ge-
rade wie wir einen Scheinwerfer benutzen können,
um reflektierende Objekte oder Wolken in den
unteren Schichten der Atmosphäre zu entdecken."
Infolge des Weltkriegs mußte Fleming die Aus-
führung seines interessanten Planes zurückstellen.
Nach Sommerfelds Hypothese kann man
sich die in der drahtlosen Telegraphie verwandten
elektromagnetischen Strahlen in Oberflächenwellen
und in Raumwellen zerlegt denken. Die Raum-
wellen breiten sich in den Luftraum hinein aus,
während die Oberflächenwellen ähnlich wie Draht-
wellen an der Erdoberfläche entlanggleiten, ohne
tief in den mehr oder weniger leitenden Unter-
grund einzudringen. Nach oben nehmen die
Oberflächenwellen, welche für die Zeichenüber-
tragung vor allem in Betracht kommen, langsam
an Intensität ab. Durch Intensitätsmessung der
ankommenden Zeichen, welche bei Ballonfahrten
in verschiedenen Höhen angestellt werden, kann
die Theorie der Oberflächenwellen auf ihre Richtig-
keit geprüft werden. Versuche im Freiballon,
auch auf Nachtfahrten, wurden von Lutze^) bis
in 6500 m Höhe angestellt. „Bei den Versuchen
mit Norddeich als Sendestation überwiegen die
Oberflächenwellen stark. Bei der Erhebung von
1500 m auf 6500 m sinkt nach der Theorie die
Energie der Oberflächenwellen auf — . Die Laut-
^ 2,7
Stärkenmessungen ergaben eine Abnahme der
Intensität etwa auf die Hälfte. Bei Berücksicl^ti-
gung des Einflusses der Raumwellen, die den
Oberflächenwellen überlagert sind, sind also Theorie
und Meßergebnis in guter Übereinstimmung." ^)
Bei Paris als Sendestation ergab sich eine viel
beträchtlichere Abnahme der Intensität der elektro-
magnetischen Wellen, da hier die Raumwellen
durch die Rundung der Erde abgeschirmt sind.
„Die Lautstärke in 5500 m sinkt etwa auf den
achten Teil der in 1050 m Höhe gemessenen.
Die Werte beim Auf- und Abstieg stimmen gut
überein. Diese Resultate liefern den experimen-
tellen Nachweis der von Zenneck und Uller
angenommenen Oberflächenwellen. Den theoreti-
schen Existenzbeweis hat 1909 Sommerfeld
erbracht."-)
') Latze und Everling, Abhandl. d. naturfor.'ch. Ges.
zu Halle a. S. Neue Folge Nr. 3, 79 S. (1914).
') Phys. Zeitschr. Bd. 14, S. 288 und 1152 (I9I3)- —
Jahrbuch d. drahtlosen Telegraphie Bd. 8, S. 367 (1914). —
Wigand, in: „Abderhalden, Fortschritte d. naturwiss.
Forschung" Bd. 10, S. 238—239 (1914).
10
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
N. F. XX. Nr. I
Diese Iniensjtätsniessungen der elektrischen
Wellen auf Ballonfahrten wurden nach der sog.
Parallelohmmethode angestellt. Diese Methode
ist aber für quantitative Zwecke fast unbrauchbar;
dazu kommen auf Ballonfahrten noch eine ganze
Reihe neuer Fehlerquellen. Lutze und seine
Mitarbeiter suchten zwar alle Einwände gegen
ihre Ergebnisse zu entkräften ; aber P. L u d e w i g ')
schließt doch seine eingehende Kritik mit den
Worten: „Diese Ergebnisse können jedoch noch
nicht als endgültig betrachtet werden." Man kann
also aus diesen Messungen noch nicht den Schluß
ziehen, daß etwa die Heavisideschichten in recht
niedrigen Höhen '-) zu suchen seien. Weitere
Messungen , vor allem auch in der Stratosphäre
(in über 12 km Höhe), wären notwendig; es liegt
hier noch ein weites Feld für die Betätigung bei
Freibaiionfahrten vor, denn die Theorie der Er-
scheinungen wird erst beim Vorliegen eines
größeren experimentellen Materials eine genauere
Ausgestaltung erfahren können.
') Annal. der Hydrographie Bd. 43, Heft 2 (1914) und
Helt 5 und 6 (1915).
') Wolken, welche I — 5 8 Wasser in I cbm enthalten,
können außerordentlich grofie Werte für die Dielektrizitäts-
konstante erreichen, die denen bei vielen flüssigen und festen
Körpern nahekominen. „Ist die Dielektrizitätskonstante der
Wolken von einer Gröfie, wie sie sich durch Berechnung nach
der Mischungsregel ergibt, so kann es bei senkrechtem Ein-
fallen der langen Wellen der drahtlosen Telegraphie auf
Wolken bis zur Totalreflexion kommen." R. Emden, Mün-
cbener Berichte S. 417 — 435 (1918).
Das Versagen der Sendestationen für draht-
lose Telegraphie in Flugzeugen bei 6 bis 8 km
Höhe rührt nicht etwa von der Absorption der
ausgesandten elektrischen Wellen durch ionisierte
Luftschichten her; die Ursache ist vielmehr die
starke Luftdruckverminderung in der Höhe, wo-
durch die Funkenentladung des Senders ihren
oszillatorischen Charakter verliert und damit auch
keine elektrischen Wellen mehr in den Raum
aussendet. Zum Schlüsse sei erwähnt, daß die
Möglichkeit durch die drahtlose Telegraphie die
Erdkrümmung zu überwinden, es andererseits
verwehrt , von unserem Planeten aus lange
elektrische Wellen mit größerer Stärke in den
Weltenraum hinauszuschicken. Ebenso wird es
die Heavisideschicht unmöglich machen, daß von
einem anderen Planeten, etwa vom Mars, elektro-
magnetische Wellen an unsere irdischen Empfangs-
stationen gelangen können. Das weitere Studium
der Ausbreitung der elektrischen Wellen wird uns
noch genauere Aufschlüsse über die elektrischen
Zustände unserer Atmosphäre geben und zwar
auch in Höhen, die nie auf einer wissenschaft-
lichen Hochfahrt im Freiballon erreicht werden
können, aber andererseits wird nach unserem
jetzigen Wissen vom Vorhandensein der Heaviside-
schicht zunächst und für die nahe Zukunft ein
interplanetarischer Verkehr mit den langen elektro-
magnetischen Wellen der drahtlosen Telegraphie
nicht möglich sein.
Einzelberichte.
Die Empfiudnng der Richtung, aus der ein
Schall kommt.
Diese Empfindung ist besonders sicher für
iinbestimmte Geräusche und wurde bisher meist
durch Bezugnahme auf das äußere Ohr erklärt.
Die Beweglichkeit, Größe und trichterartige Form
des äußeren Ohres bei einzelnen Tieren ließ es
daher verständlich erscheinen, daß diese eine be-
sonders ausgebildete Fähigkeit besitzen, die Rich-
tung eines verdächtigen Geräusches zu empfinden
und danach die Flucht in die zweckmäßigste
Richiung zu verlegen. Indessen ist auch beim
Menschen diese SchallRichtungsempfindung ziem-
lich scharf ausgeprägt und eine völlig befriedigende
Erklärung für dieselbe wurde erst während des
letzten Krieges, in dem naturgemäß genaue Rich-
tungsfeststellungen des Schalls eine wichtige Rolle
spielten, durch Hornborstel und Wert-
heimer gefunden. Nach einer von Kunze in
der physikalischen Zeitschrift (1920, Seite 437)
beschriebenen Anwendung der neuen Lehre auf
die Messung von Windgeschwindigkeiten entsteht
die Schall Richtungsempfindung durch die gefühls-
mäßig beurteilte, wenn auch sehr kleine Zeit-
differenz der Empfindungen in beiden Ohren.
Beläuft sich dieser Zeitunterschied auf 0,00003
Sekunden oder weniger, so verlegt man die Schall-
quelle in die Mittelebene, wird jedoch der Zeit-
unterschied größer als drei Hunderttausendstel
einer Sekunde, so rückt die vom Horcher ange-
nommene Schallquelle mehr und mehr auf die
Seite desjenigen Ohres, das den Schall zuerst
empfängt, bis man bei 0,0006 Sekunden Differenz,
die einem Schallweg von 21 cm entspricht, die
Schallquelle um 90" seitlich von der Mittelebene
annimmt. Bei 003 Sekunden erst hört die Ein-
heitlichkeit des Schalleindrucks auf, man empfindet
dann das Nacheinander der von beiden Ohren
aufgenommenen Schalleindrücke. Bei tatsächlich
seitlich gelegener Schallquelle kann eine schein-
bare Verschiebung derselben in die Mittelebene
dadurch ■ erzielt werden, daß man den kürzeren
Schallweg durch Einschaltung einer entsprechen-
den Schlauchleitung dem längeren gleich macht.
Kunze hat diese Theorie mit gutem Erfolge
zur Messung der Windgeschwindigkeit benutzt,
indem er den von einer Klopfvorrichtung aus-
gehenden Schall sowohl mit der Windrichtung
als auch gegen dieselbe je einem Schalhrichter
oder Mikrophon zuführt, von denen Leitungen zu
je einem der Ohren führen. Kbr.
N. F. XX. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
II
Warnm sehlägt die Wünschelrute aus?
H. Haenel sagt in seinem Vortrage: Zur
physiologischen Mechanik der Wünschelrute (Ber. :
Münch. med. Wochenschr. 1920 Nr. 2): „Die
Wünschelrute ist ein ebenso einfaches wie wirk-
sames Instrument, die Supinatoren dem Willens-
einflusse mehr oder weniger zu entziehen, und
zeigt feinste Veränderungen in allen Kon-
traktionszuständen in vergrößertem, augenfälligem
Maße an."
Solch feinste Veränderungen des Kontraktions-
zustandes aber können durch plötzliche Abgabe
von Elektrizität durch die Haut herbeigeführt
werden. Denn, wie Ar. Adler mit Adolf
Heyd weil 1er (A. H., Über Selbstelektrisierung
des menschlichen Körpers; Ann. d. Physik 1902)
nachgewiesen hat, führen die Muskelzusammen-
ziehungen zu beträchtlichen statischen Ladungen
des Körpers, welche sich in der Regel nur all-
mählich ausgleichen.
Wenn nun die Leitungsfähigkeit des Erdreichs
durch Vorkommen von Metalladern Q.der Wasser
in demselben plötzlich vergrößert wird, so erfolgt,
sobald der Rutengänger über ein solches gelangt,
eine momentane Verminderung der elektrischen
Ladung der Muskel-Disdiaklasten, die am schwäch-
sten innervierten Supinatoren erschlaffen, die
Antagonisten bekommen das Übergewicht und
die Wünschelrute schlägt aus (Psychiatrisch-neuro-
logische Wochenschr. 1920 S. "]•]).
Dr. Ar. Adler.
Die Grenzlage Wiens.
Die Übereinstimmung der Flora, Fauna und Be-
völkerung Wiens mit den geologisch- geographischen
und klimatischen Verhältnissen fiel mir bei Ver-
fassung meines „Naturgeschichtlichen Führers für
Wien" (Wien, Holder) stark ins Auge, und da
sie wegen der auffälligen Grenzlage Wiens in
allen eben hervorgehobenen Beziehungen von be-
sonderem Interesse ist, möchte ich sie hier kurz
auseinandersetzen.
Die Grenzlage Wiens tritt zunächst in
landschaftlicher (geographischer) Be-
ziehung hervor, denn es liegt dort, wo die
Alpen sowie die niedrigeren Gebirgsmassen
Mitteleuropas, letztere mit dem Ostrande der
Böhmischen Masse, ihr Ende erreichen, und die
für den Osten Europas bezeichnenden Steppen-
gebiete über Ungarn und durch das Wiener
Becken bis an den Kern dieses Erdteiles heran-
reichen. Die Lage zusammen mit der geographi-
schen Breite Wiens bedingt aber, daß dieses auch
klimatisch an der Grenze verschiedener Ge-
biete liegt, nämlich dort, wo die Wirkungen des
wärmeren südlichen Klimas aufhören, durch
die böhmische Gebirgsmasse und die Karpathen
aber die üblen Wirkungen des kälteren nörd-
lich en K 1 i m a s ferngehalten werden, und durch
die Böhmische Masse zusammen mit den Alpen
zugleich eine Scheidewand gegen das feuchtere
und gleichmäßigere Klima von Westeuropa
gebildet wird. Dieses durch milde Winter und
verhältnismäßig feuchte, kühle Sommer gekenn-
zeichnete Klima stößt hier mit dem durch ge-
wisse Extreme gekennzeichnete osteuropäi-
schen Klima zusammen, das wegen des Zu-
sammenhanges Europas mit dem Festlande Asiens
ein mehr kontinentales, im Winter kälteres, im
Sommer aber trockeneres und wärmeres ist.
Wien hat tatsächlich heiße und trockene Sommer,
und diese haben die große Landflucht der Wiener
während der heißesten Monate zur Folge. Die
Unterschiede in den Niederschlagsmengen treten
scharf hervor, wenn man das Wetter, wenn auch
nur in dem nordöstlichsten Teile der Voralpen
mit jenem der etwas weiter östlich, gegen den
Neusiedler See zu gelegenen Gebiete Niederöster-
reichs vergleicht.
Diese Verhältnisse üben natürlich ihren großen
Einfluß auf die Pflanzenwelt aus. Die Flora
der Wiener Umgebung gehört wohl größtenteils
der mitteleuropäischen. Baltischen Flora an,
bis hierher reicht aber auch die östliche Pon-
t i s c h e F 1 o r a, welche, von Osten vordringend, nach
der Eiszeit das Wiener Becken, sowie die trockenen,
sonnigen Hänge rings um dasselbe eingenommen
hat, und durch Schwarz föhrenwälder, den
Pontischen Buschwald und Federgras-
fluren, aber auch durch den Weinbau ge-
kennzeichnet ist. Für die ersteren sind be-
zeichnend: die Schwarzföhre oder österreichische
Kiefer (Pinus nigra), der warzige Spindelbanm
(Evonymus verrucosus), die strauchige Kronen-
wicke (Coronilla emerus), die Felsenbirne (Ame-
lanchier ovalis), der wohlriechende Seidelbast
(Daphne cneorum), der Frühlingsadonis (Adonis
vernalis), das blaue Elfengras (Sesleria varia) und
andere. Den zweiten kennzeichnen: die flaumige
Eiche (Quercus lanuginosa), die Zwerg- und die
Steinweichsel (Prunus fruticosa und mahaleb), der
Blasenstrauch (Colutea arborescens), die letzten
aber das Federgras oder Frauenhaar (Stipa pen-
nata und capillata), die Zwergschwertel (Iris
pumila), gewisse Insektenstendel (Ophrys), ein
Lein (Linum tenuifolium), der Diptam (Dictamus
albus) und andere. Auch die alpine oder besser
subalpineFlora reicht in die Nähe von Wien,
wenn auch nur einige Ausläufer derselben bis
vor seine Tore gehen, wie die Aurikel (Primula
auricula) und die fleischrote Heide (Erica carnea),
das buchsbaumblättrige Kreuzkraut (Polygala
chamaebuxus), das Alpenveilchen (Cyclamen euro-
paeum), gewisse Steinbrech- (Saxifraga) und
Hungerblümchen- (Draba) Arten und noch
andere.
Bezüglich der T i e r w e 1 1 sind die Verhältnisse
ganz ähnliche. Wien und seine Umgebung ge-
hört im allgemeinen der für Mitteleuropa be-
zeichnenden, der Baltischen Flora entsprechenden
Germanischen Fauna an. Doch hat auch
■1-2
Natiirwissenschaftli€he Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. J
die Ton tische Fauna, den südostlich von
Wien gelegenen Tiefebenen folgend, manche Ver-
treter bis hierher gesendet. Wenn wir von dem
noch weiter westlich, bis Mitteldeutschland, vor-
gedrungenen Hamster absehen, so sind vor allem
bezeichnend das Erdziesel (Spermophilus citillus),
sowie einige Mausarten, weiter die freilieh eben-
falls noch weiter westwärts vorgedrungene
Haubenlerche (Alauda cristata), die Grauammer
(Emberiza miliaria), die Kuhstelze (Budytes flava),
die Uferschwalbe (Cotyle riparia) und viele andere
Singvögel, die große Trappe (Otis tarda), der
Kranich (Grus cinerea), der Kormoran (Phala-
cocorax carbo), die Mandelkrähe (Coracias garrula)
und noch manch' anderer Vogel. Von den
wechselwarmen Tieren treten östliche und zu-
gleich südliche Formen hervor, von welchen bloß
die Steppenotter (Vipera ursinii), die Smaragd-
und dife Mauereidechse (Lacerta viridis und mu-
ralis) sowie gewisse Formen der Frösche und
Kröten (Rana ridibunda und agilis, Bombinator
igneus) hervorgehoben seien. Von den wirbel-
losen Tieren seien bloß die Miesmuschel (Dreis-
sensia polymorpha), die Gottesanbeterin (Mantis
religiosa) und die Weingrille (Oecanthus pellucens)
genannt. Die al pine Fauna ist im aligemeinen
an die höheren Gebiete der Alpen gebunden, im
Winter kommen aber manche von ihren Ver-
tretern tiefer herunter bis in die Nähe von
Wien, so z. B. die Ringdrossel (Turdus tor-
quatus) und der Alpenmauerläufer (Tichodroma
muraria).
Die Grenzlage Wiens kommt endlich auch in
völkischer Beziehung auffällig zur Geltung.
Bei Wien sind seit jeher die Völker zusammen-
gestoßen. Bis hierher hatten schon die Römer
Ihre kulturbringende Herrschaft ausgedehnt, hier
befand sich seit alten Zeiten die Grenzwacht der
Germanen, mitten zwischen den im Norden
(Böhmen) und Süden (Südostalpen) von Osten
vorgedrungenen Slawen, aber auch gegen jene,
bei ihren Zügen nach Westen den südöstlich ge-
legenen Tiefebenen folgenden asiatischen Reiter-
völker der Hunnen, Awaren und Madjaren,
Sowie später der Türken. Eines dieser Völker
hatte ja fast vor den Toren Wiens, in der ungari-
schen Tiefebene, die ihm seiner Heimat so ähn-
liche Verhältnisse bot, für lange Zeit die Herr-
schaft an sich gerissen. Diese Grenzlage Wiens
in ethnographischer Beziehung führte aber auch
zu einer Mischung des germanischen
Blutes seiner Bewohner mit verschiedenen
anderen Einschlägen, welche rnit Ursache war
der Schönheit der Wienerin und des schönheits-
freudigen Sinnes des Wieners, freilich auch seines
in völkischer Beziehung viel zu nachgiebigen
Wesens. Der frohe Sinn des Wieners sowie seine
^ sentimentale Liebe zur Heimat hängen aber auch
mit der günstigen klimatischen Lage Wiens und
dem durch diese bedingten Gedeihen der Wein-
rebe sowie der Schönheit seiner Landschaft zu-
sammen, die wieder großenteils durch das Zu-
sammenstoßen so verschiedenartiger geologisch-
geographischer Elemente bedingt ist.
Wien. Prof. Dr. E. Witfaczil.
Das Carnegie-Institut zu Washington.
Zu den bedeutendsten wissenschaftlichen For-
schungsanstalten gehört das im Jahre 1902 ge-
gründete Carnegie - Institut zu Washington, das
gegenwärtig über ein Vermögen von 22 Millionen
Dollar verfügt. Seine Verwaltung untersteht
einem 24gliedrigen Kuratorium, das alljährlich
im Dezember zusammentritt um die Angelegen-
heiten der Anstalt im allgemeinen, besonders aber
den Fortschritt der bereits unternommenen Ar-
beiten und die Einleitung neuer Forschungen zu
besprechen und die dafür nötigen Mittel zu be-
willigen. In der Zeit zwischen den Sitzungen des
Ausschusses werden die Angelegenheiten der
Anstalt von einem engeren Ausschuß geleitet, der
aus 8 Personen besteht; sein Vorsitzender ist
gegenwärtig Charles D. Walcott, der bekannte
Geologe. Die Zentralverwaltung (Präsident R o -
bertS. Wood ward) befindet sich in der Bundes-
hauptstadt Washington.
Die wissenschaftliche Tätigkeit obliegt For-
schungsabteilungen für bestimmte Gebiete, deren
das Institut gegenwärtig elf zählt, ferner einzelnen
Forschern, die ihre ganze Zeit dem Institut und
seinen Aufgaben widmen, sowie einer großen
Zahl anderer Mitarbeiter.
Von den erwähnten Forschungsabteilungen
befinden sich zwei zu Cold Spring Harbor auf
Long Island, nämlich eine Anstalt für experi-
mentelle Entwicklungslehre und das Amt
für Rassen hygiene (Eugenik), die unter Leitung
des Biologen C. B. Davenport stehen. Erstere
wurde im Juni 1904 errichtet und sie hat seither
zahlreiche und teilweise recht umfangreiche Ar-
beiten ausgeführt, darunter solche über das Do-
minanzproblem; die Erbeinheiten; die Biotypen
innerhalb der Arten; die Folgen fortgesetzter
Züchtung in bestimmter Richtung (bei Vermei-
dung von Bastardierung) auf die Erbmerkmale;
die Beziehungen zwischen somatischem Bau und
Chromosomen; die geschlechtsbeschränkte Ver-
erbung; die Bestimmung sekundärer Geschlechts-
merkmale; den unmittelbaren Einfluß des Alkohols
und anderer Stoffe auf das Keimplasma; den
etwaigen Einfluß des Somas auf transplantierte
Keimzellen usw.
Das Amt für Rassenhygiene hat Aufzeichnun-
gen über mehrere tausend amerikanischer Familien
gesammelt und Erhebungen über die Schicksale
abnormal veranlagter Familien während vieler
Geschlechterfolgen ausgeführt ; beachtenswert sind
überdies die Studien betreffend Albinos im Staat
Massachusetts; Neger-Europäerbastarde; sterilisierte
Männer in einer Strafanstalt.
Das seit Dezember 19 14 bestehende Institut
für Embryologie zu Baltimore befaßte sich
N. F. XX. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
'3
bisher hauptsächlich mit Problemen der vorgeburt-
lichen Entwicklung des Menschen. Die Studien
werden gefördert durch das Vorhandensein einer
Sammlung von etwa 3C00 menschlichen Embry-
onen, die zum größten Teil von dem verstorbenen
Prof. Mall zusammengetragen wurde. Außerdem
sind reichliche klinische Aufzeichnungen und
photographisches Material vorhanden. Von den
Arbeiten des Instituts sind herorzuheben jene über
pathologische Zustände der weiblichen Sexual-
organe und ihre Beziehungen zur Befruchtung;
über Tubenschwangerschaft {146 Fälle); über die
Ursachen der Abgänge und der Unfruchtbarkeit;
über den Bau der Medulla oblongata ; über die
Entwicklung des Nervensystems usw.
Von großer praktischer Bedeutung ist das im
Jahre 1907 — 1908 erbaute Ernährungslabo-
ratorium zu Boston, dessen Direktor F. G.
Benedict ist. Zweigstellen befinden sich im Zoo-
logischen Garten in der Stadt New York sowie
zu Durham in New Hampshire. Die Ausrüstung
des Instituts besteht aus einer Apparatur zur Be-
obachtung des Stoffwechsels, der Muskeltätigkeit,
der Atmung, der Körpertemperatur und ähnlichen
Untersuchungen. Beobachtungskammern sind für
Menschen und Tiere vorhanden. Die Forschungen
des Ernährungslaboratoriums betreffen den Stoff-
wechsel normaler Männer und Frauen, der Kinder
von der Geburt bis zur Pubertät, sowie der Diabe-
tiker; dann den Stoffwechsel warm- und kalt-
blütiger Tiere; den Einfluß verschiedener äußerer
Umstände auf den Stoffwechsel (wie z. B. sauer-
stoffreicher Luft; verschiedener Temperaturen;
der Muskeltätigkeit; der Schwangerschaft; des
Fastens; des Genusses von Reizmitteln); den Ein-
fluß des Alkohols auf die geistige und körperliche
Tätigkeit; den Einfluß längerdauernder Nahrungs-
beschränkung und andere Gegenstände. Bemer-
kenswert ist, daß eine vier Monate dauernde Ein-
schränkung von 12 jungen Männern auf die Hälfte
bis zwei Drittel ihres normalen Kalorienbedarfs
keine üblen Folgen von praktischer Bedeutung
ergab. Das beweist wieder, daß erst Unterernäh-
rung von langer Dauer verhängnisvoll wird.
Das botanische Forschungsinstitut
zu Tuscon im Staat Anzona widmet sich vor-
nehmlich dem Studium des Pflanzenlebens in der
Wüste; es wurden nicht nur in den wüsten und
halbwüsten Gebieten im Südwesten der Vereinigten
Staaten umfassende Untersuchungen ausgeführt,
sondern auch Expeditionen nach den Gestaden
des Roten Meeres, nach dem Sudan, der lybischen
Wüste, Algerien und Australien unternommen.
— Das Institut für Meeresbiologie zu Prince-
ton in New Jersey (mit einer Zweiganstalt zu
Loggerhead Key, Tortugainseln, am Golfstrom)
hat sich vor allem die Erforschung der Lebens-
bedingungen in den tropischen und subtropischen
Meeren zur Aufgabe gemacht. Überdies sind noch
zu erwähnen die Anstalten für Erdmagnetismus
und Geophysik, beide in der Bundeshauptstadt,
das astronomische Institut zu Albany, N. Y.,
das Mount Wilson • Observatorium zu Pasadena,
Kalifornien, und endlich ein historisches Institut
zu Washington D. C. Die früher bestandene Ab-
teilung für Wirtschaft und Soziologie hat Ende
1916 ihre Tätigkeit eingestellt. >:f, -■?-•:•::.■.• :
Die Veröffentlichungen des Carnegie-Instituts
zu Washington sind in fast allen Mittelpunkten
des Geisteslebens in Deutschland vorhanden, und
zwar in folgenden Anstalten. BerHn: Preußische
Akademie der Wissenschaften; Universitätsbiblio-
thek; in Bonn a. Rhein: Universitätsbibliothek; in
Bremen: Naturwissenschaftlicher Verein; in Bres-
lau: Universitätsbibliothek; in Dresden: Öffent-
liche Bibliothek; in Erlangen: Universitätsbiblio-
thek; in Frankfurt a. M. : Stadtbibliothek; in
Freiburg i. Br. : Universitätsbibliothek ; in Gießen ;
Universitätsbibliothek; in Göttingen: Gesellschaft
der Wissenschaften; Universitätsbibliothek; in
Greifswald: Universitätsbiblothek ; in Halle: Uni-
versitätsbibliothek; in Hamburg: Stadtbibliothek;
in Heidelberg: Universitätsbibliothek; in Jena:
Universitätsbiblothek; in Karlsruhe: Technische
Hochschule, Bibliothek; in Kiel: Universitäts-
bibliothek; in Königsberg : Universitätsbibliothek;
in Leipzig: Universitätsbibliothek; in Marburg:
Universitätsbibliothek; in München: Universitäts-
bibliothek; in Rostock: Universitätsbibliothek;
in Stuttgart: Landesbibliothek: in Tübingen:
Universitätsbibliothek; in Weimar: Staatsbibliothek;
in Würzburg: Universitätsbibliothek.
H. Fehlinger.
Zur Kenntnis der Kristallgitter.
In einer vor kurzem erschienenen Arbeit
will A. Reis (Zeitschrift f. Physik I, S. 204 — 220
und II, S. 57 — 69, 1920) einen Beitrag zur Be-
antwortung der Frage liefern, inwieweit die Eigen:
Schäften der bisher nur für ganz wenige einfache
Stoffe ausgewerteten Modelle vom Feinbau der
Kristalle in der besonderen Natur der betreffen-
den Stoffe, oder inwieweit sie im Wesen der
kristallisierten Materie überhaupt begründet sind,
— Eine Reihe von Kristallographen und
Physikern neigt bekanntlich zu der Auffassung,
daß im Kristall von einem eigentlichen Molekül-
verband bestimmter Atome überhaupt nicht mehr
gesprochen werden könne und daß gerade diese
Aufhebung des einzelnen molekularen Verbandes
und seine Ersetzung durch den Gesamtverband
des Kristallgitters das Wesentlichste beim Über-
gang vom amorphen zum kristallinen Zustand
der Materie sei. Demgegenüber scheint es dem
Chemiker nicht so leicht möglich, den Begriff
des Moleküls für diesen Zustand sofort fallen zu
lassen. Diesem Festhalten am Kristallmolekül
steht jedoch z. B. entgegen, daß beim Gitter-
modell des NaCl (vgl. Nat. Wochenschr. 191 7,
Nr. 38, S. 522, Fig. I A u. B.) jedes Na- Atom von
6 Cl- Atomen, und umgekehrt jedes ClAtom von
6 Na-Atomen vollkommen gleichartig uiiigeiben
14
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. i
erscheint. Es ist hier also nicht angängig,
zwischen irgend zwei bestimmten Atomen eine
besonders innige chemische Bindung zu einem
Molekül anzunehmen, während dementsprechend
die übrigen Bindungen zwischen benachbarten
Na- und Cl-Atomen im Verhältnis hierzu schwächer
angenommen werden müßten. Der Verfasser wirft
darum die Frage auf, ob nicht diese Schwierig-
keit nur durch unzutrefifende Verallgemeinerung
der an den einfachsten Stoffen aufgefundenen
Merkmalen entstanden ist. Er unternimmt es,
die Frage durch den Versuch zu beantworten,
den „chemischen Verbindungen zwei
verschiedene Grundtypen von Kristall-
gittern zuzuordnen", wie sich ja auch che-
misch die Salze und die Verbindungen ohne Salz-
charakter unterscheiden lassen.
Die bisher ausgewerteten Modelle geben uns
zunächst nur ein vereinfachtes Schema der Atom-
schwerpunkte oder der „Atomlagen", während
über die spezielle Anordnung der Atomkerne
und Atomelektronen nichts ausgesagt wird. Die
Entfernungen zwischen solchen unmittelbar be-
nachbarten „Atomlagen" soll kurz als „Atom-
abstand" bezeichnet werden. Man kann nun stets
gewisse, nur durch „innere" Strecken ^j verbundene
Atomlagen zu einer „Punktgruppe" zusammen-
fassen, wobei gleichzeitig noch die Vorschrift zu
beachten ist, daß die Summe aller Entfernungen
innerhalb der Gruppe möglichst klein werden
soll. Die so gewählten Einheiten sollen als
„natürliche Punktgruppen" des Gitters be-
zeichnet werden. Bei Beachtung dieser Auswahl
kann man nun folgende Gitterarten unterscheiden :
1 . Setzt sich ein Gilt er lückenlos aus gleichen
Atomgruppen zusammen, so entspricht diese Atom-
gruppe genau dem Begriff des chemischen Mole-
küls; solche Gitter werden vom Verf. Molekül-
gitter genannt. In dem speziellen Fall, daß
sich Atomgruppen überhaupt nicht unter-
scheiden lassen, sondern das Gitter aus lauter
gleichen Atomen aufgebaut wird, wird von einem
einatomigenGitter gesprochen. (Die Kristall-
gitter der Elemente sind teils einatomige, teils
Molekülgitter).
2. Hingegen ist bei chemischen Verbindungen
auch ein Aufbau aus ungleichen Atomgruppen
möglich. Im allgemeinen werden in diesem Falle
wenigstens zwei der vorhandenen Arten von
Atomgruppen den Charakter von Ionen, der ganze
Stoff den Charakter eines Salzes haben. Aus
ungleichen Atomgruppen aufgebaute Gitter
werden daher „lonengitter" genannt, und zwar
speziell „Radikalionengitter", wenn mindestens
eine Atomgruppe aus mehreren Atomen besteht,
„Atomionengitter", wenn jedes Atom eine Gruppe
für sich bildet. (Umgekehrt müssen aber nicht
etwa alle festen Salze lonengitter bilden).
Bei diesem Vorgehen würde z. B. auch der
') über die Definition dieses Begriffes siebe a. a. O. I,
S. 2o8 und 11, S. 57—59.
umstrittene Begriff des „Kristallmoleküls" eine
scharfe Fassung erhalten. Nur in Molekülgittern
tritt der „Molekülbereich" neben die bisher
üblichen Begriffe Fundamentalbereich und Ele-
mentarparallelepiped. — In bezug auf die Atom-
abstände läßt sich nun für die verschiedenen oben
definierten Gitterarten folgendes aussagen : In ein-
atomigen Gittern sowie in Atomionengittern von
nur zwei Atomarten sind alle Atomabstände
gleich. In allen Molekülgittern dagegen müssen
ungleiche Atomabstände vorkommen, es besteht
wohl kein Zweifel, daß die Abstände der im
Molekül unmittelbar chemisch verbundenen Atome
kleiner sind als die Abstände von benachbarten
Atomen, die zu verschiedenen Molekülen gehören.
Die ersteren Abstände werden zu ungefähr i — 2 Ä
geschätzt, während die „zwischenmolekularen
Atomabstände in Kristallen zu 2,5 — 4 A ange-
geben werden. Da nun die physikalischen Eigen-
schaften der festen Stoffe besonders eng mit den
Atomabständen zusammenhängen werden, wird
vom Verf. nachzuweisen versucht, daß die von
ihm unterschiedenen Gitterarten sich tatsächlich
auf Grund ihres physikalischen Verhaltens unter-
scheiden lassen. Als Arbeitshypothese wird hierzu
angenommen, daß starken Anziehungskräften
zwischen zwei Atomen kleine Abstände zuge-
ordnet sind und umgekehrt.
Während in Atom- und Atomionengittern die
Festigkeit aller Gittermaschen die gleiche ist,
werden Molekül- und Radikalionengitter aus
Maschen von sehr ungleicher Festigkeit aufgebaut
sein. Ein Vergleich ergibt, daß die Kompressi-
bilität von Molekülgittern meist ungefähr halb so
groß als die derselben Stoffe in flüssigem Zustand
gefunden wird, während sie die der lonengitter
im Durchschnitt um mehr als das Zehnfache,
diejenige der einatomigen Gitter noch stärker
übertrifft. Ein Vergleich der thermischen Aus-
dehnungskoeffizienten ist bisher nur in roher An-
näherung möglich, trotzdem ist nach Reis eine
Gruppierung der Gitter nach den unterschiedenen
Klassen unverkennbar: Die Werte für Molekül-
gitter betragen auch hier das Mehrfache von den
Werten für lonengitter und für einatomige Gitter
mit Ausnahme der Alkalimetalle (Diamant und
Graphit fallen durch tiefe, Schwefel und Phosphor
durch hohe Werte aus der Reihe). — Auch über
die Beziehungen zwischen den Eigenschaften eines
und desselben Stoffes in verschiedenen Aggregat-
zuständen gestattet die Klassifizierung nach
Reis einige Aussagen zu machen, z. B. für die
optischen Eigenschaften und den Energieinhalt.
Hierbei werden auch Vorstellungen über die Ver-
schiedenheit polymorpher Modifikationen ent-
wickelt. Schließlich werden noch einige Folge-
rungen ausgesprochen, die zwischen den Modellen
der Gasmoleküle und denen der Kristallgitter für
die gleichen Stoffe weitgehende Beziehungen fest-
legen. (Es muß besonders darauf hingewiesen
werden, daß für Molekülgitter, wie der Verf.
N. F. XX. Nr. i
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
fS
selbst auch erwähnt, bisher röntgenographisch
noch kein einwandfreies Beispiel festgestellt
werden konnte. Es ist aber offenbar, daß vieles
für die Brauchbarkeit der vorgeschlagenen Ein-
teilung zu sprechen scheint. D. Ref.) Spbg.
Wolkenstruktur und Wolkeuflächen.
Im „Wetter" Jahrg. 1920, S. 11 gibt J. Dreis
folgende interessante Einteilung der Wolken :
als Leiche und vermutete nun das gräßlichste
Verbrechen. Erfreulicherweise erkannte der herbei-
gerufene Dorfschullehrer Meyer sofort die ge-
schichtliche Bedeutung des Fundes und sorgte
für dessen Bergung. Der Fund gelangte dann in
das Museum zu Stade. Ein Stück von der Leiche
selbst kam in die Sammlung der Moorstation in
Bremen. Dieser Moorleichenfund von Obenahen-
dorf ist für die Erforschung der Moorgeologie,
wie wir weiter unten sehen werden, von beson-
derer Wichtigkeit. So mag denn an dieser Stelle
Art derselben :
Beispiele:
Anfangsstadium :
Höhepunkt:
Auf lösungsstadium :
a) Mischungswolken
b) Slrahlungswolken
See- und Kiisten-
nebel, Bergsattel-
nebel
kleine Fetzen-
schwämme
Küstennebel,
Gebirgstalnebel
c) Aufstiegwolken
Zyklonenwolken,
Gewitter, Haufen-
wolken, Schäfchen,:
Faserwolken hoher
Schiebten i
flache, stetig an
schwellende Nebel-
schichten
Wellenbildung;
kleine Fetzen-
schwämme
stark wogende
Nebelmeere
ruhig liegende
Nebelmeere mit
glatter Wellenfläche
große Wolkenmassen
mit Gipfelformober- 1
fläche oder Fetzen-
obetfläche
Schäfchenwolken-
schichten von grober,
aber verwaschener
Struktur
homogene Auflösung
durch Sonnenstrah-
lung oder Wetter-
umschläge
Auflösung in Fetzen
oder in Fasern
Die Stadien der Wellenbildung und
ihre Folgeerscheinungen sind in den unteren
Schichten : Wellenbildung, die Erweiterung der
Wellenberge führt zu Aufströmen, Ausbreitung
der aufsteigenden Ströme an ihrer Oberseite nach
allen Seiten, evtl. setzt auch volle Wirbelbildung
ein, d. h. Wiederhinabfluten der Strömung. Mit
Erlöschen der Strömungen setzt Auflösung der
Wolkenformen ein. In den mittleren sind die
Vorgänge ähnlich, doch die Wolkenformen kleiner
und mehr geordnet, in höchsten Schichten die
Stadien mehr zur einfachen Wellenbildung ver-
schmolzen, gefolgt von faseriger Auflösung der
Wolkenmasse.
Die Stadien der Wolkenstruktur sind:
Fetzen-, Gipfelstruktur, entweder Zurückfließen
zur Fetzenstruktur oder Auflösung in Fasermassen
je nach genügender oder ungenügender Entwick-
lung des Niederschlags. Dr. Bl.
Moorleiche.
Im Mai 1895 wurde von Torfgräbern bei der
Bauernschaft Obenahendorf, Kreis Neuhaus a. O.
(Prov. Hannover) eine menschliche Leiche im großen
Kehdinger Moor gefunden. Die Lage der Leiche war
Südnord. Die Leiche selbst lag etwa 2 — a'/g m
unter der Oberfläche. Der Torfgräber,, der auf
die Leiche stieß, hatte sie mit seinem Spaten zu-
erst mitten durchgeschnitten und die untere
Hälfte wieder verkühlt, in der Meinung, es handele
sich um den Kadaver von irgendeinem Tier. Als
beim zweiten Schnitt Haare und Kleidungsstücke
zutage kamen, erkannte er das gefundene Stück
ein Referat über die jüngst erfolgte eingehende
Veröffentlichung dieser Moorleiche durch H.Hahne
in dem vom Provinzialmuseum zu Hannover
herausgegebenen Sammelwerk „Vorzeitfunde aus
Niedersachsen" Lieferung 4/5 seinen Platz finden.
Die Moorleiche von Obenahendorf ist zunächst
einmal deshalb von besonderem Interesse, weil
sie die einzige ist, die sofort vor jeder Austrock-
nung, wenigstens zu einem Teil, als Naßpräparat,
konserviert worden ist. Die Moorleichen, die wir
sonst in unseren Museen studieren können (z. B.
Provinzialmuseum zu Hannover, Museen zu Kiel,
Stade usw.), fallen uns, gewöhnlich durch das
mumienartige Aussehen der Leichenteile, die
lederartige Beschaffenheit ihrer Haut und die holz-
artige Härte der Knochen auf. Durch die Er-
haltung des Fundes von Obenahendorf können
wir feststellen, daß all diese Erscheinungen ledig-
lich Folgen des Austrocknens sind. So werden
durch das Aussehen dieses Fundes auch die Be-
richte über die Auffindung anderer Moorleichen
in sehr wertvoller Weise ergänzt und es wird
uns verständlich, weshalb die Weichteile in der
Mehrzahl der Fälle dem uninteressierten Moor-
arbeiter im Moor nicht ohne weiteres auffallen,
zumal wenn sie zusammengepreßt sind.
Neben der Moorleiche von Obenaltendorf
wurden Teile eines Rumpfkleides (Hemdrock,
Kittel), eine große Decke, in der die Leiche ein-
gewickelt gelegen hat, zwei Hosenbeinreste und
zwei Binden, wahrscheinlich Kniebinden, gefunden.
All diese Gewebeteile bestehen durchweg aus
Schafwolle ; Beimengungen anderer Gespinstfasern
sind nicht nachweisbar. Es liegen zwei Gewebe-
formen vor: zweischäftiger Taffet und zwei-
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. P. XX. Nr. I
schäftiger Taffet mit doppeltem Einschlagfaden
(Rips).
Außerdem wurden neben der Leiche zwei
Schuhe, je aus einem Stück tehaarten Leders ge-
schnitten, und zwei kleine Kapseln aus Silberblech
gefunden. Die letzteren beiden Fundstücke er-
möglichen eine einwandfreie Datierung des Fundes
in die Zeit um 250 n. Chr. In derselben Zeit läßt
sich übrigens auch die gleiche Webetechnik nach-
weisen.
Irgendwelche Spuren einer gewaltsamen Tötung
oder Versenkung des lebenden Menschen ließen
sich bei dieser Moorleiche nicht nachweisen.
Der IVioorbotaniker Prof. Dr. W e b e r - Bremen
hat die Fundstelle kurze Zeit nach der Auffindung
der Moorleiche besucht. Weber sah in der Wand
der Torfgrube in dem hier anstehenden hellen
oberen Sphagnumtorf einen dunkel gefärbten
Horizont, der ihm als Rest der Lagerstelle der
Leiche bezeichnet wurde; an dieser Stelle zeigte
der Torf deutlich Störung, die aber nicht in dem
darüber liegenden Torf bis zur Oberfläche zu ver-
folgen war. Eine Eingrabung der Leiche hatte
also nicht stattgefunden. Die Oberfläche des
Moors wird also zur Zeit der Versenkung der
Leiche nicht wesentlich höher gelegen haben als
die Leiche selbst, und diese wird dann auch
nicht tief eingesenkt worden sein. Auch diese
Beobachtung spricht mit gegen die Vermutung
der Versenkung eines Lebenden.
Neuere Abtorfungen bei der Fundstätte ver-
hinderten gegenwärtig die Feststellung der Ge-
samtmächtigkeit des Moores und der Mächtigkeit
der seit der Versenkung der Leiche entstandenen
Moorschichten. Die Leiche lag in den untersten
Sphagnumtorfschichten dicht über einer Zone- von
Übergangstorf mit viel Wollgras, die ihrerseits
Schilftorf mit Holzresten überlagerte. Da das
Kehdinger Moor ein Niederungsmoor ist, in dem
der ältere Sphagnumtorf fehlt, so entspricht der
vorhandene Sphagnumtorf dem jüngeren Sphag-
numtorf der Hochmoore. Dann ist wohl der
Übergangstorf im liegenden und der Schilftorf
den unteren Schichten des oberen Hochmoor-
torfes, die Holzreste aber einem Teil des Grenz-
horizontes der Hochmoore gleichzusetzen. Da
ein Teil des oberen Sphagnumtorfes im Keh-
dinger Moor zur Zeit der Versenkung der Moor-
leiche bereits vorhanden war, darf man wohl an-
nehmen, daß die Zeit des durch den Grenzhori-
zont bezeichneten warmen Trockenklimas, wenn
auch noch nicht lange, vorüber war, umgekehrt,
daß das Ende der Grenzhorizontzeit bis gegen das
3. Jahrhundert nach Chr. nach diesem Befunde
herabzurücken wäre, wenn die angesetzten Glei-
chungen zwischen Hoch- und Übergangsmoor
stichhaltig sind, was nach den bisherigen moorgeo-
logischen Veröffentlichungen allerdings der Fall
zu sein scheint. Dann besitzt aber die Moor-
leiche von Obenaltentorf eine besondere Bedeutung
für die Chronologie der Nacheiszeit und der
Moore überhaupt.
Wernigerode a. H. H. Mötefindt.
Bücherbesprechimgen.
Wachs, Dr. H. , Entwicklung, ihre Ur-
sachen und deren Gestaltung. Mit
n Textabb. Freiburg i. Br. 1920, Th. Fischer.
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Ein Vortrag, der an der Hand einiger lehr-
reicher neuerer Erfahrungen in die Probleme der
experimentellen Entwicklungsforschung einführt
und der vermöge der klaren verständlichen Dar-
stellung der Beachtung empfohlen werden kann.
Miehe.
Stock, Alfred, Ultra-Strukturchemie. Ein
leichtverständlicher Bericht. 8 1 Seiten in 8 "
mit 17 Abb. im Text. Berlin 1920, Verlag von
Julius Springer. Preis geh. 6 M. -j- Teuerungs-
zuschlag.
Der vorliegende Bericht enthält den wesent-
lichen Inhalt einer Vortragsreihe, die der Verf.
vor den wissenschaftlichen Angestellten der Farb-
werke vorm. Fr. Bayer & Co. in Leverkusen über
die neuere Entwicklung der Lehre von der Struk-
tur der Atome gehalten hat. Er wendet sich an
chemisch etwas vorgebildete Leser, ist aber im
übrigen ganz allgemein verständlich und bringt
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freier Darstellung. Den Lesern der Naturw.
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Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neu© Folge 20. Baod;
der ganten Reihe 36. Band,
Sonntag, den 9. Januar 1921.
Nummer S.
Aus dem Stoffhaushalt unserer Gewässer.
Vortrag, gehalten in der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg i. Pr. am 9. Februar 1920.
Von Dr. med. et phil. A. Willer.
[Nachdruck verboten.]
Mit 4 Kurven.
Zur Ernährung des tierischen Organismus sind
einesteils organische, anderenteils anorganische
Stoffe notwendig. Die anorganischen Verbindungen,
welche ihre Bedeutung für den lebenden Organis-
mus in ihren physikalischen Eigenschaften haben
und sich nur zu einem geringeren Teile an den
chemischen Umsetzungsvorgängen beteiligen, wer-
den z. T. auch aus anorganischen Bestandteilen
entnommen, die organischen Verbindungen also
diejenigen Verbindungen, welche die Elemente
Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff,
Schwefel, Eisen und Phosphor enthalten, stammen
entweder direkt aus dem Pflanzenreich oder in-
direkt auf dem Wege durch andere Tierkörper
aus diesen, da nur die Pflanze imstande ist, aus
anorganischen Stoffen, organische Verbindungen,
die als Energiequelle für den lebenden tierischen
Organismus dienen können, zu bilden. Wir müssen
daher, wenn wir nach den Quellen der Nahrung
für die Tiere fragen, zunächst den Nährquellen
der Pflanzen nachgehen. Die Pflanzen stellen in
jedem Falle, sowohl im Luftleben wie im Wasser-
leben, die sog. „Urnahrung" für die tierischen Or-
ganismen dar. Der Stoffhaushalt eines Gewässers,
also die Wechselwirkung zwischen den im Wasser
vorhandenen Nährstoffen einerseits, den Pflanzen
und Tieren andererseits, wird zunächst abhängen
von der vorhandenen Nährstoffmenge und Nähr-
stoffqualität für die Pflanzen und erst dann wird
sich die Ausbildung der Tierwelt auf Grund des
Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von
Nährstoffen pflanzlicher Natur entwickeln. Dazu
treten dann in der Beeinflussung der Organismen-
zusammensetzung noch physikalische und che-
mische Einwirkungen anderer Natur, wie z. B.
Belichtung, Erwärmung, Bodenbeschafifenheit,
Strömung usw.
Als Nahrungsquellen der Wasserpflanzen kom-
men in Betracht: i. die Wassermasse, die den
Aufenthaltsort der Pflanzen darstellt, 2. der
Boden der Gewässer, 3. die Luft über den Ge-
wässern, 4. die Zuflüsse, einmal die dauernden,
dann aber auch vor allen Dingen die zeitweise
einfließenden Rinnsale, welche von dem benach-
barten Lande und dem höher gelegenen Terrain
dem Ufer zufließen. Nicht alle Wasserpflanzen
sind in der Lage diese Nahrungsquellen in gleicher
Weise oder direkt zu benutzen, so können z. B.
die im Boden enthaltenen Nährstoffe direkt nur
von den in diesem wurzelnden Pflanzen nutzbar
gemacht werden, die Luft und damit die Kohlen-
säure der Luft wird direkt nur ausgenutzt von
denjenigen Pflanzen, die ihre Sprosse über die
Wasseroberfläche erheben oder Schwimmblätter
ausbilden. Die wurzellosen und untergetaucht
lebenden Pflanzen sind allein auf die im Wasser
gelöst enthaltenen Nährstoffe angewiesen.
Es besteht also ein Unterschied in der Nahrungs-
aufnahme zwischen den einzelnen Gruppen der
Wasserpflanzen: i. den festwurzelnden, 2. den
Schwimmpflanzen, 3. den untergetaucht lebenden
nicht im Boden wurzelnden Pflanzen. Es bestehen
natürlich zwischen diesen Pflanzen Übergänge und
Zwischenformen. Als eine festwurzelnde Pflanze
mit zugleich Schwimmblättern, nenne ich die See-
rosenarten (Nymphaea, Nuphar), festwurzelnde
Pflanzen ohne Schwimmblätter sind die meisten
Froschlaichkräuter oder Potamogetonaceen.
Schwimmpflanzen ohne Festwurzelung sind die
Wasserlinsen oder Lemnaceen , der Froschbiß
(Hydrocharis morsus ranae) und andere.
Die untergetaucht lebenden, nicht im Boden
wurzelnden Pflanzen gehören wieder einesteils zu
schwimmenden oder schwebenden, anderenteils zu
festsitzenden epiphytisch oder auf Steinen usw.
sitzenden. Pflanzen. Letztere gehören zum sog.
Aufwuchs, jene wenigstens zum Teil zu dem
Plankton. Es ist ersichtlich, daß diese plankto-
nischen und Aufwuchsformen sich am stärksten
von dem Gehalt des Wassers an Nährstoften ab-
hängig zeigen müssen, da sie ja nur auf diese an-
gewiesen sind. Aber auch die übrigen Pflanzen
sind von diesen mehr oder weniger abhängig,
denn einmal müssen die festwurzelnden aber unter-
getaucht lebenden Formen ihren Kohlenstoff, der
bei den Landpflanzen der Kohlensäure der Luft
entnommen wird, dem Wasser entnehmen, ande-
rerseits müssen die freien Schwimmpflanzen ihre
Nährstoffe mit Ausnahme des Kohlenstoffes hin-
wiederum dem Wasser entziehen, während sie
diesen aus der Luft gewinnen können. Dadurch,
daß von den festwurzelnden Pflanzen die Wurzeln
zuweilen nur noch mehr als Haftorgane denn als
Nährorgane benutzt werden, kompliziert sich die
ganze Angelegenheit noch mehr. Bei ihnen be-
steht die Möglichkeit, daß abgelöste Sprosse selb-
ständig ohne besondere Wurzelorgane im Wasser
fortleben, so z. B. bei der allbekannten Wasser-
pest (Eledea canadensis), die aus Amerika einge-
schleppt in ihren nur weiblichen Pflanzen, die
i8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
allein bei uns vorkommen, unsere Gewässer in
so überaus massenhaftem Auftreten bevölkert und
vielfach zu einer Plage für den Wasserwirt ge-
worden ist. In der Tat gibt es nur verhältnis-
mäßig wenige Wasserpflanzen, die infolge ihres
Wurzeins im Boden von der Zusammensetzung
des sie umgebenden Mediums, des Wassers, voll-
kommen unabhängig sind. Es sind dies Pflanzen,
welche mehr als Sumpf-, denn als Wasserpflanzen
angesprochen werden können, z. B. die Phrag-
mites-, Typha-, Glyceria-, Juncus- usw. Arten.
Hiernach ist es nun auch nicht mehr wunder-
bar, wenn ein gewisser Zusammenhang zwischen
der Menge des im Wasser vorhandenen Roh-
materials und der organisierten, lebenden Sub-
stanz besteht. Es gilt für das pflanzliche Leben
im Wasser das Liebigsche Gesetz vom Minimum,
nach welchem der in der Minderheit vertretene,
unentbehrliche und unersetzliche Nährstoff seine
Entwicklung begrenzt, wie es für das pflanzliche
Leben auf dem Lande gilt, und ebenso wie in der
Landwirtschaft, dieses Gesetz die Grundlage für
die moderne Düngerlehre abgegeben hat, so hat
man in der Wasserwirtschaft die gleichen Schluß-
folgerungen gezogen und dort, wo der Ertrag des
Wassers d. h. also für uns letzten Endes der Er-
trag an Fischfleisch einer Hebung bedarf, die Zu-
fuhr von Nährstoffen zum Wasser gehoben, indem
man die zu bewirtschaftende Wasserfläche düngte,
entweder durch Zufuhr von Naturdünger oder
auch seit etwa einem Jahrzehnt von Kunstdünger.
Man ging hierbei davon aus, daß durch die
Düngung zunächst die pflanzliche Urnahrung und
hierdurch dann auf mehr oder weniger direktem
Wege die Menge oder Masse der Endproduzenten
der Fische vermehrt wird. Diese zunächst theo
retischen Gedankengänge haben dann ihre Richtig
keit durch die praktischen Erfahrungen bewiesen
Heute wissen wir, daß die in unserem Sinne er-
tragreichsten Gewässer diejenigen sind, die von
Natur aus die meisten Nähr- und Düngerstoffe
erhalten, die Dorfteiche, in die die häuslichen Ab-
wässer und die Schwemmwässer der Dorfstraßen
gelangen.
Wenn wir nun die chemische Zusammen-
setzung des Süßwassers betrachten, so zeigt
sich, daß di,eselbe großen Schwankungen unter-
liegt, analog den Verschiedenheiten welche der
Boden in der Landwirtschaft aufweist. Wichtig
für sämtliche Organismen, Tiere sowohl wie
Pflanzen, ist der Gasgehalt des Wassers, zunächst
an Sauerstoff. Der Gasgehalt, also der Gehalt
an gelöstem O und CO» ist einmal abhängig von
der Temperatur derart, daß im kälteren Wasser
die Menge der gelösten Gase größer ist als im
wärmeren Wasser, was nun auch zu Verschieden-
heiten des Gasgehaltes in den verschiedenen
Wasserschichten führt, so daß wir in Seen, in
denen die Verhältnisse nicht durch Fäulnisprozesse
am Boden und Assimilationsprozesse in den wär-
meren Schichten ^) kompliziert sind , im kalten
Wasser den höheren Gasgehalt finden, und daß
im Winter dasselbe gilt gegenüber dem Sommer.
So beträgt z. B. der Sauerstoffgehalt im Genfersee
im Winter 7,3 ccm pro 1,
im Sommer 5,7 ccm pro 1,
der Kohlensäuregehalt im Winter 0,6 ccm pro 1,
im Sommer 0,3 ccm pro 1,
der Sauerstoffgehalt im Plönersee
im Winter 12,35 ccm pro 1,
im Sommer 2,3 ccm pro 1.
Die Wirkung der Temperaturänderungen ist
größer als die des Druckes, bei o" bis 25" 30 bis
40 "/(,, bei extremster Druckschwankung um 6 %.
Die jahreszeitlichen Schwankungen des Sauerstoff-
gehaltes im Wasser sind also recht bedeutend.
Die Kurve zeigt diese Schwankungen in der
ccm Opro I.
12
Jan. Febr. MSrz April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okl Nov Dez.
Abb. I.
Der Sauerstoffgebalt der Oberflächenschicht im Sakrower See
während eines Jahres gezeichnet nach Schickendantz
mit den den gemessenen Temperaturen entsprechenden
Sättigungspunkten für Sauerstoff.
Oberflächenschicht des Sakrower Sees, eines mit
der Havel in Verbindung stehenden tiefen Sees
(s. Abb. i). -) Daneben sind die einzelnen Zahlen
in den verschiedenen Schichten angegeben (s. Tab.).
Zum Verständnis dieser Zahlen muß noch her-
vorgehoben werden, daß wir drei Perioden im
Jahre an unseren Seen unterscheiden. Die erste
Periode ist, die der teilweisen Zirkulation. In
dieser, der Zeit des Sommers, lagern die kältesten
und schwersten Schichten, also die mit etwa 4 " C
Temperatur am Boden, die nächst höheren Schich-
• -i j^
/ \ •
auf.
') In der Regel treten derartige Prozesse in den Gewässern
^) G. Schickendantz, Temperaturen und Sauerstoff im
Sakrower See bei Potsdam, Intern. Revue f. Hydrob. u.
Hydrog. Bd. III igio/n, S. 84ff.
N. F. XX. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
19
Tiefe
in m
Febr.
April
Mai
Juli
Sept.
Okt.
No
V.
Dez.
t
0 1
t 0
t
0
t 0
t
0 1
t
0
l
0
t 0
0
1,0
7,4
8,5 10,9
10,4
9,5
19,2 5,2
17,3
5,5
11,6
6,4
5,7
5.2
4,0 6,1
'h
3.1
8,7 10,6
10,3
9.8
2
3.2
5,9
8.4 9.9
10,1
8,5
17.4
11,6
6,2
4,0 6,2
5
3,2
5.Ö
7.7 8.1
9,6
16,2 2,7
•7.5
11,6
6,4
5.8
5,'
4,0
6
9,4
17
7
8,3
12,7
11,6
8
7
8.9
",5
9
6.5
6.7
11,2
10
3.2
5.7
5.2 8
5.7
6,4
5,9 2,5
6,0
1.6
8.3
0,1
5.8
5.0
4,0
15
4.8 7
5.0
6.2
5.3
5.5
1,3
5,6
0,1
5,7
5.1
4.0
20
3.3
4.9
4,4 5.6
4.6
5.3
4.7 «.7
4.7
0,4
4,8
0,1
5.6
4.1
4,0 6,0
25
3.9 3,8
4.2
3,7
4.4 0,1
4.5
0,2
4.5
0,1
4.7
0,2
4,0 6,1
30
3.5
2.7
3.8 3
4,1
3.2
4.5 0.1
4.4
HjS
4,5
H,S
4.5
HjS
4,0 6,0
Der Sauerstoffgehalt des Wassers im Sakrower See während eines Jahres.
Nach Schickendantz.
= Wassertemperatur in " C. O = Sauerstoffgehalt pro i 1 in ccm.
ten weisen nur geringe Temperaturerhöhungen
auf bis wir an eine Schicht kommen, wo die
Temperaturerhöhung sprungartig mehrere Grade
beträgt, wir nennen diese Schicht die Sprung-
schicht. Sie ist z. B. schön ausgeprägt in den
Tabellen vom Juli, September und Oktober. Von
hier aus finden wir dann die höchst temperierten
Wasserschichten des Sees überhaupt. Diese
Sprungschicht erklärt man dadurch, daß die über
dieser gelegenen Wassermassen von den täglichen
Temperaturschwankungen der Luft beeinflußt wer-
den und diese durch Zirkulationsströmungen mit-
machen. Den darunter gelegenen Wasserschichten
fehlen während dieser Zeit diese Zirkulationsbe-
wegungen, es befinden sich diese in einem Zu-
stande der Stagnation. Da in diesen Tiefen der
Pflanzenwuchs in unseren norddeutschen Seen zu-
meist aufgehört hat oder gering ist, so findet hier
zunächst keine Produktion von Sauerstoff durch
diese und kein Austausch mit der Luft statt, in-
folgedessen nimmt, der Sauerstoff hier infolge des
Verbrauchs durch Organismen und durch Fäulnis-
prozesse ständig ab und der Gehalt an HjS und
wie sich später zeigen wird an COj zu. Wir
sehen daher einen gewaltigen Unterschied zwi-
schen dem Sauerstoffgehalt der Zirkulations-
schichten und dem der stagnierenden Schichten
in den betreffenden IVIonaten.
Im Herbst nun kühlen sich die oberen Schichten
ab und sinken infolge der zunehmenden Schwere
nach unten, die Zirkulation greift immer weiter
nach unten und es kommt so schließlich zu einer
Vollzirkulation des Seewassers. Eine gleiche Voll-
zirkulation nur im umgekehrten Sinne durch Er-
wärmung der Wassermassen tritt dann , häufig
allerdings in weniger stark ausgeprägtem Grade
im Frühjahr auf.^) Während des Winters haben
') Die auf 4" erwärmten oberflächlichen Wasserschichten
sinken als schwerere Wassermassen in die Tiefe ab.
wir dann ein Stadium der Stagnation für die ge-
samte Wassermasse bis auf die alleroberste
Schicht, es schwindet daher in tieferen Seen auch
hier der Sauerstoffgehalt in den Tiefen, die jetzt
die höchsten Temperaturen aufweisen. Die
Schichtung ist eine umgekehrte wie im Sommer.
Wie stark der Sauerstoffgehalt der einzelnen
Wasserschichten durch diese thermischen Vorgänge
beeinflußt und verändert wird, ist leicht aus den
Tabellen zu ersehen.
Es hat sich nun aber gezeigt, daß der
Sättigungskoeffizient an Sauerstoff, der ja der
Temperatur und dem Luftdruck entsprechen muß,
unter Umständen erheblich überschritten wird, ')
und dies hat darauf hingewiesen, daß der Sauer-
stoffgehalt nicht allein abhängt von dem Wechsel-
verkehr zwischen Atmosphäre und Wasser, son-
dern zu einem großen Teil, vielleicht zu einem
wesentlichen von der Tätigkeit der sauerstoff-
produzierenden grünen Pflanzen. In Gewässern,
in denen ein reiches organisches Leben sich ent-
faltet, würden die sauerstoffzehrenden Prozesse
der abgestorbenen Organismenleiber die Überhand
gewinnen und zu HjS-Mengen führen, die jedes
höhere Leben schließlich verhindern würden,
wenn nicht wieder die Lebenstätigkeit der
grünen Pflanzen für eine reichliche Sauerstoff-
produktion sorgen würde. Ein Beispiel, wie diese
Anreicherung an Sauerstoff durch die Pflanzen
wirkt, gibt folgende Tabelle:
Es sind hier fortlaufend dreistündlich in einem
Teiche Sauerstoffbestimmungen vorgenommen
worden.
Temp. 20,1" C 0,733 ccm 0 pro 1
„ 21,0° C I,i;i8
„ 21,8» C 1,605
„ 21,6" C 1,540
„ 20,3" C 0,937
19,1» C 0,930
24. VI. 8 Uhr vorm.
II „
2 ,, nachm.
5 „
8 ,, abends
II „ nachts
'j Siehe die Kurve Abb. I.
20
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
5
S
II
2
25. VI. 2 „ nachts Temp. 18,4» C 0,799 ccm U pro 1
morgens ,, 18,0° C 0,815 ■• •• "
„ „ 1716° C 1,214 I. .. 1.
vorm. ,, 18,0» C 1,304 „ „ ,,
mittags „ 19,8» C 1,679 „
Diese Tabelle stammt von S e y d e 1 , ') sie
zeigt die Sauerstoffzunahme bei der Belichtung
infolge der Tätigkeit der Pflanzen. Man hat diese
Eigenschaft der 0-Produktion nun der Fischerei-
praxis dienstbar gemacht, indem man den Sauer-
stoffmangel von verschlammten Gewässern, die
unter Eis sich befinden und infolgedessen keinen
Gasaustausch mit der Atmosphäre besitzen, da-
durch zu bekämpfen sucht, daß man das Eis
schneefrei hält und so durch die Tätigkeit der
Pflanzen im Wasser den Sauerstoffgehalt hebt.
Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß die sog.
Wintersterben der Fische, welche auf Sauerstoff-
mangel unter Eis in fäulnishaltigen Gewässern
zurückzuführen sind, nur dann auftreten, wenn die
Eisdecke mit Schnee bedeckt ist, ^) und so das
Wasser und damit seine Schwebpflanzen und
übrigen Pflanzen im Dunkeln gehalten werden.
Versuche, welche von mir am Königsberger Ober-
teich ausgeführt worden sind, haben gezeigt, daß
in der Tat schneefrei gehaltene Stellen unter Eis
einen höheren Sauerstoffgehalt bereits nach kurzer
Zeit aufweisen als die schneebedeckten Stellen:
Folgende Zahlen wurden z. B. erhalten:
gefegte Stelle
vorm. 1 1 Uhr vor dem Fegen :
a) O m WT. 0,1» 8,345 ccm O
2 m WT. 2« 7,28 ccm O
4 Uhr 30 nachm.
b) o m WT. o,i" 7,12 ccm O
2 m WT. +1,2" 8,094 ccm O
ungefegte Stelle
vorm. II Uhr
a) o m WT. 0,1" 8,347 ccm O
1,80 m WT. 1,2» 9,26 ccm O
4 Uhr 30 nachm.
b) o m WT. 0,1" 6,2 ccm O
i,So m WT. 1,2" 7,96 ccm O
Es hatte also eine mehr oder weniger starke
0-Abnahme stattgefunden, welche wohl darauf
zurückzuführen ist, daß sich tierische Organismen
in größerer Menge an die eingeschlagenen Eis-
löcher gedrängt und so durch ihre Atmungs-
prozesse zu einer Sauerstoffabnahme geführt hatten.
Es zeigt sich jedoch ein großer Unterschied in
der Abnahme an beiden Stellen, es betrug die
Abnahme an der schneefrei gemachten Stelle
O m — 1,225 ccm in 5 Std.
Boden -}-o,8i4 ccm
an der schneebedeckten Stelle
o m — 2,147 ccm
Boden — 0,284 ccm
>) Seydel, E., Über die Schwankungen des Sauerstoff-
gehaltes in Teichen. Mitt. d. Fischereivereins für die Provinz
Brandenburg Bd. IV, Heft 7, 1912.
') S c h i e m e n z.
Es betrug also das Mehr an der schneefreien
Stelle o m —0,922 ccm, d. h. 14,5 %
am Boden 1,098 ccm, d. h. 13,9 "/o
Die Versuche wurden unterbrochen durch Ein-
treten von Tauwetter, das das Eis milchig und
daher für Licht stark undurchgängig machte, sie
sollen fortgesetzt werden.
Weit weniger erforscht als die Beziehungen
zwischem dem Pflanzenleben des Wassers und
seinem Sauerstoffgehalt sind die zwischen ihnen
und der Kohlensäure. Es handelt sich nämlich
hierbei ebenfalls nicht um die COj -Aufnahme in
Gasform, sondern die untergetauchten Pflanzen
vermögen dieses Gas ebenfalls fast nur in ge-
löster Form aufzunehmen; eine einzige Möglich-
keit besteht für die Wasserpflanzen, den Kohlen-
stoff auch als gasförmiges Kohlendioxyd aufzu-
nehmen, nämlich dasselbe aus den großen Inter-
cellularräumen zu entnehmen, die gerade die
Unterwasserpflanzen in so ausgeprägtem Maße
besitzen. Diese enthalten auch CO,, das aus dem
Wasser hineindiffundiert. Die hauptsächlichste
C- Quelle ist jedoch im Wasser selbst zu suchen
und wird die Kohlensäure durch die Epidermis
hindurch ebenso wie der Sauerstoff und die Nähr-
salze aufgenommen. Es ist bekannt, daß den
typischen Unterwasserpflanzen Spaltöffnungen ent-
weder ganz fehlen oder nur in bedeutend ge-
ringerer Zahl vorhanden sind, als bei Land-
pflanzen. Die Cuticula selbst ist äußerst zart, eine
Kutinisierung wie bei den Landpflanzen fehlt.
Meines Wissens hat zuerst Z u n t z darauf hinge-
wiesen, daß es in vielen Fällen der Kohlenstoff
ist, der sich als Nährstoff im Wasser im Minimum
befindet, und somit nach dem L i e b i g 'sehen Ge-
setz das Gedeihen der pflanzlichen Organismen
grundlegend beeinflußt. Er zeigte, daß bei intensiv-
ster Schüttelung mit Luft bei 16» C das Kubikmeter
Wasser nur 0,3 1 CO3 aufnehmen kann, daß ein
Gewässer von einem Hektar mit 7500 cbm Inhalt
also enthahen würde 2250 1 COj = 4, 4 l<g CO2
entsprechend 1,2 kg Kohlenstoff. Nach Zuntz'
weiteren Untersuchungen wird aber von einer
reichen Mikroflora diese Menge von Kohlenstoff
an einem Tage assimiliert. Selbst wenn wir die
noch nicht bewiesene, ja durch Nathansons
und Czensnys Versuche unwahrscheinlich ge-
machte Annahme, daß der Kohlenstoff im Wasser
aus an Alkali gebundene CO., entnommen werden
kann, mit zu Hilfe nehmen, würde nur eine Menge
von 1,4 kg C in dem erwähnten 7500 cbm-Teiche,
an dem die Zuntzschen Untersuchungen und
Berechnungen ausgeführt wurden, resultieren.
Die Annahme, daß die Kohlensäure dem Ver-
brauch entsprechend nun etwa aus der Luft
wieder in das Wasser hinein diffundiert, ist zu
Unrecht geltend gemacht, da wie Steffen,
Hüfner, Hoppe-Seyler u. a. gezeigt haben,
es Wochen dauert, bis ein CO., - Molekül eine
Tiefe von einem Meter erreicht hat. Die Luft-
CO, kommt demnach für die Ernährung der
N. F. XX. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
21
Mikroflora des Wassers und wohl auch der
anderen submersen Flora nur in ganz geringem
Maße in Betracht. Als Hauptkohlenstoffquelle
müssen wir daher für die Mikroflora zum wenig-
sten neben den Atmungsprodukten der Tiere
und Pflanzen die in Zersetzung begriffenen organi-
schen Substanzen am Boden ansehen. Hierauf
wird dann auch die Erfahrung in der Praxis der
Wasserwirtschaft zurückzuführen sein, daß mit an-
organischen Düngesalzen gedüngte Gewässer sehr
häufig jeden Erfolg vermissen lassen, während die
mit organischem Dünger versehenen erstaunliche
Mehrerträge bringen. Daß in der Tat in pflanzen-
reichen Teichen die CO., im Laufe des Tages völlig
verschwinden kann, haben Untersuchungen im
Z u n t z sehen Laboratorium gezeigt. Neuerdings
liegen hierfür interessante Zahlen von Czensny*)
aus Teichen vor; er fand folgende Mengen
freier CO-,:
3 Uhr früh
2 Uhr abends
Abnahme
6,6 mg pro 1
2,6 mg
4,0 mg
5,4
3,o „
2,4 „
7,2
3,7 ,.
3,5 „
6.8 „
4,9 -,
1,9 „
7,6 „
4.2 „
3,4 „
7,2
2,1 „
5,1 „
Daß die CO., nicht vollständig aus dem Teich-
wasser geschwunden war, ist darauf zurück-
führen, daß diesen Teichen aus Versuchsgründen
abgeschnittenes Pflanzenmaterial zugeführt worden
war, das durch seine Verwesung dafür sorgte,
daß der Kohlenstoff nicht völlig zum Ver-
schwinden kam. Im übrigen konnte Czensny
das Verschwinden der freien CO., an in Zer-
setzung begriffenen Stoffen armen Teichen am
Abend, wie es Knauthe berichtet hatte, eben-
falls feststellen : '^)
abends (9. VI.) früh (10. VI.) mittags (10. VI.)
o 3,3 5-5
o 1 1 ,0 2,9
o 14.5 1,1
o 10,3 6,6
Wir sehen also, daß das Verhältnis der Wasser-
pflanzen zum Kohlenstoff ein viel ungünstigeres
als das der Landpflanzen oder besser Luftpflanzen
ist. Während der Nacht findet nun also infolge
des Aufhörens der Assimilationstätigkeit der
Pflanzen wieder eine Anreicherung der Kohlen-
säure im Wasser statt und zwar einerseits durch
die COj-Ausatmung der höheren Organismen und
andererseits durch die auch des Nachts weiter
laufenden Zersetzungsvorgänge organischer Sub-
stanz.
Soviel über den Gasstoffwechsel in unseren
Binnengewässern. Im Meere liegen die Verhält-
nisse etwas anders, doch soll hier nicht darauf
eingegangen werden. Sehr interessant wäre es,
zu untersuchen, wie sich diese Verhältnisse an
') s. Zeitschr. f. Fischerei, N. F., Bd. IV, 1919, p. io,S
u. 110.
') 1. C. p. 121.
polaren Seen verhalten, die ja durch lang dauernde
Belichtung und lang dauernde Verdunkelung aus-
gezeichnet sind. Die wissenschaftlich-praktischen
Versuche der Hydrobiologie und der speziellen
Fischereibiologie haben gezeigt, daß neben den
Sauerstoff- und Kohlensäureverhältnissen eine der
wichtigsten Rollen das Kali, der Kalk und die
Phosphorsäure sowie der Stickstoff in ihrem Ge-
halt im Wasser spielen. Ich will hier absehen
von mehr speziellen Fällen, wo etwa durch zu
hohen Eisen- oder Mangangehalt das Leben im
Wasser in besonderer Richtung beeinflußt wird,
das sind Spezialfälle, die hier nicht behandelt
werden sollen. Ganz besonderes Interesse hat
der Stickstoffwechsel in der Hydrobiologie erregt,
weil es wichtig war, zu erfahren, wie sich die
Organismenwelt diesem Stoffe gegenüber im
Wasser verhalten wird. Wir wissen aus den
landwirtschaftlichen Forschungen, daß die Rolle
und das Schicksal des N im Boden recht mannig-
faltig sind. Wir kennen seit vielen Jahren stick-
stoffsammelnde oder nitrifizierende und stickstoff-
zehrende oder denitrifizierende Prozesse im Erd-
boden, die im wesentlichen auf bakterielle Ein-
flüsse zurückzuführen sind, wenn auch rein che-
mische Vorgänge ebenfalls eingreifen. Für die
Verhältnisse im Wasser war diese Frage bis
kurz vor dem Kriege noch recht ungeklärt. Erst
Untersuchungen von H. Fischer -München in
Verbindung mit H o f e r und von Zuntz, Czensny
und Will er haben hier einige Klarheit geschaffen.
Es hat sich nun gezeigt, daß auch im Wasser
bakterielle sowie chemische Nitrifikations- und
vor allem auch Denitrifikationsvorgänge sich ab-
spielen, in ähnlicher Form wie im Ackerboden.
Als Stickstoffquellen sind einmal vor allen Dingen
zerfallende Eiweißsubstanzen der Organismen-
leiber, die Exkrete der Tiere, dann die Luft und
außerdem die stickstoffhaltigen Salze, also die
Nitrite und Nitrate, welche im Wasser gelöst auf-
treten und dem Boden mehr oder weniger direkt
als solche entnommen sind, zu nennen. Der Ge-
samtstickstoffgehalt der Gewässer ist naturgemäß
ein verschiedener und schwankt auch im einzelnen
See oder Teich bzw. Fluß mit der Jahreszeit.
Czensny fand z. B. in Sachsenhausener Bach-
wasser folgende Mengen an Gesamtstickstoff (1. c.) ;
1914
April 0,35 mg pro i 1
Mai 0,80
Juni 0,76
Juli 0,87
Anfang September 0,81 „
Ende September 0,59 „
1915
Juli 0,41 mg pro i 1
August 0,60 „
Anfang September 0,59 „
Ende September 0,54 „
Im Sachsenhausener Teichwasser:
April
1914
0,36 mg pro 1 i
22
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
Mai 0,91 mg pro i 1
Juni 0,81 „
Juli 0,98
Anfang September 0,58 „
Ende September 0,76 „
1915
Juli 0,51 mg pro i 1
August 0,70 „
Anfang September 0,53 „
Ende September 0,37 „
Bedeutung gewinnt für die höheren Organis-
men, die Pflanzen und demnächst für die Tiere,
der N erst, wenn er als Ammoniak oder Nitrat
auftritt. Nur in diesen beiden Formen vermögen
die Wasserpflanzen den Stickstoff aufzunehmen
und zu Eiweiß umzusetzen. Es sind die Bakterien,
welche den in anderem Zustande im Wasser vor-
handenen Stickstoff in diese beiden Formen um-
wandeln. Einmal sind es Fäulnisbakterien, die
die Abbauprodukte des Eiweißes, das aus den
Organismen stammt, schließlich in Ammoniak
und Ammoniumsalze umsetzen, dann aber
kennen wir ähnlich wie im Boden Azotobakterien,
die den gelösten Stickstoff des Wassers binden
und weiter verarbeiten, um ihn so dem Kreislauf
der Stoffe im Wasser zuzuführen. Auch nitrifi-
zierende Bakterien oder vielleicht besser bakterielle
nitrifizierende Prozesse sind aus dem Süßwasser
bekannt geworden. So zeigen folgende Kurven
das Schwanken des Nitratgehaltes im Havelwasser,
das in Glasbehältern aufbewahrt wurde (Abb. 2).
Der Nachweis von nitratbildenden Bakterien im
Wasser ist sehr schwierig. Interessant ist es nun,
daß es immer dann gelang, Nitratbildner in dem
betreffenden Havelwasser nachzuweisen, wenn die
Kurve im Aufsteigen begriffen war. Es handelt
sich beim Nitrifikaiionsprozeß im Wasser offenbar
um eine ähnliche Erscheinung, wie wir sie in
unseren Gewässern als Wasserblüte kennen, d. h.
um die Erscheinung, daß sich gewisse Blaualgen
plötzlich ungeheuer vermehren und unsere Ge-
wässer grün färben. ') Daß es sich hierbei tat-
sächlich um bakterielle Vorgänge im Wasser
handelt, beweisen Versuche mit ausgekochtem,
also sterilem Havelwasser, bei denen diese Zacken
ausbleiben. Merkwürdigerweise sind wir über
das Vorkommen von Nitrobakterienarten, also
Nitrit zu Nitrat oxydierenden Formen und Nitro-
somonasarten, also Ammoniak zu Nitrit wandeln-
den Arten im Meere besser orientiert als im Süß-
wasser.
In sehr ausgedehntem Maße wirken nun ent-
gegengesetzt arbeitende Spaltpilze im Wasser, die
sog. Denitrifikanten. In der landwirtschaftlichen
Düngerlehre spielt die Frage der Denitrifikation
eine große Rolle. Es handelt sich hierbei um die
Spaltung der Salpetersalze und das dadurch statt-
findende Freiwerden des Stickstoffes, der dann in
die Luft entweicht. Es hat sich gezeigt, daß der-
artige Denitrifikationsvorgänge sich im wesent-
lichen in Böden abspielen, die mindestens 2$ %
Wasser enthalten und gewisse Kohlehydrate, die
aus dem Zerfall der Zellulose entstehen. Die de-
nitrifizierenden Bakterien sind nämlich bei der
Assimilation des Kohlenstoffs auf organische Ma-
terie angewiesen. Es war nun eigentlich von
vornherein als wahrscheinlich anzunehmen, daß
gerade das Wasser unter Umständen ein ganz
ausgezeichnetes Milieu für Denitrifikanten abgeben
würde. Auch hier wieder sind die marinen
Untersuchungen zunächst vorangegangen. Jetzt
wissen wir jedoch, daß im Süßwasser dort, wo
der Boden des Gewässers humusreich ist, die
Denitrifikation durch Bakterien eine außerordent-
"W'^i^i Januar
prol
Mdrz
') WilleV, A., Experimentelle Studien zur Salpeter-
düngung in Teichen; Fisch.-Ztg., Bd. 18, 1915.
Tager W 20 30 iO SO 60 W -
Abb. 2. Schwankungen des Nitratgehaltes im Wasser.
Nach Will er.
Havelwasser im Licht.
Havelwasser im Dunkeln.
lieh große Rolle spielt, und daß die hier im
Wasser gelösten Nitrate und Nitrite bei günstiger
Temperatur außerordentlich schnell umgewandelt
werden. Dagegen in Gewässern, die mehr auf
humusarmem Sandboden sich befinden, spielen
diese Bakterien — Bacillus fluorescens liquefaciens
hat eine große Bedeutung in dieser Hinsicht —
eine geringere Rolle. Die sog. Teichdüngung
hat mit diesen Prozessen daher mehr zu rechnen
als vielleicht die Landwirtschaft selbst. Ein Bei-
spiel derartiger Denitrifikationswirkung zeigt fol-
gende Kurve (Abb. 3). Hier sind wiederum im
Havelwasser Denitrifikanten durch Zugabe von
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
23
geringen Mengen Alkohol, also einer Kohlenstoff-
quelle, begünstigt und die Nitrifikanten geschädigt
worden. Wir sehen völlige Denitrifikation der
zugeführten Nitrate. Eine ähnliche Kohlenstoff-
quelle stellt der Kalkstickstoff (Calciumcyanid) dar.
Die dritte Kurve zeigt, wie sich der Nitratgehalt
hierbei verhält (Abb. 4). Hier wird offenbar die
Schädigung der Nitrifikanten nicht so intensiv
stattfinden, so daß nach dem Verbrauch des
Kohlenstoffs aus dem Kalkstickstoff diese wieder
anfangen zu nitrifizieren und es zu einer Neu-
bildung von Nitraten, deren Stickstoffquelle viel-
ZS.März
!J. April
Tage 10 zq
Abb. 3. Denitrifikation im Havelwasser.
Havelwasscr + ionigN205+ i ccm Alkohol absol. pro 1 1.
Nach WiUer.
Denitrifikanten die Oberhand haben, während
umgekehrt in den kalten Meeren diese nicht so
zur Geltung kommen und letztere daher einen
größeren Stickstoffgehalt aufweisen. Nach Brand t
enthalten die Holsteinschen Seen mit viel Sal-
petersäure und salpetriger Säure viel Plankton,
die Salpetersäure- und salpetrigsäurearmen wenig
Plankton. Als Lieferanten für den Stickstoff der
Pflanzen in unseren Gewässern kommen also in
erster Linie Bakterien in Frage, die den vor-
handenen Stickstoff in die für die Pflanze allein
aufnahmefähige Form des Ammoniaks und des
2$. April
Z4 Mai
OTage 70 20 30'
.\bb. 4. Denitrifikation und Nitrifikation im Havelwasser.
Havelwasser -j- 10 mg N2O5 -|- 0,6 mg Kalkstickstoff pro i 1.
Nach Willer.
leicht hier im Kalkstickstoff selbst zu suchen ist,
kommt. Wir sehen, es findet im Wasser ein
dauernder Kampf zwischen den beiden Organismen-
gruppen, den Nitrifikanten und den Denitrifi-
kanten statt. Es ist bekannt, daß Brandt den
verhältnismäßig großen Reichtum der kalten
Meere an Organismen der verhältnismäßigen
Armut an solchen in den warmen Meeren gegen-
über erklären möchte dadurch, daß infolge der
höheren Temperatur in den warmen Meeren die
Nitrats überfuhren. Es sind aber auch wiederum
Bakterien, die diesen Stickstoff den Pflanzen zu
entziehen vermögen. Die genauen Schwankungen
des Stickstoffgehaltes in den einzelnen Schichten
der Seen und während der verschiedenen Jahres-
zeiten sind im allgemeinen noch so gut wie un-
bekannt. Hier sind sicherlich noch recht inter-
essante und auch für die praktische Wasserwirt-
schaft wichtige Ergebnisse: zu erwarten. Über
die Rolle der übrigen Nährstoffe, vor allem des
24
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
auf 3 mm-
Blattfläche
von Elodea
canadensis.
Kalis und der Phosphorsäure, sind wir zwar so-
weit unterrichtet, daß wir annehmen, diese werden
als gelöste Salze durch die ganze Epidermis der
Wasserpflanze aufgenommen. Wir wissen, daß
sie natürlich ebenfalls, sobald sie ins Minimum
gelangen, die Entwicklung der Pflanzenwelt des
Wassers grundlegend beeinflussen können. Die
einzelnen Arten werden in ihrem Vorkommen
abhängig sein von dem mehr oder weniger
großen Gehalt an diesen Stoffen im Wasser. Wie
gesagt, genauere Angaben fehlen hier noch völlig.
V. Alten hat an gewissen Diatomeenarten
nachweisen können, daß ihr Vorkommen von
dem Gehalt des Wassers an Phosphorsäure über-
haupt abhängig ist. Daß eine starke Vermehrung
einzelner Diatomeenarten durch Zufuhr von P
und K stattfindet, geht aus folgenden in Ver-
suchen von mir festgestellten Zahlen hervor, die
sich auf die Kieselalge Cocconeis placentula Ehrbg.
beziehen:
1. Kultur mit gewöhnlichem Wasser
(0,25 mg P.fi,„ 5,5 mg K^O pro 1)
enthielt in 2 Kontrollproben nach
8 Tagen durchschnittlich 22,05
und 7,3 Individuen;
2. Kultur mit demselben Wasser
-f- 8 mg Phosphorsäure pro 1
durchschnittlich 36 und 46,6 In-
dividuen ;
3. Kultur mit demselben Wasser
-j- 4 mg K -j- 8 mg P pro 1 durch-
schnittlich 46,4 und 59,3 Indi-
viduen.
Es ist also zweifellos, daß die Zahl der
Pflanzen von dem Gehalt gelöster Phosphate und
Kalisalze abhängig ist. Die Möglichkeit besteht
allerdings, daß durch die Zufuhr die Vermehrung
nur zunächst angeregt wird und später diese
wieder nachläßt. Die beendeten Versuche sind
jedoch noch nicht ausgearbeitet. Ich hoffe später
darüber berichten zu können.
Weiter hat v. A 1 1 e n ^) nachgewiesen, daß
nicht nur die Zahl, sondern auch vor allen Dingen
die Form und Größe der Diatomeen durch Kali-
salze und Phosphate beeinflußt wird, indem bei
stärkerem Gehalt an diesen Salzen die Größe der
untersuchten Arten erheblich heraufgesetzt wird
im Verhältnis zu der Größe der gleichen Arten
in Gewässern mit weniger Gehalt an diesen
Stoffen. Leider hat er hier keine ganz genauen
und übersichtlichen Tabellen gegeben. Ähnliche
Resultate für Grünalgen fand R ay s s (Coelastrum).^)
Das, was also von den Pflanzen des Landes gilt,
nämlich, daß sie durch einen größeren Gehalt
ihres Nährmediums an Nährsalzen an Größe und
Zahl zunehmen, gilt auch für die Wasserpflanzen,
soweit sie vom Boden unabhängig sind.
Über die regionäre Verteilung des Kalis und
der Phosphorsäure in unseren Binnenseen wissen
wir zurzeit so gut wie nichts. Über die jahres-
zeitlichen Schwankungen können uns einen aller-
dings sehr oberflächlichen Aufschluß für eine
Gruppe von bestimmten Teichen Zahlen von
Czensny geben, die allerdings mehr zu anderen
Zwecken gewonnen worden sind. Er fand fol-
gende Zahlen in einem fließenden Wasser:^) .-,'
Gehalt von P2O5 im Sachsenhausenfer Zuleitet:
1914
30. April 0,26 mg pro 1
18. Mai o,SS „
15. Juni 0,22 „
13. Juli 0,31
20. Juli 0,61
3. September 0,69 „
1915
12. Juli 0,48 mg pro 1
10. August 0,76 „
7. September 0,87 „
29. September 0,40 „
In den Sachsenhausener Teichen:
1914
30. April 0,30 mg pro 1
18. Mai 0,59
15. Juni 0,25
13. Juli 0,92
20. Juli 0,51 „
3. September 0,70 „
1915
12. Juli 0,57 mg pro 1
10. August 0,83 „
7. September 1,34
29. September 0,39 „
Es scheint also, als wenn der Gehalt des
Wassers an P.iOg im Spätsommer am größten ist.
Ähnlich scheint es sich mit dem Kali zu ver-
halten, doch sind die Zahlen hier noch spärlicher,
da sie sich nur auf einen ganz kurzen Zeitraum
erstrecken. Ich gebe sie nur der Vollständigkeit
halber wieder:
KjO im Zuleiter im Teich
12. Juli 1,43 1,33 mg pro 1
10. August 2,10 2,06 „
7. September 2,40 2,77 „
24. September 2,93 2,75 „
Über den Kalkstoffwechsel im Wasser sind
bisher noch nicht allzu viele Arbeiten erschienen.
Wir wissen jedoch, daß auch der Kalkgehalt
jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt, genau
wie Kohlensäure und Sauerstoff. Auch hier finden
sich Unterschiede im CaO-Gehalt der verschiedenen
Schichten :
Kulk menge im Kuresee
Juni 1906 bis Oktober 1907.-)
Tiefe Temperatur CaO
15. VI. 06 o m I7i3° C 61,0 mg pro 1
12 r2i4 6o,!s
1) Zeitschr. f. Fischerei, N. F., Bd. IV, S. 190 ff.
-) Beiträge zur Kryptogamenflora der Schweiz, J915, 5, 2.
') 1, c.
") J. N. Brönstedt und C. Wesenberg-Lund,
Chemisch -physikalische Untersuchungen der dänischen Ge-
wässer. Intern. Revue für Hydrobiologie und Hydrographie
Bd. IV, 191 1.
N. F. XX.
Nr. 2
N
aturwissensch
ai
Tiefe
Temperatur
CaO
15. VI. 06
i:; m
8,5° C
60,0 mg pro
1
28
0,0
61,8
23. VII. 06
0
17.5
59>o
13
i?,8
59.4
15
9.5
bI,S
27
7.1
64,8
8. VIII. 06
0
19.4
55.0
13
i6,s
59,8^
17
8,2
64,0
31
7.2
64,0
24. VIII. Ob
0
i^,o
5=;,S
13
15,4
55.S
17
15.1
b2,6
30
7.7
63.8
12. IX. 00
0
"5,0
^6,o
13
■5.4
57,0
17
15.'
Sb,2
30
7.7
64,6
S. X. 06
0
12,8
56,2
13
12,8
57,2
17
12,,S
57.4
30
7.4
19. X. 06
0
II, S
58,0
13
II.5
58.2
17
".5
5'J.o
32
7.3
64,4
13. XI. ob
0
S.4
59.5
13
8,4
59,0
24
8,4
59.0
30
^.3
58.4
10. XII. 06
0
^.2
59.4
13
5.2
58,8
24
5.2
58,0
30
5.2
5S,4
Wenn ich zu Beginn meines Vortrages gesagt
habe, daß der Nährstoff, welcher sich im Wasser
im Minimum befindet, für das Gedeihen der
Wasserpflanzen maßgebend ist, so gilt naturgemäß
ein gleiches Gesetz nicht in dieser Form für die
Tiere. Aber dennoch hängt auch die Zusammen-
setzung der Fauna eines Gewässers nicht zuletzt
ab von dem Vorhandensein resp. Fehlen der not-
wendigen Nahrungsstoffe oder besser Nahrungs-
organismen. Wenn ich sage Nahrungsorganismen,
so meine ich nicht durchweg Organismen als
lebende Individuen, sondern auch die Reste der-
selben, ja auch ihre Extraktionsstoffe usw. Wenn
wir die Tierwelt eines Gewässers betrachten , so
können wir dieselbe nach Art der systematischen
Zoologie einteilen oder aber wir sondern sie nach
den einzelnen Biozönosen, den einzelnen Lebens-
gemeinschaften. Nun müssen wir zwar jedes Ge-
wässer als eine Biozönose selbst auffassen, ge-
wissermaßen als einen Organismus für sich. Den-
noch hat jedes Gewässer wiederum seine Biozö-
nosen niederer Ordnung. Es sind dies die Ufer-
region, die Bodenregion und die Region des freien
Wassers. Am ausgeprägtesten sind die Biozö-
nosen zweiter Ordnung an den Seen. Wir wollen
auf den tierischen Stoffhaushalt im Sinne der
Ernährung der Tiere etwas mehr eingehen. Zu-
nächst ist da festzustellen, daß, wenn auch die
Tier- und Pflanzenwelt der einzelnen Regionen
jede für sich ihre Charakteristika aufweisen, den-
25
noch mannigfache Wechselbeziehungen zwischen
ihnen bestehen. Als besonders für uns wichtige
Tierformen möchte ich da zuerst auf die Fische
eingehen. Wir sehen, daß die Mehrzahl derselben
zur Laichzeit die Uferregion oder doch die flachen
Stellen aufsucht, um dort den Laich abzulegen.
Die Jungfische selbst halten sich in dieser gut
durchwärmten Region auf und erst später, wenn
sie eine gewisse Größe erreicht haben, verteilen
sie sich auf die ihrem erwachsenen Stadium eigen-
tümliche Region. Der Hecht bleibt im allgemeinen
in der Nähe des Ufers, der Blei sucht mehr die
Bodenregion auf, der Zander geht in das freie
Wasser. Nicht jede Art jedoch sucht eine be-
stimmte Region auf, sondern manche Arten sind
bald in der einen bald in der anderen Region.
Als Beispiel hierfür nenne ich den Uklei. Wir
kennen Ukleibestände, welche sich am Ufer auf-
halten und solche, welche im freien Wasser leben-*)
Beim Barsch unterscheiden wir nach seinem
Aufenthaltsort, den Krautbarsch, den Jagebarsch
und den Tiefenbarsch. Diese drei können wir an
ihrer Farbe unterscheiden. Der Krautbarsch zeigt
einen messingenen Ton, der Jagebarsch mehr
einen helleren Ton, der Tiefenbarsch einen dunk-
leren Ton.-) , :, ;• ,.
Entsprechend diesen verschiedenen Aufenthalts-
orten ist nun auch die Ernährungsweise der ein-
zelnen Lokalformen verschieden.
Wir können sagen, daß wir über die Qualität
der gesamten Nahrung unserer wichtigsten mittel-
europäischen Süßwasserfische gut orientiert sind,
weniger gut über die Quantität. Die Unter-
suchungen von iSusta, Schiemenz, Hofer,
Arnold, Walteru. a. haben uns in dieser
Hinsicht genügend aufgeklärt. Zunächst habein
diese Untersuchungen gezeigt, daß die alte Auf-
fassung, der Fisch seihe das Wasser einfach durch
und benutze alles das, was an seinem Reusen-
apparat an tierischen und pflanzlichen Organismen
hängen bleibt, als Nahrung, falsch sind. Wir
wissen, daß der Fisch jedem einzelnen Nahrungs-
tier besonders nachstellt und es sich aus den
übrigen Organismen heraussucht. Wir haben er-
kannt, daß nicht jedes niedere Tier im Wasser
für den Fisch eine gleichermaßen geeignete und
begehrte Nahrung darstellt, sondern, daß wir
unterscheiden müssen, zwischen einer Hauptnah-
rung, einer Gelegenheitsnahrung und einer Not-
nahrung.^) Nur dort, wo die Hauptnahrung in
einem Gewässer in genügender Menge vorhanden
ist, gedeiht der Fisch und wächst gut ab. Wo
diese nicht vorhanden ist, kann zwar an ihre
Stelle die Notnahrung treten, der Fisch fristet
dann aber ein kümmerliches Dasein, er wächst
entweder nur wenig weiter oder überhaupt nicht
mehr. Die Fortpflanzung läßt häufig ebenfalls
') Schiemenz, P. , Mitt. Fischerei- Vereins f. d. Prov.
Brandenburg Bd. V, H. II.
2) Schiemenz, P., ibid. Bd. XI, H. I.
') Schiemenz, P. , Deutsche Fischerei. Zeitung 1909,
AUgcm. Fischerei-Zeitung 30. Jahrg. S. 323.
26
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
nach, kurz und gut der Bestand eines Gewässers
an dieser Fischart nimmt ab, und sie verschwindet
schließlich ganz und gar aus dem Gewässer. Auf
dieser Erkenntnis beruht die ganze moderne
Fischereiwirtschaft.
Es ist bekannt, daß wir nach dem Ernährungs-
modus unsere Süßwasserfische einteilen in Raub-
fische, Kleintierfresser und Pflanzenfresser, sog.
Grünweidefische. Zu den Raubfischen gehören
der Hecht, Zander, Barsch, Quappe und z. T. der
Aal. Kleintierfresser sind alle diejenigen, welche
von den niederen tierischen Organismen leben.
Die Grünweidefische sind bei uns nur in geringer
Artenzahl vertreten. Es sind dies nur das Röt-
auge und unter Umständen die Plötze, diese leben
auch weniger von den höheren Pflanzen, als
hauptsächlich von dem sog. Aufwuchs, den Epi-
phyten der Unterwasserpflanzen, also vornehmlich
den festsitzenden Kieselalgen und Grünalgen.
Diese alte Einteilung der Fische nach ihrer Er-
nährung, die besonders unter den Praktikern sich
noch allgemeiner Anerkennung erfreut, genügt
jedoch den modernen Anschauungen der Fischerei-
biologie nicht mehr. Denn einerseits leben die
Jugendformen der Fische von anderen Organismen
als die älteren Stadien, andererseits fressen ein-
zelne Arten bald so, bald so, oder gar sie trennen
sich gewissermaßen in Rassen auf Grund ihrer
Ernährungsweise, die Verhältnisse können dabei
noch ziemlich einfach liegen, sie können aber
auch verwickelter sein.
Der Hecht ist ein Beispiel für die einfache
Form des Nahrungswechsels. Der junge Hecht,
welcher in den flachsten Teilen der Uferregion
lebt, ernährt sich von den Crustaceen der Ufer-
region und zwar bilden seine Hauptnahrung die
Cladoceren: Eurycercus lamellatus, Simocephalus
vetulus, Chydorus sphaericus, während die Kope-
poden kaum oder nur als Notnahrung gefressen
werden. Sobald der Hecht aber eine gewisse
Größe erreicht hat, was bereits im ersten Sommer
in der Regel geschehen wird, so verlegt er sich
auf den Raub anderer Fische, die seiner Größe
entsprechen.
Anders der Barsch, bei ihm müssen wir ge-
wissermaßen drei Stadien der Ernährung unter-
scheiden. I. Das Jugendstadium, etwa der erste
Sommer, in dem er sich ebenso ernährt wie der
junge Hecht, nämlich von den Uferformen der
Cladoceren, im zweiten und dritten Jahre dagegen
wird er nicht sogleich Raubfisch, sondern benutzt
vor allen Dingen die Amphipoden und Isopoden,
also Gammarus pulex, Carinogammarus roeselii
und Asellus aquaticus als Nahrung. Daneben
nimmt er auch Phryganidenlarven und einzelne
Molluskenarten, vor allen Dingen Bythinia. Erst
nach dem dritten Jahr wird der Barsch zum Raub-
fisch. Hier besteht insofern noch eine Unklarheit,
als es mir notwendig zu sein scheint, noch ein
viertes Stadium anzunehmen, nämlich das kurz
nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei. Man findet
nämlich in dem Darm der kleinsten Barsche
häufig Vertreter aus der Algengruppe der Konjur
gaten, die zur Familie der Desmidiaceen gehören.
So wurden von mir Closteriumarten gefunden.
Zuweilen finden sich auch Protococcoideen, z. B.
Scenedesmusarten im Darm als Inhalt vor. Sollte
sich in der Tat zeigen, daß die Pflanzen als Haupt-
nahrung in dem allerjüngsten freilebenden Stadium
genommen werden, und dies nicht nur vereinzelte
Fälle sind, so würde der Barsch vier verschiedene
Ernährungstypen durchmachen. Er würde vom
Pflanzenfresser zum Phyllopodenfresser, dann zum
Amphipoden-, Isopoden- und Molluskenfresser und
schließlich zum Raubfisch werden, gerade die Er-
nährung der Jugendstadien unserer Nutzfische im
Süßwasser ist noch ziemlich unerforscht, was
wohl darauf zurückzuführen ist, daß es noch bis-
her keine Bestimmungstabellen der Jugendstadien
gibt, und eine Kennzeichnung der Larvenformen
in der Regel erst möglich ist, wenn sie die end-
gültige Körperform und vor allen Dingen bei den
Weißfischen die Afterflosse typisch ausgebildet
haben. Diese beiden Fische mögen als ein Bei-
spiel angeführt werden, wie die Ernährungsweise
in den verschiedenen Altersstadien eine verschie-
dene ist.
Der Aal, soweit er im Süßwasser lebt, mag
ein Beispiel sein für Fische, welche sich nach ihrer
Ernährungsweise in zwei verschiedene körperlich
unterschiedene Rassen trennen. Wir unterscheiden
zwei Formen des Süßwasseraals, den Breitkopf und
den Spitzkopf. Die Unterschiede in der Körper-
form sind so groß, daß man geglaubt hat, zwei
besondere Arten von Aalen unterscheiden zu
müssen. Schon von Schiemenz ist vor Jahren
behauptet worden, daß der Breitkopf sich im
wesentlichen als Raubfisch von anderen Fischen
ernähre, während der Spitzkopf von niederen
Tieren, vor allem der Larve der Zuckmücke
(Chironomus), dem Schlammröhrenwurm (Tubifex)
und Mollusken wie Sphaerium, Gulnaria und
Dreissensia lebe. Es hat sich hierüber in der
Fischereibiologie ein heftiger Streit entsponnen,
welcher schließlich der Schiemenzschen Ansicht
zum Siege verhelfen hat.
Auch der Uklei ist in zwei verschiedene
Ernährungsformen zu trennen.
Die eine Form ist durch ihren Aufenthalt in
Flüssen und in der Uferregion der Seen gekenn-
zeichnet. Sie ernährt sich vorwiegend von der
sog. Luftnahrung, d. h. von den in das Wasser
fallenden Luftinsekfen, eine andere Form lebt im
freien Wasser der Seen und lebt ausschließlich
von planktonischen Organismen.
Als ein Beispiel für Fische, die als Individuen
selbst mit der Nahrung wechseln, erwähne ich
die Plötze und in geringem Maße auch die Rot-
feder. Beide nehmen als Hauptnahrung sowohl
pflanzliche Organismen als auch — vor allem die
Plötze — tierische Organismen und zwar in allen
Altersstadien auf. Ich hatte bereits gesagt, daß
N. F. XX. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
vor allem als pflanzliche Nahrung die Aufwuchs-
pflanzen in Frage kommen, als tierische Nahrung
kommen im wesentlichen einige Mollusken, be-
sonders Valvata piscinalis und Sphaerium in
Betracht.
Es geht also aus dem Gesagten hervor, daß
die Nahrung unserer Fische nicht einfach derart
ist, daß sie alles fressen, was ihnen vor ihr IVIaul
kommt, sondern, daß sie eine Auswahl treffen.
Weiter geht aber noch hervor, daß das so viel
gepriesene Plankton, dem man früher eine so
überragende Rolle für die Ernährung unserer Fische
zuschrieb, diese Rolle durchaus nicht spielt. E)s
sind eigentlich nur verhältnismäßige wenige Fisch-
arten, die wir als Planktonfresser bezeichnen können.
Das sind außer dem erwähnten Uklei des freien
Wassers vor allem die kleine Maräne, der Stint
und der junge Zander, während der erwachsene
Zander vom Raub anderer Fische, im wesentlichen
des Stintes lebt. In Süddeutschland sind einige
Coregonenarten Planktonfresser. Aber auch das
Plankton wird nicht beliebig gefressen, sondern es
wird auch hier eine Auswahl unter den Orga-
nismen getroffen ; so findet man in manchen
Seen in dem Darm des Stintes reine Leptodora
hyalina-Massen , auch der junge Zander sucht
diese, wenn möglich, als einzige Hauptnahrung
auf. Aus den Untersuchungen der Fischerei-
biologen an diesen beiden Fischen wissen wir,
daß Leptodora hyalina, jener räuberische Kruster
des Planktons, durchaus nicht so selten ist, wie
man früher annahm, sondern in bestimmten
Wasserschichten sogar sehr häufig.
Das Bindeglied nun zwischen diesen höchst
organisierten Tieren des Süßwassers und den
Pflanzen bilden die Nahrungstiere, von denen ich
soeben gesprochen habe, soweit nicht direkt
Pflanzen gefressen werden. Es lag nun nahe, daß
die weiteren Untersuchungen der Hydrobiologen
sich mit dem Wege näher beschäftigten, den die
von der Pflanze produzierten organischen Be-
standteile bis zum Fischkörper zurücklegen, eine
Frage, die ja von großer praktischer Bedeutung
ist. In der Tat hat sich eine Reihe von Unter-
suchungen mit der Frage nach der Nahrung der
Fischnährtiere beschäftigt. Vorangegangen ist
hier wieder die marine Hydrobiologie. Aber
auch die Süßwasserforschung hat sich neuerdings
dieser Frage zugewandt, und es hat sich, soweit
sich die bisher spärlichen Resultate verallge-
meinern lassen, gezeigt, daß der Weg von der
Pflanze zum Fischkörper im allgemeinen kein so
überaus komplizierter ist, wie man vielleicht an-
nehmen könnte.') Ein großer Teil der Fischnähr-
tiere lebt direkt von pflanzlichen Stoffen, so daß
nur eine Zwischenstufe besteht. Ein anderer Teil
dagegen lebt von tierischen Organismen oder
deren Resten, so daß hier mehrere Zwischen-
stufen vorliegen. Wir können auch die Nährtiere
der Süßwasserfische einteilen, wie es Rauschen-
pia t für die Seefische getan hat in:
Großpflanzenfresser,
Kleinpflanzenfresser,
Tierfresser :
a) Räuber,
b) Aasfresser,
Pianktonzehrer,
Detrituszehrer.
Zu den Großpflanzenfressern gehören nach
unseren Untersuchungen die Gammariden, zu den
Kleinpflanzenfressern oder, wie ich besser sagen
möchte, Aufwuchsfressern einzelne Arten von
Ephemeriden, Stylaria lacustris, Sida cristallina,
und in einzelnen Gewässern die Wasserassel,
Asellus aquaticus, zu den Räubern die Leptodora
hyalina und Corixa striata, zu den Aasfressern
können unter Umständen sowohl Gammariden
wie Asellus werden, konstante Aasfresser sind
noch nicht unter den Fischnährtieren bekannt ge-
worden. Die Gruppe der Pianktonzehrer könnte
vielleicht besser aufgeteilt werden, in die Tier-
und Kleinpflanzenfresser. Als Detrituszehrer
möchte Einar Naumann") einzelne Cladozeren
des Plantons betrachten. Schiemenz führt
hier auch die Chironomuslarven auf, soweit sie
zu den Schlammbewohnern gehören.
Eins geht jedenfalls aus den bisherigen Unter-
suchungen hervor, daß nämlich die Ernährungs-
verhältnisse der niederen Wassertiere durchaus
nicht so einfach liegen, wie man bisher anzu-
nehmen geneigt war.
') Willer, A., Fischerei-Zeitung Bd. 22, Nr. 48.
'') Kestkrift utvigea av Lunds Universitet vid dess TrS-
hundrafemtioärsjubileum 1918, Lund und Leipzig.
Einzelberichte.
über farbloses (iuecksilberjodid.
Von diesem Stoff sind bisher nur zwei Formen
bekannt. Im allgemeinen als prächtige, rote,
quadratische Kristalle bekannt, wandelt sich der
Stoff beim Erhitzen auf 126—127" i" leuchtend
gelbe rhombische Kristalle um, die beim Ab-
kühlen langsam wieder rot werden. Man hat es
hier mit einem Schulbeispiel der Enantiotropie
zu tun, das im übrigen keine Besonderheiten
bietet. Nun sind aber die Jodide der mit dem
Quecksilber in die gleiche Gruppe gehörenden
Metalle Cadmium und Zink farblos, und es
ist bisher in keiner Weise eine Farbigkeit wie
die der Quecksilberverbindung bekannt geworden.
Tammann hält nun den Analogieschluß für be-
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
rechtigt, daß a u c h das Quecksilberjodid farb-
los sein könne, ebenso wie unter den geeigneten
Bedingungen auch die andern hierher gehörigen
Jodide umgekehrt farbig auftreten mögen. Den
Beweis für diese Möglichkeit hält der Forscher
für das Quecksilberjodid in der Tat für geliefert.')
Wenn er nämlich 10—20 g des Stoffes in
einem schwer schmelzbaren Glasrohre auf 300
bis 350" erhitzte, so trat, wie immer, Sieden des
Stoffes und unzersetztes Verdampfen ein. Wurde
der Dampf alsdann in eine Vorlage geleitet, in
der der Druck plötzlich auf 0,1 Atm. erniedrigt
werden konnte, so trat die Kondensation in auf-
fälliger Form ein. Der Stoff fiel dann in feinster
Verteilung „als farbloser Schnee" nieder, der in
wenigen Sekunden rosarot und nach einigen Mi-
nuten rot wurde. Mit jeder Druckerniedrigung
trat neue Schneebildung auf T a m m a n n glaubt,
daß dieser Schnee die vermutete farblose Modi-
fikation des Quecksilberjodids darstellt. Würde
man sie hinreichend abkühlen, so wäre sie viel-
leicht längere Zeit beständig, und man könnte
durch eine Bestimmung die Modifikation näher
charakterisieren und sie in Beziehung zu den
anderen bereits bekannten Formen des Stoffes
setzen. —
Für die Richtigkeit der wiedergegebenen Be-
funde bürgt ohne weiteres der Name des hervor-
ragenden Forschers. Zu ihrer Auswertung jedoch
möchte ich mir einige kritische Bemerkungen er-
fauben. Zunächst muß daran erinnert werden,
daß man das Quecksilberjodid in fast weißer
Form erhalten kann, wenn man eine ziemlich
stark alkoholische Lösung von Quecksilberchlorid
mit Kaliumjodidlösung fällt. Infolge der äußerst
feinen Verteilung des Niederschlages ist die ihm
eigentlich zukommende Farbe für uns nahezu
gleich reinem Weiß, eine Erscheinung, die ja
auch an anderen farbigen Niederschlägen be-
obachtet werden kann. Dieser anfangs gebildete
Niederschlag des gelben Jodids färbt sich dann,
zumal im Sonnenlicht, innerhalb weniger Augen-
blicke rot. Wie denn überhaupt bei jeder Aus-
fällung des Jodides zuerst immer die an und für
sich bei gewöhnlicher Temperatur unbestän-
dige gelbe Form fällt, eine auch sonst stehende
und thermodynamisch auch erklärliche Erschei-
nung. Bis zu einer genauen Bestimmung der
für die Tammann'sche Modifikation gültigen
Eigenschaften ist mithin die Möglichkeit vor-
handen, daß auch bei ihr es lediglich die feine
Korngröße des schneeigen Kondensats sei,
die dem Beobachter dieses als „weiß" erscheinen
läßt. Zumal der Umstand, daß der „farblose
Schnee" sofort in rosaroten Beschlag über-
geht, macht diese Annahme wahrscheinlich. Auf
Grund der bisherigen Erfahrung sollte mindestens
als momentane Zwischenstufe auch eine gelbe
Verfärbung auftreten. Bei Farbphänomenen
dieser Art ist, zumal in der Gruppe der ge-
') Ztschr. f. anorganische Chemie; 109, S. 213 {1920J.
nannten Metalle, weiterhin zu berücksichtigen, in
wie hohem Grade solche von Temperaturein-
flüssen abhängen; vergleiche die starke Gelb-
färbung des Zinkoxyds beim Erhitzen, die
nicht auf einer neuen Modifikation beruht! Und
schließlich ist der Schluß anfechtbar, weil Queck-
silberjodid gefärbt ist, müsse dasselbe für Cad-
mium und Zink gleichfalls gelten, und umgekehrt.
Quecksilber bildet so viel stärkst farbige Ver-
bindungen, daß es in dieser Beziehung mit den
beiden Metallen gar nicht zu vergleichen ist.
Hier liegt meines Erachtens das eigentliche
Problem. Hans Heller.
Mistel und Birubaum.
Die auffällige Erscheinung, daß die Mistel auf dem
Birnbaum im allgemeinen selten auftritt, während
der Apfelbaum eine ihrer besten Wirtspflanzen ist,
war von E.Heinrich er vor einigen Jahren auf
Grund neuer Versuche in einer Abhandlung be-
handelt worden, die in den Denkschriften der
Wiener Akademie, Math.-naturw. Kl., Bd. 93, 1916,
erschienen ist. Er hatte drei Gruppen von Birn-
bäumen mit bezug auf ihre Empfänglichkeit gegen
Mistelbefall unterschieden: echt immune, unecht
immune und nicht immune. Echt immun sind
danach solche Bäume, an denen die Mistelkeime
absterben, ohne daß an den Bäumen merkbare
Krankheitserscheinungen auftreten, unecht immun
solche, die unter der Einwirkung der Mistelkeime
einen Krankheitsprozeß durchmachen, dem aller-
dings infolge der Abstoßung von Borkenschuppen
oder ganzer Zweige auch die Misteln selbst
zum Opfer fallen, und nicht immun solche, an
denen die Mistelkeime sich weiter entwickeln,
ohne daß anfangs schädigende Einwirkungen sicht-
bar werden. Heinricher hatte u. a. beobachtet,
daß unecht immune Birnbäume sich bei einer
zweiten oder dritten Infektion (mit Ausnahme
eines noch zu besprechenden Falles) wie echt
immune verhielten, so daß das Überstehen der
ersten Infektion zu ihrer Immunisierung geführt
zu haben scheinen. Andererseits wurde an einem
Baume, auf dem von zehn ausgelegten Mistel-
samen zwei sich zu Pflanzen entwickelten, der
aber nach zwei Jahren Krankheitserscheinungen
zeigte und die Misteln wieder ausmerzte, bei er-
neuter Infektion keine Immunität festgestellt, viel-
mehr kam nunmehr eine größere Zahl von Mistel-
pflanzen als vorher zur Entwicklung, woran aller-
dings, wie die Beobachtungen der letzten Jahre
ergaben, ein Teil abstarb; wie bei der ersten In-
fektion setzten auch bei der zweiten erst um die
schon zu Büschen gewordenen Pflanzen jene Re-
aktionen ein, die zu ihrer Beseitigung führten.
Heinricher schließt nun, daß durch Pfropfung
von Zweigen dieses Birnbaumes auf WildHnge
oder andere geeignete Unterlagen sich leicht
Birnbäume würden erziehen lassen, auf denen
sich die Mistel entwickeln könnte, und er meint,
daß möglicherweise in solchen Pfropfungen eine
N. F. XX. Nr. i
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
29
Erklärung gebotea wäre für die Tatsache, daß in
gewissen Gegenden, wie in der Cöte-d'Or und
in Luxemburg, die Birnbaummistel häufig sei.
Das erwähnte Absterben der Misteln falle nicht
ins Gewicht, da die Infektionen in seinen Kultur-
versuchen an jungen Bäumchen und an den Haupt-
achsen ausgeführt wurden, wo die Misteln schäd-
licher wirkten und eher der Ausmerzung unter-
lägen, als in der freien Natur, wo sie sich ge-
wöhnlich in der Krone ansiedelten ; hier ge-
fährdeten sie das Leben des Baumes und ihr
eigenes viel weniger und könnten sich leichter fort-
entwickeln. In einem der Versuche mit unecht
immunen Bäumen hat sich, wie bereits angedeutet,
herausgestellt, daß der Baum durch die erste In-
fektion noch nicht immun geworden war, daß
aber die Reaktion auf die zweite Infektion erst
nach längerer Zeit und dann sehr heftig auftrat.
Die Erscheinung war derart, daß sie nach An-
sicht Heinrichers nur durch Giftwirkung zu
erklären ist und seine Annahme von der Er-
weckung von Antitoxinen durch das Misteltoxin
zu stützen geeignet ist. „Man gewinnt den Ein-
druck, daß durch die erste Infektion im Baum ein
Antitoxin entstanden war, das zunächst die Wir-
kung des Mistelgiftes hemmte und so eine Re-
aktion verzögerte. Zwischen Antitoxin und Toxin
entbrannte gewissermaßen ein Kampf um das
Übergewicht, der endlich zugunsten des Toxins
ausfiel und dessen verzögerter, aber gründlicher
Sieg dann in der außergewöhnlich starken Re-
aktion seinen Ausdruck fand." (Zeitschrilt für
Pflanzenkrankheiten Bd. 30, 1920, S. 41 — 51).
F. Moewes.
Dauer der Spät- und Postglazialzeit.
Für die absolute Dauer der Spät- und Postglazial-
zeit und der zugehörigen Kulturen haben bekannt-
lich die hervorragenden nordischen Geologen d e
GeerundSernanderunddie deutschen Forscher
Keilhack, Penck und Menzel u. a. m. eine
Reihe von rein zahlenmäßigen Angaben aufge-
stellt, um dadurch klare Vorstellungen über das
wahre Alter und die Dauer dieses Zeitabschnittes
zu ermöglichen. Wohl hatten die von diesen
Forschern ermittelten Zahlen im wesentlichen die
Zustimmung aller in Betracht kommenden Geo-
logen gefunden. Demungeachtet sind gerade in
den letzten Jahren mehrfach von archäologischer
Seite diese Zahlen angegriffen worden. Immer
und immer wieder wurde dabei den Geologen
entgegengehalten, daß die von ihnen ermittelten
Zahlen viel zu hoch gegriffen seien und dadurch
eine gänzlich verzerrte, phantastische Vorstellung
von der Erd- und ältesten Menschengeschichte
gäben. Infolge dieser Angriffe hat neuerdings
der Eiszeitgeologe E. Werth seinerseits einmal
eine Nachprüfung dieser Zahlen unternommen.
Bei dieser Nachprüfung kommt Werth im Kor-
respondenzblatt der deutschen Gesellschaft für
Anthropologie 51, 1920, S. 7 — 10 zu einer ganzen
Reihe von neuen wertvollen Beobachtungen, welche
die Beachtung der weitesten Kreise verdienen.
Für die Dauer des Rückzuges des Eises von
der südschwedischen Eisrandlage über die mittel-
schwedische bis zur Eisscheide, d. h. bis zum
Ende der Eiszeit, hatte de . G e e r bereits auf
Grund seiner Untersuchungen der Eismeertone
5000 Jahre angenommen. Für die Postglazialzeit
selbst hatte er einen Wert von 7000 Jahren ein-
gesetzt. Mit der ersten Angabe erklärt sich
Werth einverstanden, während ihm die zweite
zu gering erscheint. In der Frage nach der Post-
glazialzeit schließt sich Werth vielmehr mit
Menzel an Keilhack an, welcher allein für
diese Zeitspanne vom Höhepunkte der Litorina-
senkung bis heute auf 7000 Jahre kommt. Der
Höhepunkt der Litorinasenkung aber deckt sich
nach unserem Wissen ziemlich genau mit der
Grenzzeit zwischen dem sog. Mesolithikum und
dem Vollneolithikum. Zu diesen 7000 Jahren
hätten wir dann noch die Zeit des Mesolithikums
hinzuzurechnen, um die absolute Zeitdauer der
Postglazialzeit zu erhalten. Für dieses Mesolithi-
kum glaubt Werth weitere 4000 Jahre annehmen
zu müssen. Damit gelangen wir dann für die
gesamte seit der südschwedischen Eisrandlage bis
heute verstrichene Zeit auf 16000 Jahre.
Dieselbe Zahl hatte bereits 1894 A. Heim
auf Grund eines experimentell für eine bestimmte
Zeitspanne festgestellten Sedimentationswertes be-
rechnet, die das die ehemalige Schwyzer Bucht
des Vierwaldstätter Sees abdämmende Delta der
Muota zu seiner Aufschüttung gebraucht hat.
Der von Heim gefundene Wert von etwa
16000 Jahren bezeichnet zugleich die Zeit, die
bis heute seit dem Penckschen sog. Bühlstadium
des sich zurückziehenden eiszeitlichen Gletschers
verflossen ist. Die zugehörigen Bühlmoränen finden
sich nach Penck und Brückner bei demjenigen
der alpinen Moränengebiete, in welchen ein typi-
sches Zentralbecken zur Ausbildung gelangt ist
(Rosenheimer Becken, Bodensee, Genfer See), erst
oberhalb dieser Becken abgelagert. Bereits 191 2
hatte es jedoch Werth wahrscheinlich zu machen
gesucht, daß der Zone dieser großen Becken im
Alpenvorlande die große, im weiteren Vorlande
des skandinavischen Gebirgsstockes sich hinziehende
Depression der Ostsee, der großen russischen
Seen und des Weißen Meeres mit der Onega-
Dwina- und Mesenbai entspricht. Wir hätten da-
mit die dem alpinen Bühlstadium entsprechenden
Moränen des nordeuropäischen diluvialen Eises
erst nördlich der Ostsee in einem der schwedischen
Endmoränenzüge zu suchen. Für das Alter der
südlichsten Gruppe derselben waren oben im
Minimum 16 000 Jahre angesetzt. Beide Zahlen-
angaben stimmen also ungefähr überein.
Auch ein absolutes Alter für den Beginn der Ab-
schmelzperiode des letzten eiszeitlichen Gletschers
in seinem Maximalstande hat Werth zu errechnen
versucht. Für die Gletscherrückzugsbewegung an
sich vom Maximalstande der letzten Vereisung
3ö
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 2
bis zur südschwedischen Eisrandlage hat er dabei
nach dem Vorgange von Menzel 4000 Jahre
eingesetzt. In diese Zahl hatte jedoch Menzel
die zahlreichen auf diesen Weg entfallenden Still-
standslagen miteingesetzt ; ebenso hatte auch de
Geer die schwedischen Stillstandslagen ohne
Störung in seine Jahreszählungen hineingezogen.
Mit dieser Einrechnuiig der Stillstandslagen in die
4000 Jahre kann sich jedoch Werth nicht ein-
verstanden erklären. Seiner Überzeugung nach
dürfte eine derartige Einreihung für Norddeutsch-
land nicht angängig sein, da sich die schwedischen
Eisstillstandsmarken quantitativ in keiner Weise
mit den entsprechenden Bildungen in Norddeutsch-
land vergleichen lassen; nirgends in Schweden
kenne man z. B. die durch massige Häufung von
Eisrandbildungen (Endmoränenzüge) entstanden zu
denkende Moränenlandschaft (Grundmoränenland-
schaft), wie sie in Norddeutschland die beiden
baltischen Eisrandlagen in breiter Zone begleitet
und auch sonst auftritt. Diese Moränenlandschaft
stelle entweder die Marken zahlreicher unmittel-
bar aufeinanderfolgender Stillstandslagen dar oder
bezeichne die Zone einer längere Zeit oszillieren-
den Gletscherfront. Jedenfalls deute sie auf eine
ganz erhebliche Verzögerung der Gesamtrück-
gangsbewegung hin. Die Gesamtheit dieser zahl-
reichen Stillstandslagen auf den dänischen Inseln
und in Norddeutschland (bis zur äußersten Jung-
moräne) berechnet Werth auf wenigstens 4000
Jahre. Diese zu den 4000 Jahren glatter Rück-
zugsbewegung hinzugerechnet ergeben also 8000
Jahre für die Abschmelzung des Eises (der letzten
diluvialen Eiszeit) von seinem Maximalstande bis
zum südschwedischen Halt. Da dieser letztere
nach den vorhin gegebenen Zahlen 16000 Jahre
zurückliegen soll, so würde die Zeit des be-
ginnenden Rückzugs (der Beginn der Abschmelz-
periode) mit 16000 und 8000 = 24 000 Jahren
anzusetzen sein.
Mit diesen Zahlen lassen sich die von N ü e s c h
auf Grund der Ablagerungen des Schweizersbildes
bei Schaffhausen gewonnenen Daten vergleichen.
Nüesch hat hier fünf verschiedene Schichten
unterschieden, von denen die oberste 40 bis 50 cm
starke Humusschicht Metallreste der Bronze- und
Eisenzeit führte, während die tieferen Schichten
der jüngeren und die tiefsten der älteren Stein-
zeit angehörten. Nüesch schätzte nun die Bil-
dungsdauer der obersten Metallschicht gemäß dem
für die Bronzezeit angenommenen Alter auf
4000 Jahre und berechnete danach die Ablage-
rungszeit der sechsmal so starken gesamten
Schichtenfolge des Schweizersbildes auf 24000 Jahre.
Wenn wir diese Zahl nach oben zu einem Viertel-
hunderttausend abrunden, so haben wir Aussicht,
auch noch die Lokalschotter mitberechnet zu
haben, die die Kulturschichten des Schweizers-
bildes unterteufend diese von den der benachbarten
Maximalstandmoräne ausgehenden fluvioglazialen
Schottern trennen, und gelangen damit chronolo-
gisch an den Beginn der Abschmelzperiode (Spät-
glazial). Für diesen Zeitpunkt haben wir oben
24000 Jahre erhalten. Damit würde dann die
Schweizersbildsche Schätzung übereinstimmen, und
zwar nicht nur in der Gesamtzififer, sondern auch
in den Ziffern für die einzelnen betrachteten Unter-
gruppen.
Wir können demnach den Beginn der Spät-
glazialzeit rund 25000 Jahre zurückrechnen. Für
diese 25000 Jahre würde sich dann die folgende
Chronologie ergeben:
Spätglazial = Abschmelzzeit des letzteiszeitlichen
Gletschers =Magdalenien 23000 — 9000 v.Chr.
Ancylus- und Litorinaperiode = Mesolithikum
(Campignien) 9000— 5000 v. Chr.
Vollneolithikum 5000 — 2000 v. Chr.
Metallzeit 2000 v. Chr. bis heute.
Wohl weist Werth selber darauf hin, daß
den bei der Berechnung angewandten Methoden
verschiedene Mängel anhaften, und warnt deshalb
selbst, auf solche Zahlen etwa allzuviel Gewicht
zu legen. Aber einmal beruhen die Werth sehen
Angaben doch auf gesunden Grundlagen. Gerade
in der absoluten Zeitbestimmung für die Eiszeit hat
bis jetzt das subjektive Gefühl eine für die Wissen-
schaft allzu gefährliche Rolle gespielt und zu den
widersprechendsten Zahlen geführt. Dieses sub-
jektive Gefühl scheint jedoch in der Werthschen
Arbeit ausgeschaltet zu sein und dafür lediglich die
exakte Forschung zu sprechen. Derartige exakte
Angaben sind aber gerade hochwillkommen , vor
allem für die weiteren, sich für die Eiszeitfragen
interessierenden Kreise. Denn gerade für diese
ist es von besonderem Wert, wenn sie sich nicht
immer mit einer relativen Altersangabe für die
einzelnen Perioden und Kulturen zu begnügen
brauchen, sondern auch einmal absolute Zahlen
erhalten können, die ja die Verhältnisse ganz
anders klar legen als komplizierte wissenschaft-
liche Fachangaben.
Wernigerode a. H. Hugo Mötefindt.
Bücherbesprechungen.
Lewin, Kurt, Die Verwandtschaftsbe-
griffe in Biologie und Physik und die
Darstellung vollständiger Stamm-
bäume. Heft 5 der von Prof Schaxel
herausgegebenen Abhandlungen zur theoretischen
Biologie. Berlin 1920, Gebr. Borntraeger. 6,80 M.
In der Physik wird der Begriff der Verwandt-
schaft gewöhnlich für die chemische Affinität be-
nutzt; bisweilen werden aber auch, ohne damit
einen exakten Begriff zu verbinden, ähnliche
Erscheinungen als „verwandt" bezeichnet. Im
ersten Falle handelt es sich um die Vereinigungs-
N. F. XX. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
3*
fähigkeit, in diesem um die Eigenschafts-
ähnlichkeit, wobei sich sofort herausstellt, daß
diese beiden „Verwandtschaften" ganz verschiedene
Beziehungen bestimmen, da ja eben unähnliche
Gebilde sich am leichtesten chemisch zu verbinden
pflegen. — Der in der Biologie verwendete Be-
griff der Blutsverwandtschaft läßt sich mit keinem
der genannten physikalischen Verwandtschaftsbe-
griffe vergleichen; aber trotzdem gibt es auch in
der Biologie Verwandtschaftsbegriffe, welche den
Begriffen der Physik entsprechen, und zwar ent-
spricht die Fähigkeit, gemeinsame Nachkommen
zu erzeugen der chemischen Affinität und die
Typenverwandtschaft der Verwandtschaft als Eigen-
schaftsähnlichkeit. Diese Typen Verwandtschaft
gibt zugleich die „Idee des Systems", da sie nicht
nur diejenigen biologischen Gebilde umfaßt, die
infolge der geschichtlich, d. h. „zufällig" verwirk-
lichten Bedingen tatsächlich entstanden sind, sondern
alle überhaupt möglichen Organismen. Dabei
werden die Typen nach ihrer „Ableitbarkeit"
geordnet, wobei es durchaus unmotiviert erscheint,
an einer Über- und Unterordnung der Typen fest-
zuhalten. „Das Beispiel der Chemie zeigt ja, daß
man mit Sinn von derartigen Ableitungen, z. B.
der aliphatischen Verbindungen aus dem Methan
reden kann, ohne daß man die Stoffart, aus der
die Ableitung erfolgt, also das IVIethan, den abge-
leiteten StofTarten, seinen Derivaten überordnet."
— Man erhält so einen „ideellen" Stammbaum,
einen „Eigenschafts-Stammbaum", im Gegensatz
zu dem generalogischen Stammbaum, welcher die
„Existentialbeziehung" ausdrückt. —
Die Abhandlung, deren Inhalt durch obige
Sätze skizziert werden soll, entstammt einer noch
nicht veröffentlichten größeren, wissenschafts-
theoretisch vergleichenden Arbeit : Der Ordnungs-
typus der genetischen Reihen in Physik, organis-
mischer Biologie und Entwicklungsgeschichte. Die
hohe Bedeutung der vergleichenden Wissenschafts-
lehre erhellt deutlich schon aus dieser vorweg-
nehmenden Veröffentlichung, wobei gerade durch
das Aufsuchen wissenschaftstheoretischer Äqui-
valenzbeziehuugen auch die Unterschiede zwischen
den einzelnen Wissenschaften deutlicher hervor-
treten. Gerade der Begriff der „Verwandtschaft"
in der Biologie hat, besonders seitdem er von der
Deszendenztlieorie übernommen wurde, eine ver-
wirrende Vielseitigkeit erhalten, und jede Unter-
suchung ist zu begrüßen, welche, wie die vor-
liegende, versucht, diese verschiedenen „Verwandt-
schaften" zu entwirren. Vor allem aber ist die
Erkenntnis wichtig, daß Morphologie und Ab-
stammungslehre zwei durchaus getrennte Gebiete
behandeln, daß die morphologische Ableitbarkeit
einer Form aus einer anderen über den genea-
logischen Zusammenhang der beiden Formen gar
nichts aussagt, sondern daß ein solcher Zusammen-
hang immer von Fall zu Fall einzeln bewiesen
werden muß.
Zur Darstellung vollständiger Stammbäume
gibt L. bemerkenswerte Vorschläge für die Aus-
führung chronologischer Stammtafeln,
welche nicht nur die Ahnen eines Probandus,
sondern auch deren Lebensdauer, die Zeit ihrer
Eheschließung, die Zahl der Generationsfolgen und
eventuelle Generationsverluste zur Darstellung
bringen.
Zürich. M. Schips.
Jensen, B., Erleben und Erkennen. Aka-
demische Rede. 53 S. Jena 1920, Gustav
Fischer. Brosch. 3 M.
Die Rede behandelt den in neuerer Zeit wieder
viel betonten Gegensatz zwischen dem gefühls-
mäßigen, „intuitiven" Erleben und dem wissen-
schaftlichen, „nüchternen" Erkennen und kommt
zu dem Schlüsse: „Es läßt sich nur eine Art
von Erkennen nachweisen, die zu klaren, sicheren
Ergebnissen führt und daher den Namen Erkennen
mit Recht trägt. Dieser Erkenntnis erscheint
... die mannigfaltige materielle Welt und die
Fülle des Geistigen mit allen seinen Idealen als
eine untrennbare Einheit, als einheitlicher Kosmos.
Ein Gegenstand vielfältigster . .. mit allen
Gefühlen sich auswirkenden Erlebens, aber
eines einzigen, einheitlichen Erkennen s"
(S. 51). Nach J. ist nämlich nur das als wahres
Erkennen anzusehen, was sich in folgende drei
Phasen zerlegen läßt:
1. Analyse des im Erlebnis kontinuierlichen
Gedankenbildes in einzelne Komponenten
(= „Größen");
2. Feststellung der quantitativen Werte
der maßgebend beteiligten Größen und der Arten
ihrer Beteiligung an dem Zustandekommen der
zu erklärenden Erscheinungen;
3. Ermittlung der Art und Weise, wie jede
zu erklärende Erscheinung durch die maßgebend
beteiligten Größen eindeutig bestimmt ist.
Es ist klar, daß diese Analyse des Erkenntnis-
vorganges nur gilt, wo es sich um die Unter-
suchung quantitativ bestimmbarer Erschei-
nungen handelt; der Nachweis, daß sie auch für
den Bereich der bis jetzt quantitativ nicht restlos
faßbaren, als „geistig" bezeichneten Objekte maß-
gebend sei, wird in der Rede wohl versucht, kann
aber nicht als gelungen bezeichnet werden. Er
lautet (S. 24): „Geistiges kann nachweislich nie
durch Geistiges allein eindeutig bestimmt werden.
Es müssen also zu den Bedingungen, von denen
eine psychische Erscheinung abhängt, stets auch
physische Größen gehören; und das können
nur materielle Änderungen im Zentralnervensystem
sein . . . Womit sich für jedes psychische Ge-
schehen die Frage erhebt: Von welchen Nerven-
prozessen ist es abhängig, wie ist es von ihnen
abhängig und wie wird es durch sie eindeutig be-
stimmt?" Diese Argumentation dürfte sich m. E.
kaum aufrecht halten lassen. Denn wenn Geistiges
wirklich durch psychische und physische
„Größen" bestimmt ist, dann kann die Frage, wie
sie durch physische Größen eindeutig
bestimmt sei, gar nicht gestellt werden, sondern
32
Naturwissenschaftliche Wochenschrift,
N. F. XX. Nr. 2
auch bei dieser Frage müssen psychische und
physische Faktoren berücksichtigt werden.
Der „nicht weiter auflösbare Rest", der auch in
der Auffassung Jensens bestehen bleibt (S. 26 f.)
zeigt, daß auch die qualitative Seite eines
jeden Problems neben der quantitativen nach Auf-
klärung verlangt, sofern wir von Erkenntnis im
vollen Sinne des Wortes reden wollen. Die Frage,
ob wir eine solche restlose Erkenntnis jemals er-
reichen können, ist hier belanglos; sicher ist, daß
wir sie zu erstreben haben und daß wir nicht be-
rechtigt sind, die quantitative, d. h. die gewöhnlich
so genannte „exakte" Fragestellung als allein be-
rechtigt anzusehen, wenigstens so lange nicht, als
nicht bewiesen ist, daß sich alle Qualitäten eines
Körpers bzw. eines Systems von Körpern als
Funktionen seiner Masse darstellen lassen. — Dies
andere freilich kann nie genug betont werden,
daß der Mensch zu allen Zeiten nur zu schnell
bereit war, über das „Wesen" der Dinge nachzu-
sinnen, statt in mühevoller Einzelarbeit die Dinge
erst zu „ermessen". Wir müssen auch jetzt dar-
über klar sein, daß wir noch viel zu wenig
„Physik" wissen, als daß wir mit Aussicht auf
Erfolg „Metaphysik" treiben könnten. In diesem
Sinne war es sicher verdienstlich, den Wert des
quantitativen Erkennens gegenüber dem viel ge-
priesenen „inneren Erleben" festzustellen.
Zürich. M. Schips.
Wolf, Dr. B., Landgerichtsrat, Justitiar der Staat-
lichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen,
Das Recht der Naturdenkmalpflege
in Preußen. Mit Unterstützung des Mi-
nisteriums für Wissenschaft, Kunst und Volks-
bildung und mit Benutzung amtlicher Quellen.
313 S. Berlin 1920, Gebrüder Bornträger.
Während die Rechtsverhältnisse der eigent-
lichen Denkmalpflege wiederholt eingehend be-
handelt worden sind, haben sich die Juristen um
ihre jüngere Schwester, die Naturdenkmalpflege,
weniger bekümmert. Der Gegenstand verdient
gerade in der gegenwärtigen Zeit, wo die deut-
schen Landschaftsbilder und Naturdenkmäler mehr
als je durch Ausbeutung aller Art bedroht sind,
nicht geringere Aufmerksamkeit als die Pflege der
Bau- und Kunstdenkmäler. Ohne Kenntnis der
Gesetze und Verordnungen aber, die bei der
Durchführung der Naturdenkmalpflege zu berück-
sichtigen sind, gleichen die Bestrebungen, sie im
einzelnen auszuüben, häufig dem „Jagdhund ohne
Spur". Das Buch von Dr. Wolf, das als Band 7
der von H. Conwentz herausgegebenen „Bei-
träge zur Naturdenkmalpflege" erschienen ist, gibt
hier die bisher vermißte Belehrung. Es behandelt
nach einer Übersicht über die Grundbegriffe und
die Organisation der Naturdenkmalpflege die ein-
schlägigen Verfügungen der Ministerien, Re-
gierungen, Schul- und Kirchenbehörden, General-
kommissionen usw., um dann in seinem Haupt-
teil die mit reichlichen Erläuterungen versehenen
Gesetze, die zu ihrer Ausführung bestimmten An-
weisungen sowie ein Verzeichnis der auf ihnen
beruhenden Polizeiverordnungen und Bekannt-
machungen zu geben. Die Darstellung beschränkt
sich aber nicht auf die gesetzlichen Bestimmungen,
die für die Naturdenkmalpflege im engeren Sinne
in Betracht kommen, sondern sie zieht auch alle
Vorschriften heran, die für die verwandten Ge-
biete des Heimatschutzes in Frage kommen. So
sind nicht nur die sog. Verunstaltungsgesetze von
1902 und 1907, sondern auch die für den Schutz
des Orts- und Landschaftsbildes wichtigen Vor-
schriften des neuen Wohnungsgesetzes vom 28.
März 191 8 mitgeteilt und erläutert. Sonst werden
außer dem Strafgesetzbuch u. a. Wassergesetz,
Ausgrabungsgesetz, Berggesetz, Feld- und Forst-
polizeigesetz, die Waldwirtschaftsgesetze, die Jagd-
ordnung, das Vogelschutzgesetz, Fischereigesetz,
soweit sie für den Gegenstand in Betracht kom-
men, behandelt. Im letzten Abschnitt wird die
Sicherung der Naturdenkmäler durch Rechtsge-
schäft und Enteignung erörtert. Ein sorgfältiges
alphabetisches Sachverzeichnis erleichtert das Nach-
schlagen. Alle, die sich aus Neigung oder Beruf
mit Natur- und Heimatschutz beschättigen, finden
in dem Buche wertvolle Belehrung; wer sich vor
die Lösung praktischer Fragen gestellt sieht, wird
es nicht entbehren wollen. F. Moewes.
Literatur.
Mez, Prof. Dr. C. , Das Mikroskop und seine Anwen
düng. Handbuch der praktischen Mikroskopie. 12., umge
arbeitete Aufl. Mit 495 Tcxtfig. Berlin '20, J. Springer.
Pauli, Prof. Dr. Wo., Kolloidchemie der Eiweißkörper
I. Hälfte. Mit 27 Textabb. Dresden und Leipzig '20, Th
Steinkopf. 10 M.
Penck, Prof. Dr. W. , Der Südrand der Puna de Ata
cama (NW-Argentinien). Abh. d. Math.-Phys. Kl. d. Sachs,
Akad. d. Wissensch. Bd. XXXVII, Nr. I. Mit 9 Tafeln^
I Karte und 17 Textfig. Leipzig '20, B. G. Teubner. 30 M
Lassar-Cohn, Prof. Dr., Ad. Stöckhardts Schule der
Chemie. 22. Aufl. Mit 200 Abb. u. I färb. Tafel. Braun-
schweig '20, F. Vieweg. 24 M.
Ulbricht, Dr. K., Das Kugelphotometer. München u.
Berlin '20, P. Oldenburg. 24 M.
Doflein, Prof. Dr. Fr., Mazedonische Ameisen. Mit
10 Textabb. u. 8 Tafeln. Jena '20, G. Fischer. 14 M.
Hertwig, Prof. Dr. A., Elemente der Entwicklungslehre
des Menschen und der Wirbeltiere. 6. Aufl. Mit 438 Text-
abb. Jena '20, G. Fischer. 30 M.
Walther, Prof. Dr. Joh., Vorschule der Geologie.
7. Aufl. Mit 123 Abb. Jena '20, G. Fischer. 12 M.
Inhalt: A. Willer, Aus dem Stoffhaushalt unserer Gewässer. (4 Abb.) S. 17. — Einzelberichte: G. Tammann, Über
farbloses Quecksilberchlorid. S. 27. E. Heinricher, Mistel und Birnbaum. S. 28. E. Werth, Dauer der Spät- und
Postglazialzeit. S. 29. — Bücherbesprecbungen: K. Lewin, Die Verwandtschaftsbegriffe in Biologie und Physik und
die Darstellung vollständiger Stammbäume. S. 30. B. Jensen, Erleben und Erkennen. S. 31. B. Wolf, Das Recht
der Naturdenkmalpflege in Preußen. S. 32. — Literatur: Liste. S. 32.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstrafie 41, erbeten.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Päfz'schen Buchdr, Lippert & Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folge 20. Band;
der ganzen Reihe 36, Band.
Sonntag, den i6. Januar 1921.
Nummer 3.
Bemerkungen zur Entstehung und Besiedlung des Trockentorfs.
[Nachdruck verboten.]
Von M. Kästner, Frankenberg i. S.
Inhaltsübersicht: a) Die veralteten Anschauungen.
b) Die Waldbodenflora als Verhinderer der Trockentorfbildung.
c) Die Waldbodentlora als Zerstörer des Trockentorfs, d) Gegen-
überstellung der alten und neuen Auffassung, e) Ergebnisse.
Die folgenden Ausführungen bringen nichts
neues. In der neuesten (3.) Auflage von E. Ra-
manns „Bodenkunde" (Berlin 191 1) kann man
S. 197, 208, 469 ff. und 475 f. fast alles hier Vor-
gebrachte in zusammengedrängter Form finden.
Wenn ich mir trotzdem erlaube, meine Beobach-
tungen zu veröffentlichen, so glaube ich dadurch
gerechtfertigt zu sein, daß in bezug auf ihren
Gegenstand selbst in Fachkreisen noch immer
veraltete Vorstellungen herrschen. Ist doch selbst
die neueste Auflage von Warming-Graeb-
ners „Lehrbuch der ökologischen Pfianzengeo-
graphie" (Berlin 1914 — 1918) in bezug auf die
Frage über die Entstehung des Trockentorfs
(Rohhumus) noch nicht über die Anschauungen
hinausgekommen, die P. E. Müller in seinem
durch gründliche Beobachtungen und vorsichtige
Urteile gleich ausgezeichneten Werke „Studien
über die natürlichen Humusformen und deren
Einwirkung auf Vegetation und Boden" (Berlin
1887) bereits in den Jahren 1878, 1884 und 1887
ausgesprochen hat. Das Gleiche gilt von
Graebners „Pflanzenwelt Deutschlands" (Leipzig
1909). Ich habe im Gegenteil den Eindruck, als
seien mehrere Ansätze zu einer neuen Betrach-
tungsweise, die sich an verschiedenen Stellen der
„Studien" finden und von denen im folgenden
noch die Rede sein wird, unbeachtet geblieben.
Nur bei R a m a n n sah ich — wie gesagt — meine
Erfahrungen bestätigt.
a) Die veralteten Anschauungen.
Bei Warming-Graebner lesen wir S. iiof.:
„Rohhumus (Trockentorf . . .) ist eine ,Torfbildung
auf dem Trocknen', eine schwarze oder schwarz-
braune, torfartige Masse, die von dicht verfilzten
Pflanzenresten, nämlich von Wurzeln, Rhizomen,
Blättern, Moosen, Pilzhyphen u. a. gebildet wird . . .
P. E. Müller spricht in der deutschen Ausgabe
seiner Studien von Heidetorf, Buchentorf, Eichen-
torf. Besonders gewisse Pflanzenarten bilden
Rohhumus, weil sie sehr dünne, zahlreiche und
stark verzweigte Wurzeln (oder Rhizoiden) aus-
bilden, die gerade an der Bodenoberfläche liegen
und die Pflanzenreste in einen dichten Filz' ver-
weben; solche Arten sind z. B. Rotbuche, Cal-
luna, Vaccinium myrtillus, Picea excelsa. Die
meisten dieser Pflanzen besitzen Mykorrhizen, die
sicher die Verfilzung befördern." „Es finden sich
in ihm nur wenige Tiere, meistens Rhizopoden
und Anguilluliden, aber keine Regenwürmer.
Rohhumus tritt im Walde besonders an den dem
Winde ausgesetzten Stellen auf, während sich der
gewöhnliche Humus mit seinen Regenwürmern
und anderen Tieren an die frischen und ge-
schützten Stellen hält ; wenn gewöhnlicher Humus
in einem Buchenwalde durch ungünstiges Holz-
fällen und ähnliches in Rohhum.us übergegangen
ist, so kann sich die Buche nicht weiter ver-
jüngen, sie verschwindet und macht in vielen
Fällen der Calluna-Heide Platz." Und noch kürzer
S. 113: „Der Übergang vom gewöhnlichen
Humusboden zu Rohhumus wird dadurch her-
vorgerufen; daß I. sich Pflanzen mit dicht ver-
filzten Wurzeln einfinden, 2. die Tiere, insbe-
sondere die Regenwürmer, verschwinden, so daß
der Boden nicht durchgearbeitet wird, 3. die
Bodenteile, namentlich die Sandkörner, zusammen-
sinken, wodurch der Boden fester und luftärmer
wird."
Ähnlich äußert sich Graebner in seiner
„Pflanzenwelt Deutschlands" S. 186 über die Ent-
stehung des Trockentorfs im Laubwald. Nachdem
er von der lockeren Lagerung des Fallaubes im
geschlossenen Walde gesprochen hat, fährt er
fort: „Sobald aber der Wald durch Ausholzung
usw. zu licht wird, sobald Sonne, Wind und Regen
direkt die Bodenoberfläche berühren, findet leicht
eine Verdichtung des Humus statt, die Verwesung
tritt, wohl infolge der plötzlichen Temperatur-
und Feuchtigkeitsschwankungen, zurück und die
Humusbildung wird ausgiebiger. Zugleich finden
sich Moose und zwar polsterbildende Arten wie
Dicranum und Leucobryuvi an, die stets schlechten
Rohhumus im Gefolge haben. Auch schon so-
bald die Bäume ohne Unterwuchs hoch und
breitkronig werden, treten infolge der Luftbe-
wegung unter ihnen usw. ähnliche Verhält-
nisse ein."
Auch für die Entstehung des Fichtentorfs
macht er a. a. O. S. 209 zunächst die Moosbil-
dung verantwortlich, indem er sagt: „Eine dicke
Moosdecke schon läßt die Verwesung zurück-
treten und befördert die Humusbildung, unter
ihr findet man stets reichlichen Humus, gebildet
aus den Resten des Mooses und dem Abfall des
Baumes." Im folgenden freilich kommt er der
hier vertretenen Ansicht sehr nahe, ohne aber zu
erkennen zu geben, daß es sich um den grund-
legenden Vorgang aller Trockentorf bildung
handelt. „Aber", fährt er fort, „auch ohne viel
Moos, wenn letzteres z. B. in sehr dichten (dunklen
u
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
Fichten-)Wäldern zurücktritt, geht im Nadelwalde
oft eine ganz andere Humusbildung vor sich, als
im Laubwalde. Es scheint überhaupt, als ob die
Nadelstreu (wohl wegen des Harzgehaltes) sich
schwerer zersetzt als die meiste Laubstreu, auch
auf den Haufen in Gärten bleibt ihre Struktur
länger erhalten . . . Das Zurücktreten der Ver-
. wesung gegenüber der Humusbildung braucht
nur gering zu sein, es braucht nur wenig mehr
Humus alljährlich erzeugt zu werden, als durch
die Tätigkeit der Verwesungsorganismen ver-
arbeitet wird, als in die anorganischen Rohstoffe
inkl. Kohlensäure und Wasser aufgelöst wird, so
bringt diese wenn auch zunächst nur unbe-
deutende Ansammlung von Humus bald sekun-
däre Erscheinungen mit sich. Der Humus wird
bald sauer, durch mehr oder weniger starken Ver-
lust der Struktur setzt er sich fest zusammen,
namentlich bei dem jetzt erfolgenden Zurück-
treten der den Boden durchwühlenden Tiere, der
Regenwürmer, Käfer, Käferlarven usw." Und
weiter: „Unter für die Humusbildung günstigen
Verhältnissen kann eine sehr erheblich dicke
Humusschicht auch ohne starke Moosbildung ent-
stehen, in dichten Fichtenwäldern beispielsweise
kann sie oft über 3 dm Dicke erreichen."
Die ziemlich allgemein verbreitete Ansicht
über die Entstehung des Trockentorfs geht also
dahin : Ursache der Bildung von Trockentorf ist
einesteils das Auftreten von Flachwurzlern mit
dichtem, verpilztem Wurzelgeflecht und von
Moosen, andernteils der vermehrte Zutritt von
Sonne, Wind und Regen zum Waldboden, wie
ihn Durchforstung des Waldes oder Kahlheit zur
Folge haben.
b) Die Waldbodenflora als Ver-
hinderer der Trockentorfbildung.
Dem gegenüber möchte ich betonen, daß
Trockentorf in meinem Beobachtungsgebiet ledig-
lich von den Waldbäumen gebildet wird und
zwar immer dort, wo ein Mißverhältnis besteht
zwischen der Laub- und Nadelschüttung und den
diese Abfallmassen zerstörenden Mächten. Als
solche kommen in erster Linie die meisten Gräser,
Kräuter und Stauden des Waldbodens in Frage.
Sie sind gewissermaßen die Vortruppen in dem
unübersehbar großen Heer der Mächte, deren
Aufgabe es ist, den toten Abwurf der Wald-
bäume wieder in einfachere Pflanzennährstoffe
zurückzuverwandeln. Sie leiten diese Arbeit ein,
indem sie durch ihre Wurzeln und vor allem
durch die alljährlich hervorbrechenden ober-
irdischen Triebe die Bodenstreu, die durch die
winterliche Schneedecke zusammengepreßt worden
war, wieder lockern. Wer ein einziges Mal be-
obachtet hat, welch kräftige Arbeit die jungen
Triebe von Anonone nemorosa, Rammculus
ficana, Mcrcurialis pereimis, Corydalis cava u. a.
leisten, der wird von der Bedeutung dieser Tätig-
keit für die Lockerung der Bodenstreu überzeugt
sein. — In dieser Hinsicht ist sicher auch die
Wirkung der zahllosen Sporenträger der höheren
Pilze nicht zu unterschätzen.
Auch verhindern die oberirdischen Teile der
Waldbodenflora durch ihr bloßes Dasein eine
gleichmäßige, dichte Lagerung der fallenden
Blätter und Nadeln. — Hier ist besonders der
Moose zu gedenken. Ihre Polster verhindern, wie
man in jedem Fichtenwalde beobachten kann,
ganz augenscheinlich die Erhöhung der Streu
durch neue Nadelschüttung; denn während auf
benachbarten moosfreien Stellen die verklebte
alte Streu mit einer 2 — 3 cm mächtigen Schicht
junger Fichtennadeln bedeckt ist, liegen auf dem
Moosteppich nur einzelne Nadeln verstreut. Da-
von aber, daß die Moospolster den Verlust an
Nadelstreu ausgleichen, indem sie selbst abge-
storbene Teile zur Trockentorfdecke liefern, kann
gar keine Rede sein. In dieser Hinsicht sind be-
sonders lehrreich die rundlichen, bleichgrünen
Kissen von Leucohryum glauctim. Sie vergrößern
sich mehr seitswärts als aufwärts. Auf der Seite,
nach der ein solches Kissen wächst, liegen die
bis unten mit toten Blättern dicht besetzten Moos-
stämmchen fast wagerecht. Die gesamte, bis
2 cm dicke Moosschicht ist nicht durch Rhizoiden
verfilzt. An den Stellen des Waldbodens, über
die die Pflänzchen hinweggeschritten sind, findet
man ihre weißgrauen Reste von neuem mit
Nadelstreu überdeckt. Leiicobryuni beteiligt sich
also anscheinend an der Vermehrung der trocken-
torfbildenden Masse. Aber die Restschicht ist
kaum noch '/.^ cm stark, und die Moosstämmchen
sind in kurze Stückchen zerfallen. Der Beitrag,
den sie zur Masse der toten Bodendecke liefern,
ist also gegenüber dem Fichtenabwurf nur gering-
fügig. Jedenfalls ist er wesenthch geringer als
der Verlust an Nadelstreu ausmacht, den der
Waldboden an den von lebenden Kissen besetzten
Stellen erleidet, denn dort kann sich keine Nadel-
streu halten. So kommt es auch, daß die Kissen
sich nur wenig über die ringsum wachsende
Nadelstreu erheben.
Emporheben der Laubstreu durch hervor-
brechende Triebe und Verhinderung ihres Zu-
sammensetzens durch die bereits vorhandene Wald-
bodenflora wirken in gleichem Sinne. Der Sauer-
stoff der atmosphärischen Luft erhält Zutritt zu
den Abfallmassen, so daß deren chemischer Zer-
fall beschleunigt wird. Gleichzeitig wird ver-
hindert, daß die Streudecke den Erdboden von
der atmosphärischen Luft abschließt. So erhalten
Regenwürmer und andere Bodentiere und die
Wurzeln der ausdauernden Gewächse Atemluft.
Erstere können nun ihrerseits die Zerkleinerung
der toten Pflanzenreste fortsetzen, letztere sind
nicht gezwungen, ihre Wurzeln in der obersten
Bodenschicht zusammenzudrängen und diese da-
durch zu verfilzen und so das Übel in steigendem
Maße zu verschlimmern. Durch die fast restlose
Aufarbeitung der Abfallstoffe wird auch ver-
hindert, daß der Boden saure Eigenschaften an-
nimmt, was für das pflanzliche und tierische
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
35
Leben im Waldboden vielleicht ebenso bedeutungs-
voll ist, wie die Zufuhr von Atemluft.
Was geschieht aber an den Stellen, wo die
grünen Waldbodenbewohner, diese Pioniere der
Humusaufarbeitung, fehlen? Am häufigsten tritt
dieser Fall in den Fichtenkulturen ein, wo die
Bäume so dicht stehen, daß der Waldboden das
ganze Jahr hindurch nur äußerst spärliches Licht
empfangt. Aber auch im Buchenwalde können
die Verhältnisse so liegen, daß sich keine Boden-
flora zu entwickeln vermag. Die Beschaffenheit
des Laubdaches scheint hier zunächst nicht aus-
schlaggebend zu sein, weil sich auch bei dichte-
stem Zusammenschluß der Kronen infolge der
erst später einsetzenden Laubentfaltung zahlreiche
Frühlingspfianzen entwickeln können, deren ober-
irdische Triebe immer wieder die Laubschicht
des vorigen Jahres emporheben und durch-
brechen.
Wohl aber kann in Bodeneinsenkungen und
Schluchten das Laub zu solcher Höhe aufgehäuft
werden, daß die Frühlingspflanzen nicht zum Lichte
vordringen können. So fand ich auf dem schmalen
Gneisrücken zwischen zwei tief eingeschnittenen
Bachtälern folgende Verhältnisse. Während der
größte Teil des Bodens keine Laubdecke und in-
folgedessen auch nur eine messerrückenstarke,
schwarzbraune, dichte Humuskruste zeigte, war in
flachen Kesseln und Rinnen das Laub offenbar
unter Beteiligung des Windes um so höher auf-
gehäuft. Hier fand ich unter 15 cm lockerer,
trockener Buchenlaubstreu 10 cm Buchentorf.
Die obersten 6 cm waren geschichtet, zeigten
nach unten zu immer dunklere Töne von braun
und festere Packung und ließen mit abnehmender
Deutlichkeit Blattreste erkennen. Die unteren
4 cm zeigten sich als eine schwarzbraune, un-
deutlich geschichtete Masse, die von Buchen-
würzelchen und Pilzfäden mäßig, aber keinesfalls
so durchsetzt war, daß man auf den Gedanken
kommen konnte, ihre Dichtigkeit rühre in erster
Linie von der Durchwurzelung und Durch-
spinnung mit Pilzfäden her. Darunter befand
sich graurosae, lehmige Verwitterungserde von
Augengneis. Außer Buchensämlingen, deren
Keimwurzel durch die ganze 25 cm mächtige
Masse von Pflanzenresten hindurch den Mineral-
boden erreichte, trug der Boden keine Pflanze.
Daß zum Zustandekommen solcher Anhäufungen
geschlossener Buchenwald gehört, ist selbstver-
ständlich.
An solchen unbegrünten Stellen des Laub- und
Nadelwaldes breitet sich der Abwurf des Wald-
daches, durch Unterholz, hohes Gestände, niedriges
Geblätt, Grasbüschel, Blattkleinpflaster und Moos-
polster nicht behindert, als zusammenhängende
Decke über den Waldboden aus. Jeder Gewitter-
und Landregen, vor allem aber die Schneedecke
des Winters durchfeuchtet die Masse und drückt
sie zusammen. Im Frühjahr bleibt sie in ihrer
verdichteten Form liegen und empfängt eine neue
Auflage von Knospen, Schuppen, Blättern und
Nadeln. — Auf frischen Böden finden Pilzmycelien
hier geeignete Lebensbedingungen. Durch das
Eindringen in die Pflanzenreste heften sie diese
aneinander und erhöhen so die Dichte der Masse.
Aber weder sie noch die zahlreichen winzigen
Tierchen aus dem Geschlecht der Milben, Tausend-
füßler, Urinsekten (z. B. Campodeiden) usw., deren
einige man bei Lupenvergrößerung oder unter
dem Mikroskop in jedem ccm besonders der
jüngeren und jüngsten Schichten findet, vermögen
des Reichtums Herr zu werden.
So häufen sich die Massen Jahr für Jahr. Die
älteren Schichten zeigen immer weniger erkenn-
bare Reste von Fichtennadeln und Buchenblättern,
Die zerkleinerten Massen setzen sich um so dichter
zusammen. Ob bei dieser Zerkleinerung rein
chemische Vorgänge (Selbstzersetzung ohne oder
mit nur geringer Beteiligung des atmosphärischen
Sauerstoffs) oder mikroskopisch kleine Lebewesen
die Hauptrolle spielen, ist kaum zu entscheiden,
hat aber m. E. für die Entstehung des Trocken-
torfs nur untergeordnete Bedeutung. Jedenfalls
kann infoge der dichten Lagerung nicht genügend
Sauerstoff zugeführt werden, so daß es nicht zur
Verwesung oder Vermoderung der organischen
Verbindungen kommt, sondern eben zur Torf-
bildung. — Regenwürmer mögen sich anfangs an
der Zerkleinerung der Abfallmassen beteiligt
haben. Mit zunehmendem Abschluß des Erd-
bodens von der atmosphärischen Luft, vielleicht
auch mit zunehmendem Sauerwerden des Boden-
wassers aber gingen ihnen die Lebensbedingungen
aus.
Im ganzen erhalten wir also den Eindruck,
daß Trockentorf dann entsteht, wenn die Gesamt-
heit der humusverarbeitenden Kräfte mit der Zu-
fuhr an Abfallstoffen nicht Schritt zu halten ver-
mag^
Eine Andeutung meiner Auffassung finde ich
bereits bei M ü 1 1 e r S. 234 (auf Seite 33 in der vor-
liegenden Arbeit angeführt Ij, doch bezieht sich
die Stelle nur auf die Verarbeitung des Abwurfs
durch Gliederfüßler. Ebenso sei hier nochmals
auf die S. 33 erwähnte Arbeit Graebners über
die teilweise Entstehung des Fichtentorfs hinge-
wiesen.
c) Die Waldboden flora als Zerstörer
des Trockentorfs.
Überall, wo der Waldboden sich dauernd be-
grünen kann, unterbleibt die Trockentorfbildung. i)
Daß man trotzdem so oft unter Moospolstern und
Grasdecken Trockentorf findet, erklärt sich folgen-
dermaßen. Der Trockentorf ist auf die eben ge-
schilderte Weise im geschlossenen Walde bei Ab-
•J Vgl. dazu Müller S. 292 : „Auf frischem, namentlich
lehmigem Boden sind die offenen Stellen und die Säume der
Bestände, besonders an der Nordseite derselben mit einer
üppigen Vegetation krautartiger Pflanzen , namentlich von
Gräsern bedeeist, und eine nähere Untersuchung ergibt, daß
der Boden mit Regenwurmexkrementen bedeckt ist und sich
überhaupt in einem physikalisch günstigen Zustande befindet."
36
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
Wesenheit der Bodenflora entstanden. Später
werden durch Naturgewalten oder menschliche
Eingriffe Lücken in das Walddach gerissen. Auf
den belichteten Stellen siedeln sich Moose, Gräser,
Riedgräser, Simsen, Heidekraut, Heidelbeere und
wenige andere Pflanzen wie MajantJicmum und
Trientalis an, die nur auf Trockentorf stehen. —
So fand ich in der Nähe von Frankenberg in
Sachsen in 300 m Meereshöhe und 50 m über
der nahen Zschopautalsohle auf Gneisboden im
Rest eines ehemals ausgedehnteren Buchenwaldes,
dem einzelne Fichten eingestreut sind, in einer
flachen Mulde unter lockerer oder wenig verklebter
Laub- und Nadelstreu 5—8 cm schwarzbraunen,
fest zusammengebackenen, wenig durchwurzelten
Trockentorf auf hellgelbem Lößlehm, der mit ein-
zelnen Stöcken von Calamagrostis aritiidi/iacca,
Aira flcxitosa, Athyrhnn Füix fcmina, kleinen
Flecken von Vaccimnin myrtülits und gerade in
diesem Jahre (Ende Mai 1919) zahllosen Keim-
pflanzen der Rotbuche besetzt war. Beim Aus-
graben der Calamagrosfis-^Vi%c\\A zeigte sich der
Trockentorf im Bereich des dichten Wurzelschopfes
völlig aufgelockert, während er in der unmittel-
baren Umgebung der Pflanzen unversehrt war.
Die gleiche Erscheinung konnte ich unter den
Pelzen von Aira flexuosa feststellen. Hier war
an ringförmigen Stöcken *) der Trockentorf unter
der leeren Mitte des Ringes tiefer hinab zerstört
als unter den lebenden Teilen. Die Stöcke des
Frauenfarns Athyrium Filix feviina zeigten zwi-
schen der Hauptmasse ihres dicht zusammenge-
faßten, schwarzen Wurzelschopfes keinen Trocken-
torf. Derselbe reichte in ungelockertem Zustande
nur von außen heran. Die Pflanzen waren also
älter als der Trockentorf. Die stricknadeldicken
Wurzeln der Buchenkeimlinge durchsetzten die
Trockentorfschicht auf kürzestem Wege, um in
den Lößlehm zu gelangen. Die derben Grund-
achsen von Vacci)num viyrtillus lagen fast aus-
schließlich in der Bodenstreu. Von ihnen aus
gingen in größeren Abständen feinverzweigte
Faserwurzeln, die sich zwischen dem in Zersetzung
begriffenen Buchenlaub wagerecht ausbreiteten
und kleine Flächen desselben von Fünfmarkstück-
bis Handtellergröße verklebten. Mit ihrem Gewirr
hin- und hergeschlängelter Fäserchen waren sie
bei oberflächlicher Betrachung von den Blattader-
netzen, denen sie sich anschmiegten, kaum zu
unterscheiden. Den jährlichen Zuwachs der
Grundachsen stellte ich mit 30 und mehr cm
fest : bei der geringen oberirdischen Vergrößerung
eine ganz beträchtliche Leistung. Dabei lagen
die neuen Triebe oft dicht neben den alten oder
verzweigten sich fischgrätenartig, so daß auch
hier der Gedanke der Trockentorflockerung nicht
ganz von der Hand zu weisen ist. Den feuchten
') Die Pflanze verjüngt sich immer wieder dadurch, daß
aus den niederliegenden Grundgliedern der alten Halme neue
Triebe nach aufien und oben wachsen. Dabei stirbt der
Stock im Innern allmählich ab, so daß aus dem Büschel
schließlich ein Ring wird.
Grund der flachen Mulde deckte unter einer klei-
nen Lichtung die Flut von Carcx brizoides. Am
Rande des Bestandes ergab der Einstich 2 cm
schwarzbraunen, speckigen Trockentorf auf stren-
gem, feuchtem, weißgrau ausgebleichtem Lößlehm.
Innerhalb des Bestandes war der Torf samt den
oberen 3 cm des Lehms durch das derbe Grund-
achsengeflecht der Pflanzen ein wenig gelockert.
In der Folge habe ich diese Beobachtungen
an zahlreichen anderen Stellen der Umgebung
Frankenbergs nachgeprüft und dabei folgendes
gefunden. Im dicht geschlossenen jüngeren
Fichtenwald, wo der Lichtgenuß das ganze Jahr
hindurch so gering ist, daß sich keine Boden-
flora entwickeln kann, lag unter einer dünnen,
lockeren Nadelstreu und einer i — 2 cm hohen
Schicht krümelig zersetzter Nadeln ein dunkel-
brauner, ungeschichteter Trockentorf, der an wenig
geneigten Stellen eine Mächtigkeit bis zu 27 cm
erreichte. Der Torf macht, mit der Lupe be-
trachtet, ganz und gar nicht den Eindruck einer
.verfilzten, sondern einer sandkuchenartig zusammen-
gebackenen, mürben, dunkelbraunen Masse, die
mit zahllosen winzigen, glashellen und daher deut-
lich unterscheidbaren Quarzsplitterchen (wahr-
scheinlich Staubteilchen) vermengt ist und sich
leicht auseinanderbrechen und zerkrümeln läßt.
Erst unter dem Mikroskop erkennt man, daß auch
zarte Pilzfäden die Humusteilchen auf kurze Ent-
fernung lose miteinander verspinnen. Auf größe-
ren, noch geformten organischen Resten verdichten
sie sich oft zu zarten Geweben. — Anderwärts ist
bereits die ältere, in Zersetzung begriffene Nadel-
streu in 2 cm Mächtigkeit unter 2 — 3 cm jüngerer,
lockerer Streu durch Pilzfäden so versponnen, daß
sie sich als zusammenhängende Decke abheben
läßt. Unter solchen Decken ist dann auch der
Trockentorf etwas stärker verfilzt. Wieder an
anderen Stellen verleihen Fichtenwürzelchen mit-
tels ihrer Pilzwurzel Teilen des Trockentorfs einen
höheren Grad von Zusammenhalt, wobei seine
Gesamtdichte sehr gering sein kann. Einen Grund
für diese verschiedene Entwicklung konnte ich
nicht entdecken. Jedenfalls hing die Mächtigkeit
des Trockentorfs von dem schwächeren oder
stärkeren Auftreten von Pilzfaden oder Pilzwurzeln
nicht ab.
Unter kleinen Lücken im Walddach stellen
sich Moospolster ein. Auf frischem Boden über-
ziehen Teppiche, aus Dicramim, Brachythecinvi,
Mumm liornum u. a. gemischt, eine zentimeter-
starke alte, wohlerhaltene Nadelstreu, unter der
dunkelbrauner Fichtentorf liegt. Ein Vergleich
mit benachbarten moosfreien Stellen ergibt, daß
hier wie dort die ältere Nadelstreu von Pilzfäden
zu einer zusammenhängenden Decke versponnen
und daß auch der Trockentorf ziemlich reichlich
von ihnen durchzogen ist. Unter dem Teppich
aber ist die Erscheinung besonders innerhalb der
Nadelstreu augenscheinlich stärker entwickelt.;
Jedenfalls hält sich der Boden unter dem Moos-
teppich feuchter als ohne diesen Schutz, so daß
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
37
sich das Pilzfadengeflecht reicher entwickeln
kann. Von einer Erhöhung der Abfallstoffe durch
das Moos selber ist nichts zu sehen.
In einem schlagreifen Fichtenbestande, wo der
feinsandige Boden mit einem offenen Büschelwuchs
von Aira flexiiosa bedeckt war, hatte der dichte
Filz der zwirnfadendünnen, aber zugfesten Aira-
Wurzeln die 2 cm mächtige Trockentorfdecke
und die obenaufliegende Schicht der Halmreste
so vollständig zerkleinert, daß sich beides wie
feines Mehl leicht ausklopfen ließ. Der reine
Wurzelkörper blieb dann als eine weiche, werg-
artige Masse übrig. Im oberen Teil derselben
waren mehrere wagerecht oder aufwärts streichende
Würzelchen zu bemerken, die durch ihre hellere
Farbe und durch spinnfadenzarte, krause Wurzel-
härchen von mehr als I mm Länge auffielen
(Tauwurzeln?). Auch an den Stellen, über die
Aira Pflanzen hinweggeschritten waren , erwies
sich der Trockentorf vollständig gelockert. Von
einer Erhöhung des Humus durch ^/>(?- Reste
war nichts zu sehen, obgleich unter den lebenden
Stöcken die abgestorbenen Halme oft bis 5 cm
hoch übereinanderlagen. Diese wohlgeschichtete
Masse von Stengeln und Blattscheiden war so
locker und trocken, daß der zersetzende Sauerstoff
der atmosphärischen Luft jedenfalls leicht ein-
dringen kann. Nur einige wenige Blattscheiden-
fasern auf dem nicht mehr bedeckten Fichtentorf
deuteten an, daß Aira ehemals hier gestanden
hatte. — Das nordwärts gerichtete, aus Glimmer-,
Chlorit- und Hornblendeschiefer (hm) bestehende
linke Zschopaugehänge oberhalb der Lichtenwalder
Hofwiese trägt einen Laub- und Nadelmengwald,
der gegenwärtig stark gelichtet ist. Der flachere
Gehängeteil (20") trägt auf einer 4 — 14 cm mäch-
tigen Schicht von sandkuchenartig zusammen-
gebackenem , schwarzbraunem Trockentorf einen
offenen Großbüschelwuchs von Calamagrostis
ariindinacea mit Aira flcxiiosa, Luzula neviorosa,
Majanthemum bifoliiun und Vaccininm myrtilhis.
Unter jedem Calama^ rostis-^\i&c\\z\. ist der Trocken-
torf in Pulver umgewandelt. Bei größerer Mäch-
tigkeit des Torfs ist die Auflockerung oben gründ-
licher durchgeführt als unten, z. B. waren bei
14 cm Dicke des Trockentorfs nur die oberen
6 cm völlig zerkrümelt. Sicher spielt hierbei das
Alter des Büschels eine Rolle. Die Calainagrostis-
Pflanzen haben sich wahrscheinlich erst nach der
Lichtung des Waldes angesiedelt, und die Lichtung
besteht noch nicht so lange, daß die Wurzeln die
mächtigeren Stellen der Trockentorfdecke hätten
vollständig zerstören können. In jedem Falle
dringen sie aber bis in den Verwitterungsboden
vor. Auch Aira flcxiiosa hat erst vor wenigen
Jahren seine trockentorfauflockernde Tätigkeit
begonnen. Zunächst gewinnt man allerdings
den Eindruck, als ob die Pflanze durch ihr
ebenfalls bis in die Verwitterungserde vor-
dringendes, feines Wurzelgespinst an der Ver-
dichtung des Humus zu Trockentorf schuld wäre.
Aber zahlreiche sorgfältige Vergleiche mit benach-
barten unbesiedelten Stellen haben mich doch
davon überzeugt, daß eine wenn auch geringe
Lockerung des Trockentorfs bereits eingetreten
ist. Und außerdem beweisen ja die erwähnten
Befunde an anderen Stellen, daß die Pflanze den
Trockentoif völlig zu zermürben vermag. Sie
arbeitet eben weniger rasch als Calamagrostis, da
ihre Wurzeln wesentlich dünner sind und zunächst
auch weiter auseinanderstreben als die ihrer Stand-
ortsgenossin. Auch Luzula itemorosa und Majan-
themuin bifüliuni versuchen, mit ihren wagerecht
kriechenden Grundachsen den Trockentorf zu
lockern, halten sich aber bei dickerer Bodenstreu
mehr an diese. Anderwärts, so am rechten Steil-
gehänge (35") des Saubachtals unterhalb P'ranken-
berg habe ich aber gesehen, daß auch Luzula
ucniorosa eine 2 — 6 cm mächtige Trockentorf-
schicht aus Buchen- und Fichtenabfällen unter
I — 2 cm verklebter Laubstreu vollständig gelockert
hatte. Ebenso konnte ich am rechten Gehänge
(25 ") der Parkschlucht oberhalb Lichtenwalde be-
obachten, daß die Grundachsen von Alajaiilheinum
eine 5 cm mächtige Trockentorfschicht kreuz und
quer durchkrochen und zu zerstören im Begriff
waren. Die Laub- und Nadelstreu, an die sich
die Pflanze sonst gern hält, war hier freilich nur
I cm dick und verklebt. — Mit Trockentorf
(5 — 10 cm) ist ferner fast der ganze aus ober-
karbonischen Sandsteinen (co,) aufgebaute obere
Teil des Hofwiesengehänges oberhalb Lichtenwalde
bedeckt. Auch hier wird gegenwärtig Laub- und
Nadelmengwald künstlich verjüngt, so daß sich
Gelegenheit bietet, den Einfluß der Bloßlegung
des Waldbodens auf die Humusdecke zu unter-
suchen. Aber auch hier spricht nichts dafür, daß
der Trockendorf erst infolge der starken Lichtung
entstanden sei. Vielmehr liegen die Verhältnisse
so: Bei der Ausrodung der alten Baumwurzeln ist
die unter dem geschlossenen Walddach vorhanden
gewesene Trockentorfdecke an vielen Stellen zer-
stört worden. An solchen Orten ist der Ver-
witterungsboden nur mit einer messerrückenstarken,
schwarzen Kruste überzogen. Häufig findet sich
hier auch der schmutzigviolette, löschpapierartige
Filz der P'adenalge Zygogoiiiuiii cricetorum Ktz.
var. terrestrc Kirchn. (nach freundlicher Bestim-
mung durch Herrn Prof Dr. S c h o r 1 e r -Dresden). ')
Wo die Trockentorfdecke aber unverletzt geblieben
ist, wird sie durch Aira flexuosa zermürbt, und
zwar ist der Vorgang schon ziemlich weit fortge-
schritten. Große Flecke tragen auch Polster von
') An zahlreichen anderen Stellen meines Beobachtungs-
gebiets sind solche bei der Veijüngung aufgerissene und um-
gestürzte Waldböden je nach ihren Feuchtigkeits- und Licht-
verhältnissen mit Massenwuchs von Airaflsxuosa, Calamagrostis
ariindinacea, Luzitla nemorosa, Festuca silvatica, Carex örizoides,
Hohus molliSy Rttbus Idcieus, Senecio Fuchsii^ PrcnaiUhes purpurea,
Epilobinm angtistifoutim, Dicranella hetcromaüa u. a. bestanden.
Ich erwähne das, um nicht die Meinung aufkommen zu lassen,
als besiedelten Aira, Calamagrostis, Lmula, Carex brizoides
u. a. nur den Trockentorf. Im Gegenteil ist festzustellen, daß
sie den aufgebrochenen Waldboden ganz entschieden bevor-
zugen.
38
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
Polytrichum commune. Auch unter ihnen ist der
Trockentorf etwas aufgelocl<ert , aber durch die
Rhizoiden des Mooses und durch Pilzfäden neuer-
dings verfilzt. Daß die Lockerung aber über-
wiegt, beweist der Umstand, daß iiberall junge
Pflanzen von Luzida, Aira und Festuca hetero-
pJiylla die IVIoospolster durchbrechen. Sie werden
das Moos allmählich verdrängen, den Trockentorf
völlig zerkleinern und so wieder günstigere Ver-
hältnisse für anspruchsvollere Waldpflanzen schaffen.
— Zu den Trockentorfzerstörern rechne ich ferner
Molinia coenilea und Nardiis sfricta, von denen
die erstere wohl immer, die letztere gelegentlich
auf Trockentorf wächst. Besonders schön konnte
ich ihre Wirkung feststellen auf trockenem Löß-
lehmboden am rechten Flachgehänge des sog.Stein-
bruchtälchens zwischen Frankenberg und Alten-
hain. Die Pflanzen wuchsen am Fichtenwaldrande
bei SSW- Richtung. Die Trockentorfschicht war
I cm stark und zeigte in der nächsten Umgebung
der Pflanzen deutlich das sandkuchenartige Ge-
präge. Trotzdem die groben, wenig verzweigten
Wurzeln beider Gräser nicht sehr dicht standen
— es handelte sich um kleine Stöcke — , erwies
sich der Trockentorf zwischen ihnen zermürbt,
unter den Moli>na-VQa.nzen so stark, daß man ihn
aus dem Zwischenraum zwischen oberirdischen
Trieben und den im Lößlehm steckenden Teil
der Wurzeln herausblasen konnte. Die Pflanzen
standen dann wie auf Stelzen. Die kurzen, dicht
gedrängten Reste der abgestorbenen oberirdischen
Molima-Tr\A>t waren von den geschlängelten
Wurzeln durch den gelockerten Torf hindurch bis
auf die Oberfläche des Lößlehms gezogen worden,
so daß die Reihe der Sprosse ein wenig schräg
im Trockentorf lag. Auch am rechten Flachge-
hänge des oberen SaubachtRls unterhalb Franken-
berg hatten umfängliche il/<?//;//«-Büschel mit ihren
dichtstehenden Wurzeln eine 3 — 4 cm dicke
Trockentorfschicht gut gelockert. — In noch
kräftigerer Weise durchpflügt Nardus strida lang-
sam den Trockentorf Während aber z. B. Aira
flexuosa den bei seinem Vorwärtsdrängen durch-
schrittenen Raum nicht wieder besiedelt — am
rechten Zschopaugehänge unterhalb Braunsdorf
beobachtete ich häufig, daß Calamagrostis arun-
dmacea diese Stellen besetzt — überlassen Molinia
und Nardus den einmal eroberten Boden nicht
sobald einem Nachfolger, da ihre abgestorbenen
Teile außerordentlich haltbar sind.*) — Am Butter-
berggehänge unterhalb der Lichtenwalder Schloß-
mühle (SSO) und am Braunsdorfer Gneisgehänge (S),
deren Laubholzbestände vor mehr als 15 Jahren
ebenfalls stark gelichtet, z. T. vollständig nieder-
gelegt worden sind, findet man an stark besonnten
und daher beträchtlichen Feuchtigkeitsschwankun-
gen ausgesetzten Stellen den Trockentorf zu einem
nur noch lose zusammenhängenden Pulver zer-
'J Vgl. dazu den Querschnitt durch einen .\ara'i«-Büschel
in Kästner, Wie untersuche ich einen Pflanzenverein? Samm-
lung Biol. Arbeit Heft 7, Berlin u. Leipzig bei Theodor Fisher
1919. S. 37, Abb. 28.
fallen. Im oberen, flacheren Teil des Braunsdorfer
Gneisgehänges (8 — 10*) wird ein 2 — 4 cm mäch-
tiger, nicht sehr fester Trockentorf aus dem Ab-
wurf von Birken, Eichen und Kiefern durch die
Faserwurzeln von Vaccinium niyrfilliis in der oben
geschilderten Weise zusammengesponnen. — In
ähnlicher Weise verhält sich hier Calluna, nur
daß bei ihm die kriechenden Grundachsen fehlen.
Auf lichten Stellen des Fichtenwaldes im oberen
Saubachtal stellte ich auf frischem Boden im Heide-
kraut folgenden Querschnitt fest: 3 — $ cm offenes
Gewirr hauptsächlich aus Fichten — , weniger aus
Heidekrautwürzelchen, teilweise von Pilzfaden-
häuten versponnen und locker von Hypiunn
Sclircberi gedeckt; 4 cm lockerer, grobdurch-
wurzelter Trockentorf; 4 — 5 cm fester, nicht oder
wenig durchwurzelter Trockentorf; darunter die
Erde durch hellere Töne von Braun in Bleicherde
übergehend. Da die 4 cm lockerer Torf keines-
falls erst nach der Ansiedlung des Heidekrauts
entstanden, sondern augenscheinlich alter Fichten-
torf waren, so ist nur die Deutung möglich, daß
auch hier eine Lockerung von Trockentorf vor-
liegt, und zwar durch Heidekraut. Ob das oben
aufliegende, noch gänzlich frische Gewirr von
Fichtenwürzelchen sich einmal zu Trockentorf
verdichten und so die vorhandene Masse ver-
mehren wird, vermag ich nicht zu sagen. — Auf
einer, nahen Fichtenschonung, wo vor der Neu-
bepflanzung der Trockentorf entfernt worden war,
und wo Calluna einen geschlossenen, nur durch
die Flclitenbäumchen unterbrochenen Bestand
bildet, durchdringen dessen Wurzeln die obersten
10 cm des Bodens. Sie gehen von einem kurzen,
senkrechten, sich rasch verjüngenden Erdstamm
wagerecht nach allen Seiten, ohne den mehligen
Boden zu verfilzen; vielmehr läßt sich dieser leicht
aus der wenig verzweigten Wurzelkrone heraus-
klopfen. Die Anregung zu dieser Beobachtung
verdanke ich Herrn Geh. Forstrat Dr. Vater-
Tharandt, der die Liebenswürdigkeit hatte, mir
mitzuteilen, daß Calluna sich am leichtesten und
vielleicht auch am üppigsten auf nicht zu unfrucht-
barem Boden ansiedele, der von Trockentorf
künstlich befreit worden ist
Aira, Calamagrostis, Molinia, Nardus, Carex
brizoides, Luzula nemorosa dringen also mit
ihren Wurzeln durch den Trockentorf hindurch,
bis sie den Mmeralboden erreichen, wobei Luzula
und Carex brizoides mit ihren wagerecht kriechen-
den Grundach'-en anscheinend nur schwächere,
Aira, Calamagrostis, Molinia und Nardus mit
ihren steil abwärts dringenden Wurzeln aber
auch mehr als dezimeterstarke Humusdecken zu
bewältigen vermögen. Dabei wird der Trocken-
torf nach kürzerer oder längerer Zeit vollständig
gelockert und so für anspruchsvollere Pflanzen
wieder bewohnbar gemacht. Die anderen, Heide-
kraut, Heidelbeere, Maja)itliemu7n und Trienfalis,
vermögen mit ihren flachstreichenden Grund-
achsen und Wurzeln in der lockeren Bodenstreu
ohne Zusammenhang mit dem Mineralboden zu
N. F. XX. Nr. ^
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
39
leben. Häufig mag auch für die beiden letzteren
der Fall so liegen, daß sie die Nachsiedler der
oben genannten Trockentorfzerstörer, besonders
von Aira flexuosa sind. Zuweilen beteiligt sich
MaJaiiflieiJiuin an der Lockerung des Trocken-
torfs, doch kommt es bei der Kleinheit der
Pflanze und der geringen Dichte ihrer unter-
irdischen Teile nicht zu einer durchgreifenden
Wirkung. Heidekraut und Heidelbeere dagegen
verfilzen in der Regel die Bodenstreu, lockern
aber den darunterliegenden Trockentorf. Daß sie
aber von sich aus die iWasse des Trockentorfs
wesentlich vermehren könnten, indem sie immer
neuen Abwurf der Waldbäume oder ihre eigenen
Abfälle in den Verfilzungsbereich ziehen, ist mir
nicht sehr wahrscheinlich. Einmal handelt es sich
bei den Standorten dieser Pflanzen um stark ge-
lichtete Stellen, wo der Laub- oder Nadelabwurf
infolge der räumigen Stellung der Bäume stark
eingeschränkt ist, ganz abgesehen davon, daß
fallendes Laub und Genadel den Boden nicht un-
gehindert erreichen kann und so oft ein Spiel
des Windes werden wird. Sodann ist der eigene
Abfall der Pflanzen so unbedeutend, daß er kaum
in Betracht zu ziehen ist. Ob man sie daher als
Trockentorf bildner bezeichnen darf, ist mir höchst
fraglich; ich sehe in ihnen höchstens Trocken-
torferhalter, während Aira, Calamagrosiis, Moliiiia,
Nardus, Carcx brizoides und Lustda nemorosa
Trockentorfzerstörer sind. Aus keinem der beiden
Ausdrücke darf aber geschlossen werden, daß die
genannten Pflanzen auch Trockentorfanzeiger
wären. Ausgenommen hiervon ist nur Molinia.
Die übrigen gedeihen mindestens ebensogut, an-
scheinend sogar besser auf trockentorffreiem
Mineralboden.
Auch den Gedanken der Trockentorfzerstörung
durch grüne Waldbodenbewohner finde ich bei
Müller schon angedeutet, S. 49: „Sowohl in
den Silkeborger (Jüiland) als auch in den nord-
seeländischen Wäldern sieht man schon ein Jahr
oder doch jedenfalls ein paar Jahre, nachdem der
alte Buchenwald auf einem torfbekleideten Terrain
weggehauen ist, den Boden mit Aira flexuosa
vollständig bedeckt. Dieses Gras, das schon in
dem nicht ganz geschlossenen Buchenwald in zahl-
reichen isolierten Haufen vorkam, breitet sich,
wenn das volle Licht auf den Waldboden herein-
gelassen wird, zu einer zusammenhängenden Decke
aus, deren dichtes und zähes Wurzelgewebe mit
den harten nadelspitzen Ausläufern sich in das
Torf hineinbohrt und dasselbe völlig durch-
zieht . . . Ich habe den Torf an einer Stelle im
Gribskov (Seeland) untersucht, welche mit der
dichtesten und üppigsten Vegetation von Aira
flexuosa bedeckt war, und wo diese mindestens
zehn Jahre, wahrscheinlich weit länger, gestanden
hatte . . . Der Obergrund bestand aus ziemlich
stark lehmhaltigem Sande von bedeutender
Mächtigkeit und die zwischen diesem und dem
Torf liegenden Schichten haben anscheinend ganz
denselben Charakter behalten, den sie im Buchen-
walde hatten; aber das Gras erstreckte sein
Wurzelgewirr tief unter die Torfschicht, und
diese selbst hatte eine ihrer Eigentümlichkeiten
in sehr lehrreicher Weise verändert. Die schwarze
Masse war dichter, anscheinend fast strukturlos
und machte den Eindruck eines fetten Schlamms. ')
Aus der mikroskopischen Analyse ergab sich,
daß fast alle die Reste von Blättern, Knospen-
schuppen, Blüten usw., welche der frische Buchen-
torf enthält, zu einem feinen schwarzen Schlamm
umgebildet waren, in dem man zwar die Ele-
mente, welche ihn ursprünglich zusammengesetzt
hatten, noch spüren konnte, wo aber sowohl die
Buchenwurzeln wie die Abfälle fast ganz in eine
seifenartige Masse verwandelt waren. Dieselbe
enthielt, soweit ich sehen konnte, nicht einen
einzigen lebendigen Faden von dem schwarzen
Mycelium, -) aber aus einer unendlichen Menge
kleiner Bruchstücke desselben war zu ersehen,
wie stark es ausgebreitet gewesen war und wie
unverwüstlich dieses Gewebe ist; eine Reihe von
Jahren hat es nicht ganz zu zersetzen vermocht.^)
Allerdings war der Torf noch ungemein reich an
freier Humussäure und der Regenwurm fehlte
noch, aber die Schicht selber war unzweifelhaft
in einem Auflösungszustande; ihre Konsistenz und
Zähigkeit verdankte sie jetzt allein den Gras-
wurzeln, welche sie doch vielfach durchbrochen
und eine Reihe von Insektenlarven, die ich nie-
mals im Buchentorf bemerkt habe und die ohne
Zweifel das Zersetzungswerk fördern, herbei-
gerufen hatten. Ob es der Schmiele und ihrer
Fauna allmählich gelingen wird, diese Torf-
bildung zu zerstören und die Stelle wieder für
Pflanzen und Tiere bewohnbar zu machen, ist
wohl nicht mit Bestimmtheit zu sagen, kommt
mir aber doch sehr wahrscheinlich vor."
Auch der inmitten größerer ßuchentorfgebiete
auftretende „InsektenmuU", von dem Müller
S. 38 — 41 spricht, und den er zunächst „für einen
von Insekten zerteilten Torf" ansehen zu müssen
glaubt, ist wahrscheinlich erst durch die Boden-
flora gelockert worden, ehe ihn die Insekten in
Angriff nahmen, denn aus einer Bemerkung am
Schluß der Seite 40 geht hervor, daß es sich um
begrünten Waldboden handelt. „Die meisten der
Bodenpflanzen des Buchenwaldes können hier
vorkommen, wenn die Schichten größere Mächtig-
keit erreichen; doch scheint die Heidelbeere auf
einem solchen zerteilten Torf gut zu gedeihen."
d) Gegenüberstellung der alten und
neuen Auffassung.
Nach der immer noch herrschenden, P. E.
Müller zugeschriebenen Auffassung spielt bei
der Entstehung des Trockentorfs die Verfilzung
') Wahrscheiolich eine Kolge des feuchten Seeklimas.
Bei uns habe ich diese Erscheinung nicht beobachtet. K.
'^) Der Buchenpihwurzel. K.
') Aber die erhaltende Kraft des Trockentorfs war eben
infolge der Durchlüftung durch die /ijVa-Wurzel im Schwin-
den. K.
40
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
der Pflanzenreste durch Wurzeln, Pilzfäden und
Moosrhizoiden die Hauptrolle. Demgegenüber ist
zu bemerken, daß Müller vornehmlich vom
Buchenwald Jütlands spricht, wo allerdings nach
seiner ausführlichen und lebendigen Schilderung
die Verfestigung der Bodenstreu durch die Pilz-
wurzel der Rotbuche so auffällig ist, daß dieser
Vorgang als Ursache der Trockentorfbildung er-
scheinen kann. Müller lehnt freilich S. 78 f.
diese Folgerung ausdrücklich ab. ')
Aber die Verwerter seiner grundlegenden
Arbeiten sind, wie die Ausführungen im Ab-
schnitt a) beweisen, weniger vorsichtig gewesen.
— Offenbar handelt es sich um einen sekundären
Vorgang. Wenn Müller zeigt, wie auf dem
„Mull" die ganze Erdkruste bis zum Untergrund
zur Ernährung der Bäume beiträgt (S. 14), wäh-
rend bei Trockentorfauflage „das unermeßliche
Gewebe" der Buchenwurzeln in dieser Deckschicht
zu einem dichten Filz zusammengedrängt ist
(S. 33), so geht daraus m. E. ohne Zweifel her-
vor, daß die Buche zu dieser Verlegung ihrer
Wurzelmasse nach oben durch die Trockentorf-
bildung gezwungen worden ist. Gewiß trägt die
Buchenwurzel mit ihrem Pilzgeflecht unter den
geschilderten Verhältnissen zur Erhaltung und
wegen ihrer schweren Zersetzbarkeit auch zur
Vermehrung der Trockentorfmasse bei, aber zuerst
muß doch der Boden durch Trockentorf anderer
Entstehung abgedichtet worden sein, ehe die
Buchen ihre Saugwurzeln aus Atemnot nach oben
zusammendrängten.
Daß es für das Verständnis aller Fragen , die
mit dem Trockentorf zusammenhängen , nicht
gleichgültig ist, ob man in seiner Verfilzung die
Ursache seiner Entstehung oder eine Folge sieht,
ergibt sich aus einer Stelle des Müll ersehen
Werkes selbst mit zwingender Logik. S. 37 sagt
er: „Die gleichförmige Decke, welche der (Buchen-)
torf oft auf große Strecken über den Waldboden
zieht, ist jedoch hin und wieder durch Flecke,
deren Vegetation einen anderen Charakter des
Bodens verrät , unterbrochen. So kann man na-
') „Wenn wir darauf aufmerksam gemacht haben, daß
der (Buchen-)Mull im wesentlichen das Gepräge von der Ar-
beit der Regenwürmer irägt, und dafi der (Buchen-)Torf
hauptsächlich durch die verbindenden Elemente, die Buchen-
wurzeln und das Pilzmycelium , seinen Charakter erhält, so
haben wir damit noch keinen Aufschluß darüber gegeben,
wodurch diese beiden Faktoren, jeder an seinem Ort, hervor-
gerufen wurden. . . Unsere Beobachtungen beginnen mit den
Strukturverhältnissen des Bodens, und erst darnach können
unsere Schlüsse beginnen. Was dagegen für die besonderen
Formen des organischen Lebens bestimmend ist, darüber be-
sitzen wir nur in den Aufschlüssen über das Vorkommen der-
selben schwache Andeutungen. , . Es ist nämlich wahrschein-
lich, daß die hervorgehobenen faunistischen und floristischen
Eigentümlichkeiten im Boden nur als der Ausdruck etnes Zu-
standes von komplizierterem Charakter und mit einer bunteren
Reihe von Voraussetzungen, als es sich überschauen ließ, auf-
gefaßt werden muß; daß sie als ein Ausdruck, der im glück-
lichsten Falle nur eins der wichtigsten Hauptmomente liefern
kann, anzusehen sind. Denn hier, wie überall in der leben-
den Natur, ist eine Erscheinung äußerst selten die einfache
Folge einer einzigen Ursache."
mentlich in den Niederungen und den kessei-
förmigen Vertiefungen teils kleine Gebüsche von
Himbeeren, teils Gruppen recht gedeihlicher
junger Buchen sehen, die durch ihre Entwicklung
und Form gegen die verkümmerten und ver-
krüppelten kleinen Buchenpflanzen, welche hin
und wieder auf dem Torf ihr Dasein fristen, deut-
lich abstechen. ... In diesen kleinen Himbeer-
gebüschen oder Gruppen von recht kräftigen
jungen Buchen habe ich nämlich ... oft einen
vortrefflichen Mull angetroffen, ohne daß es mög-
lich war, in der Beschaffenheit des Bodens selber
irgendwelchen Grund dafür zu finden, daß die
Zersetzung der organischen Reste auf diesem
Fleck . . . sich in anderer Weise als in den großen
Torfflächen, die ihn umgeben, vollziehen sollte.
Ich habe niemals . . . eine solche Mulloase unter-
sucht, ohne dort Regenwürmer, sogar in bedeu-
tender Menge zu finden, während in den angren-
zenden Strecken keine Spur von ihnen vorhanden
war." Es handelt sich offenbar um kleine Lich-
tungen im Buchenwalde, in denen es eben wegen
des Auftretens von Himbeeren usw. nicht zur
Bildung von Trockentorf kommen konnte.
Müller wird durch seine Stellung zur Frage der
Trockentorfentstehung gezwungen, solchen Oasen-
boden, der nach seinem Sprachgebrauch ganz
unzweifelhafter „Mull" ist, an anderer Stelle seines
Werkes als „mullartigen Torf' zu bezeichnen, was
natürlich ganz unhaltbar ist — m. E. ein schlagen-
der Beweis dafür, wie wichtig es ist, die primäre
Ursache der Trockentorfbildung zu kennen. Daß
Müller den naheliegenden Zusammenhang nicht
selbst ausspricht, kann ich mir nur so erklären:
In seinem Untersuchungsgebiet herrscht der durch
Buchen-Pilzwurzel verfilzte Trockentorf bei weitem
vor; in dem feuchten Seeklima Jütlands scheint
das Zusammensetzen das Buchenlaubs rascher und
auf größeren Strecken vor sich zu gehen als bei
uns; die Buchenwurzeln werden schneller in Atem-
not versetzt; so können sie in weiten Gebieten
nur an der Bodenoberfläche für die Ernährung
der Bäume tätig sein; die wenigen Stellen, wo
sich die Buchen anders verhalten, bilden Aus-
nähmen; kein Wunder, wenn dem Beobachter die
Verfilzung des Buchentorfs als zu seinem Wesen
gehörig erscheint. Auch Müller kennt (Buchen-)
„Torf ohne Wurzelmasse", doch behandelt er ihn
wegen seines selteneren Vorkommens als Abart.
Meiner Meinung nach zeigt dieser „Torf ohne
Wurzelmasse" die Entstehungsbedingungen des
Trockentorfs aber reiner als der durch Wurzeln
verfilzte. Aus dem Gesagten scheint sich doch
die Notwendigkeit zu ergeben, daß man zur Ver-
meidung von Mißverständnissen den ursprünglichen
Schüttungs- oder Lagertorf von dem nachträglich
verfilzten Torf unterscheidet. —
Ich stelle also der Auffassung, daß Trocken-
torf durch Verfilzung der Abfallmassen entstehe,
die Anschauung entgegen, daß lediglich über-
mäßige, d. h. von den zerstörenden Kräften nicht
zu bewältigende Schüttung der Laub- und Nadel-
I
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
41
bäume die Ursache der Trockentorfbildung ist.
Nebenbei gewinnen wir damit den Vorteil, die
Entstehung des Buchentorfs nicht anders erklären
zu müssen wie die des Fichtentorfs. (Vgl. dagegen
die Anführungen aus Graebners „Pflanzenwelt
Deutschlands" im Abschnitt a verliegender Ar-
beit!)
Ferner lehne ich die Ansicht ab, daß auch
Glieder der Waldbodenflora {Call/i/ia, Vacciniitm,
Carex hnzoides, Moose usw.) nennenswert an
der Bildung von Trockentorf beteiligt seien. Die
gesamte Waldbodenflora verhindert vielmehr die
Trockentorfbildung oder zerstört bereits vor-
handenen Trockentorf, auf dem sie sich bei gün-
stiger werdenden Lichtverhältnissen ansiedelt.
Callmia, Vacciiiintn und die Moospolster kommen
höchstens als Erhalter des von den Waldbäumen
erzeugten Trockentorfs in Frage. In ursprüng-
lichen Gr/fo«(7-Heiden mögen die Verhältnisse
anders liegen. Auch die Durchspinnung des
Trockentorfs mit den Mycelien der saprophytisch
lebenden Pilze bedeutet meines Erachtens in
erster Linie eine sehr langsame Zerstörung der
Waldbodendecke, die allerdings mehr chemischer
Natur ist.
Endlich ergibt sich aus den voranstehenden
Ausführungen, daß auch unvorsichtige Lichtung
des Waldes oder Kahlschlag nicht Ursache der
Trockentorfbildung werden kann. Es handelt
sich dabei nur um Verdichtung bereits vor-
handenen Trockentorfs. Das ist aber eine vorüber-
gehende Erscheinung; der freigelegte Trockentorf
wird von den Wurzeln der massenhaft sich ein-
stellenden Kahlschlagspflanzen im Laufe weniger
Jahre zerstört. Die unleugbaren Schädigungen,
die der Waldboden durch zu starkes Pläntern
oder Kahlhieb erleidet, müssen also anderswo zu
suchen sein als in unvermeidlicher Trockentorf-
bildung.
e) Ergebnisse.
1. Trockentorf wird lediglich durch den Ab-
wurf der Waldbäume, besonders der Buchen und
Fichten, gebildet und zwar immer dort, wo die
zerstörenden Kräfte die Abfallmassen nicht be-
wältigen können.
2. Da als solche Zerstörer in erster Linie die
Pflanzen des Waldbodens in Frage kommen, die
zu ihrer Entwicklung Licht brauchen, so kann
Trockentorf nur an unbegrünten Stellen des
Waldbodens entstehen, also im geschlossenen
Fichtenwalde und an solchen Stellen des Buchen-
waldes, wo das Fallaub so hoch aufgehäuft ist,
daß die Frühlingspflanzen nicht durchbrechen
können.
3. An begrünten Waldstellen kommt es nicht
zur Bildung von Trockentorf, weil einesteils die
Bodenstreu in jedem Frühjahr durch massenhaft
empordrängende Pflanzentriebe gehoben und ge-
lockert wird und weil andernteils Sträucher,
Gräser und Moospolster ein festes Zusammen-
lagern des Baumabwurfs verhindern.
4. Werden trockentorfbedeckte Waldstellen
freigelegt, so siedeln sich Gräser und Stauden an,
die mit ihren Wurzeln den Trockentorf vor allem
mechanisch zerstören. Solche Trockentorfzerstörer
sind besonders Aira flcxuosa, Calaiiiagrostis
arimdinacca, Moliuia caerulea, Nardiis strida,
Fesiuca heterophylla, Carex brizoidcs, Liiznla
iicmorosa, Alajantliemitm bifoUum.
5. Cnlluna vulgaris und Vacciuiitin myrtilhts,
die unter den gleichen Umständen besonders im
Nadelwalde auftreten, verzögern wohl die Zer-
störung des Trockentorfs durch ihre Faserwurzeln
und die sie umspinnenden Pilzfäden, lockern ihn
aber durch ihre derben Haupt- und Nebenwurzeln.
Im ganzen ist der Trockentorf unter ihnen
weniger fest und dicht als an den Stätten seiner
Entstehung, so daß doch wohl Luft und Wasser
und andere zerstörende Kräfte ihn besser an-
greifen können als an unbegrünten Stellen.
6. Moospolster, die belichtete Waldboden-
stellen besiedeln, scheinen im allgemeinen zwar
nicht die vorhandene Trockentorfdecke selbsttätig
zu lockern, setzen aber ihrer Verstärkung durch
Neuaufschüttung eine Grenze.
7. Die unter 5 und 6 genannten Pflanzen sind
mit Ausnahme von Moliuia und Majaiifhevuwi
keineswegs Trockentorfanzeiger. Vielmehr ge-
deihen sie ebensogut, wahrscheinlich sogar besser,
auch auf Mullerde {Calamagrostis, Carex bri-
zoidcs, Luzula neiiiorosa) oder auf Waldböden,
die bei der Bestandsverjüngung von der Trocken-
torfdecke befreit, aufgerissen oder umgestürzt
worden sind {Aira flcxuosa, Calluna vulgaris,
Vacciuium myrfillus, Dicraiieüa heterornalla).
8. An der Vermehrung des Trockentorfs ist
die Waldbodenflora entweder gar nicht oder so
unwesentlich beteiligt, daß der in Frage kom-
mende Betrag gegenüber den Abwurfmassen der
Bäume völlig zurücktritt.
9. Als äußerst langsam und zwar hauptsäch-
lich chemisch arbeitende Trockentorfzerstörer sind
auch die saprophytisch lebenden Pilze anzusehen.
Ihre Tätigkeit ist um so beachtlicher, als viele
von ihnen auch den Trockentorf im geschlossenen
Walde in Angriff nehmen, wohin ihnen die grüne
Waldbodenflora aus Mangel an Licht nicht zu
folgen vermag.
Bücherbesprechimgen.
Stöckhardt, Ad., Schule der Chemie. 22. Aufl.,
bearbeitet von Prof. Dr. Lassar - Co hn.
Braunschweig 1920, Friedr. Vieweg. 24 M.
geb. 32 M.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
Bücher wie dieses, das seit nunmehr beinahe
75 Jahren im Buchhandel erscheint, pflegt die
Kritik als „alte, liebe Bekannte" zu begrüßen mit
der Bemerkung, daß sie besonderer Empfehlung
nicht mehr bedürfen. Ich betone, daß in diesem
Falle der Eindruck eines alten Werkes bei mir
vorherrschend ist. Es wird immer eine Unmög-
lichkeit sein, ein Buch, das vor Jahrzehnten sehr
wohl „den Bedürfnissen seiner Zeit entsprochen
hat", im selben Geiste nur durch gelegentliche
„Bearbeitungen" über lange Zeiträume auf der
wissenschaftlicherseits zu fordernden Höhe zu
halten. Es sei denn, man treibt die Verjüngungs-
arbeit an jeder Neuauflage so weit, daß —
schließlich ein neues Buch dabei herauskommt.
In richtiger Würdigung dieser Sachlage hat denn
auch der Verlag vor einigen Jahren den Wunsch
geäußert, daß ein „ganz moderner Stöckhardt"
geschrieben werde. Das ist durch Ostwald
geschehen; und die Tatsache einer vierten
Auflage seiner „Schule" beweist schon rein äußer-
lich, daß den Bedürfnissen der Gegenwart Ost-
walds Schule entspricht. Es ist deshalb falsche
Ehrfurcht vor der inzwischen geschichtlich ge-
wordenen Leistung Stöckhardts, seine „Schule"
zum Prokrustesbett der ganzen modernen Chemie
zu machen.
Dies aber ist es, was durch die vorliegende
Neuauflage geschehen ist. Zunächst hinsichtlich
der geradezu unglaublichen Fülle des Stoffes.
Was davon geboten wird, geht weit über den
Rahmen einer „Schule", d. i. einer ersten Ein-
führung, hinaus. Nicht allein die gesamte an-
organische, sondern sämtliche Kapitel der or-
ganischen Chemie sind, neben der „Tierchemie"
und einem 2o Seiten langen „Analytischen An-
hang", der aber in keiner Weise eine syste-
matische Analyse ermöglicht!, als zum Thema
einer erzieherischen Einführung in eine begriff-
lich wahrlich nicht einfache Wissenschaft gehörig
betrachtet worden ! Was für den geringen Um-
fang der Chemie von 1846 recht war, ist aber
für 1920 nicht billig. Es heißt ein oberflächliches
Wissen um außerordentlich viel Tatsachen be-
fördern, wenn dem Schüler die Konstitutions-
formel des Chinins (S. 460) vorgesetzt (denn
sie bleibt unbegründet) wird. S o erziehen wir
Chemikanten, nicht Chemiker! Es ist mir
nicht zweifelhaft, daß die trübe Erscheinung der
chemischen Halbbildung, die zu insbesondere
pharmazeutischen Alchimistereien der unerfreu-
lichsten Art führt, dieser breiten, im Grunde aber
unendlich seichten Schulung zuzuschreiben ist.
Findet doch sogar Einsteins Theorie S. 330
ehrfürchtige Erwähnung ! !
Nicht verwunderlich ist infolgedessen derIVlangel
an exakter Erläuterung des Chemischen
schlechthin andererseits. „Wasserfreie Säuren
heißen Anhydride" (S. 162). „Das Vereini-
gungsbestreben der Atome versinnbildlicht man
durch Striche" (S. 50). „Oxydieren heißt:
einen Körper mit Sauerstoff verbinden" (S. 92) —
dies sind nur einige willkürliche Sätze über An-
gelegenheiten, die sorgfaltigster Begriffsbestim-
mung bedürfen. Die lonentheorie ist auf
einer Seite abgetan; von einer Anwendung oder
sonstigen Erwähnung findet sich nichts. In einem
Buch, das über die allerersten Anfänge fortführen
soll, das „angehende Apotheker, Landwirte" usw.
unterrichten will, unentschuldbar. Ebenso, sagen
wir; unmodern ist an der alten, ja ältesten Nomen-
klatur hängen geblieben worden. Was Wissen-
schaft und Industrie immer und immer wieder
fordern, was zumal zum Verständnis der heu-
tigen Chemiesprache unentbehrlich ist, nämlich
die folgerichtige Anwendung einer sinngemäßen
Namengebung, findet in diesem Buche nur neben-
her und nicht einmal hervortretende Behandlung.
Ja, S. 125 werden sogar Namen wie Kalium-
sulfat u. ä. als „recht überflüssig" bezeichnet!
So altertümlich wie die genannten Tatsachen
sind auch die Abbildungen des Buches. Ihre
Menge und unzweckmäßige Stilisierung be-
schweren das ohnehin viel zu umfangreiche Buch
um ein weiteres. Viele Bilder kommen doppelt
und dreifach vor, teilweise auf einander gegen-
überstehenden Seiten! So S. 130 und 131. Eine
pädagogische Geschicklichkeit vermag ich darin
nicht zu sehen.
Weitere Einzelheiten glaube ich mir nach
obigem ersparen zu dürfen. Nicht leichten Herzens
entschloß ich mich zu dieser ablehnenden
Besprechung, glaube aber, sie der Chemie und
dem angesehenen Verlage, dem wir eine große
Zahl bester Veröffentlichungen danken, schuldig
zu sein. Er hat ja einen vollwertigen Ersatz des
alten St öckhardt; möchte er sich entschließen,
künftig nur ihn erscheinen zu lassen. Unseres
Dankes darf er sich versichert halten. Hoch-
achtung vor der großen Leistung von einst!
Die Forderung des Tages aber lautet anders;
und selbst des großen Berzelius berühmtes
Lehrbuch hat das Schicksal erlebt, dem Fort-
schritt der Wissenschaft zum Opfer gefallen zu
sein . . . Hans Heller.
Pauli, Prof Dr. Wo., Kolloidchemie der
Eiweißkörper. I. Hälfte. Dresden und
Leipzig 1920, Verlag von Theodor Steinkopfif.
10 M.
Nachdem Graham in den Kolloiden jene
eigenartige Erscheinungsform der Materie kennen
gelehrt hatte, die ein scheinbar grundsätzliches
Gegenteil zu den Kristalloiden bildete, hat sich
die Forschung jener neuen Welt „der vernach-
lässigten Dimensionen" mit außergewöhnlichem
Eifer hingegeben. Die formalen Ergebnisse dieser
Arbeiten auf kolloidchemischem Gebiete zielen
nun mehr und mehr dahin, den ursprünglichen
Gegensatz zu den anderen physikochemischen
Erscheinungen verschwinden zu lassen und als
einen nur graduellen, nicht aber wesentlichen
zu demonstrieren. Den ersten Schritt hierzu tat
schon Zsigmondy, indem er Kolloide als dis-
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
43
perse Anteile von der Größe 0,i ,« bis o,i ///t
definierte und sie somit als einen Sonderfall der
Lösungen überhaupt kennzeichnete. Immer-
hin aber sind die in diesem Bereich zu verzeich-
nenden Tatsachen und Vorgänge von solcher
Eigenart, und erfordern eine von den üblichen
Methoden stark abweichende Behandlung, daß sie
ihre Sonderstellung im Gebiete der Gesamtchemie
trotz aller Versuche, sie ihnen zu nehmen, beibe-
hielten. Rein äußerlich fand dieses Verhältnis
seinen Ausdruck in der entsprechenden Literatur,
die erfahrungsgemäß dem „Chemiker" schlechthin
stets eine Art Bibliophilenangelegenheit war. In
neuester Zeit nun macht sich zunehmend eine
Bewegung bemerkbar, die die Kolloidchemie ihres
eigenartigen Charakters berauben und sie als einen
Sonderfall der allgemeinen Chemie auch dann
betrachtet wissen will, wenn unsere bisherigen
„klassischen" Vorstellungen auf kolloidchemische
Probleme nicht anwendbar zu sein scheinen.
Mit anderen Worten, man sucht eine Deutung
kolloidaler Effekte im Sinne und mit den Mitteln
der Struktur- und Elektrochemie der
echten Lösungen.
Dies mußte vorausgeschickt werden, um den
Charakter des vorliegenden Buches verständlich
zu machen. Auch Pauli nämlich, dem wir zahl-
reiche wertvolle Arbeiten auf dem im Titel ge-
nannten Gebiet verdanken, glaubt, wenn ich den
Sinn des ersten ganz vorzüglich geschriebenen
Abschnittes seiner Arbeit recht verstehe, die in
den folgenden Kapiteln niedergelegten Befunde
„mit der Strukturchemie verknüpfen" zu können.
Selbstverständlich ist dieses Bemühen an sich so
zu billigen wie jeder Versuch der Zusammen-
fassung heterogener Tatsachen unter allgemei-
nen und einheitlichen Gesichtspunkten. Aber
es darf doch nicht übersehen werden, daß solchen
Versuchen durch den Stoff selbst Grenzen
gezogen sind. Und es bestehen nun einmal, wo-
rauf insbesondere Wo. Ostwald immer wieder
eindringlich hinweist, kolloidchemische Fakten,
die einstweilen in die klassische Chemie
nicht einzureihen sind.
Sie als solche ausdrücklich betont zu finden
wird man in dem L Teil dieses Werkes ver-
missen. Es läßt mithin in diesem Betracht
unbefriedigt. Denn die vielen exakten Angaben
und Diskussionen elektrochemischer Verhältnisse
an Eiweißstoffen sind eben keine Kolloid-
chemie dieser Stoffel Obwohl ihr einzigartiger
Charakter sachlich natürlich nicht zu verkennen
ist. Ich denke an die Maxim u merscheinungen,
an den oft völligen Mangel stöchiometrischer Be-
ziehungen und schließlich daran, daß die 72 Ta-
bellen des Buches von einer Mannigfaltigkeit der
Versuchbedingungen, Methodik und damit also
von einer Unvergleichbarkeit sind, die ein-
fach einzig ist! Solange noch eine derartige
„Empirie" im behandelten Gebiet notwendig ist,
fühlt sich der Berichterstatter außerstande, den
„klassisch" gerichteten Gedanken und Absichten
des Verf. folgen zu können.
Im übrigen stört, daß absichtlich vorwiegend
die aus Paulis Laboratorium hervorgegangenen
Arbeiten behandelt werden. Sie bilden, bei aller
Wertschätzung, doch nur einen Teil der hierher
gehörenden Forschungsergebnisse. Aber dieser
Teil ist hoch bedeutsam, und für den Arbeiter
oder Liebhaber auf diesem Gebiet dürfte Paulis
Buch unentbehrlich werden. Diesem zu wünschen-
den Erfolge dient nicht allein die immer klare
und gut lesbare Darstellung, sondern auch die
vorzüglichen Abbildungen und Diagramme.
Das Buch muß also angelegentlich empfohlen
werden. Nachstehend die wichtigsten Kapitel-
überschriften: Stabilitätsbedingungen der Eiweiß-
lösungen; Elektrische Ladung von nativem lös-
lichen Eiweiß; Eigenschaften bei isoelektrischer
Reaktion; Eiweißsalze mit Säuren; desgl. mit
Basen; Zeitliche Zustandsänderungen der Alkali-
proteine; Salze des Globulins; Wanderungsge-
schwindigkeit der Proteinionen.
H. Heller.
Bavink , Dr. B., Einführung in die anor-
ganische Chemie. Sammlung Aus Natur
und Geisteswelt. Berlin und Leipzig 1920,
B. G. Teubner. 1,60 M. und Zuschlägen.
Klein, Dr. Joseph, Chemie, Anorganischer
Teil. 7., verbesserte Auflage. Sammlung
Göschen. Vereinigung wissensch. Verleger.
W. de Gruyter & Co. 2,10 M. und 100 7o-
Beide Bändchen wollen einen ersten Überblick
über das Gesamtgebiet der anorganischen Chemie
geben, setzen jedoch verschieden vorgebildete
Leser voraus. Bavink schrieb „so elementar als
möglich", setzt nur einfachsten Volksschulunter-
richt voraus und sucht seine Darstellung vor allem
auch für Volkshochschulkurse brauchbar zu machen.
Dies würde bedingen, die einfachen Grundtat-
sachen möglichst eindringlich darzulegen, von
jeder weitergehenden Vertiefung in Einzelheiten
aber abzusehen, so sehr man gerade bei völligen
Laien versucht ist, ihrem Wissensdurst durch Hin-
weis auf bekannte und wichtige Tatsachen in
Wissenschaft und Industrie entgegen zu kommen.
Der Verf. hat auf engem Raum beiden Seiten
der zweifellos schwierigen Aufgabe gerecht zu
werden versucht. So kommt leider gerade die
für den Nichtvorgebildeten wichtigste, nämlich
die experimentelle Seite etwas zu kurz; so
sehr, daß selbst für wesentlichste Versuche auf
„ein gutes Experimentierbuch" verwiesen werden
muß, z. B. S. 13. Die Notwendigkeit, fast auf
jeder Seite auf andere einführende Bücher zu ver-
weisen, muß das Studium immer beeinträchtigen,
was um so mehr zu bedauern ist, als im gan-
zen die Auswahl des Verf. in verschiedenen
Richtungen glücklich getroffen und in recht an-
genehmer Weise zur Darstellung gebracht ist.
Aber , wie gesagt , wenn überhaupt eine
wissenschaftliche Einführung ange-
44
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
strebt wird, darf die Wissenschaft auf
keinen Fall vom bloßen Wissen um gewisse
chemische Erscheinungen beeinträchtigt werden.
Eine Neuauflage könnte in diesem Sinne je-
doch unschwer umgestaltet werden. Viele durch-
aus entbehrliche Einzelheiten müßten in Wegfall
kommen, so, um nur einige Beispiele zu nennen,
die Nennung der Loschmidt sehen Zahl (I) S. 27,
StoiTe wie H y d r a z i n S. 60 , Cäsium S. 86,
ferner der Anhang über Kristallsysteme
u. a. m. Ich glaube, daß das Buch dadurch nur
gewinnen wird.
Im einzelnen sei noch bemerkt: für die Salz-
bildung der Schwefelsäure auf S. 34 ist zweck-
mäßig die Umsetzung mit Zink zu streichen, mit
Rücksicht auf das Reaktionsbeispiel S. 33 unten.
— Im Literaturverzeichnis vermisse ich jegliches
Buch von Ostwald. Gerade dieser Meister
chemischer Unterrichtung sollte aber nachdrück-
lich empfohlen werden! Bücher, wie die von
Werner, Nernst(!) hingegen gehören nicht in
eine „Einführung" wie die vorliegende. —
Für einen Leserkreis mit besserer Vorbildung
schrieb Klein seinen gedrängten (und darum
nur dem höher gebildeten Schüler leicht ver-
ständlichen) Abriß, der nach einer Einleitung über
die wichtigsten Grundtatsachen in zwei große klar
disponierte Abschnitte zerlegt ist: Gesetzmäßig-
keiten und Theorien, sowie die Elemente und
ihre Verbindungen. Gut an der Darstellung ist
neben der flotten Schreibweise die scharfe For-
mulierung kennzeichnender Beispiele, von
denen vielleicht nur das auf S. 32 unten gegebene
unklar bleibt. Im übrigen zeigt das Buch selb-
ständiges Urteil in der Stoffauswahl. S. 144
möchte das „graue" Zinn Erwähnung finden als
typischer Fall der bei Metallen als Regel erkannten
Allotropieerscheinungen. Ob es richtig ist,
unter diese auch den Ionen zustand zu rechnen
(S. 42) bestreite ich. Nach den Forschungen ins-
besondere von Hantzsch müssen die Ionen als
Oxoniumsalze, mindestens aber als Kom-
plexe, d. h. Verbindungen aufgefaßt werden.
— Die nächste Auflage des Werkchens sollte
einer Durchsicht auf eindeutige und einwandfreie
Nomenklatur unterzogen werden. — Im Sinne
der so sehr erwünschten Einheitlichkeit der
Atomge Wichtsrechnungen liegt es endlich, daß
grundsätzlich nur 0=i6 zur Grundlage genom-
men wird. Die Tabelle auf S. 16 sollte längst
dementsprechend abgeändert sein.
Druck und Ausstattung des Bändchens sind
sehr gut, und so ist es für jeden, der aus irgend-
einem Grunde der anorganischen Chemie teil-
haftig werden möchte, warm zu empfehlen.
. H. Heller.
Lehmann, K. B. und Neumann, R. O., Atlas
undGrundriß derBakteriologie. 2 Teile.
6. Aufl. Lehmanns medizinische Handatlanten.
Bd. X. München, J. F. Lehmanns Verlag. 60 M.
Endlich ist dies einzigartige Lehrbuch, auf das
nicht besonders aufmerksam gemacht werden muß,
wieder neu erschienen. Wenn auch die neue
6. Auflage ein unveränderter Abdruck der 5. ist,
so ist doch ein 70 Seiten langer übersichtlicher
Nachtrag dazu gekommen, der die Fortschritte,
die während des Krieges in der Wissenschaft ge-
macht worden sind, in kurzer Form zusammen-
faßt. Allerdings ist es unverständlich, warum die
Nachträge nicht einfach an die betreffende Stelle
im Hauptteil gestellt worden sind, zumal stets
genau die Seitenzahl des Hauptteiles angegeben
ist. Dieser Formfehler hätte sich wohl leicht ver-
meiden lassen können.
Im Anhange selbst wäre es S. 750 wünschens-
wert, die Ergebnisse der Kolloidchemie ausführ-
licher behandelt zu sehen, und S. 799 vermißt
man sehr ein genaueres Eingehen auf die Much-
schen Fartialantigene. Bei S. 808 wäre ein Ein-
gehen auf die neusten Arbeiten über die Wasser-
mannsche Reaktion (z. B. Nathan u. a.) ange-
bracht. Sehr gut ist hingegen der Abschnitt über
Influenza (S. 757), Thyphus, Dysenterie und Para-
typhus (S. 763) und Cholera (S. 788). Auch das
Fleckfieber, das ja erst während des Krieges ein
gesteigertes Interesse hervorrief, ist vortrefflich,
wenn auch etwas sehr kurz, behandelt worden.
Alles in allem aber wird das Buch jeden be-
friedigen, ist es doch das einzige umfassende Lehr-
buch der bakteriologischen Diagnostik, das sich
nicht nur auf pathogene Bakterien beschränkt.
Auch die Tafeln dürfen uneingeschränktes Lob
verdienen. Collier.
Riebet, Charles, Die Anaphylaxie. Über-
setzt von J. Negrin y Lopez. Leipzig 1920,
Akadem. Verlagsgesellschaft m. b. H.
Obwohl das Buch des bekannten Pariser Physio-
logen bereits im Jahre 1913 geschrieben ist und
nur einen kurzen späteren (191 4) Nachtrag über
die durch Chloroform bedingte Anaphylaxie ent-
hält, ist doch die deutsche LTbertragung mit Freude
zu begrüßen. Der größte Mangel, und es ist wohl
der einzige, liegt nur darin, daß die 19 14— 1920
erschienene umfangreiche Literatur nicht berück-
sichtigt worden ist. Obwohl es sich in dem Werk
um eine systematische, objektive Betrachtung der
Anaphylaxie handelt, hat doch Verf, der 1902
selbst dieses Wissensgebiet zum ersten Male er-
kannte und selbst den Namen Anaphylaxie prägte,
eine große Reihe eigener, unveröffentlichter Be-
obachtungen eingeflochten. So ist das Büchlein
nicht nur eine zusammenfassende, kritische Ab-
handlung, sondern auch zugleich eine Wiedergabe
eigener Untersuchungen, und gerade dies ist es,
was die Arbeit so wertvoll macht. Sehr gut ge-
lungen sind neben den Kapiteln über die Ana-
phylaxie in der Medizin und der geschichtlichen
Einleitung der Abschnitt über die alimentäre
Anaphylaxie, der aus einem Vortrag auf dem
XVII. internationalen Kongreß für Medizin in
London hervorgegangen ist.
Die Anaphylaxie ist keineswegs nur ein für
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
45
Mediziner wichtiges Gebiet. Im Gegenteil ist es
notwendig, daß die Biologen sich in diese Pro-
bleme, die mit den Fragen der Immunitätswissen-
schaft in engstem Zusammenhange stehen, in weit
größerem Umfange vertiefen. Alle diese Gebiete
gehören ja auch eigentlich weniger zur Medizin
als zur Biologie, wie schon seit langer Zeit H. Much
erkannt hat, der sie unter dem Namen „Patho-
logische Biologie" zusammenzufassen versuchte.
So ist das Werk, das sich trotz seiner Übersetzung
durch einen äußerst guten Stil auszeichnet, nicht
nur Medizinern, sondern auch jedem biologisch
interessierten Wissenschaftler zu empfehlen, zu-
mal gerade die Anaphylaxielehre sich nicht in
kleinste Einzelheiten verliert, sondern die Zusam-
menhänge und das Wechselspiel der einzelnen
Faktoren im Körper betrachtet. Collier.
Schottler, Dr. W., Der Vogelsberg, sein
Untergrund und Oberbau. Eine gemein-
verständliche geologische Heimatkunde. Mit
4 Tafeln und 30 Textabbildungen. Braun-
schweig 1920. G. Westermann.
Das vorliegende Buch bildet das 12. Heft der
deutschen Heimatgeologie, die von Dr. C. Mord-
ziol in Verbindung mit Fachgenossen herausge-
geben wird. Das ansprechend geschriebene Werk
ist der Niederschlag jahrelanger Forschungen, die
der Verf als kartierender Landesgeologe in Vogels-
berg angestellt hat. Im Gegensatz zu den schon
vorhandenen Führern ist das Büchlein als eine
volkstümliche Heimatkunde von Oberhessen ge-
schrieben, die zugleich als Einführung in die Geo-
logie dienen kann. Untergrund und Oberbau sind
hierbei möglichst gleichmäßig berücksichtigt. Nach
einer kurzen Betrachtung der heutigen Landober-
fläche werden auf 74 Seiten die einzelnen For-
mationen vomSilur bisTertiär mit ihren organischen
Resten und Mineralschätzen behandelt, während
der größte Teil der restlichen 94 Seiten dem Auf-
bau des alten Vulkans gewidmet ist. An der
Hand guter Abbildungen werden uns die charakte-
ristischen Vorkommen der Basalte mit ihren
Schlackenagglomeraten und Tuffen vor Augen
geführt. Die Schilderung der Diluvialzeit mit
ihren eiszeitlichen Bildungen, die Entstehung des
Lösses und der Torfmoore bildet den Abschluß
des Werkes. Ein ausgedehntes Ortsverzeichnis
sowie eine Zusammenstellung der wichtigsten
geologischen Karten und Schriften über Ober-
hessen erhöhen den Wert derselben. 30 gut aus-
gewählte Textabbildungen und 4 Tafeln mit Pro-
filen erläutern aufs beste das Dargestellte. Somit
dürfte dies Werkchen nicht nur dem Naturfreunde
reiche Belehrung bieten, sondern auch dem Fach-
manne eine willkommene Gabe sein. Möge dies
treffliche Büchlein weit über die Grenzen von
Hessen hinaus Interesse und Verbreitung finden.
Haupt.
Fitschen, J., Gehölzflora. Ein Buch zum Be-
stimmen der in Deutschland und den angrenzen-
den Ländern wildwachsenden und angepflanzten
Bäume und Sträucher. Mit 342 Abb. 8 ". VIII,
221 S. Leipzig 1920, Quelle u. Meyer.
So viele Hilfsmittel uns zum Bestimmen der
einheimischen Blütenpflanzen zur Verfügung stehen :
Jeder, der sich auch mit den Gehölzen abgibt,
mußte immer wieder als empfindliche Lücke ein
Buch entbehren, das ihm ermöglichte. Bäume und
Sträucher auch im blütenlosen Zustande zu be-
stimmen, besonders aber die in Gärten, Anlagen,
Parken usw. angebauten. Diese Lücke will vor-
liegendes kleines Buch ausfüllen. Es enthält nicht
nur alle bei uns wildwachsenden Holzgewächse,
sondern auch die bei uns angepflanzten ausländi-
schen, mit Ausnahme der größeren Seltenheiten.
Dagegen sind Bastarde, Abänderungen usw. in
größerem Umfange mit angeführt. Die Anord-
nung ist die in neueren Bestimmungsbüchern
übliche dichotomische ; als Merkmale sind in erster
Linie die an beblätterten Zweigen sichtbaren, erst
in zweiter Linie die Blüten und Früchte heran-
gezogen. Eine kleine Sondertabelle behandelt die
gefülltblütigen Holzgewächse. Die Bearbeitung
ist, wie bei dem Rufe und der Erfahrung des
Verfassers nicht anders zu erwarten, sehr geschickt ;
es sind stets leicht kenntliche, scharf charakte-
risierte Merkmale herangezogen und durch klare,
charakteristische Abbildungen deutlich gemacht.
Eine Anzahl Probebestimmungen führte jetzt,
Mitte Oktober, sicher und ohne besondere Schwierig-
keiten zum Ziele. Die Ausstattung ist eine (ür
die jetzigen Verhältnisse sehr gute. So wird das
kleine Buch jedem, der mit Gehölzen zu tun hat
oder sich dafür interessiert, zur Freude gereichen
Reh.
Franz, V., Ursprüngliches in der warm-
blütigen Tierwelt der Kriegsgebiete,
in : Beiträge zur Naturdenkmalpflege , heraus-
gegeben von H. Conwentz, Band 6, Heft 3,
S. 313 — 412. Berlin 1919.
Deutschland ist an warmblütigen Tieren wesent-
lich ärmer als Rußland, die Karpathenländer und
die Balkanhalbinsel. Die Fauna des nordöstlichen
F"rankreichs, das der Verf. während des Feldzugs
aus eigener Anschauung kennen lernte, zeigt in-
folge stärkerer Besiedlung und ausgiebiger wirt-
schaftlicher Pflege des Landes zwar viel weniger
Ursprünglichkeit als diejenige Rußlands, übertrifi"t
aber an Reichtum bei weitem die Tierwelt der
meisten Gegenden Deutschlands. Den Ausdruck
„Ursprünglichkeit" möchte der Verf., zumal bei
der Fauna des Westens, allerdings in bedingtem
Sinne verstanden wissen. Er besagt nur, daß
manche Arten dort zahlreicher auftreten und sich
günstigerer Existenzbedingungen erfreuen als bei
uns. Wildkatze, Fuchs, Marder, Fischotter, Wild-
schwein, Raubvögel, Krähen, Haselhuhn, Wachtel,
wohl auch Wiedehopf, Waldschnepfe und Grau-
reiher, sind im allgemeinen in Ost- und West-
europa häufiger als in Deutschland. Für den
Osten nennt der Verf. ferner Bär, Wolf, Luchs,
46
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
Wisent, Elch, Adlerarten, Uhu, Kolkrabe, Auer-
und Birkwild , weißen und schwarzen Storch,
Blaurake, für den Südosten außerdem Geier,
Kaiseradler, Edelreiher, Purpurreiher, zahlreiche
Schwimmvögel , Steinhuhn , Dohle , Zwergtrappe
und Elster. Manche Tierarten führen in den
Kriegsgebieten noch eine ursprünglichere Lebens-
weise als in Deutschland. Ob die Vorliebe der
Misteldrosseln Nordfrankreichs und Belgiens für
offenes, parkähnliches Gelände in diesem Sinne
gedeutet werden darf, ist fraglich. Sicher aber
ist die Amsel in Frankreich ebenso wie in Polen
noch der scheue Waldvogel, der sie in Deutsch-
land einst war. Im Walde brütend fand man im
Rokitnogebiet und im Urwalde von Bialowieza
den bei uns ganz an menschliche Bauwerke ge-
wöhnten Mauersegler. Auch weißer Storch und
Haussperling bevorzugen im Südosten hier und
da Bäume als Niststätten statt menschlicher Bau-
werke. Die Armut Deutschlands an größeren
wildlebenden Tieren, die nicht nur bei einem Ver-
gleich mit den östlichen Nachbarländern, sondern
auch bei einer Betrachtung Frankreichs deutlich
hervortritt, ist zweifellos eine Folge der wirt-
schaftlichen Pflege unseres Landes. „Der Fort-
schritt der Bodenkultur konnte und durfte nicht
aufgehalten werden; aber durch die schonungs-
lose Vernichtung der alten Vegetation in Wald
und Feld und durch die unmäßige, durch Prämien-
zahlungen unterstützte Verfolgung des Raubwildes
ist unsere Tierwelt mehr, als unvermeidlich war,
beeinträchtigt worden." F. Pax (Breslau).
Grossmann, Prof. Dr. H., Fremdsprachiges
Lesebuch für Chemiker. Leipzig 1920,
Verlag von Johann Ambrosius Barth. 28,20 M.
Der Verf., der während des Krieges durch
zahlreiche Veröffentlichungen über den Wirt-
schaftskampf der chemischen Industrien der krieg-
führenden Länder hervortrat, setzt seine damalige
im besten Sinne nationale Arbeit in diesem
Buche fort. Mehr denn je kommt es für unsere
chemische Wissenschaft und Industrie darauf an,
jetzt, wo man uns trotz des angeblichen „Friedens"-
zustandes von der internationalen Arbeit auszu-
schließen willens ist, zu zeigen, daß ganz gewiß
nicht w i r unter solcher wissenschaftlichen Kalt-
stellung zu leiden haben. Es erübrigt sich zu
erläutern, daß und warum die chemischen
Arbeiten Deutschlands an Umfang und Inhalt
nach wie voran erster Stelle im internationalen
Wettbewerb stehen. Um diese unsere vielbe-
neidete Stellung zu behaupten, um sie zu festigen,
ist es nötig, daß wir die Torheit der Feinde
nicht nachmachen, nämlich in falscher Über-
heblichkeit zu glauben, es geht auch ohne die
andern. Der Verf. betont in seinem Vorwort
darum mit Recht, daß es jetzt „notwendiger als
früher erscheint, daß die deutschen Chemiker in
die Lage versetzt werden, die Literatur des Aus-
landes im Original kennen zu lernen und zu ver-
stehen."
Diesem Zwecke dient das vorliegende Buch
zweifellos in anerkennenswerter Weise. In 21 Ab-
schnitten in französischer und englischer Sprache
sind Lesestücke gegeben worden, deren Thema
ausschließlich dem Gesamtgebiet der reinen und
angewandten Chemie angehört. Da zum Teil
höchst „moderne" Angelegenheiten darin abge-
handelt sind, wie z. B. „Les soies de collodion",
„Fixation of Atmospheric Nitrogen" usw., so darf
man hofifen, daß allein das textliche Interesse
eine eindringlichere Beschäftigung mit dem rein
Philologischen begünstigen wird. Um freilich die
beiden Sprachen „so weit zu beherrschen, daß
man Verhandlungen darin zu führen imstande
ist", muß weit mehr geschehen als das noch so
aufmerksame Durchlesen dieses Buches. Diese
Absicht kann nach meiner Schätzung nur durch
„gemeinschaftliche seminaristische Übungen" voll
erfüllt werden. Auf diese mußte der Verf. den
Haupt ton in seinem ein wenig flüchtig ge-
schriebenen Vorwort legen I Erst die sprach-
lichen Übungen vermögen, so wie das che-
mische Praktikum, eine einigermaßen flotte
Behandlung fremder Texte und Aussprachen zu
gewährleisten. Es ist doch leider Tatsache, daß
nur wenige unserer Chemiestudierenden genügend
Begeisterungsfähigkeit haben, um der Chemie
willen Sprachstudien zu treiben. Das Seminar
mit Gleichstrebenden könnte da Segensreiches
wirken. Und für es ist das Buch von Groß-
mann in der Tat eine sehr brauchbare und er-
quickliche Unterlage.
Ein Wörterverzeichnis ist für eine Neu-
auflage dringend zu empfehlen. Viele Kunstaus-
drücke, die übrigens in den üblichen Lexiken
großenteils fehlen, würden alsdann dem leichten
Lesen kein Hindernis mehr sein.
Im übrigen ist die Sauberkeit und Lesbarkeit
des Druckes anzuerkennen. Form und Einband
sind einwandfrei. H. Heller.
Legahn, Dr. med. A., Physiologische
Chemie II. Dissimilation. 3. verb. Aufl.
Berlin und Leipzig 1920, Vereinigg. wissensch.
Verleger, W. de Gruyter & Co. 2,ioM. u. ioo"/o.
Die in Einzelheiten sehr verbesserte Neu-
auflage hat den Charakter eines angenehm les-
baren und durch verständnisvolle Stoffauswahl
auffallenden Repetitoriums bewahrt. Als solches
wird es insbesondere Studierenden der Medizin
und Naturwissenschaftlern beste Dienste tun
können. Es sind nacheinander die Körperorgane,
der Eiweißabbau, die Exkrete, schließlich Stoff-
wechselanomalien und postmortale Zersetzungen
behandelt. Neu ist ein Kapitel über die Li-
poide. Hierzu ist zu bemerken, daß die Mem-
brantheorie von O verton keineswegs allgemein
angenommen worden ist.
Im Literaturverzeichnis sollten die in Buch-
form erschienenen Arbeiten, sowie überhaupt
einige Lehrbücher hervorgehoben werden.
H. H.
N. F. XX. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
47
Anregungen und Antworten.
Die Ausbreitung eines dominanten Merkmales in der freien
Natur. Den Anlaß zu den folgenden Bemerkungen bildet der
Artikel von Dr. Hugo Fischer in dieser Zeitschrift.') In
dem Hauptpunkte zwar, in der Überzeugung von der hohen
Bedeutung der Mutationen und der Orthogenesis bei der l'^ot-
stehung der Arten, stimme ich mit dem Verfasser durchaus
überein. In einem Punkte aber ist seine Auffassung richtig
zu stellen. Er nimmt nämlich an, daß ein durch Mutation
neu aufgetretenes Merkmal, wenn es nach den Mendelschen
Regeln erblich und zwar dominant ist, daß es dann bei freier
Kreuzung von selbst, d. h. ohne daß es Selektionswert be-
sitzt, sich weiter ausbreiten und „wie eine ansteckende Krank-
heit allmählich die ganze Sippe ergreifen" werde. Diese
falsche Auffassung ist mir auch sonst in der Literatur wieder-
holt begegnet. Johannsen warnt in seiner Erblichkeits-
lehre'-) davor. ,, Die Erscheinung der Dominanz hat . . . ge-
legentlich zu der irrigen Auffassung Veranlassung gegeben, es
müßte die Dominanz ein sukzessives Überwiegen dominierend
charakterisierter Individuen mitführen. Davon ist aber keine
Rede." Ebensowenig kann andererseits auch von einem all-
mählichen Verschwinden eines rezessiven Merkmales als Folge
der Mendelschen Gesetze allein, d. h. ohne Eingreifen von
Selektion die Rede sein.
Man kann sich durch eine einfache Rechnung von diesen
beiden Tatsachen überzeugen. Sie ist 1908 von Hardy^)
veröffentlicht. Ich habe die kleine Rechnung bald nach dem
Bekanntwerden der Mendelschen Gesetze ebenfalls durchge-
führt und dasselbe nur noch etwas allgemeinere Ergebnis
erhalten.
Die Aufgabe ist folgende : In einer Population tritt eine
Art in zwei Varietäten auf, die sich zunächst nur durch ein
Merkmal unterscheiden sollen. Außerdem können auch Bastarde
zwischen den beiden Varietäten vorhanden sein, die sich, wenn
vollkommene Dominanz des einen Merkmales vorliegt, von der
einen Varietät äußerlich nicht unterscheiden. Die Anzahlen
der Individuen der ersten Varietät zu denen der zweiten
Varietät zu den Bastarden verhalten sich wie p:q:x, wobei
X im speziellen auch gleich o sein kann. Die Individuen
kreuzen sich , ohne daß irgendwelche Zuchtwahl stattfindet,
d. h. nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitslehre. Für
die Vererbung des unterscheidenden Merkmales gelten die
Mendelschen Regeln. Welches ist dann das Verhältnis der
Anzahlen der Individuen reiner Rasse der ersten Varietät (P)
zu denen reiner Rasse der zweitenVarietät (Q) zu den Bastarden (X)
in der nächsten und den weiter folgenden Generationen ?
Die drei Gruppen von Individuen können auf 6 ver-
schiedene Weisen zu zweien kopulieren ; es können nämlich
gebildet werden die Kopulae PP, PQ, PX, QQ, QX, XX.
Die Wahrscheinlichkeiten dieser Kombinationen verhalten sich
nach den Regeln der elementaren Wahrscheinlichkeitslehre wie
p(p — l); 2pq :2px; q(q — l):2qx:x(x — l). Hierfür kann man,
wenn die Anzahl der vorhandenen Individuen nicht gar zu klein
ist, mit großer Annäherung setzen p-: 2pq : 2px: q- :2qx:x'^.
Nach den Mendelschen Regeln gehen nun hervor:
Aus der Kombi-
nation
PP
PQ
PX QQ QX
XX
Nachkommen in
der ersten Gene-
ration
lauter
P
lauter
X
V2P
V2.X
lauter
Q
VaQ
V,x
'/*p
V«Q
V,x
Daraus erhält man die relative Häufigkeit der verschiedenen
Individuen in der ersten Nachkommengeneration. Es ver-
halten sich die Zahl der Individuen P zu den Q zu den X wie
(p+£^(, + })^.(p + ^)(, + ^).
*) Hugo Fischer: „Orthogenesis, Mutation, Auslese."
Naturw. Wochenschr. 1920 Nr. 36.
^) W. Johannsen: , .Elemente der exakten Erblichkeits-
lehre." G. Fischer, Jena 1909, S. 378.
^) Hardy; „Mendelian Proportions in a Mixed Popu-
lation." Science N. S. 1908, Bd. 28.
Für die folgende Generation erhält man auf entsprechen-
dem Wege das Verhältnis der relativen Häufigkeiten wiederum
P 4- ^f ^ (. + 'tf - (P + I) K I). --
kommt also zu dem Ergebnis, daß schon in der ersten Nach-
kommengeneration ein Gleichgewichtszustand sich
herstellt, der bei weiterer freier Kreuzung nicht wieder ver-
lassen wird.
Zu demselben Ergebnis kommt man leicht auch, falls das
betrachtete Merkmal in drei oder beliebig vielen verschiedenen
Ausprägungen auftritt. Im besonderen vermehrt sich
nach der ersten Kreuzung die relative Häufig-
keit der d ominan tm erkm aligen Individuen nicht
weiter. Sie kann nur zunehmen, wenn das Merkmal durch
wiederholte Mutationen immer neu erzeugt wird oder wenn
es positiven Selektionswert besitzt. Johannes Reichel.
Einige Bemerkungen zu dem Aufsatz von H. Fischer
„Orthogenesis, Mutation, Auslese" (in Nr. 36, 1920, S. 561 — 566).
Über die Möglichkeit einer Artveränderung durch direkte Ein-
wirkung des Milieus zu streiten, hat wenig Zweck, da eine
sichere Entscheidung nach dem gegenwärtigen Stande der
experimentellen Forschung nicht möglich ist. Immerhin dürfte
Fischer (S. 561, Sp. 2, Z. 24) die N i c h t vererbbarkeit auch
körperlich erworbener Eigenschaften nicht als erwiesene Tat-
sache hinstellen. Er dürfte höchstens sagen, die Vererbbar-
keit derselben sei bisher nicht erwiesen, was natürlich etwas
ganz anderes ist. Wird doch mancher z. B. auf Grund der
Umfärbungsversuche Kammerers mit Salamandra (wobei nur
eine ganz geringe Spur von. Licht zu den Keimzellen dringt,
also sog. Purallelinduktion fast ausgeschlossen ist) und anderer,
experimenteller Daten diese Vererbbarkeit somatischer Merk-
male sogar für wahrscheinlich halten, wenn wir von allem
nichtexperimentellem Material absehen, auf das ja auch F. —
mit Recht — wenig Wert legt, wie aus einer Bemerkung
gegen O. Hertwig (dessen extreme Stellungnahme mit Recht
kritisiert wird) hervorgeht. Das hält F. jedoch nicht ab, als
Beispiel für die Wirkung der Auslese selbst einen nichtexperi-
meniellen, also nicht sicheren „Fall" zu verwenden (Anm.
S. 562). Daß alle Organismenarten durch irgendeine Milieu-
bedingung verändert werden müßten, noch dazu in gleichem
Sinne, hat wohl noch niemand behauptet, Fischers diesbe-
zügliche Erörterungen sind also überflüssig (S. 562, Sp. l). —
Die auf den späteren Seiten mitgeteilten Fälle von nicht
nützlichen Merkmalen — daß es solche gibt, hat schon be-
sonders Nägeli hervorgehoben (Organisationsmerkmale) —
sind allerdings kaum durch Auslesewirkung zu erklären, weniger
sicher sprechen sie gegen die sog. Vererbung erworbener
Eigenschaften. — Übrigens sind die Ansichten nicht bloß über
diese letztere, sondern auch über die von F. bevorzugte
Mutationstheorie recht verschieden. Denn das bisher beige-
brachte experimentelle Mutationsmaterial ist für die Evolution
so gut wie werllos, so daß als (noch dazu indirekte) Stütze
dieser Ansicht eigentlich nur der Mendelismus mit seinen Erb-
einheiten in Betracht kommt. — Auf Seite 562, Sp. I, Z. 8
weist F. hin auf „die Frage der Artbastarde, die allein mit
dem einfachen Mendelismus nicht aufzuklären" sei. Das ist
mindestens mißverständlich. Denn daß Artbastarde ebenfalls
mendeln, haben die Artkreuzungsversuche Baurs, Lotsys
und anderer mindestens wahrscheinlich gemacht, wenn nicht
erwiesen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um t oder 2,
sondern uro eine größere Zahl unabhängig mendelnder Fak-
toren. Vielleicht soll sich hierauf Fischers unklare Be-
merkung vom „einfachen" Mendelismus beziehen, wobei man
allerdings nicht wüßte, bei wieviel Faktoren dieser einfache
Mendelismus aufhört. — Unklar ist auch die Definition der
Orthogenesis (auf S. 563, Sp. 1, Z. 29) als „Summe erblicher
Abänderungen, die in gleicher Richtung erfolgen". Hierbei
ist nicht zu erkennen, ob gemeint ist das gleichzeitige Auf-
treten einer Reihe von Organismen, die in gleicher Weise
von der Norm abwichen, oder das Auftreten einer Reihe von
Veränderungen nacheinander, die sich in der gleichen Richtung
bewegen, bei demselben Organismus oder wenigstens in der-
48
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 3
selben Deszendenzreihe. Dort scheint es, als wäre beides ge-
meint (vgl. S. 563, Abschnitt 2). — Ganz verfehlt ist end-
lich der Versuch, für die Orthogenesis (im ersten Sinne) den
Mendelismus heranzuziehen (S. 563, Z. 54), auf den ich hier
nicht eingehe, da es schon von anderer Seite kritisiert wurde
(s. oben). W. Peter.
Hellsehen nnd Namenraten. Das Referat von Wa sie-
le wski über Tischners Ausführungen: ,,Über Telepathie
und Hellsehen" (diese Zeitschrift N. F. 19, Nr. 28) veranlaßt
mich, hier einige Bemerkungen vorzubringen, die auf das beim
Hellsehen stattfindende psychische Geschehen ein höchst merk-
würdiges Streiflicht werfen. Ich kenne die Originalarbeit
Tisch n er s noch nicht, kann mich also derzeit nur auf obiges
Referat stützen. In diesem steht als gelungenes Beispiel des
Hellsehens folgendes: Die Versuchsperson sagt beim Be-
trachten des verschlossenen Zettels: ,,Ganz schön geschrieben,
fremder Name" und produziert dann die Namen: Zoroa,
Zarathust, Zarastro (richtiger Name war Sarastro). Wie man
sieht, wurde der aufgegebene Name nicht völlig richtig, aber
doch mit sehr grofler Annäherung gefunden, aber — und das
ist sehr wichtig — nicht auf einmal, sondern in
stufenweisem, tastendem Heranraten erarbeitet. Ks
ist, als hätte die Versuchsperson das aufgegebene Wort an-
fangs wie im Nebel gesehen und hätten sich ihr allmählich
einzelne Buchstaben (Vokale und Konsonanten) mehr oder
' minder aufgehellt, bis das ganze Wort klar, d. h. also richtig
zum Vorschein kam.
Genau dasselbe Phänomen nun beobachtet man in
bestimmten Fällen, wenn jemand einen ihm aus dem Ge-
dächtnis entschwundenen Namen wieder aufsuchen will. Es
kann dies häufig sofort oder wenigstens plötzlich in dem
Sinne gelingen, daß nach einigem Nachdenken gleich das
richtige Wort hervorspringt, oder aber es gelingt oft überhaupt
nicht. In bestimmten Zwischenfällen jedoch kann infolge
langsamen Ablaufes des psychischen Prozesses dieser analysiert
werden, wobei es gelingt, die einzelnen Phasen dieses Vor-
ganges festzuhalten. Ich gebe einige einfachere von mir ge-
sammelte Beispiele, in denen das jeweils letzte Wort das ur-
sprünglich vergessene, aber allmählich wiedergefundene Wort
darstellt. (Die Wörter sind nicht orthographisch , sondern
mehr oder weniger phonetisch geschrieben); I. oto, poto,
ponto, pontis. — 2. matuschek, malischek, marlinek. —
3. pastinak, pasternek, partinek, partonek. — 4. garibaldi,
kanibali, chinaldi, califatti. — 5. heberdey, humperdink,
korumpey. —
Auch hier schwebt eine Art Nebelbild des vergessenen
Wortes vor: man beachte, daß schon der erste Schritt in der
Anzahl der Silben, oft auch in der Vokalfolge, in der Bildung
charakteristischer Buchstabenkomple.xe oder Silben bereits
große Ähnlichkeit mit dem Endwortc aufweist. Stufenweise
werden dann unrichtige Buchstaben oder Kombinationen aus-
geschaltet, immer richtigere eingefügt, bis das richtige Wort
hervorkommt.
Das nähere Studium dieses Heranratens birgt eine Fülle
interessantesten Details und allgemeiner Gesetzmäßigkeiten,
über die ich gelegentlich anderswo berichten will.
Aber auch auf anderen Gebieten spielt das Heranraten
eine auffallende Rolle. Am besten bekannt ist es wohl beim
Kopfrechnen, wobei das Wesen desselben in einer Zerlegung
des Rechnungsvorganges in Teiloperationen, in Annäherungs-
Schritte besteht. Auch die Art und Weise, wie die rechnenden
Pferde ihre Aufgabe lösen, ist wenigstens in manchen Fällen
als ein Heranraten erkannt worden. In der Traumarbeit auf-
tretende Wortbildungen erinnern durch den Verlauf ihrer
Bildung mitunter ebenfalls an ähnliche Vorgänge, Verlesen
und Versprechen sind damit in Zusammenhang zu bringen.
Versuch und Irrtum (trial and error) stehen damit ebenfalls
in gewisser Beziehung. Und die Als-Ob-Philosophie weist in
manchen Fällen von Fiktionsbildung auf ähnliche Erschei-
nungen hin.
Ich konnte hier alle diese Dinge nur kurz andeuten und
behalte mir ausführlichere Mitteilungen vor. Jedenfalls werfen
die hier skizzierten Fälle, vor allem das Wiederauffinden
vergessener Namen durch Gedächtnisarbeit ein
höchst merkwürdig es Schlag licht aut verschiedene
Gebiete psychischen Geschehens und werden
vielleicht auch bei der Untersuchung gewisser
Phänomene des Hellsehens zu überraschenden
Ergebnissen führen.
Klosterneuburg bei Wien. L. Linsbauer.
Dem sehr beachtenswerten Aufsatz von O. Schnurre:
„Die Schwalben in der deutschen Urlandschaft". Naturw.
Wochenschr. 1920, Nr. 42, S. 665 möchte ich noch folgendes
ergänzend hinzufügen. Da unserer Rauch- oder Stallschwalbe
in Nordamerika die Scheunenschwalbe {^Chelidon erythrogaster
Stcyn) entspricht, kann vielleicht deren Lebensweise über das
Urlcben unserer Rauchschwalben Auskunft geben. Vor der
Besiedlung Amerikas durcli die Europäer nistete die Scheunen-
schwalbe in hohlen Bäumen, unter Vorsprüngen der Felsen,
an Klippen, in Erdhöhlungen, Felsenritzen und ähnlichen Ort-
lichkeiten, und auch heute noch hält sie in den westlichen
Gebirgen an dieser ihrer primitiven Nistweise fest. „Sobald
die Axt des fleißigen Ansiedlers erschallt, schreibt H. Nehr-
ung („Die nordamerikanische Vogelwelt", Milwaukee 1891,
S. 277), ertönt auch das Gezwitscher dieses traulichen Men-
schenfreundes wie ein Echo, und sobald das primitive Block-
haus inmitten des Waldes errichtet ist, hängt sie auch schon
laut zwitschernd unter der Dachtraufe, in der Spitze des
Giebels oder am Dachsparren, um sich einen passenden Platz
für ihren Erdpalast auszusuchen."
Auf Grund dieser Tatsachen, sowie auch noch auf Grund
anderer Erwägungen möchte ich daher glauben, daß unsere
Rauchschwalbe in der deutschen Urlandschaft nicht nur
Steppen- sondern auch Waldbewohner war, namentlich
natürlich in der Nähe der Wildwechsel sowie der Futterplätze
der großen Tiere und der Lichtungen. Und wenn wir weiter
in die Diluvialzeit zurückgehen und ferner bedenken, daß die
Rauchschwalbe fast ausschließlich im Innern der Gebäude zu
brüten pflegt, so wird die Annahme nicht ohne weiteres von
der Hand gewiesen werden können, daß sie auch am Ein-
gang der damals außergewöhnlich wildreichen Höhlen ge-
brütet haben mag. Dr. W. R. Eckardt in Essen.
Literatur.
Oppenheimer, Prof. Dr. C, Kleines Wörterbuch der
Biochemie und Pharmakologie. Berlin und Leipzig '20, de
Gruyter & Co. 16 M.
Großmann, Prof. Dr. H., Fremdsprachliches Lesebuch
für Chemiker. Leipzig '20, Joh. A. Barth. 28,20 M.
Planck, M., Die Entstehung und bisherige Entwicklung
der Quantentheorie. Ebenda. 4 M.
Boveri-Boner, Dr. Y. , Beiträge zur vergleichenden
Anatomie der Nephridien niederer Oligochäten. Mit 6 Text-
abb. u. 3 Tafeln. Jena '20, G. Fischer. 8 M.
Czapek, Prof. Dr. Fr., Biochemie der Pflanzen. 2. Aufl.
2. Bd. Ebenda. 66 M.
Inhalt: M. Kästner, Bemerkungen zur Entstehung und Besiedlung des Trockentorfs. S. 33. — Bücherbesprechungen:
Ad. Stöckhardt, Schule der Chemie. S. 41. Wo. Pauli, Kolloidchemie der Eiweißkörper. S. 42. B. Bavink,
Einführung in die anorganische Chemie. J. Klein, Chemie, Anorganischer Teil. S. 43. K. B. Lehmann und R.
O. Neu mann, Atlas und Grundriß der Bakteriologie. S. 44. Ch. Riebet, Anaphylaxie. S. 44. W. Schottler,
Der Vogelsberg, sein Untergrund und Oberbau. S. 45. J. Fitschen, Gehölzflora. S. 45. V. Franz, Ursprüngliches
in der warmblütigen Tierwelt der Kriegsgebiete. S. 45. H. Grossmann, Fremdsprachiges Lesebuch für Chemiker.
S. 46. A. Legahn, Physiologische Chemie II. Dissimilation. S. 46. — Anregungen und Antworten : Die Ausbreitung
eines dominanten Merkmales in der freien Natur. S. 47. Einige Bemerkungen zu dem Aufsatz von H. Fischer ,, Or-
thogenesis, Mutation, Auslese". S. 47. Hellsehen und Namenraten. S. 48. Die Schwalben in der deutschen Urland-
schaft. S. 48. — Literatur: Liste. S. 48.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstrafie 41, erbeten.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folge 20. Band ;
der ganzen Reihe 36. Band.
Sonntag, den 23. Januar 1921.
Nummer 4.
Das Typhetum in der frühen deutschen Graphik.
Von Prof. Dr. Ernst Küster in Gießen.
[Nachdruck verboten.]
Mit I Abbildung im Text.
Das Streben der Zeichner und Maler nach
naturgetreuer Wiedergabe der Pflanzenwelt kennt
zwei Ziele: das eine besteht in der möglichst
porträtähnlichen Darstellung eines Pflanzenindivi-
duums oder einer Pflanzenspezies, bei dem anderen
handelt es sich um eine den natürlichen Verhält-
nissen entsprechende Auswahl und Verteilung der
Pflanzen im Bilde.
Wie sorgfältig bereits die Künstler des
15. Jahrhunderts die Merkmale zahlreicher Pflanzen-
arten studiert und im Bilde wiedergegeben haben,
lehrt ein Blick auf die Gemälde der frühen Nieder-
länder, auf den Genter Altar, auf die Werke des
Regier v. d. Weyden, Dirk Bouts, Hugo
V. d. Goes u. a. und lehren noch eindringlicher
die Zeichnungen eines Dürer, seine „Rasen-
stücke", seine „Heilpflanzen" [Aiiagallis usw.), sein
Chelidonimn. Hervorragend als Pflanzenbeobachter
waren Botticelli, Leonardo da Vinci ^)
und viele andere italienische Künstler des Quattro-
cento und der ihm folgenden Jahrzehnte.
Von der Fähigkeit der Maler, auch die Ver-
teilung der Pflanzenarten auf verschiedenartige
Standorte zu studieren und das Ergebnis solcher
Studien künstlerisch zu verwerten, indem von
ihnen wohlcharakterisierte, leicht erkennbare
Pflanzenformen für die Kennzeichnung der im
Bilde dargestellten Geländearten verwendet werden,
gibt uns eine recht geringe Zahl von Werken
überzeugende Kunde. Die ausgezeichneten Pflan-
zenkenner, als welche wir die Meister des Genter
* Altars zu bewundern haben, schenkten ihr Inter-
esse nicht nur der Morphologie, sondern auch der
Ökologie oder Standortslehre der ihnen zugäng-
lichen Pflanzen. Rosen") macht darauf aufmerk-
sam, daß die Brüder van Eyck im Mittelbild
ihres Altarwerkes (Brunnen des Lebens) nicht nur
sehr zahlreiche Pflanzenarten abbilden, sondern
auch sehr verständnisvoll den Standortsbedürfnissen
der Pflanzen gerecht werden: Nasturtutm offici-
nalc und Cardamiiie pratensis lassen die Künstler
in der Nähe des Baches grünen, Asperiila odo-
rata wird im Schatten untergebracht, die Wiese
bevölkern sie mit Wiesenpflanzen.
Das biologische Verständnis der Brüder van
') Vgl. namentlich R o s e n , Die Natur in der Kunst, 1903,
S. 309. — Ich ergänze seine Bemerkungen über Leonardo
mit dem Hinweis darauf, daß sich dieser auch mit dem Bau
des £uJ>/ioriia-Zy3,Üiium beschäftigt und mit dieser Pflanze
ein von den Malern und Graphikern seiner Zeit nur selten
dargestelltes Objekt studiert hat (Zeichnung in Windsor).
-) Rosen, 1903, a. a. O. S. 72.
Eyck verdient um so höhere Bewunderung, als
es ihr Werk vor so vielen gleichzeitigen und
späteren niederländischen und deutschen Gemälden
oder graphischen Erzeugnissen verschiedenster
Art hervorragend auszeichnet: die Sorgfalt der
Genter steht in auffälligem Widerspruch zu der
Unbedenklichkeit, mit der die späteren Künstler
Akelei und andere üppig grünende und prächtig
blühende Gewächse zwischen den Backsteinen der
Gemäuer und den Steinfliesen ihrer Hallen und
Paläste sich entwickeln lassen, Taraxacum neben
ConvaUaria stellen und anspruchsvolle Garten-
pflanzen ebendort anbringen, wo wir auf ihren
Bildern das Gras nur büschelweise gedeihen sehen.
Die Entdeckung, daß man durch richtige Wahl
der dargestellten Pflanzen den Schauplatz der
vom Künstler dargestellten Handlung hervorragend
gut charakterisieren kann, und daß in vielen Fällen
bestimmter Gewächse gar nicht zu entraten ist,
wenn die naturwahre Darstellung eines bestimmten
Schauplatzes gelingen soll , ist erst sehr spät ge-
lungen.') Die Maler und Graphiker des 15. Jahr-
hunderts deuten zwar gelegentlich gern den Wald
an , in dessen Schatten sich irgendein Vorgang
abspielt, begnügen sich aber mit der Darstellung
von Bäumen, ohne die einer bestimmten Baumart
— abgesehen von den Eichen, deren charakte-
ristische Blattform den Künstlern früh sich einge-
prägt hat — auch nur zu versuchen. Der Blick
auf „Kulturformationen" öffnet sich in vielen
frühen Darstellungeti, aber wir erkennen die Ab-
sicht der Künstler, Äcker und Felder usw. darzu-
stellen, mehr aus der geometrischen Felderung
des Geländes, den Zäunen und Hecken, aus aller-
hand landwirtschaftlichen Zutaten als aus den
botanischen Merkmalen der in Betracht kommen-
den Arten. Mit großer Liebe und oft mit be-
merkenswertem Geschick bauen Maler und Gra-
phiker des 15. und 16. Jahrhunderts tropische
Wälder und phantastische Vegetationen auf, wenn
es sich darum handelt, Adam und Eva im Paradies,
die Flucht der hl. Familie nach Ägypten -) oder
') Die griechische Kunst — von der minoischen bis zur
hellenistischen Periode — macht von den Pflanzen als Mitteln
für Charakterisierung eines Schauplatzes keinen nennenswerten
Gebrauch (wenn man von den Darstellungen der P/^/j-Sprosse
und -Früchte und der dekorativen Verwendung der Bäume ab-
sieht). Um so wirkungsvoller ist die Art, mit der die Künstler
des alten Ägyptens sich des Lotos und des Papyrus bedienen,
um die am Flußufer spielenden Szenen — Jagd .auf Wasser-
geflügel usw. — zu kennzeichnen.
'■') Vgl. Schenck, H., Martin Schongauers Drachenbaum
(Naturw. Wochenschr. 1920, Bd. 19, Nr. 49, S. 775).
50
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
Johannes den Evangelisten auf Patmos zu zeigen.
Selbst dann, wenn naturwahr gezeichnete Palmen
das tropische Ensemble kennzeichnen helfen und
phantasievoll erdachte Exotenformen zurücktreten,
kann auch diese Art, den Schauplatz der Hand-
lung durch richtig gewählte Pflanzen zu charakte-
risieren, nicht mit der Beobachtungsgabe der
van E y c k wetteifern.
Unter den vielen Formationen der einheimi-
schen Flora, die leicht zu beobachten und für den
Maler und Graphiker leicht wiederzugeben sind,
spielt das Typhetum — d. h. die von Sümpfen
und Gräben her wohlbekannte aus Typha , dem
Liesch- oder Rohrkolben (Schmackedutschke,
Narrenzepter) gebildete Formation — eine be-
merkenswerte Rolle in der Kunst des 15. Jahr-
hunderts. Ihre gewaltigen Blätter und noch mehr
ihre zylindrischen schwarzen Kolben haben ihr
schon damals die Aufmerksamkeit der Pflanzen-
freunde gesichert. Beim Studium der frühen
Graphik muß es auffallen, daß das Typhetum im
15. Jahrhundert als Kennzeichen sumpfiger Stand-
orte, zur Charakterisierung der Fluß- und Seen-
ufer auch bei denjenigen Künstlern, die im übri-
gen keine besondere Begabung für die Beobach-
tung des Pflanzenlebens und die naturwahre Dar-
stellung der Standortsverhältnisse der Pflanzen er-
kennen lassen, sich einer bemerkenswerten Beliebt-
heit erfreut.
Der hervorragende oberdeutsche Stecher, den
wir als Meister E. S. zu bezeichnen pflegen (1450?
— 1467), belebt seine Darstellungen gern mit
reicher Flora. Die Begegnung der tiburtinischen
Sibylle mit Kaiser Augustus (L. 192) findet vor
einem Flusse statt. Daß die an seinem Ufer
grünende Gruppe monokotyler Gewächse aus
Typha besteht, halte ich für wahrscheinlich; alle
anderen Pflanzen, die der Künstler darstellt, wird
der Botaniker kaum zu benennen wagen : sie sind
unter seiner Hand teils zu schwungvollen Orna-
menten geworden, zum Teil zwar von ihm natura-
listisch, aber unter Vernachlässigung der spezifi-
schen Formen dargestellt; der Freude des Künst-
lers am Beobachten vegetabilischer Naturformen
stellen sie kein günstiges Zeugnis aus. Ganz
ohne Zweifel ist, deiß die auf der Taufe Christi
(L. 28) dargestellten Kolben eine Typlia-G:Tü-^^z
darstellen; von den zahlreichen roseitenbildenden
Pflanzen des Vordergrundes gilt dasselbe wie von
den auf L. 192 sichtbaren. 735*//(7 Gruppen von
befriedigender Naturwahrheit finden sich auf der
großen Taufe Christi (L. 29), deren Vordergrund
wiederum stilisierte Rosetten füllen. Nach Be-
trachtung dieser Stiche werden wir kaum be-
zweifeln können, daß auch die sterile Wasser-
pflanze, die am Ufer des vom hl. Christophorus
durchschrittenen Gewässers (L. 140) grünt, als
Typha bestimmt werden darf — um so weniger,
als inmitten des Wassers an einer felsigen Klippe
ein kolbentragendes Exemplar sichtbar ist.
Die Blätter des Hausbuchmeisters geben —
trotz seiner Vorliebe für Kranzgewinde, für Garten-
und Walddarstellungen — dem Botaniker nur ge-
ringe Ausbeute. Die feine Beobachtungsgabe, die
der Meister in den Dienst der Menschen- und
Tierdarstellung stellt, scheint — wie bei so man-
chem anderen Künstler — der Pflanzenwelt gegen-
über untätig zu bleiben. ^) Um^ so überraschender
ist, daß die Typha wiederholt und gut gelungen bei
ihm erscheint, bei den Darstellungen des hl.
Christophorus (L. 31 und L. 32) an Flußufern, wie
die Ökologie der Pflanze es fordert, — in anderen
Fällen (L. 41, L. 67, L. 71) ohne solche örtliche
Beziehungen. Gerade für Christophorusdarstellun-
gen hat aber auch der Hausbuchmeister gewiß
schon so viele, mit Typha ausgestattete Vorbilder
gehabt, daß wir aus den wohlgelungenen Typhetum-
Darstellungen seines Griffels nicht auf eigene
Naturbeobachtung zu schließen nötig haben.
Eine stattliche Kollektion von Typhetum-
darstellungen bringt der Illustrator der kölnischen
Bibel von 1478, deren schöne Holzstöcke später
noch einmal in der von Kob erger, dem Nürn-
bergischen Drucker und Verleger des Schatz-
behalters, der Schedeischen Chronik usw., heraus-
gegebenen sog. Neunten deutschen Bibel (1483)
Verwendung finden. Ich verweise für die letztere
auf die Darstellung des Opfers von Kain und
Abel (fol. VI), auf Moses vor seinem göttlichen
Gesetzgeber (fol. XLIX), eine weitere Mosesszene
aus den Numeris (4. Mos. 10; fol. LXXI), auf
Tobias mit dem Engel (fol. CCXXXIIII). Überall
erscheint Typha als leicht erkennbarer Begleiter der
Wasserläufe. Der Illustrator der genannten Bibeln ist
für unsere Frage besonders ergiebig, weil er es sehr
liebt, seine Bildchen mit Bächen, Flüssen oder
Seen zu beleben, auf deren Spiegel sich zumeist
ein Schwan schaukelt. Auch durch vegetabilische
Zutaten die Wasserläufe zu kennzeichnen, hat der
Künstler freilich nur einige Male das Bedürfnis
gefühlt. Wenn er auch seine Darstellungen gern
mit Vegetation ausstattet, und seine Bäume gut
beobachtet und gezeichnet sind, so bleibt doch
die Typha, auch bei ihm die einzige mit Sicher-
heit bestimmbare und ökologisch an die richtige
Stelle gesetzte Pflanze. Gar nicht selten läßt der-
selbe Künstler an den Ufern seiner Gewässer
sterile Sumpfpflanzen sprießen , die nach dem
Laub zu schließen, recht wohl Typha sein könnten ;
vielleicht hat der Künstler auch bei jenen tat-
sächlich an den Rohrkolben gedacht.
Auf die Bibel läßt 1 49 1 K o b e r g e r den Schatz-
behalter folgen, dessen Holzschnitte von Nürnberger
Meistern stammen. Wir haben hier auf die
„35. Figur" zu verweisen, die Auffindung Mosis:
am Ufer des Nils läßt der Illustrator ein reiches
Typhetum sich entwickeln, das vorn das Bild
abschließt. Die lockenähnlich stilisierten Blätter
unterscheiden den Schnitt deutlich von dem des
niederrheinischen Meisters. Ähnliche Formen
') Die vielen Bilder im „Spiegel menschlicher Behältnis"
sind vollends so gut wie vegetationslos (vgl. Naumann,
HolzschniUe des Meisters vom Amsterdamer Kabinett z, Sp.
menschl. Beh., Straßburg 1910).
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
5>
zeigen die Typ/ia-?{iAnzen in Schedels Welt-
chronik — ich verweise auf das Städtebild von
„Constancia" (fol. CCXLI).i) —
Auf den schönen Holzschnitten, die das von
Bergman von Olpe 1494 herausgegebene
„Narrenschiff'' Sebastian Brants schmücken,
spielen vegetabilische Zutaten eine geringe Rolle.
Am allerwenigsten ist versucht worden, durch
Studium des natürlichen Vorkommens der Pflanzen
in der Vegetation ein Mittel zur Kennzeichnung
des Geländes zu finden. Einen schwachen Ver-
such hierzu dürfen wir immerhin in der Dar-
stellung des Narren am Vogelgarn erkennen : der
Waldrand, an dem der Vogelsteller Platz ge-
nommen hat, wird sogar durch Farnkraut ge-
kennzeichnet. Um so wichtiger wird hiernach
die Rolle, welche auch in dieser Holzschnittfolge
das Typhetum spielt: den Narren, der „in pfütz
und moß" watet, zeigt eine der ersten Darstel-
deuten. Das geschieht auch bei den Typha-
Pflanzen, deren Kolben als schwarze Massen in
dem Bilde eingetragen sind.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Baseler Holz-
schnitt ist die Typhetumdarstellung bei Felix
H e m m e r 1 i n : Varie oblectationis opuscula et
tractatus, Argentorati Joh. Preiß, 1477). ') Die
hier reproduzierte Abbildung zeigt den von
Wespen umschwärmten Hemmerlin, der inmitten
eines 7)'Ma- Bestandes kniet. Wir bemerken an
letzterem manche gut beobachtete Einzelheit und
stellen fest, daß Mensch und Typha auf dem
Straßburger Schnitt in richtigen Proportionen
dargestellt sind.
Von weiteren Holzschnittwerken erwähne ich
noch das Exercitium super pater noster (Krems-
münster) ^) mit einer schönen ökologisch richtig
angebrachten Ty/^/^a-Gruppe. Das Berliner Kabi-
nett bewahrt einen den hl. Christophorus dar-
lungen des Buches inmitten einer dichten
Typhagruppe; ihre Halme sind wie das Laub,
allerdings unsorgfaltig gezeichnet und im Ver-
hältnis zur Gestalt des Narren viel zu klein
geraten. — Wie bekannt, hat man — wohl mit
Unrecht — versucht, die Holzschnitte der Berg-
manschen Offizin dem jungen Dürer zuzu-
schreiben. Ich erwähne in diesem Zusammen-
I hang, daß mir weder aus Dürers Werk noch
I aus dem Schongauer sehen bisher eine Dar-
stellung des Typhetum bekannt geworden ist, —
j wie überhaupt beiden die Pflanzenwelt zur Cha-
rakterisierung des Schauplatzes zu verwerten, fern
lag. — Der Künstler der Bergmanschen Offizin
liebt es wie andere Künstler seiner Zeit, einzelne
Teile seiner Darstellungen schwarz auszufüllen,
um den Lokalton der betreffenden Dinge anzu-
') Vgl. auch das sterile Zy/^a-Exemplar von „Cracovia".
stellenden Holzschnitt, *) der vielleicht schon dem
16. Jahrhundert angehört. Er zeigt im Vorder-
grund eine Typha — sie ist zwar schlecht be-
obachtet, aber doch die einzige nach der Spezies
bestimmbare Pflanze, die auf dem Schnitte sicht-
bar ist.
Bei der weiten Verbreitung der Rohrkolben
in der frühen deutschen Graphik wäre es nicht
zu verwundern, wenn gar mancher Zeichner von
den Werken früherer Künstler seinen vegetabili-
schen Motive entlehnt hätte und hierbei zur Dar-
stellung mißverstandener und mißratener Typha-
') Hain 8425, Proctor 581 : vgl. auch Jos. Baer&Co.
Incunabula, xylographica et typographica 1455 — 1500, p. 52, 13.
') Schreiber, Manuel de l'amateur de la gravure sur
bois et sur metal, T. VII (1895), tab. LXVII ; vgl. auch
T. VIII, 1900, tab. LXXXVIII.
^) Kristeller, Holzschnitte im kgl. Kupferstichkabinelt
zu Berlin. Zweite Reihe 1915, Tab. LXX.
S2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
Pflanzen gekommen wäre. Beispiele für letztere
ließen sich leicht erbringen : ich verweise auf die
Zj'/'^ö'-Darstellungen eines holländischen „Specu-
lum humanae salvationis" aus dem 15. Jahr-
hundert oder auf die Holzschnitte zur Fridolins-
legende (Ulm, Joh. Zainer, ca. 1480).
Von der französischen Graphik erwähne ich
den Pariser Totentanz von i486 („Miroer salutaire
pour toutes gens"). Der Künstler, der in zahl-
reichen kleinen Darstellungen den Boden mit
einer Fülle kleiner Blümchen ausstattet, weiß
nichts von Naturbeobächtung und naturalistischer
Darstellung der Gewässer; seine Streublumen zu
benennen, ist unmöglich — nur eine (in natur-
widrig kleinem Format erscheinende) Typha-
Pflanze scheint hiervon eine Ausnahme zu machen.
Daß der Zeichner seine Typha von anderen gra-
phischen Darstellungen entlehnt und abgeschrieben
hat, ist wahrscheinlich.
Von den Italienern mag Mantegna genannt
sein ; Typheta stellt er auf seinen Tritonenkämpfen
dar (B. 17, B. 18), die zweite Darstellung zeigt
Typha neben blühendem Schilf. —
Die große Beliebtheit, deren sich die Typha
bei den Künstlern des Quattrocento erfreut, und
die sie auch in späteren Perioden nicht verliert,
ja bis in unsere Tage behalten zu wollen scheint,
erklärt sich nicht nur durch die Auffälligkeit
ihres Habitus und ihrer Färbung, sondern ebenso
sehr aus dem Umstände, daß ihre charakteristi-
schen formalen Eigenschaften mit wenigen Strichen
und bescheidenstem Aufwand bereits befriedigend
zur Darstellung gebracht werden können und in '
allen Techniken leicht zu bewältigen sind. Wie
in Kupferstich und Holzschnitt sind die Rohr-
kolben auch für den mit Pinsel und Farbe
arbeitenden Künstler leicht wiederzugeben. Um
auch hier Beispiele zu nennen, verweise ich auf
das schöne Typhetum, das der Brügger IVIeister
der Ursulalegende in der iVlartyriumszene gegeben
hat (Kloster der Sceurs noires zu Brügge). Ein
besonders schönes Werk der Miniaturmalerei
finden wir in den Tres heiles heures de Chan-
tilly (tab. VI, VII, XXXVII); auf einem der Bild-
chen sehen wir Typha neben Kopfweiden die
Vegetation eines Bachufers nicht übel kennzeichnen.
Sogar der Bildhauer findet in der Typha ein
Gewächs, das mit seinen besonderen technischen
Mitteln charakteristisch wiederzugeben leicht mög-
lich ist. Beispiele sind mir freilich zunächst nur
aus der mit heraldischen Motiven beschäftigten
Bildhauerei ') bekannt geworden.
Wir besitzen noch keine vergleichend-ikono-
graphischen Studien für die Taufe Christi, den
hl. Johannes-Evangelist auf Patmos, die Christo-
phoruslegende, den wunderbaren Fischzug. Ich
zweifle nicht, daß das Studium der frühen Dar-
stellungen dieser Szene uns noch zahlreiche
weitere Belege für die bevorzugte Rolle kennen
lehren würde, welche der Typha -Vi.o\htn in der
Kunst des 15. Jahrhunderts spielt.
^) Typhakolben finden wir im Wappen der Rohrbeck
(Siebmachers Wappenbucli Bd. 5, Abt. 10, bürgerliche
Geschlechter 1916), Ried und gewiß noch anderer Familien
in deutlich „redender" Beziehung zum Namen.
Einzelberichte.
Die Aiistrockming Südafrikas.
Zu dieser Frage gibt Fritz Jäger in seinen
Beiträgen zur Landeskunde von Süd-
westafrika (Mitt. aus den deutschen Schutzge-
bieten, Ergänzungsheft Nr. 14, Berlin 1920, E. S.
Mittler & Sohn) sehr beachtenswertes Tatsachen- •
material. Er weist nach, daß an eine stetige Ver-
minderung der Niederschläge in dem letzten Men-
schenalter nicht zu denken sei, daß vielmehr die
Menge des Grundwassers, neben welcher die des
Oberflächenwassers gar keine Rolle spielt, sehr be-
deutenden Schwankungen unterliege, nicht nur inner-
halb einzelner Jahrgänge, sondern auch in Zeit-
räumen von Jahren und Jahrzehnten. Daß die
Abnahme dabei weit häufiger beobachtet wird als
die Zunahme, liegt in der Hauptsache daran, daß
das Wasser fast dauernd allmählich
sinkt, also um so weniger von künstlichen Boh-
rungen erfaßt werden kann. Demgegenüber kommen
starker örtlicher Verbrauch, Entwaldung, Gras-
brände, die hier und da lokal die Austrocknung
kleiner Gebiete begünstigen mögen, im großen
und ganzen doch kaum in Betracht. Sie ersticken
wohl "in trockenen Zeiten den Wasserrückgang,
ohne jedoch dadurch eine dauernde Verminderung
herbeiführen zu können. Wenn häufig das Aus-
trocknen des Ngamisees als ein Hauptbeweis für
die fortschreitende Austrocknung Südafrikas ange-
führt wird, so ist demgegenüber die Mitteilung
von A. G. Stigand, Notes on Ngamiland, G. J.
Bd. 39, S. 3766". von großer Bedeutung, nach
welcher beim Rückzug des Wassers am Westende
des Sees die Stümpfe von Steppenbäumen ent-
blößt wurden, woraus hervorgeht, daß einstmals
an Stelle des Sees Baumsteppe oder Trockenwald
stand.
Fragt man nun nach der Ursache der fast
dauernden Senkung des Wasserstandes, so scheint
sich Verf der Meinung Passarges anzuschließen,
die auch Ref. mehrfach ausgesprochen hat, daß
nämlich die Menge des in der Erdrinde befind-
lichen Bodenwassers nicht bloß von der heutigen
Niederschlagsmenge abhängig ist, sondern daß
jene noch große Vorräte aus einer regenreicheren
jüngsten geologischen Vergangenheit besitzt, die
erst allmählich aufgezehrt werden, ohne daß des-
wegen die Regenmenge wesentlich abnimmt.
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
53
Die heutigen Regen vermögen eben den Verlust
durch Verdunstung und Abfluß nicht zu ersetzen,
und dadurch trocknet tatsächlich der
Boden Südafrikas langsam aber stetig
aus, ohne daß deswegen eine wesentliche oder
stetige Abnahme der Niederschläge zu konstatieren
wäre.
Erst wenn das Wasser im Boden sich dem
heutigen Klima angepaßt hat, wird sich ein Still-
stand im Austrocknen des Bodens bemerkbar
machen. W. Halbfaß.
Berieht über eiue Forschiiugsexpedition
in Deutsch-Ostafrika.
G. Krenkel teilt in den Berichten der
Mathematisch • Physischen Klasse d. Sachs. Akad.
d. Wissensch. z. Leipzig, LXXI. Bd. seine
geologischen Ergebnisse mit. In vier Ge-
bieten der Kolonie hat er unter schwierigen
Kriegsverhältnissen — er kam wenige Wochen vor
Beginn des Krieges dahin — seine Untersuchungen
anstellen können: im Küstenland; im Uluguru-
gebirge; in der Landschaft Ugogo und im abfluß-
losen Rumpfschollenland; im Tanganjikaseegebiet.
Im südlichen Teil der Küstenzone tritt an das
Land unmittelbar der Kontinentalsockel an das
Meer heran (2000 m Tiefe). Im mittleren Teile
liegt vor der Küste ein 80 km breiter Schelf, aus
dem die Koralleninseln Mafia und Sansibar als
letzte Reste der alten zerstörten Küste hervor-
ragen. An der Ostküste des Schelfes findet sich
dann der Steilabfall des Kontinentalsockels. Im
Norden trennt ein 900 m tiefer Grabeneinbruch
die Insel Pamba vom Festland. Die Küstenlinie
ist hier vielleicht von tektonischen Verhältnissen
vorgezeichnet.
Das Küstenland bauen entweder Riffgesteine
(marine Kalke, echte Rififkalke, Korallensandsteine)
oder Gesteine fluviatiler Entstehung mit Ver-
witterungserden. Im mittleren Küstenland lagern
diese jungen Gesteine auf dem Sockel aus meso-
zoischen Gesteinen. Sowohl in den Rififgesteinen
als auch in den nicht marinen Bildungen lassen
sich zwei verschiedenaltrige Horizonte nachweisen.
Das Küstenland ist in schaukelnder Bewegung.
Man kann annehmen, daß eine Vernichtung des
Küstenlandes vor sich geht. Küstenterrassen sind
mehrfach stufenförmig übereinander gelagert.
Wir haben an der ostafrikanischen Küste entweder
eine Steilküste mit Kliff oder eine Flachsandküste
mit Dünen und Strandwällen vor uns. Nicht allein,
aber mit erklärt werden die „ertrunkenen" Täler
der ostafrikanischen Küste.
Das Ulugurugebirge steigt aus dem Steppen-
und Buschgebiete steil auf und ist von einer brei-
teren oder schmäleren Vorhügelzone umgeben.
Kurze, steile Täler führen in das Gebirge, dessen
höhere, regenreiche Abhänge von dichtem Urwald
bedeckt sind. An dem Westabhang tritt der
Graben der Mkatasteppe heran. Im Mkatagraben
fanden sich Schichten der pflanzenführenden unteren
Karruformation in Gestalt von dunklen Kohlen-
schiefern. Ob sie einer versenkten Decke oder
einem Becken angehören, ist noch nicht erwiesen.
Im vorgelagerten Menduberge fand man Asbest-
lager. Das Gebirge wird überwiegend von kristal-
linen Schiefern (Gneisen und Glimmerschiefer),
untergeordnet von Graniten und anderen Tiefen-
gesteinen aufgebaut. Kristalline Kalke herrschen
im Osten vor. Krenkel glaubt, daß ältere kristal-
line Schiefer und granitisch-körnige Gesteine von
jüngeren Graniten und verwandten Gesteinen
durchdrungen worden sind. Die Gneise und
Glimmerschiefer sind aufgerichtet, sogar stellen-
weise steilgestellt.
Als Ganzgesteine treten Pegmatite in 15 — 20 m
Mächtigkeit auf. Die Gänge werden von Längs-
und Querverwerfungen durchsetzt. Die Pegmatite
liefern Glimmerplatten, die abgebaut werden.
Das Hochplateau von Ugogo stellt im Gegensatz
zu den umgebenden Hochschollen eine Tiefscholle
dar. Morphologisch lassen sich folgende Bauele-
mente erkennenn: i. die Fastebene von Nord-
ugogo; 2. die Fastebene von Südugogo; 3. das
Ugogomittelgebirge; 4. das Ugogogrenzgebirge ;
5. das Rubehogebirge ; 6. die Turubruchstufe; 7.
das Bergland von Hochussandaui. Das Grund-
gebirge Ugogos bilden kristalline Gesteine. Jünger
sind wenig verbreitete jungvulkanische Gesteine.
Darüber legen sich die aus der Zerstörung der
älteren Schichten hervorgegangenen Deckschichten.
Krenkel nimmt an, daß die kristallinen Ge-
steine dem Altpaläozoikum angehören und bis zum
Präpaläozoikum hinabreichen. Die jungvulkanischen
Gesteine sind jungtertiären Alters. Die Deck-
schichten reichen vom Altquartär bis zur Jetztzeit.
Während Grundgebirgsschichten und Deckschichten
sich immer zusammen vorkommend zeigen, sind
die jungvulkanischen Gesteine nur auf den Umkreis
zwischen Makutupora und Manjoni in der Turu-
bruchstufe vorhanden. Das Fehlen aller paläo-
zoischen und mesozoischen Schichten ist eine
Folge der Abtragung durch Erosion. Die jung-
vulkanischen Gesteine treten in Gängen oder
Decken auf, sind emporgestiegen, als sich die
großen Brüche der ostafrikanischen Schollenzone
bildeten.
Das kristalline Grundgebirge ist spätestens
im Altpaläozoikum gefaltet worden. Das Grund-
gebirge wurde in der Folgezeit teilweise bis auf
den granitischen Kern abgetragen. Im Osten
Ugogos haben sich in abgesenkten Gebieten
Schiefermassen erhalten. Es entstand eine Fast-
ebene. Schon in der Kreidezeit, im jüngeren
Tertiär den Höhepunkt erreichend, begannen
tektonische Ereignisse, die Ugogo in den Bereich
der östlichen ostafrikanischen Zerrüttungszone
führen. Zwei große, landschaftlich deutlich hervor-
tretende Bruchlinien lassen Ugogo als Tiefen-
scholle aus dem Landschaftsbild heraustreten.
Durch das Innere Ugogos zieht als Bruchlinie
die Ilindilinie. Krenkel bezeichnet Ugogo als
„Kesselbruchfeld", das in seiner südwestlichsten
54
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
Ecke, in der großen Salzsteppe, am tiefsten abge-
sunken ist. Im Osten scheint eine weit gespannte
Verbiegung den Übergang zur großen Salzsteppe
zu vermitteln.
Am nördlichen Ostufer des Tanganjikasees
finden sich mächtige sedimentäre Ablagerungen
mit Diabasen in Form von Decken und Gängen.
Sie reichen bis zu dem GneisKungwestock im
Süden, zu den kristallinen Schiefern beim Orte
Njassa im Norden und in das Flußgebiet des
Malagarassi und Vindi im Osten. Fossilien fehlen
den Schichten bis jetzt völlig. Man hat die Schichten
zur „Tanganjikaformation" zusammengefaßt, die
Krenkel als den Absatz eines salzigen Binnen-
meeres auffaßt. Diese Formation zerfällt in die
liegenden „Sandsteinschichten" und die hangenden
„Kalkkieselschichten". Die Diabase sind lokal in
ihrem Auftreten beschränkt. Zusammenhängende
JVIassen bilden sie im Plateau von Hochuha. Süd-
lich davon zeigen sich Diabase in den Njamuri-
bergen. Die Schichten der Tanganjikaformation
sind wenig gestört, nur entlang einer Störungs-
zone von 15 km Breite, die mit der Entstehung
des Tanganjikagrabens zusammenhängt, finden sich
auffallende Verwerfungen. Am See sind eine
Menge Schollen vorhanden. Rudolf Hundt.
Die geologische Stellung des Faläolithikuins.
In den Mitteilungen der Wiener anthropolog.
Gesellschaft 50, 1920, S. 69 — 71 wirft V. Hilb er
aus Graz von neuem die Frage nach der geologi-
schen Stellung des Paläolithikums auf. Nach der
Boule-Obermaier sehen Gliederung ist das
ganze Oberpaläolithikum (vom Aurignacien an)
postglazial. Bekanntlich hat Penck und ihm im
wesentlichen folgend auch Bayer die Ansicht
vertreten, daß das Solutreen letztinterglazial, und
das kalte Mousterien der vorletzten Eiszeit ange-
höre. Die Stellung der Niederterrasse und des
jüngeren Löß wollte sich mit diesen Ansichten
jedoch nicht recht vereinbaren lassen. Wenn
die Niederterrasse letztglazial ist, so könnte der
jüngere Löß spätestens in einem früheren Ab-
schnitt des Letztglazials zwischen den Bildungs-
zeiten der Hoch- und Niederterrasse entstanden
sein. Der Löß ist aber nach seiner Schnecken-
fauna nicht eiszeitlich; der jüngste Löß müßte
demnach, wie auch Penck folgerichtig annimmt,
in das letzte Interglazial gehören und die zwei
Terrassen würden nach Penck dann den letzten
beiden Eiszeiten entsprechen.
Diese Folgerungen aber widersprechen un-
zweifelhaft den Tatsachen. Nicht nur das Solu-
treen, sondern auch das Aurignacien und Magda-
lenien liegen im jüngsten Löß. Was also für das
unbestrittene postglaziale Alter des Magdaleniens
gilt, gilt für das ganze Oberpaläolithikum.
H i 1 b e r glaubt eine Lösung dadurch ge-
funden zu haben, daß er die Schotterterrassen
oder, wie er sie nennt, Baustufen, nicht in Eis-
zeiten entstanden sein läßt. Da das Oberpaläo-
lithikum nacheiszeitlich ist, so muß auch der
Junglöß, welcher es enthält, nacheiszeitlicher Ent-
stehung sein. Für die vielfach erwähnte Nicht-
bedeckung der Niederterrasse durch Löß gibt es
für ihn nur die Erklärung, daß dieser Löß älter
ist als diese Terrasse. Da er aber wegen seines
Magdaleniengehaltes nacheiszeitlich ist, muß es
auch die (jüngere) Niederterrasse sein. In der
Nacheiszeit haben sich also zuerst Löß und da-
nach die Niederterrasse gebildet.
Für das aus den Kulturen gefolgerte Alter
des jüngeren Lößes sucht H i 1 b e r auch noch
andere unmittelbare Beweise zu geben. Neue
Analysen der Lößschneckenfauna ergaben nach
ihm in der strittigen Frage nach dem Klima-
charakter dieser Fauna deren gemäßigte Natur.
Die entgegengesetzten Ergebnisse anderer Autoren
sollen nach Hilber lediglich durch ausschließ-
liche Berücksichtigung einzelner nordischer Arten,
welche nach Hilber jedoch auch in nicht-
glazialen Ablagerungen vorkommen sollen, ge-
wonnen sein (?). Auch aus dem mehrfach be-
obachteten Auftreten einer warmen Fauna
zwischen zwei kalten im Löß will Hilber ein
Zeichen für nichtglaziales, interstadiales Alter des
jüngsten Lößes entnehmen. Es sei klar, daß das
Intensitätsmaximum einer Klimaperiode in der
Mitte der zugehörigen Ablagerung erscheinen
müsse. Wenn Wiegers also den jüngeren Löß
in drei Phasen, je eine kältere am Anfang und
am Schluß, und eine wärmere in der Mitte ein-
teile, so dürfe er dann nicht auf Eiszeit schließen,
da dort die kalte Fauna in der Mitte stehen
müßte. Es bleibe also weiter keine andere
Deutung übrig als die, daß der Löß nicht glazial
sei. Da der Löß ein Produkt klimatischer Fak-
toren sei, müssen auch die älteren Löße nicht-
glazial sein. Die Niederterrasse sei nach ihrer
Nichtbedeckung durch den Löß nach diesem ge-
bildet, also müsse sie ebenfalls postglazial sein.
Die geologische Stellung des Paläolithikums
denkt sich Hilber dann folgendermaßen: Chel-
leen und das kulturell und faunistisch eng mit
ihm verbundene Acheuleen gehören in die letzte
Zwischeneiszeit, das Mousterien fällt als Kaltzeit
in die jüngste Eiszeit und das ganze Oberpalä-
olithikum gehört in die Nacheiszeit.
Eine derartige Ansetzung löst gewiß „alle
Schwierigkeiten" — aber diese Lösung geht nur
zu glatt und zu einfach vor sich, als daß sie des-
halb von vornherein als richtig gelten könnte.
Schwerlich werden die Geologen von ihrer Seite
aus der von Hilber gegebenen Ansetzung zu-
stimmen. Das entscheidende Wort darüber liegt
bei ihnen, ich will ihnen als Archäologe nicht
vorgreifen.
Zum Schluß nur noch eine kleine nebensäch-
liche Bemerkung: Hilber schreibt ständig
Chellean, Acheulean usw. Diese wohl als „Ver-
deutschungen" gedachten neuen Formen sind
sprachlich ebenso unschön wie durch nichts ge-
rechtfertigt. Ich möchte deshalb dringend davon
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
55
abraten, sie etwa in die Literatur zu übernehmen
und durch sie die alten französischen Fachaus-
drücke ersetzen zu wollen.
Wernigerode a. H. Hugo iWötefindt.
Naturschutz in den Yereiuigten Staaten von
Amerika.
Im Jahresberichte 1919 des Nationalpark-
dienstes zu Washington berichtet Direktor
Stephan T. Math er über den Stand des Natur-
schutzes in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Zahl der dort bestehenden Naturschutz-
parks stieg im Jahre 1919 mit Errichtung des
Canjonparks am Coloradofluß und des La Fayette-
Nationalparks im Staat Maine auf 18. Dazu
kommen noch 33 kleinere Naturdenkmäler,
wovon 23 durch den Nationalparkdienst und 10
durch das Ackerbauministerium verwaltet werden.
Die gesamte Gebietsfläche der Naturschutzparks
beträgt 27800 qkm, jene der Naturdenkmäler
5000 qkm. Im Hauptlande der Vereinigten Staaten
befinden sich 16 Naturschutzparks, außerdem
je einer in Alaska und auf Hawaii. Östlich des
Mississippi liegt nur ein einziger Naturschutz-
park, nämlich der La Fayettepark in Maine. Es
ist aber die Errichtung weiterer solcher Parks
im Osten der Vereinigten Staaten zu erwarten;
am meistenAussicht auf Verwirklichung scheint
von den bestehenden Projekten jenes betreffend
einen Naturschutzpark im Sanddünengebiet des
Staates Indiana zu haben.
Der erste von der Regieruag errichtete Natur-
schutzpark war jener zu Hot Springs in Arkansas;
sein Gebiet wurde schon 1832 reserviert. Erst
1872 folgte dann der Yellowstone Nationalpark.
Das erste Naturdenkmal, das unter den Schutz
der Bundesregierung genommen wurde, ist die
weltbekannte indianische Ruinenstätte von Casa
Grande im Staat Arizona, nahe der mexikanischen
Grenze ; ein diesbezügliches Gesetz kam 1 892 zu-
stande. Dann folgte 1908 der sog. Teufelsturm
im Staat Wyoming.
Als Denkmäler der nordamerikanischen Indianer
und ihrer Kulturen kommen besonders das Casa
Grandegebiet und der Mesa Verde-Naturpark in
Betracht, letzterer im Staat Colorado. Die Aus-
grabungen im Mesa Verde-Park werden vom
Direktor des Bureau of Ethnology am National-
museum Dr. J. W. Fewkes geleitet, der auch
die Rekonstruktion einer Anzahl alter Bauten
ausgeführt hat. Außerhalb des Parkes, einige
Kilometer westlich von seiner gegenwärtigen
Grenze, befinden sich am Rande des Monte-
zumatales die sog. Aztekenbrunnen-Ruinen, die
von ihrem früheren Besitzer der Bundesregierung
geschenkt wurden, um als nationales Denkmal
erhalten zu werden. Auch im Nordwesten von
Mesa Verde, im Hovenweepbezirk, liegen zahl-
reiche indianische Ruinen, deren Schutz dringend
geboten ist.
Das Casa Grandenaturdenkmal und die weiter
gegen die mexikanische Grenze zu gelegene
Ruinenstätte von Tumacacori, die ebenfalls als
Naturschutzgebiet erklärt ist, stehen unter Ver-
waltung von Kustos P i n k 1 e y. Die Ausgrabungen
sind an beiden Plätzen noch nicht weit vorge-
schritten. Das Leben der Indianer der Gegen-
wart ist ebenfalls in einigen Naturschutzparks zu
beobachten, so im Grand Canyonpark des Colo-
radoflusses, in dem großen Gletscherpark im
Staat Montana (an der kanadischen Grenze) und
anderwärts.
Zu wichtigsten Aufgaben des Nationalpark-
dienstes gehört der Schutz der einheimischen
Tier- und Pflanzenwelt. Für wilde Tiere sind in
den meisten Naturschutzgebieten musterhafte Zu-
fluchtsstätten eingerichtet. Das ist notwendig,
nicht nur weil zum Teil das Wild von den In-
dianern abgeschossen wird, sondern auch, weil
es der zunehmende Touristenverkehr noch mehr
bedroht. Hatte doch 19 19 die Zahl der Besucher
schon 755000 betragen, verglichen mit 253000
1913 und 61000 1907. Bei Haus- und Wege-
bauten usw., die im Interesse der Erschließung
der Naturschutzgebiete für den Verkehr not-
wendig sind, wird stets strenge darauf Bedacht
genommen, den natüriichen Zustand der Land-
schaften so wenig wie möglich zu stören. Wo
in der Vergangenheit gegen diesen Grundsatz
verstoßen wurde, ist der Naturparkdienst bestrebt,
die ursprünglichen Verhältnisse wieder herzu-
stellen. Direktor Math er regt an, daß die Natur-
schutzgebiete in Zukunft mehr wie bisher für
Studienzwecke seitens der Hochschulen, aber auch
von Einzelpersonen, ausgenutzt werden sollen.
H. Fehlinger.
Die Natur des roten Farbstoffes der
Crustaceen
ermittelte der Franzose J. V e r n e. ') Der P arb-
stoff, der in besonderer Menge und Reinheit
beim Hummer in nahezu allen gepanzerten
Teilen seines Körpers angetroffen wird, gab mit
Jod eine veilchenfarbige Anlagerungsverbindung,
mit Schwefelsäure eine Blaufärbung. Das Ab-
sorptionsspektrum wurde für die Identifizierung
entscheidend. Es wies nämlich alle die Absorp-
tionsstreifen auf, die man auch am Carotin
festgestellt hat. Dieser Farbstoff ist bekanntlich
sehr verbreitet; es ist der Farbstoff" der Mohr-
rübe, des Eigelb, -) sowie manch anderer kress-
farbiger usw. Pigmentierungen Seine Überein-
stimmung mit dem Crustaceenpigment wird außer
den genannten Farbenreaktionen auch durch die
chemische Elementaranalyse erwiesen. Danach
ist in ihm das Verhältnis von Kohlen- zu Wasser-
stoff" wie 5:7. Das ergibt in Verbindung mit
ebuUioskopischen Bestimmungen die Bruttoformel
CjoHse. die von WiUstätter für das Carotin
sichergestellt ist.
') C. r. de la Soc. de Biologie; 83, S. 963 (1920).
'') Vgl. Naturw. Wochenschr., N. F. 17, S. 545 (1918).
56
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
Da das Chlorophyll, der Farbstoff des
Blattgrüns, auch im Tierreich festgestellt worden
ist,') so liefert der oben beschriebene F"und einen
neuen Beleg für die Übereinstimmung einer
ganzen Reihe physiologischer Bestandteile im
Pflanzen- und Tierreich. Die biologische Be-
deutung dieser Erkenntnis bedarf keines be-
sonderen Hinweises. H. H.
Atomgewicht von Wismut.
O. Hönigschmidt und L. Birckenbach
machen über diese Bestimmung eine vorläufige
Mitteilung, -) aus der hervorgeht, daß der bisher
international geltende Wert Bi = 208,o als erheb-
lich falsch angesehen werden muß. Dieser Wert
beruht auf Bestimmungen, die von Schneider,
Marignac (1883) und Gutbier (1908) gemacht
wurden und denen man unbesehen trauen zu
dürfen glaubte, weil die von den Genannten ge-
fundenen Werte bis auf geringe Abweichungen
gut miteinander übereinstimmen. Nun fand zwar
C lassen^) bereits 1890 einen Wert, der von
den anderen um nahezu eine Einheit abwich,
nämlich Bi =^ 208,9, «^ber da dieser Wert einzig
dastand, so fand er überhaupt keine weitere Be-
achtung. Ja, Brauner, dem man eine peinliche
Durchsicht aller Alomgewichtswerte verdankt, *)
ging so weit, die Sicherheit des international an-
genommenen Wertes als bis auf eine Einheil
der ersten Dezimale anzunehmen !
Die Analyse Hönigschmidts wurde am
Chlorid und Bromid vorgenommen. Reinstes
Wismut wurde in einem Quarzgefäß durch Er-
hitzen im Chlorstrom in das Chlorid überführt.
Dieses wurde in einem Stickstoffstrom in ein
anderes Quarzgefäß sublimiert und darin einge-
schmolzen zur Wägung gebracht. Aus dem so
gewogenen Chlorid wurde alsdann unter Ver-
wendung reinster Reagentien und Beobachtung
allergrößter Exaktheit mittels Silbernitrat das
Chlor bestimmt. Aus dem Verhältnis Wismut-
chlorid : Chlor konnte der wahre Wert des Atom-
gewichtes ermittelt werden. Als Mittelwert zahl-
reicher Bestimmungen ergab sich so der Wert
Bi = 209,06 ± 0,009.
In vorzüglicher Übereinstimmung hiermit er-
gab die Analyse des Bromids die Größe 209,034.
Diese Werte weichen mithin um eine Einheit
von dem bisher als richtig angesehenen Werte
ab; der neue Wert, an dessen Richtigkeit zu
zweifeln zunächst kein Grund vorliegt, ist also um
nicht weniger als 0,5% höher. Da der Wert
Classens ihm recht nahe kommt, so findet
dieser damit eine sicherlich unerwartete Recht-
fertigung. Im übrigen beweist dieser Fall wiederum.
•) Naturw. Wochenschr., N. K. 18, S. 303 (1919).
'') Sitzungsberichte d. Bayr. Akad. d. Wissensch. ; Math.-
Phys. Kl.; 1920, S. 83. Ausführliche Mitteilung: Zeitschr. (.
Elektrochemie 26, S. 403 (1920).
') Ber. d. d. Chem. Ges. 23, S. 938 (1890).
*) Vgl. A b e g g , Handb. d. anorg. Chemie. Leipzig 1 907 fl.
daß auch in den exakten Wissenschaften nicht
die Mehrheit ausschlaggebend gemacht werden
sollte, daß auch hier gut begründete Annahmen
nie sicher sind, eines Tages von den besser be-
gründeten abgelöst zu werden. H. Heller.
Gletscherbewegungen in der Schweiz
im Jahre 1919.
Seit 191 3 wurde in der Schweiz, ähnlich wie
in den österreichischen Alpen (vgl. für diese den
Bericht von Brückner in der Zeitschrift für
Gletscherkunde, 10. Bd. 1916, S. 137) der Wieder-
beginn des Vorrückens der Gletscher festgestellt,
nachdem sie sich seit 1888 im Rückzug befunden
hatten (vgl. die Berichte in den Jahrbüchern des
Schweizerischen Alpenklubs; die folgenden An-
gaben für das Jahr 191 9 sind zum Teil einer vor-
läufigen Notiz im Bulletin de la Societe Vaudoise
des Sciences Naturelles, Vol. 53, Nr. 198 ent-
nommen). Das Vorrücken machte sich im Jahre
1919 viel stärker als im Vorjahre bemerkar: von
100 beobachteten Gletschern befanden sich 69
im Zunehmen (1918: 46,5), 4 waren stationär
(1918: 14), und 27 (1918: 39,5) im Abnehmen.
Speziell im Kanton Wallis zeigten von 18 be-
obachteten Gletschern 9 einen Vorstoß, 8 ein
Zurückweichen, nur einer (der Mont- Fort- Gletscher
im Nendaztal) blieb stationär. Am stärksten,
nämlich um 25,30 m, ging der Zinalgletscher
zurück ; die Vorstöße dagegen erreichten viel be-
trächtlichere Werte, z. B. beim Trientgletscher
im schweizerischen Teil des Montblancmassives
31 m, beim oberen Grindelwaldgletscher 55 m,
beim Blattengletscher im Lötschental sogar 67 m.
Das Vordringen der Gletscher erfolgte oft mit
großer Heftigkeit: Felsen und Erdreich mit den
darauf stehenden Bäumen wurden mitgerissen und
Gebäude zerstört, z. B. eine Steinbrücke durch
den oberen Grindelwaldgletscher.
Im großen und ganzen scheinen sich die
Gletscherschwankungen ziemlich gut in die von
Brückner (vgl. Klimaschwankungen seit 1700.
Pencks Geogr. Abhdl. IV, 2, 1890) aufgestellte
35 jährige Periode der Klimaschwankungen zu
fügen ; die Zeiträume des Vorrückens umfassen in
der Schweiz im vergangenen Jahrhundert die
Jahre 1811 — 1822; 1840—1855; 1870—1888, und
seit 191 3. Auch regenreiche Jahre mit zahl-
reichen Bergstürzen folgen sich annähernd peri-
odisch: 1816, 1846, 1876/78, 1908/10. Immerhin
scheint die Periode mit 35 Jahren etwas zu groß
zu sein; ein Zeitraum von 30 — 33 Jahren würde
den Tatsachen besser entsprechen. — Für die
Gletscher von Chamounix hat Mouzin (Etudes
glaciologiques en Savoie, T. II, Paris 1910) eine
Periode von 105 — 106 Jahren (also ein Vielfaches
von 35) gefunden; hiernach wäre das mittlere i
Maximum des gegenwärtigen Vorrückens im
Jahre 1925 zu erwarten.
Zürich. . M. Schips. S
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
57
^
Biologie und Anatoiiiie einiger
Enchyträiden.
Hierüber wurden in jüngster Zeit von Georg
Jegen in der Vierteljahrsschrift der Naturforschen-
den Gesellschaft in Zürich (65. Jahrg. 1920, S. 100 bis
208) eingehende Untersuchungen veröffentlicht.
Die Enchyträiden sind bekanntlich kleine (kaum
einige Millimeter lange) Oligochäten, die im
Boden und in Blumentöpfen (daher der Name,
von chytra = Topf) oft in ungeheuren Mengen
gefunden werden. Die Tatsache, daß sich die
Enchyträiden häufig in absterbenden Pflanzen
bzw. Pflanzenteilen vorfinden, legt die bisher all-
gemein für richtig gehaltene Ansicht nahe, daß
es sich um pathogene Parasiten handle. Es er-
gaben aber Untersuchungen von erkrankten
Pflanzen, die weiter noch durch Infektionsver-
suche bestätigt wurden, daß die Enchyträiden
nur bedingt als pathologisch angesehen werden
dürfen. Die Krankheit der Versuchspflanzen war
nämlich nicht durch die Enchyträiden, sondern
durch Nematoden [Tylcnchiis devastatrix und
Aphclctichys oniicroidcs) hervorgerufen ; die Enchy-
träiden dringen den Älchen nach, wobei sie hem-
mend auf die Ausbreitung der Nematoden ein-
wirken und, sofern die Schädigung der Pflanze
einen bestimmten Grad noch nicht überschritten
hat, die Gesundung der Pflanze herbeiführen.
Dabei bringen die Enchyträiden die Nematoden
sehr wahrscheinlich durch Absonderung eines
Verdauungssekretes zum Absterben, indem sie
deren Körper in eine schleimige Masse auflösen
und diese dann als Nahrung aufnehmen. Sind
aber die Pflanzenteile durch die Älchen schon in
erheblichem Maße geschädigt, dann werden nicht
nur die Älchen, sondern auch die Pflanzenzellen
selbst durch die Drüsenabscheidung der Enchy-
träiden zersetzt, wodurch natürlich der Untergang
der erkrankten Pflanze beschleunigt wird. Im
Boden selbst dringen die basisch reagierenden
Drüsensäfte leicht in abgestorbene, pflanzliche
Gewebe ein und schaffen so für die Fäulnis-
erreger günstige Existenzbedingungen. Es sind
also die Enchyträiden nicht als Schädiger, sondern
als Förderer des Pflanzenwuchses (bzw. der Humus-
bildung) anzusehen, indem sie, freilich in anderer
Weise als die Regenwürmer, an der ständigen
Umsetzung des Bodens sich aktiv beteiligen.
Tatsächlich sind denn auch fruchtbare Böden sehr
reich an Enchyträiden (Jegen fand im Humus-
boden je nach Jahreszeit 11 800— 150 000 Indi-
viduen auf den Quadratmeter), während sie in
unfruchtbaren Ton- und Lehmböden fast ganz
fehlen.
Die anatomischen Untersuchungen erstreckten
sich besonders auf die Verdauungs- und auf die
Fortpflanzungsorgane. Dabei stellte sich heraus,
daß die inneren Organe je nach dem Alter des
Individuums in weiten Grenzen voneinander ab-
weichen. Es lassen sich Jugendstadium, Reife-
stadium und Altersstadium unterscheiden. Im
Jugendstadium zeigen besonders die Ge-
schlechtsorgane, dann auch das Blutgefaßsystem,
das Nervensystem und die Segmentalorgane ganz
larvalen Charakter und können leicht in syste-
matischer Beziehung zu I äuschungen Veranlassung
geben. In diesem Stadium ernähren sich die
Tiere vorwiegend von pflanzlichen Stoffen (faulende
Pflanzenreste aus dem Boden), während die älteren
Individuen ihre Nahrung, wie die Regenwürmer,
der Erde selbst entnehmen. Das Alters-
stadium ist charakterisiert durch den Zerfall
besonders der Geschlechtsorgane. Für die syste-
matische Einteilung dürfen nur die Merkmale der
reifen Tiere verwendet werden; da dies bis
jetzt nicht immer geschah, ist die Systematik der
Enchyträiden ziemlich schwankend; vor allem
sollten die inneren, stark veränderlichen Organe
bei der Aufstellung des Systems möglichst wenig
benutzt werden ; ihre Heranziehung für die Syste-
matik erscheint aber auch gar nicht nötig, da die
äußeren Merkmale, welche sich besonders auf das
Borstenfeld (Borstentaschen), auf die Zahl, Form
und Anordnung der Borsten und auf die Zahnung
der Mund- und Kopflappen beziehen, zur Fest-
stellung des Systems der Enchyträiden genügen.
Zürich. Dr. M. Schips.
Tönen der Telegraplien- und Fernsprech-
leitungen.
Aus Beobachtungen zweier Linien entgegen-
gesetzter Richtung ermittelte H. Tietgen (Das
Wetter 1920, S. 26) folgende Tatsachen: Das
Tönen ist unabhängig vom Wind (bei Windstille
ist es vielfach am heftigsten), von der Tempe-
ratur (relativ heftiger bei niedrigen Temperaturen
infolge der größeren mechanischen Spannung der
Drähte) und den Tageszeiten (es tritt tagsüber
wie nachts, morgens wie abends auf). Es tönen
die an beiden Enden geerdeten und ungeerdeten
Leitungen, bei sehr heftigem Tönen läßt sich
häufig eine Grundschwingung von etwa 5 per/sec.
feststellen, dabei tönen die Linien entgegengesetzter
Richtung (N — S, 0 — W) mit wesentlicher Inten-
sität nie gleichzeitig, tönen sie zu gleicher Zeit,
so geschieht es mit geringer Intensität und wenig
auffallend. Nicht zu ermitteln ist ein fester Zu-
sammenhang des Tönens mit dem Barometerstand,
doch hat das Tönen der einen oder anderen
Linie stets einen Witterungswechsel im Gefolge,
welcher fast immer innerhalb der auf das Tönen
folgenden nächsten zwei Tage eintritt, und zwar
ist aufklärendes, heiteres, sog. schönes Wetter zu
erwarten, wenn die N-S-Linie tönt, Trübung der
Atmosphäre und Niederschläge aber beim Tönen
der 0-W-Linie. Die Schroffheit und Heftigkeit
des Wetterumschlages ist proportional der Stärke
des Tönens, wieder einsetzendes Tönen der Drähte
deutet auf weitere Verschärfung des eingetretenen
Wetterzustandes, andernfalls nach Eintritt des-
selben völlige Beruhigung der Drähte. Tietgen
erklärt die das Tönen verursachenden Schwin-
58
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
gungen der Drähte magnetischer Natur,
denn er hatte bei den Beobachtungen stets die
Empfindung, als „ob die Drähte von mag-
netischen Kraftl inien geschnitten wür-
den oder magnetische Kraftlinien
schneiden, wenn sie tönen". Letzteres
könnte der Fall sein infolge der Erdbewegung,
und die magnetischen Vorgänge wären kosmischer
Natur. Dr. Bl.
Verdunstung auf dem Meere.
Unter diesem Titel erschien kürzlich eine Ar-
beit von Dr. G. Wüst in den „Veröüfentlichungen
des Instituts für IVIeereskunde an der Univ. Berlin.
N. F. A. Geogr. naturw. Reihe Heft 6, mit 1 1 Fig.'
im Text, Berlin 1920", welche die Versuche zur
direkten Bestimmung der Verdunstung auf dem
Ozean zusammenfaßt und dabei besonders das
Beobachtungsmaterial verwertet, daß auf deutschen
Schiffen von 191 1 bis 19 13 gesammelt worden
ist. Als Verdunstungsgefäß dienten, wie bei den
bekannten Lütgensschen Messungen, zylindrisch
geformte Glasgefäße, die ein Volumen von
2,4 cdm besaßen und möglichst gleichmäßig bei
allen Beobachtungsreihen montiert worden waren.
Die Analyse der Wasserproben, wobei die Ver-
dunstungshöhe aus der Salzgehaltszunahme er-
mittelt wurde, geschah allerdings oft erst mehrere
Jahre nach der Ermittlung im Laboratorium, doch
war Vorsorge getroffen, daß eine Änderung im
Salzgehalt zwischen Entnahme und Titrierung in-
zwischen nicht eintreten konnte.
Als weitaus wichtigste Energiequelle für die
Entstehung der Verdunstung stellt sich die Strah-
lung heraus, an zweiter Stelle ist die Geschwindig-
des Windes zu nennen. Bei 50 km/Stunde erwies
sich die Verdunstung im Durchschnitt 6 mal
größer als bei Windstille, und schon bei 10 km-
Stunde doppelt so groß. Damit steht im engsten
Zusammenhang das Ergebnis eigener Studien, die
W. in der Ostsee durchführte, daß nämlich die
Verdunstungsgröße an der IMeeresoberfläche eine
im ganzen um 44 "/o geringere Verdunstung
zeigen würde, als an Bordhöhe, obwohl der Unter-
schied im Durchschnitt nur 6 m betrug. Die
Windgeschwindigkeit nimmt nämlich in geringer
Höhe über dem Horizont schon sehr schnell zu.
Sehr sorgfältig werden von dem Verf der Einfluß
der Lufttemperatur, des Luftdrucks, des Salzgehalts,
der Luftbewegung, endlich der Größe und der
Aufstellung des Gefäßes erwogen, so daß er glaubt,
instand gesetzt zu sein, aus den Ergebnissen der
Messungen im Beobachtungsgefäß auf die Ver-
dunstung über dem freien Meer schließen zu
können, ein Resultat, das bekanntlich bei Messun-
gen der Verdunstungsgröße auf dem Festland
noch lange nicht erreicht ist.
Während W. Schmidt zu einer mittleren
tatsächlichen Verdunstung des Weltmeeres von
2,07 mm;24'^ oder 76 cm/Jahr gelangte, wobei er
in der Hauptsache sich auf die bekannten Ergeb-
nisse der Lütgensschen Beobachtungen stützte,
ergibt sich aus den Wüst sehen Berechnungen
eine mittlere Verdunstung von 2,24 mm/24i' oder
82 cm/Jahr, also ein etwas höherer Betrag, wobei
die Fehlergrenze etwa + 12 % beträgt. Für die
Kalmen erhielt W. nur fast 45 "/^ höhere Werte
als Schmidt, während in den Passaten nahezu
Übereinstimmung besteht; in den Nordbreiten
findet er höhere Werte als für die entsprechenden
Zonen der Südhalbkugel, während die Auffassung
von Schmidt das Gegenteil ergab. Die zonalen
Unterschiede der Verdunstung sind im Weltmeer
schwächer ausgeprägt als im Atlantischen Ozean.
Dennoch ist wegen des verhältnismäßig großen
Anteils der . verdunstungsarmen Polarmeere der
Mittelwert für den Atlantischen Ozean (2,18 mm/
24'') kleiner als für das ganze Weltmeer. Die
Maxima der Verdunstung im Weltmeer liegen
zwischen 20 — 10" n. Br. und 10 — 20" s. Br., die
Minima natürlich in den Polargebieten, sie er-
scheinen gegen die Maxima des Salzgehalts um
10 — 15" Breite gegeneinander verschoben, jeden-
falls eine Folge des Einflusses der Niederschläge.
Da wir über seine absoluten Beträge noch immer
sehr mangelhaft unterrichtet sind, verzichtet W.
darauf, auf seine Verdunstungsergebnisse die Bilanz
des Wasserhaushaltes auf der Erde aufs neue zu
ziehen, sondern verschiebt sie auf die Zeit, bis wir
über die Niederschlagsverhältnisse auf dem Ozean
genauer unterrichtet sein werden.
Halbfaß.
Die Löß- und Schwarzerdeböden Rheinhessens.
Kürzlich hat Victor Hohenstein in den
Mitt. d. Oberrhein. Geol. Vereins N. F. Bd. IX, 1920,
über dieses Thema Untersuchungen veröffentlicht.
In regionalen bodenkundlichen Arbeiten ist es
zweckmäßig, der Beschreibung der Böden eine
kurze Charakteristik des geologischen Aufbaues,
der Morphologie, des Klimas, der Flora und der
Anbauverhältnisse des betreffenden Gebietes voran-
gehen zu lassen.
Am geologischen Aufbau Rheinhessens
beteiligt sich hauptsächlich das Tertiär, das Dilu-
vium und das Alluvium, im SW und W als
Liegendes auch noch das Rotliegende. Das Dilu-
vium setzt sich aus Schottern und Sanden, sowie
vor allem aus Löß zusammen, welcher eine bis
mehrere Meter mächtige Decke auf den Hoch-
flächen und besonders an den Abhängen (10 — 20 m
gegen das Rheintal) bildet und damit zur hohen
Fruchtbarkeit und intensiven Nutzung des rhein-
hessischen Bodens wesentlich beiträgt.
In engem Zusammenhang mit dem geologi-
schen Aufbau steht der Landschaftscharak-
ter. In mehreren Stufen steigt das rheinhessische
Plateau zu einer größtenteils über 200 m über
NN liegenden welligen Hochfläche an, die im SW
häufig Höhen von 300 m über NN erreicht.
Das Klima Rheinhessens ist günstig. Die
Niederschlagshöhe beträgt 450—500 mm, die
i
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
59
mittlere Jahrestemperatur 9 — 10" C. Rheinhessen
gehört somit zu den trockensten und wärmsten
Gebieten Deutschlands.
Die Anbauverhältnisse Rheinhessens
stehen ganz im Zeichen einer intensiven Kultur.
Auf den Ackerbau entfallen 75 %. Hauptbrot-
frucht ist Roggen, Weizen tritt zurück. Mangels
an Wiesen und Weiden wird viel Luzerne und
Esparsette angebaut. Wein nimmt 10 "/o '^^'^
landwirtschaftlich genutzten Fläche ein. In be-
sonderer Blüte und Pflege steht der Obstbau;
riesige Walnußbäume sind nicht selten. Die
Dörfer und Landstraßen tragen reichlichen Baum-
schmuck. Wald ist von Natur her sehr spärlich
vertreten. In der rheinhessischen Flora, beson-
ders aber in der Sandflora von Mainz sind charak-
teristische weitverbreitete Typen der osteuropäisch-
asiatischen Steppengebiete vertreten, wie Adonis
vernalis, Gypsophila fastigiata, Stipa capillata und
pennata usw.
Die Unterlage der rheinhessischen Löß- und
Schwarzerdeböden bildet der Löß, welcher wie
anderwärts charakteristisch als gelber bis gelb-
brauner kalkhaltiger Staubsand ausgebildet ist und
durch sein außerordentlich feines gleichmäßiges
staubartiges Korn ausgezeichnet ist. Der Gehalt
an Feinboden (unter 2 mm) beträgt im Mittel
98 — 99 "/q. Auf den Staub (0,05 — 0,01 mm) allein
entfallen etwa 50 "/„. Der Kalkgehalt beträgt im
Mittel 13 "/o; 8— 9 "/j sind seltene Ausnahmen,
doch kann er auch auf 18 "jg ansteigen. Die
Wasseraufnahmefähigkeit erreicht im Maximum
48 Vol.-7o.
Die Lößböden nehmen in Rheinhessen weite
Gebiete ein und sind durch hervorragend günstige
physikalische Eigenschaften ausgezeich-
net: feinkörnig, lehmig, schwach humos, licht-
braun, warm, wegen des Kalkgehaltes gut krümelig,
deshalb sehr leicht bearbeitbar und nicht ver-
krustend. Die Wasserfassung ist groß, so daß
die Lößböden einerseits reichliche Wassermengen
aufspeichern können, andererseits auch wieder
dieselben bei langanhaltenden Trockenperioden
an die Vegetation abgeben können, was bei der
geringen Niederschlagshöhe von besonderer Be-
deutung ist. Die Absorptionskraft für Nährstoffe
ist eine gute. Nicht so günstig sind wie bei
allen Lößböden die chemischen Eigen-
schaften, die indessen hier noch verhältnis-
mäßig gute sind, da infolge der geringen Nieder-
schlagshöhe die Auswaschung sehr gering ist.
Der beste Maßstab dafür ist der hohe Kalkgehalt,
der im Mittel 5 % beträgt.
Die rheinhessische Schwarzerde ist eine
dem russischen Tschernosem entsprechende klima-
tische Bodenart von 50 — 60 cm Mächtigkeit und
schwarzbrauner Farbe, welche nach unten allmäh-
lich in einen dunkelbraun bis hellbraun ge-
sprenkelten Horizont und schließlich in den Löß
übergeht. Sie ist in einem nacheiszeitlichen,
trockenen steppenartigen Klima bei fortgesetzter
Anreicherung von chemisch ausgefälltem Humus
aus den langsam verwesenden Resten einer üppi-
gen und gut bewurzelten Gras- und Kräuter-
vegetation hervorgegangen. Ihre Eigenschaften
sind ganz hervorragende, vielleicht noch etwas
besser als jene der Lößböden: schwarzbraun, gut
krümelig, tiefgründig, leicht bearbeitbar, kalkhaltig,
sehr warm und nährstoffreich. Die Schwarzerde
besteht aus reichlichen Wurmkrümeln, ebenso
reichen senkrechte Regenwurmgänge bis 2 m
Tiefe. Nicht selten kommen in der Schwarzerde
wie auch in dem dicht anschließenden Löß runde
oder ovale Tierlöcher von Wühlern, vor allem
dem Hamster vor, welche mit Schwarzerde oder
Lößmaterial oder beidem gemischt angefüllt sind.
Unter der normalen Oberflächenschwarzerde
ist in der ausgedehnten Lehmgrube der Dampf-
ziegelei von Herrn Gebrüder Schnell am Bahn-
hof in Sprendlingen dem etwa 8 — 10 m mächtigen
Löß ein 30 — 100 cm mächtiger Horizont von „be-
grabener Schwarzerde" in 4 m Tiefe eingelagert.
Diese begrabene Schwarzerde zeigt weitgehende
Übereinstimmung mit der Oberflächenschwarzerde.
Auch hier sind Hamsterlöcher, Regenwurmgänge
und -krümel häufig, woraus hervorgeht, daß die
begrabenen Schwarzerdeböden dereinst echte
Oberflächenböden waren und von Löß wieder
eingedeckt wurden. Ähnliche Böden hat Verf. in
der Provinz Sachsen nachgewiesen, außerdem
kommen sie in Rußland und Kanada vor.
Die rheinhessische Schwarzerde bildet sich
unter der augenblicklichen landwirtschaftlichen
Betriebsweise nicht mehr. Sie ist als Reliktboden
eines trockenen kontinentalen Steppenklimas auf-
zufassen, das an der Wende vom Diluvium zum
Alluvium geherrscht hat. Die rheinhessische
Schwarzerde bedeckt eine Fläche von 200 qkm.
Auf Grund der agrogeologischen Untersuchun-
gen muß angenommen werden, daß die rhein-
hessischen Löß- und Schwarzerdeböden von
Natur waldfrei waren. Es sind vortreffliche Acker-
böden, die sich durch leichte Bearbeitbarkeit und
große Fruchtbarkeit auszeichnen; auf ihnen ge-
deihen alle Feldfrüchte gut. Roggen, Gerste und
Luzerne werden besonders häufig angebaut.
V. Hohenstein, Halle.
Die Endmoräiieu der Hauptvereisung
zwischen Teutoburger Wald und Klieiuischem
Schiefergebirge
behandelt R. Bärtling in einer interessanten
Arbeit, welche in der Zeitschr. d. Deutschen
Geolog. Ges., Monatsber. Nr. i — 3, 72. Bd. 1920,
erschienen ist.
Den langwierigen Untersuchungen zahlreicher
Geologen der Preuß. Geol. Landesanstalt ist es
gelungen, den Verlauf der Endmoränen im Rand-
gebiete des größten Eisvorstoßes auch für Rhein-
land und Westfalen festzustellen. Während sie
auf der linken Rheinseite bei verhältnismäßig
flachem Gelände als große, das ganze Landschafts-
bild beherrschende Bergzüge erscheinen, sind sie
6o
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
dagegen im Hügellande rechts des Rheines zu
mehr oder weniger undeutlichen Resten aufgelöst,
deren Zusammenhang durch die Bergzüge des
alten Gebirges, sowie durch die starke Löß-
bedeckung verschleiert wird.
Auf der linken Rheinseite endigt der süd-
lichste Endmoränenzug in der Gegend von
Krefeld. Von da ab fehlt jede Spur, da der
Rhein die Reste zerstört oder überschüttet hat.
Erst wieder im Gebiete der Saarner Mark auf der
rechten Rheinseite konnten sie unter den Ablage-
rungen der Rheinniederterrasse als mächtige lokale
Blockpackung festgestellt werden, deren Untergrund
(,, Flözleeres") deutliche Glazialschrammen zeigte.
Ihre Fortsetzung finden diese Endmoränen der
Ruhr entlang in dem großen die Stadt Essen in
weitem Umkreis umziehenden Essener End-
moränenbogen. Daran reiht sich der um die
Stadt Bochum verlaufende Bochumer End-
moränenbogen, der hauptsächlich aus sehr
mächtigen, vorwiegend feinsandigen Ausschüt-
tungen besteht. Nach einer Unterbrechung durch
Karbon- und Kreidehöhen folgen ostwärts bei
Dorstfeld mächtige Blockpackungen. Der an-
stoßende Dortmunder Bogen erstreckt sich
über die Stadt Horde bis östlich von Holzwickede.
In der Hörder Endmoräne überwiegt ein-
heimisches Karbon, in der Holzwickeder
Endmoräne hauptsächlich Oberer Turonmergel.
Stark nach Süden ausbiegend folgt nun in einem
sehr flachen Bogen die Unnaer Endmoräne.
Unsere Kenntnisse \on der weiteren östlichen
F'ortsetzung sind sehr dürftig. Aus dem Vor-
kommen der Grundmoräne südlich der Städte
Soest, Lippstadt und Paderborn, sowie der dünnen
Bestreuung mit vereinzelten nordischen Blöcken,
die bis auf die Höhe des Haarstrangs hinauf-
gehen, wissen wir, daß die Endmoräne in der
Nähe der Kammlinie des Haarstrangs gelegen
haben muß, daß aber der Kamm wahrscheinlich
frei vom Eise blieb, wie man dies wohl auch
vom südlichsten höchsten Teile des Teutoburger
Waldes annehmen muß.
Im Hinterlande dieser Endmoränen liegen
weit ausgedehnte eintönige Grundmoränen, die
erst wieder durch die erste Rückzugsstaft'el in der
Gegend von Münster eine Unterbrechung er-
fahren. Hier verläuft der große Endmoränen -
bogen von Münster, an den sich nach
Norden bis in die Gegend von Rheine der
Neuenkirchener Bogen anschließt, dann die
Emsbürener Endmoräne und die Lohner
Berge, während nach Süden der Beckumer
Endmoränenbogen sich hinzieht. In der
Münsterschen Endmoräne fehlen Blockpackungen
fast ganz. Ihre Oberflächenformen sind wenig
frisch und überaus verwischt, so daß man an-
nehmen muß, daß hier eine Gleichgewichtslage
zwischen Nachschub und Zurückschmelzen des
Eisrandes bestand. Der Rückzug vollzog sich
ungleichmäßig und zwar im westlichen Teile von
West nach Ost schneller (90 km) als gleichzeitig
im östlichen Teile von Süd nach Nord (25 km).
Vermutlich ist hier der Einfluß der See oder gar
des Golfstromes bemerkbar, wie das auch bei
später gebildeten Endmoränen, wie der schleswig-
holsteinischen, der Fall ist.
Beim weiteren Zurückschmelzen des Eises
kam es in Westfalen nochmals zur Aufschüttung
einer bedeutenden Endmoräne zwischen den süd-
lichsten Kuppen und Kämmen des Teutoburger
Waldes. Sie ist vor allem bei Lengerich, Lienen,
Iburg, Hilter und Borgholzhausen beobachtet.
Der Eisrand fiel lange mit den südlichsten
Kämmen des Teutoburger Waldes zusammen, so
daß nördlich des Gebirges die Grundmoränen,
südlich der Kammlinie dagegen glaziale Sande
{Schmelzwasserabsätze) vorherrschen, die sich in
fast allen Schluchten bis nahe an die Kammlinie
hinaufziehen. Auffallend ist dieser Gegensatz im
Landschaftsbild: auf der Nordseite fruchtbare
Grundmoränenflächen, auf der Südseite dagegen
eintönige Heidesandflächen.
Für die Art der Ausbildung der End-
moränen war der Einfluß des Untergrundes
und der Gebirge von ganz besonderer Be-
deutung. In Holland herrscht der Typ der Stau-
moränen vor, welche in Westfalen fehlen und
hier durch Sandaufschüttungen und Blockpack-
ungen vertreten werden. Nach Ansicht von
Bärtling hat das Eis den Teutoburger Wald
beim ersten Vorstoß größtenteils überschritten,
während es sich dem Gebirgsrand des Rheinischen
Schiefergebirges und des Haarstrangs anpassen
mußte. Der Einfluß des Teutoburger Waldes mit
seinen geschlossenen quer zur Stromrichtung des
Eises verlaufenden Kämmen zeigt sich besonders
in der Ausbildung der südlichsten Endmoräne auf
der rechten Rheinseite, während links des Rheines
und vor allem in Holland, wo keine derartigen
Hindernisse bestanden, größere und geschlossene
Endmoränen zur Ausbildung gelangten. Wo das
Inlandeis ungehindert vordringen konnte, waren
die Wirkungen wesentlich größer als dort, wo
ein geschwächtes Eis im Lee oder wie Bärtling
es treffend nennt, im „Eisschatten" des Teuto-
burger Waldes erst noch die Höhen des Haar-
strangs und der Grafschaft Mark hinaufsteigen
mußte. Je höher die vorgelagerten Kämme,
desto geringer die Ausbildung der südlichen End-
moräne. Aber auch bei der Münsterschen End-
moräne zeigt sich ein ähnliches Bild, indem ihre
Fortsetzungen in den Lohner Bergen bedeutender
sind, als die Sandrücken im Innern des Beckens.
Die Wirkungen des Eises und vor allem
seiner Schmelzwässer auf den Untergrund
beobachtete Bärtling im Gebiete zwischen
Rhein und Dortmund. Das untere Ruhrtal be-
stand damals ebensowenig wie das Rheintal. Vor
dem Herannahen des Eises verlief das Ruhrtal
von der Quelle bis Witten wie heute; bei Witten
aber brach die Ruhr nach Norden durch und
schüttete mächtige Flußschotter auf den flachen
Kreidehöhen des Gebirgsvorlandes im Gebiete
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
6i
zwischen Witten, Kastrop, Herne und Essen auf.
Sie sind erheblich älter als das Eis, welches 50 m
tief in diese Geröllablagerungen eingeschnittene
Täler vorfand. Die Ausräumung dieser Täler hat
entweder während der ersten Eiszeit oder in der
ersten Interglazialzeit stattgefunden. Hernach
sind die Täler wie die Höhen mit den Grund-
moränen des vordringenden Inlandeises bedeckt
worden. Das Eis hat wenig umgestaltend ge-
wirkt, dagegen um so mehr die vor dem Eis-
rande verlaufenden Schmelzwässer. Die außer-
ordentlich tiefe Lage von Eisrandbildungen je im
einspringenden Winkel zweier Endmoränenbögen
ist auf die Erosionswirkung gewaltiger
Wasserfälle vor dem Eisrand zurückzuführen,
welche durch Zusammenströmen der auf der
Oberfläche des Eises verlaufenden Schmelzwasser-
flüsse in der Senke zwischen zwei Zügen des
Eisrandes entstanden sind. Ähnliche auskolkende
Wirkungen der Schmelzwässer auf den Unter-
grund wurden auch bei der Münsterländischen End-
moräne festgestellt, wo sie indessen nicht auf den
einspringenden Winkel beschränkt sind, sondern
der Endmoräne über weite Bogenstücke folgen.
Bei der nördlicher liegenden Endmoräne des
Teutoburger Waldes sind solche Wirkungen noch
nicht beobachtet, da hier so tiefgehende Auf-
schlüsse fehlen. Diese gewaltigen Wirkun-
gen der Schmelzwässer sind nicht zu unter-
schätzen; sie machen sich ohne Unterschied der
Härte des Untergrundes bemerkbar. Bei Kupfer-
dreh schufen sie Höhenunterschiede von 80 m,
ebenso bei Langendreer, wo die Auskolkung bis
13 m unter den heutigen Ruhrspiegel hinabgeht.
Ohne die tiefgehenden Schächte wären diese Fest-
stellungen nicht möglich gewesen. Sie zwingen
uns, vor weitgehenden Schlüssen aus der Lage
der Endmoränen zu den Talterrassen zu warnen,
denn die Höhenlage der Endmoränen ermöglicht
keinerlei Schlüsse auf ihre Beziehungen zu den
Talterrassen. Während im Oberlaufe der Ruhr
die Terrassen stufenweise in das anstehende Ge-
stein eingeschnitten sind, haben sie sich weiter
unten in die Endmoränenmassen der Auskolke
eingeschnitten, so daß bei Altendorf oberhalb von
Steele Grundmoränen unter der untersten Ruhr-
terrasse festgestellt werden konnten. Die Moränen
sind älter als die 3 Terrassen oder wenigstens
gleichaltrig mit einer zur Hauptterrassenzeit zeit-
weilig stark zurückgestauten Ruhr.
Die Eismächtigkeit rechnet Bärtling
zur Zeit des größten Eisvorstoßes bei Münster auf
fast 500 m, da der Eisrand am Haarstrang bis in
Höhen von über 200 m hinaufstieg und man in
den randlichen Gebieten des Inlandeises wenig-
stens 5 "0 Gefälle für eine Bewegung des Eises
annehmen muß.
Da der Abfluß der Schmelzwasser in nörd-
licher oder nordwestlicher Richtung versperrt
war, so entstanden vielfach Stauseen, deren
Abflüsse auf die heutigen Täler, so z. B. der
Ruhr, umgestaltend gewirkt haben. Das Hell-
weger Tal, das sich am ganzen Nordrand des
Haarstrangs bis in die Gegend von Paderborn
verfolgen läßt und sich östlich von Soest mit
dem Lippetal vereinigte, stellt wahrscheinlich den
Abfluß des großen Sennestausees dar. Die
Lippe führte die Schmelzwasser aus der Gegend
von Detmold, Mastholte und Beckum ab, während
die Stever jene des Münsterschen Endmoränen-
bogens sammelte. Nachdem die Münstersche
Tiefebene frei geworden war, sammelte die Ems
die vom Teutoburger Walde kommenden Schmelz-
wassermassen und führte sie nach Nordwesten
ab. Die Talsysteme der Lippe, Stever und Ems
stehen somit im Zusammenhang mit je einer ein-
zigen Rückzugsphase des Inlandeises, woraus sich
die Tatsache erklärt, daß diese Täler über dem
heutigen Talboden nur die eine von den glazialen
Schmelzwassermassen aufgeschüttete Talterrasse
besitzen. Die interessanten, z. T. recht schwie-
rigen Untersuchungen von Bärtling haben die
Glazialgeologie Nordwestdeutschlands um ein be-
trächtliches Stück vorwärts gebracht.
V. Hohenstein, Halle.
Bücherbesprechungen.
Robien, Paul, Die Vogelwelt des Bezirks
Stettin. 112 Seiten, Stettin 1920, Leon
Sauniers Buchhandlung.
Unter „Bezirk Stettin" versteht der Verf. nicht
den gleichnamigen Regierungsbezirk, sondern ein
Gebiet, das im Süden die Kreise Randow, Gräfen-
hagen und Pyritz, im Osten Saatzig, Regenwalde,
Naugard und Kammin, im Westen Ückermünde
und im Norden das Gebiet von Swinemünde bis
zur Regamündung umfaßt. Innerhalb dieses Be-
zirks wurden von Robien durch eigene Be-
obachtung rund 200 Vogelarten, darunter 127
Brutvögel, festgestellt. Das Blaukehlchen ist er-
freulicherweise im Bezirk Stettin nicht selten, der
Ortolan, wie in anderen Gegenden Norddeutsch-
lands, in Zunahme begriffen. Bemerkenswert ist
das Vorkommen des Heuschreckensängers sowie
der Gebirgsbachstelze, die ursprünglich dem Flach-
lande fehlte. 1913 hat der Erlenzeisig in den
Grabower Anlagen gebrütet. Die Wiesenweihe
nistet nur westlich von Waldowshof Brutplätze
der Sumpfohreule liegen in den Kreisen Pyritz
und Greifenhagen. Der Wespenbussard soll in
der Ückermünder Heide brüten. Der Kolkrabe
dürfte im Osten des Gebiets noch einige Horste
bewohnen; das gelegentliche Brüten der Raben-
krähe wird vom Verf. nicht für unmöglich ge-
halten. Schwarzstorch und Kranich sind in letzter
62
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
Zeit nicht mehr mit Sicherheit als Brutvögel
nachgewiesen worden. An vielen Stellen seiner
Schrift tritt R o b i e n warm für die Idee des Natur-
schutzes ein und wendet sich energisch gegen
das unverantwortliche Treiben von Schießern und
Eierräubern. Von dem Erlaß eines radikalen
Schießverbots verspricht er sich guten Erfolg für
den Schutz der einheimischen Vogelwelt. Den
durch eine derartige Maßnahme bedingten Aus-
fall an Fleisch empfiehlt er durch eine groß-
zügige Zucht von Tauben, Hühnern, Gänsen und
Enten auszugleichen. Da die Schrift in erster
Linie für Vogelfreunde bestimmt ist, hat der Verf
auf die Unterscheidung der Subspezies und die
Hinzufügung von Autorennamen verzichtet. Daß
der Verf. im Gegensatz zu führenden Ornithologen
die Verwendung von Doppelnamen (z. B. Cocco-
thraustes coccothraustes) ohne stichhaltigen Grund
prinzipiell ablehnt, vermag der Referent nicht zu
billigen. F. Fax (Breslau).
Verworn, Max, Die Anfänge der Kunst.
2. Aufl. 75 S. 31 Abb. u. 3 Tafeln. Jena 1920,
Gustav Fischer.
Das Buch führt uns in mustergültig einfacher
Weise das allmähliche Werden der künstlerischen
Ausdrucksfähigkeit des Menschen vor, von den
leisesten Symptomen an Feuersteinfunden des
ältesten Diluviums bis zu den „physioplastischen",
ohne jede Ideenbildung wiedergegebenen Jagd-
tieren der Höhlenbilder und Beinschnitzereien des
mittleren Paläolithikums. Der Text ist ergänzt
mit lehrreichen Abbildungen. Auch prinzipiell
ist dem Verfasser seine Auffassung zuzugeben,
daß der Naturalismus gerade dieser ältesten Figuren-
darstellungen ein Ergebnis des noch ideenlosen
Seelenlebens ihrer Verfertiger ist. Die darauf
folgende, aus der nunmehr erst entwickelten Ein-
bildungskraft entstehende „ideoplastische" Kunst,
die nicht mehr direkt an das Naturbild sich hält,
sondern aus der Phantasie schafft, rechnet Ver-
worn nicht mehr unter die Anfänge der Kunst
und berücksichtigt sie daher nicht weiter. Doch
weist er überzeugend darauf hin, daß deren äußer-
liches Ungeschick nur einen relativen Rückschritt •
gegenüber der naturalistischen Überzeugungskraft
der „physioplastischen" Kunst bedeutet. Denn sie
hat dieser gegenüber den Vorzug eines unbe-
grenzten Ideengehaltes. Da entsteht denn freilich
sogleich eine grundsätzliche Frage: Sind die An-
fange dessen, was wir im eigentlichen Sinne Kunst
nennen im Gegensatz zu reiner Technik und
naturalistischer Richtigkeit, nicht gerade erst da
zu suchen, wo die „ideoplastische" Kunst beginnt?
Verworn schließt seine Ausführungen mit dem
Hinweise, die Aufgabe der Kunst sei, Bewußtseins-
inhalte zum Ausdruck zu bringen. Wie aber,
wenn man vielmehr Gefühlsinhalte verlangte? In
dem Falle würden des Verfassers Ausführungen
weniger den Anfängen der Kunst als ihren Vor-
stufen und Voraussetzungen gelten. Rezensent ist
dieser Meinung und bedauert daher, daß die so
überzeugend sachlichen Ausführungen am Schluß
durch eine Polemik gegen die ästhetische Nach-
barwissenschaft ein wenig getrübt worden ist.
K. Steinacker.
Winteler, Dr. F., Die heutige industrielle
Elektrochemie. Ein Überblick mit beson-
derer Berücksichtigung der schweizerischen Ver-
hältnisse. Sonderabdruck aus der Halbmonats-
schrift für das Gesamtgebiet der Technik
„Technik und Wirtschaft" Jahrg. 1918, Heft 17
bis 24. 80 Seiten in kl. 8" mit 2ö Abbildgn.
im Text und 2 Tafeln. Zürich 1919, Verlag
von R. Ascher & Co. Preis geh. 1,70 Frs.
In außerordentlich klarer Darstellung gibt der
Verf eine Übersicht über die allgemeinen wirt-
schaftlichen Grundlagen der Elektrochemie, ihre
derzeitigen Leistungen und ihre Entwicklungs-
möglichkeiten und -notwendigkeiten. Bei der
Besprechung der heute praktisch im großen durch-
geführten Verfahren, bei der die elektrothermi-
schen Prozesse, die Schmelzelekttolyse und die
Elektrolyse der wässerigen Lösungen in gleicher
Weise berücksichtigt werden, befleißigt er sich
großer Kürze und bringt so dem Leser das
Wesentliche zur klaren Anschauung. Das Büch-
lein verdient daher, auch wenn es sich in der
Hauptsache auf die schweizerischen Verhältnisse
beschränkt, doch das Interesse auch des deut-
schen Publikums — des allgemein interessierten
Wissenschafters wegen der Klarheit der Darstellung,
des Spezialisten wegen vieler wertvoller Angaben
über den Stand der elektrochemischen Technik in
der Schweiz — , und es muß nur bedauert werden,
daß der — an sich durchaus angemessene —
Preis von 1,70 Frs. das Büchlein den deutschen
Interessenten infolge des unglückseligen Tiefstan-
des unserer Valuta heute fast unzugänglich macht;
es ist dies ein weiteres kleines Beispiel für die
Schwierigkeiten, die den wissenschaftlich inter-
essierten Deutschen bei der — in Wirklichkeit
unentbehrlichen — Benutzung der außerdeutschen
Literatur entgegenstehen.
Berlin-Dahlem. Werner Mecklenburg.
Abel, O., Lehrbuch der Paläozoologie.
500 S., 70oTextabb. Gustav Fischer, Jena 1920.
Brosch. 40 M.
Von dem überaus rührigen Verfasser liegt
abermals ein umfangreiches, in gewohnter sorg-
fältiger Weise illustriertes Lehrbuch vor. Es be-
handelt diesmal auch die Wirbellosen unter den
Fossilien. Freilich ist dabei, um für lehrhafte zu-
sammenhängende Darstellung Raum zu gewinnen,
bewußt nur ein kleiner Bruchteil von Einzel-
erscheinungen der fossilen Tierwelt herausgehoben
worden und mit gleicher Absichtlichkeit die Aus-
führlichkeit von Gruppe zu Gruppe je nach dem
tatsächlichen wissenschaftlichen Werte durchaus
verschieden gehandhabt worden, Schematismus
also in jeder Beziehung vermieden.
Die Wahl des Ausdrucks Paläozoologie anstatt
N. F. XX. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
63
Paläontologie bedeutet ein Programm, nämlich
das Streben nach Eingliederung des Wissensstoffes
in die biologischen Fächer, nach Unabhängigkeit
vor allem von allzu geologisch betonten Bedürf-
nissen. Daß biologische Betrachtungen einen
größeren Raum einnehmen, ist bei der bekannten
Arbeitsrichtung des Verf. selbstverständlich und
ganz gewiß kein Schaden, um so weniger als
gerade sie mit Recht als ein Brückenpfeiler
zwischen geologischem und paläontologischem
Ufer aufgefaßt werden.
Dem speziell systematischen Teil gehen Kapitel
allgemein-paläontologischen Inhalts voraus. Bei
den sonst nicht zu ausführlich behandelten Säuge-
tieren finden sich ebenfalls wertvolle Bemerkungen
allgemeineren Inhalts vorausgeschickt.
Das Werk dürfte neben anderen paläontologi-
schen Lehrbüchern seinen Platz erobern und be-
haupten, insbesondere weil es wirklich mehr auf
Einführung in den Stoff als eine dem Schüler
doppelt fernstehende vollkommene Übersicht über
den gesamten Formenschiatz abgestellt ist.
Hennig.
Oppenheimer, C. und Wei§, O. , Grundriß
der Physiologie für Studierende und
Ärzte. I. Teil. Oppenheimer, Biochemie.
3. Aufl. 522 S. Leipzig 1920, Georg Thieme.
22 M.
Über dieses Werk, das nach kaum Jahres-
verlauf eine neue Auflage erlebte, erübrigt es
sich eigentlich, ein Wort des Lobes zu sagen.
War schon die vorangehende Auflage ein Kunst-
werk, so ist die jetzt vorliegende neue Bearbeitung
noch um vieles verbessert worden. So ist auch
das schwierige Kapitel über den Zellstoffwechsel
in prägnanter Weise ausgearbeitet, und keine
wichtigen Tatsachen sind umgangen. Auch das
Kapitel der Kolloide ist völlig neu umgestaltet
worden. Es ist besonders erfreulich, daß hoher
Wert auf möglichst klare, vollständige Darstellung
der modernen Zellphysiologie gelegt ist, was in
manchem Lehrbuch oder Grundriß vermißt wird.
Und doch tritt die Wichtigkeit gerade dieses Ge-
bietes immer mehr in den Vordergrund.
Auch die Pathologie des Stoffwechsels tritt
diesmal in ihr Recht: Es sind Zusätze über Gicht
und Diabetes hinzugekommen, Ansätze zu der
wichtigen Umgestaltung in der Pathologie, in der
etwas weniger pathologische Anatomie aber desto
mehr pathologische Physiologie wünschenswert
ist. Ebenso ist der praktische Ausblick, der der
. Ernährungslehre angefügt ist, eine wesentliche
Bereicherung des Werkes. Oppenheimers
Grundriß hält in trefflicher Weise den Mittelweg
zwischen kompendienhafter, unzureichender Kürze
und ermüdender Länge und ist daher für Studie-
rende ebenso wie für Gelehrte, die mit dem Ge-
biete der Biochemie Berührung haben, ein in
seiner Art einzig dastehendes Lehrbuch.
Collier.
Spitta, O., Grundriß der Hygiene. Berlin
1920, Julius Springer. 36 M.
Ein Lehrbuch der Hygiene soll sich nicht nur
darauf beschränken, die schädigenden Wirkungen
der Außenwelt auf den Menschen der Reihe nach
aufzuzählen, sondern es soll den Leser den Zu-
sammenhang zwischen Mensch und Umwelt
vor Augen führen. Es muß gleichsam ein Ge-
samtbild der Umwelt mit dem Menschen in der
Mitte malen und zeigen, wie im Wechselspiel
zwischen beiden alles Geschehen darauf hinaus-
läuft, den Menschen als Individuum oder als Gat-
tung erstarken zu lassen, teils durch Ausschaltung
ungünstiger oder gar feindlicher Momente, teils
durch Verstärkung der günstigen und fördernden.
Der Spittasche Grundriß erfüllt nun diese
Forderungen in vortrefflichem Maße. Dies ist
vor allen Dingen der Erfolg der Anordnung des
Stoffes, der nach physiologischen Gesichtspunkten
eingeteilt ist, da Verf. von dem sehr richtigen
Grundsatz ausgeht, daß die Hygiene zum größten
Teil angewandte Physiologie und Pathologie ist.
So gibt das Buch einen einheitlichen Überblick
über das Gesamtgebiet der Hygiene. Die ange-
fügten kurzen Abschnitte über die Untersuchungs-
methoden werden besonders dem Studierenden
und die Literaturangaben jedem angenehm sein,
der sich in einzelne Kapitel der Hygiene aus-
führlicher vertiefen will. Die Gesetzgebung ist
ebenfalls eingehend berücksichtigt, ein Umstand,
der das Buch auch für solche Leser wertvoll
macht, die in der sozialen Fürsorge beschäftigt
sind, zumal noch der klare, leicht faßliche Stil
dazukommt. Collier.
Arndt, Kurt, DieBedeutung derKolloide
für die Technik. Allgemeinverständlich
dargestellt. 3. verb. Aufl. 53 Seiten in kl. 8".
Dresden und Leipzig 1920. Verlag von Theodor
Steinkopff. Preis geheftet 3 M.
Die kleine Schrift, die sich an weitere Kreise
des naturwissenschaftlich interessierten Publikums
wendet, gibt zunächst einen ganz kurz und
elementar gehaltenen Überblick über das Wesen
der Kolloide und schildert dann an einer Reihe
von Beispielen die praktische Bedeutung der
Kolloidchemie. Daß das Büchlein jetzt schon
in der dritten — übrigens wesentlich verbesserten
und sorgfältig ergänzten — Auflage vorliegt,
beweist seine Brauchbarkeit.
Berlin-Dahlem. Werner Mecklenburg.
Littrow, Atlas des gestirnten Himmels
für Freunde der Astronomie. Taschen-
ausgabe. Mit einer Einleitung von Prof. Dr.
J. PI aß mann. 2. Auflage. Berlin 1920,
F. Dümmler. il M.
Auf diese unveränderte Auflage des bereits
früher mehrfach besprochenen Büchleins seien die
Freunde der Astronomie hier nur hingewiesen.
Miehe.
64
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 4
Mieleitner, K., Die technisch wichtigen
Mineralstoffe, Übersicht ihres Vorkommens
und ihrer Entstehung. Mit einem Vorwort von
P. Groth. VI und 195 Seiten in 8" und 9 Ab-
bildungen im Text. München und Berlin 1919,
Druck und Verlag von R. Oldenbourg. Preis
geheftet 15,60 M.
Das vorliegende Buch gibt eine Übersicht
über die für die Chemie und chemische Techno-
logie wichtigen Mineralvorkommen. Es wendet
sich an alle die, die — aus allgemeinen theoreti-
schen oder aus praktischen Gründen — Interesse
für die genannten Industrien haben. Es ist sach-
gemäß und sehr übersichtlich geschrieben — sein
Verfasser ist Kustos der mineralogischen Samm-
lungen des Bayerischen Staates in München und
hat an der Aufstellung der großen dortigen topo-
graphisch geordneten Sammlung der Minerallager-
stätten aller Länder hervorragenden Anteil —
und wird zweifellos allen Interessenten von großem
Nutzen sein. Wenn der Referent einen Wunsch
aussprechen darf, so möchte er bitten, daß in
einer etwa notwendig werdenden zweiten Auf-
lage auch einige Zahlenangaben über die wirt-
schaftliche Bedeutung der einzelnen Mineralien
gemacht werden ; sie würden für die Leser und
Benutzer des Buches von großem Werte sein.
Berlin-Dahlem. Werner Mecklenburg.
Classen, Alexander, Handbuch der qualita-
tiven chemischen Analyse anorgani-
scher und organischerVerbindungen.
7. umgearbeitete und vermehrte Auflage. IX u.
341 Seiten in 8". Stuttgart 1919, Verlag von
Ferdinand Enke.
In dem vorliegenden Buche behandelt der be-
kannte Aachener Hochschullehrer zunächst die
wichtigsten Reaktionen der Metallionen und
schildert im Anschluß daran den systematischen
Gang, der zur Erkennung der einzelnen Metall-
ionen in Mischungen dient. Weiter bespricht er
das für den Analytiker wichtige Verhalten der
anorganischen und eine größere Anzahl organi-
scher Säuren und — sehr ausführlich —
das der wichtigeren Alkaloide. Zum Schluß
werden eine große Anzahl besonders wichtiger
organischer Stoffe behandelt. Das Buch be-
schränkt sich also nicht, wie die meisten, für den
Gebrauch der Studierenden bestimmten Lehr-
bücher der analytischen Chemie auf die Stoffe
der anorganischen Chemie, es läßt auch die Stoffe
der organischen Chemie zu ihrem Rechte kommen ;
daher hat es auch für weitere Kreise Interesse.
Für die Zuverlässigkeit der Angaben und die
Klarheit der Darstellung bürgt der Name des
Verfassers; bewiesen werden sie durch die Not-
wendigkeit der Herausgabe einer siebenten Auflage.
Berlin- Dahlem. Werner Mecklenburg.
Wolff, W., Die Entstehung derlnselSylt.
2. Aufl. Friedrichsen u. Co., Hamburg 1920.
48 S., II Tafeln. Brosch. 6 M.
Den zahlreichen Besuchern der Insel wird in
kurzen Zügen ein zuverlässiges gemeinverständ-
liches Bild von den geologischen Vorgängen ent-
rollt, an deren Ende der heutige Zustand des
Eilandes, seine Gestalt, Umgrenzung und sein Bau
stehen. Eine Reihe guter Lichtbildwiedergaben
führen noch sicherer in das Verständnis des Be-
handelten ein. (Daß die Entwicklung des Menschen-
geschlechts rückwärts „bis in die Braunkohlen-
periode hinauf reiche, S. 34, ist eine wohl kaum
allgemein geteilte Auffassung!).
Edw. Hennig.
Literatur.
Mosler, Dr. H., Einführung in die moderne drahtlose
Telegraphie und ihre praktische Verwendung. Mit 2l8 Text-
abb. Braunschweig '20, Fr. Vieweg. 24 M.
Andree, Prot. Dr. K., Geologie des Meeresbodens.
Bd. II die Bodenbeschaffenheit und nutzbare Mineralien am
Meeresboden. Mit 139 Textfig. , 7 Tafeln und I Karte.
Leipzig '20, Gebr. Bornträger. 92 M.
Heiberg, J. L., Naturwissenschaften, Mathematik und
Medizin im klassischen Altertum. 2. Aufl. Leipzig u. Berlin '20,
B. G. Teübner. 2,80 M.
Binz, Dr. A., Schal- und Exkursionsflora der Schweiz.
Basel '20, B. Schwabe & Co. 9 Fr.
K ü k e n t h a 1 , Prof. Dr. W., Leitfaden für das zoologische
Publikum. 8. Aufl. Mit 174 Textabb. |ena '20, G.Fischer.
28 M.
Mez, Prof. Dr. C, Hagers „Mikroskop und seine An-
wendung. 12, Aufl. Mit 495 Textfig. Berlin '20, J. Springer.
3S M.
Inhalt: E. Küster, Das Typhetum in der frühen deutschen Graphik, (i Abb.) S. 49. — Einzelbericbte : Fr. Jäger,
Die Austrocknung Südafrikas. S. 52. G. Krenkel, Bericht über eine Forschungsexpedition in Deutsch - Ostafrika.
S. 53. V. Hilber, Die geologische Stellung des Paläolithikums. S. 54. T. Math er, Naturschutz in den Ver-
einigten Staaten von Amerika. S. 55. J. Verne, Die Natur des roten Farbstoffes der Crustaceen. S. 55. . O. Hönig-
schmidt und_ L. Birckenbach, Atomgewicht von Wismut. S. 56. Gletscherbewegungen in der Schweiz im
Jahre 1919. S. 56. G. Jegen, Zur Biologie und Anatomie einiger Enchylräiden. S. 57. H. Tietgen, Tönen
der Telegraphen- und Fernsprechleitungen. S. 57. G. Wüst, Verdunstung auf dem Meere. S. 58. Victor
Hohenstein, Die Löl3- und Schwarzerdeböden Rheinhessens. S. 58. R. Bärtling, Die Endmoränen der Haupt-
vereisung zwischen Teutoburger Wald und Rheinischen Schiefergebirge. S. 59. — Bücherbesprechungen : 1'. Robien,
Die Vogelwelt des Bezirks Stettin. S. 61. M. Verworn, Die Anfänge der Kunst S. 62. F. Winteler, Die heutige
industrielle Elektrochemie. S. 62. O. Abel, Lehrbuch der Paläozoologie. S. 62. C. Op penheimer und Q. Weiß,
Grundriß der Physiologie für Studierende und Arzte. S. 63. O. Spitta, Grundriß der Hypienc. S. 63. K. Arndt,
Die Bedeutung der Kolloide für die Technik. S. 63. Littrow, Atlas des gestirnten Himmels für Freunde der Astro-
nomie. S 63. K. Mieleitner, Die technisch wichtigen Mineralstoffe. S. 64. A. Classen, Handbuch der qualita-
tiven chemischen Analyse anorganischer und organischer Verbindungen. S. 64. W. Wolff, Die Entstehung der Insel
Sylt. S. 64. — Literatur: Liste. S. 64.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folgre 20. Band;
der ganzen Reihe 36. Band.
Sonntag, den 30. Januar 1921.
Nummer 5.
Kakao und Schokolade bei den alten Mexicanern und anderen
mittelamerikanischen Völkern.
[Nachdruck verboten.] Von Dr. phil. Frau
Vierhundert Jahre sind verflossen, seit Euro-
päer zum ersten Male mit dem Kakao und der
Schokolade bekannt wurden, die heute eine so
hervorragende Rolle in der Ernährungswirtschaft
spielen. Wie schnell sich der Kakao als eines
der beliebtesten Genußmittel neben dem Kaffee
und Tee eingebürgert hat, beweist nichts besser
als ein kurzer Hinweis auf die Zunahme seines
Verbrauches in Deutschland im Anfang dieses
Jahrhunderts. Die Einfuhrzahlen für Kakao in
den beiden Jahren 1900 und 1913 erreichten eine
Höhe von 200000 dz im Werte von rund 29,6
Millionen Mark und eine Höhe von 529000 dz im
Werte von rund 67,1 Millionen Mark. Auf den
Kopf der Bevölkerung entfielen im Jahre 0,8 kg.
Bei diesem Import spielte die ursprüngliche
Heimat der Pflanze überhaupt keine Rolle. Mittel-
amerika fiel für Deutschland völlig aus. Sein
Bedarf wurde vielmehr zum größten Teile durch
Afrika gedeckt (297000 dz im Werte von 35,8
Millionen Mark) , ') erst dann folgten Amerika
(209000 dz für 27,8 Millionen Mark), Asien (10400 dz
für 1,5 Millionen Mark) und die Südsee (6800 dz
für I Million Mark). Von dem amerikanischen
Kakao kamen wiederum die beträchtlichsten
Mengen aus Südamerika, und zwar aus Ecuador
(71 300 dz für 9,7 Millionen Mark) und aus Brasilien
(63000 dz für 8 Millionen Mark). Der Rest ver-
teilt sich außer auf die beiden Republiken Co-
lombia und Venezuela ausschließlich auf West-
indien, wo die Dominikanische Republik auf Haiti
bevorzugt war (32 100 dz für 3,8 Millionen Mark).
Unmittelbar vor Ausbruch des Krieges machte
sich bereits auch eine erfreuliche Zunahme der
Kakaogewinnung in unseren Kolonien bemerkbar.
Wenn man die Steigerung des Kakaoverbrau-
ches, die übrigens in gleichem Maße auch für die
anderen europäischen Staaten zu verzeichnen ist,
in solcher Weise durch Zahlen bestätigt findet,
so darf man doch nicht außer acht lassen, daß
sie eben nur in verhältnismäßig später Zeit ein-
getreten ist. Früher war das keineswegs der
Fall.
Nach der üblichen Annahme kamen zum ersten
Male in Europa Kakaobohnen den Abendländern
zu Gesicht, als Hernan Cortes, der Eroberer
Mexicos, im Jahre 1528 aus der Neuen Welt
heimkehrte und am spanischen Hofe vor den
Augen Karls V. neben den Kostbarkeiten und
') Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf das
Jahr 1913. Sie sind der Statistik des Deutschen Reiches ent-
nommen.
z Termer.
seltsamen Dingen der neu eroberten Gebiete auch
Proben der dort heimischen typischen Agrikultur-
gewächse ausbreitete. Von da an wurde in
Spanien die Herstellung der Schokolade bekannt
und schnell beliebt. Durch die strenge Abschließung
der spanischen Kolonien in Amerika gegen andere
Nationen — kein Nichtspanier, nicht einmal ein
Portugiese durfte seinen Fuß auf spanisch-ameri-
kanischen Boden setzen, — und ferner durch das
sich abschließende Wesen der Spanier gegenüber
ihren europäischen Nachbarn war es möglich, das
Geheimnis der Schokolade das 16. Jahrhundert
hindurch zu wahren. Erst 1606 wurden die
Schranken durchbrochen, als ein längere Zeit in
Spanien ansässiger Italiener Antonio Carletti
bei der Rückkehr in sein Heimatland den Lands-
leuten Kunde von dem angenehmen Getränk
einer fremden Welt übermittelte. Nun schlössen
durch Vermittlung der Italiener schnell auch die
anderen europäischen Nationen mit dem Kakao
Bekanntschaft, vor allem Frankreich, wo unter
Ludwig XIIL und seinem Nachfolger die Schoko-
lade zu einem Modegetränke wurde. Freilich war
ihr Genuß nur den Vornehmen möglich, da alle
Mengen von verbrauchtem Kakao Schmuggel-
oder Seeräubergut waren, das natürlich sehr teuer
bezahlt werden mußte. Zu Beginn ihrer lohnen-
den Tätigkeit hatten allerdings die englischen
wie holländischen Flibustier und Buccaniers die
Kakaoladungen spanischer Beuteschiffe für nichts
geachtet. Sie warfen den „Bockmist", *) wie sie
spottend die Kakaobohnen bezeichneten, einfach
ins Meer.
Veranlassung zur Einbürgerung und Anpflan-
zung in anderen Erdteilen gaben die Spanier
selbst, die den Kakao um 1670 nach ihren philip-
pinischen Besitzungen überführten. ^) Von dort
kam er in die holländischen Kolonien Hinter-
indiens und noch später findet er sich in Afrika.
In Europa aber blieben Kakao und Schokolade
nach wie vor bis ins 19. Jahrhundert hinein ein
kostspieliges und daher nur von wenigen ge-
nossenes Getränk, das dann erst die zunehmende
tropische Produktion und damit verbundene Ver-
billigung der Ware auch weniger Bemittelten zu-
gänglich machte und so den europäischen Völkern
') „cagarruta de carnero" nach Thomas Gage, Neue
merkwürdige Reisebeschreibung nach Neuspanien. Leipzig
1693, P- 230-
') Vgl. des näheren hierüber: Padre Fray Manuel
Blanco, Flora de Filipinas. 2. Aufl. Manila 1S45, P- 4 '9
bis 423.
66
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. s
in ihren breiteren Volksschichten ein ebenso an-
genehm schmeckendes wie nahrhaftes Getränk
übermittelte.
Lange bevor die Europäer Mittelamerika und
Mexico betreten hatten, war der Kakaobaum in
diesen Ländern eines der wichtigsten Kultur-
gewächse gewesen. Welche Bedeutung er für das
Kulturleben der alten Zeit errungen hatte, erhellt
aus seiner Aufnahme in den mexikanischen My-
thus. Kakaobohnen finden sich da des öfteren
unter anderen Attributen bestimmter Gottheiten;
der vornehmste und volkstümlichste Gott der
alten Mexikaner, der Windgott Quetzalcouatl, muß
natürlich als Heros und Repräsentant eines golde-
nen Zeitalters unerschöpflicher Fülle an allem
dem Erdenmenschen Notwendigen und Begehrens-
werten unter seinen Besitztümern auch einen aus-
gedehnten Garten mit erlesenen Kakaobäumen
sein eigen nennen, die poetisch als „Blumenkakao"
(xochicacauatl) bezeichnet wurden. Selbst in den
erhaltenen Bilderschriften mythologischen Inhaltes
aus dem mexikanischen Kulturreiche wird der
Kakao mit abgebildet, sei es in der Form von
Bohnen oder des ganzen Baumes, mit dem dann
der mythische Baum des Südens gemeint ist, ^)
sei es in der Form der Schokolade, die etwa bei
der Göttin der Lebensmittel, Tonacaciuatl, -) oder
bei der Wassergöttin Chalchiuhtlicue ") in einem
Becher schäumend wiedergegeben ist.
Das in den europäischen Sprachen gebräuch-
liche Wort „Kakao" geht auf das mexikanische
cacauatl zurück, das die einzelne Kakaobohne
bezeichnet. Die Schoten, die reihenweise die
Bohnen enthalten, hießen im Mexikanischen
cacauacentli, während für den Baum mehrere
Benennungen üblich waren. Man unterschied be-
sonders vier Arten: zwei, die cacauaquauitl
hießen und sich nur durch ihre verschiedene Größe
voneinander trennen ließen, xochicacaua-
quauitl und tlalcacauatl. Von letzterer
wurde hauptsächlich die Schokolade zubereitet.
Linguistisch mag noch hinzugefügt werden, daß
die Herkunft und Etymologie des Wortes cacauatl
unbekannt ist.
Das Gedeihen des Kakaobaumes ist an be-
stimmte klimatische Bedingungen geknüpft und
daher sein Vorkommen geographisch begrenzt.
Wärme ist für ihn eine Hauptnotwendigkeit seiner
Existenz. Daher überschreitet denn auch in
Mittelamerika seine Wachstumsgrenze nicht die
Meereshöhe von 600 m. '') Er ist ganz an die
warme Tieflandszone (tierra caliente) mit ihren
Mitteltemperaturen von 27 — 23" C angepaßt.
Tiefgründige Alluvialböden mit mäßigem Zusatz
von Kalk sind für das Fortkommen des Baumes
am geeignetsten, und daher findet er sich am
') Codex Fejervary-Mayer, fol. I. Herausgegeben
von E. Seier.
'•') Codex Borgia, Blatt 57 ed. E. Seier.
ä) Codex Borgia, Blatt 57 ed. E Seier.
*) Nur selten kommen Exemplare bis über 900 m vor.
Sapper, Nördl. Mittelamerika, S. 197.
besten entwickelt in den Urwäldern des nördlichen
Guatemala, in der Feten-Landschaft, wie in den
heißen Küstengegenden des atlantischen und pa-
zifischen Gestades des östlichen und südöstlichen
Mexico. Analog liegen die Verhältnisse in anderen
mittelamerikanischen Republiken, von denen El
Salvador, Nicaragua und Britisch Honduras in
Betracht kommen.
Genau die gleiche Verbreitung besaß der Kakao-
baum schon in vorspanischer Zeit. Für Mexico,
wo das Kulturzentrum beim Eintreffen der Weißen
mitten auf dem Hochlande lag, ergab sich aus
diesen klimatischen und geographischen Momenten
ein Import aus den warmen Tieflandsregionen
auf die kühlen Flächen des Hochlandes. Die Haupt-
importgegenden für diesen Zweig des mexikanischen
Handels lagen im heutigen Staate Tabasco und an
der pazifischen Abdachung von Chiapas, also in
den beiden alten Landschaften Anauac Xicalanco
und Anauac Ayotlan, dem heutigen Soconusco.
Dort waren regelrechte Kakaopflanzungen ange-
legt, in ihrer Einrichtung den modernen gleichend.*)
Denn man pflanzte ebenso wie heute höhere Bäume
zwischen die Kakaostämme, damit sie vermöge
ihres höheren Wuchses dem Kakaobaum den ihm
notwendigen Schatten spendeten. Die Spanier
nannten diese hilfsmäßig gepflanzten Stämme später
„Mutter des Kakao" (madre de Cacao).-)
In den anderen bereits erwähnten mittelameri-
kanischen Gebieten waren die vorhandenen Pflan-
zungen in ihrem Umfange beschränkter und eben
nur für den Unterhalt ihrer Besitzer bestimmt.
Überall in den Urwäldern Guatemalas, die zwar
vor langer Zeit von kulturell hoch entwickelten
Indianerstämmen bewohnt waren, aber später nur
noch primitiv lebende Nachkommen jener beher-
bergten, trafen die Spanier im 17. Jahrhundert
bei ihren Kriegszügen gegen diese „Lacandones"
bei jeder kleinen Siedelung Kakaogärtchen (cacaua-
tales) an. Erst in Yucatan, bei den Mayaindianern,
und in Nicaragua, bei den Nicarao, einem Stamme
mexikanischer Herkunft, fanden sich wieder um-
fangreichere Plantagen.
Über die Bedeutung des Kakaobaumes für die
Wirtschaft der Bevölkerung Mittelamerikas in vor-
spanischer Zeit läßt sich das Wesentliche zum
größten Teile nur aus Mitteilungen über die mexi-
kanischen Zustände und denen bei den Nicarao
in Nicaragua entnehmen. Nur spärlich fließen
demgegenüber die Quellen über die anderen mittel-
amerikanischen Gebiete. Verwendung von dem
Baume fanden nur die Bohnen — vielleicht auch
das Holz — , und zwar nach zwei ganz entgegen-
gesetzten Richtungen hin, nämüch zur Herstellung
') Oviedo VIII. cap. 30 (= tom. I, p. 317 li.)
*) Wenn Dufour als mexikanisches Wort hierfür ,,atl-
inan" angibt, so ist zu bemerken, daß aus alter Zeit ein
solches Wort nicht überliefert ist. Es scheint vielmehr eine
Übersetzung des spanischen Wortes zu sein, wobei freilich nur
der zweite Teil ,,inan" (= seine Mutter) versländlich ist, wäh-
rend der erste „all" (Wasser) nicht recht am Platze ist. —
Oviedo gibt als Namen für diese Bäume in Nicaragua
„yaguaguyt" an (aquauiti?).
I
N. F. XX. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
6?
der Schokolade und als Zahlungsmittel im öffent-
lichen Verkehr.
Neben dem aus dem Saft der Agave gewon-
nenen Pulque (mex. octli)') erregte kein anderes
der einheimischen Getränke so sehr die Aufmerk-
samkeit der Eroberer als die Schokolade. Dieses
Wort ist seiner Herkunft nach mexikanisch. Die An-
sicht eines neueren englischen Autors,-) der ein in
seinen technischen Teilen recht wertvolles Werk
über den Kakao verfaßte, daß es sich zusammensetze
aus „choco" (= Frucht des Baumes) und „latl"
(= Wasser), ist völlig unrichtig. Sie zeigt, daß
ihr Vertreter nicht genügende Sprachkenntnisse
besaß und daher ohne Besinnen die falschen An-
gaben eines sonst vortrefflichen alten Autors,
Thomas Gage,^) übernahm, die er allerdings
insofern modifizierte, als Gage „choco" für eine
Bezeichnung des Aufschäumens hält, das ja, wie
sich zeigen wird, auch eine gewisse Rolle spielte.
Die richtige Ableitung des Wortes ist vielmehr die
von „coco" und „atl", wobei „coco" ein Synonym
für „cacauatl" ist, wie Oviedo beweist (tom. I,
p. 318 li.). Die Bedeutung wäre dann einfach
„Kakaowasser", „Kakaogetränk".
Die Mexikaner bereiteten ihre Schokolade nun
auf folgende Weise zu. Über einem nicht sehr
starken Feuer wurden die Kakaobohnen unter an-
dauerndem Umrühren zum Schutz gegen An-
brennen getrocknet. Dann schüttete man sie auf
den steinernen Mahlstein (metlatl) und erhielt
durch das Zerreiben der Bohnen mittels der
steinernen Handwalze (metlapilli) ein Pulver, das
„cacauapinolli" genannt wurde. Zu diesem fügte
man darauf allerlei Ingredienzien, die dem Getränk
hernach einen besonders angenehmen Geschmack
verleihen sollten. Besonders bevorzugte Gewürze
waren schwarzer und roter Pfeffer, Vanille und
Bienenhonig. Dieser diente an Stelle von Zucker
zum Süßen. Endlich mußte das Gemisch auch
noch gefärbt werden, meist durch Achiote (Bixa
Orellana) in roter Farbe, weil angeblich die Ein-
geborenen durch ihre mit den Kulten zusammen-
hängende Anthropophagie an Bluttrinken gewöhnt
waren.*) Im Anschluß daran sei bemerkt, daß der
Padre Avendaflo, der sich am Ende des 17. Jahr-
hunderts bei den Itzä im nördlichen Guatemala
aufhielt, berichtet, bei diesem Mayastamme sei es
Brauch gewesen, den Opfern vor ihrer Hinrichtung
einen Kakaotrunk zu verabfolgen.*)
Eine zweite Art der Herstellung des Kakao-
pulvers war einfacher. Man schüttete das Pulver
einfach in Atolli, eine mit Wasser aufgekochte
Maismasse, und genoß dann diese ohne besondere
Würze. Dem Anschein nach ist diese zweite Art
die beim niederen Volke übliche gewesen.
') Das Wort Pulque gehört wahrscheinlich der arauka-
nischen Sprache Chiles an.
'■') Whymper.
') Th. Gage, Neue merkw. Reisebeschr. usw. Part. II,
Cap. 19.
*) Oviedo 1. c. (= tom. I, p. 318 li.)-
') cf. Ph. A. Means, History of the Spanish Conquest
of Yucatan and of the Itzas. Cambridge, Mass. 1917, p. 134.
In spanischer Zeit wurde es erst Sitte, noch
andere Beitaten zu den alten hinzuzufügen, wie
Zimt, Nelken, Mandeln, Haselnüsse, Pomeranzen-
blütenwasser u. a.^)
Das auf die erste Art zubereitete Gemisch
mußte tüchtig durchknetet werden, bis es einen
guten Teig ergab. Diesen ließ man in kleinen
Tafeln trocknen und bekam so Tafelschokolade.
So geschah es wenigstens in den Zeiten nach der
Unterwerfung des Landes, als die Spanier die Her-
stellung nach ihrem Geschmack vorgenommen
hatten. In alter Zeit kannte man Tafelschokolade
wohl nicht. Vielmehr ließ man es hier bei der
Zubereitung des Pulvers bewenden. Um Schoko-
lade zu erhalten, tat man es einfach in Wasser
und rührte es mit kleinen — teilweise kunstvoll
gearbeiteten — Quirlen um.'^) Hauptbedingung,
die der mexikanische Schokoladetrinker an sein
Getränk stellte, war einmal, daß die Schokolade
kalt sein mußte und ferner, daß sie auf ihrer
Oberfläche eine dicke Schaumschicht trug (Cacau-
apogouallotl). Um den nötigen Schaum zu er-
halten, gehörte ein gewisses Geschick und eine
besondere Übung dazu, den Aufguß nicht zu dünn,
aber auch nicht zu dick werden zu lassen. Zu
geringes Aufschäumen wurde stets auf falsche
Zubereitung oder auf eine minderwertige Sorte
des Kakaos zurückgeführt. Letzteres war fast
stets bei der Schokolade des kleinen Mannes der
Fall.
Trotzdem die Spanier in Einzelheiten Neue-
rungen in der Schokoladeherstellung einführten,
übernahmen sie doch zum größeren Teile das,
was sie im Lande vorgefunden hatten. Auch sie
gewöhnten sich daran, das Getränk mit einer
dichten Schaumschicht zu genießen, was sie frei-
lich oft dadurch zu erreichen suchten, daß sie die
Flüssigkeit in einem langen Strahle sich aus dem
Trinkgefäße in den Mund laufen ließen, vielleicht
einer Sitte ihrer europäischen Heimat huldigend,
der noch heute der spanische Bauer beim Wein-
trinken aus dem Schlauche nachkommt. Nur
darin wichen sie von dem indianischen Vorbilde
ab, daß sie den Trank warm zu sich nahmen. Die
Eingeborenen verharrten aber noch immer bei
ihrer kalten Schokolade.
Über die Zubereitung des Getränkes in den
übrigen noch in Frage kommenden Gebieten
Mittelamerikas sind Einzelheiten nicht überliefert
worden. Sie wird aber ähnlich vorgenommen
worden sein wie in Mexico. Denn aus Yucatan
berichtet ein Autor das Vorhandensein eines Scho-
koladegetränks aus Mais und Kakao, wie es ja
in Mexico ebenfalls genossen wurde. Als das
entsprechende Wort für chocolatl wird für die
yukatekische Mayasprache „zaca" angegeben.^)
Eine Besonderheit findet sich in Nicaragua bei
') Vgl. darüber des näheren Colmenero.
*) Abbildungen solcher Quirle bei Caec. Sei er, Auf
alten Wegen usw. S. 130.
"] Villagutierre lib. U, cap. 2 Ifol. 89 li.).
68
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. s
den mexikanischen Nicarao insofern, als dort die
Kakaobutter für den Häuptling reserviert wurde.*)
Wie bereits angedeutet, kannten die alten
Mexicaner Qualitätsunterschiede einzelner Kakao-
sorten. Bevorzugten sie schon den „tlalcacauatl"
als besonders zur Schokoladeherstellung geeignet,
so richtete sich dessen Güte wiederum nach der
Gegend seiner Herkunft. Die beste Sorte wurde
in Anauac Ayotlan, dem heutigen Soconusco
(mex. Xoconochco), gewonnen, und selbst bis in
neue Zeiten hinein hat es damit sein Bewenden
gehabt. Denn noch zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts schreibt der gelehrte Historiker Guate-
malas, Domenigo Juarros mit Bezug auf
Soconusco: „en efecto su cacao es el mas apre-
ciado del mundo, y el que se gasta en el Real
Palacio" (in der Tat ist sein Kakao der am höchsten
geschätzte der Welt und wird am Hofe des Königs
verwendet.)") Außerdem waren noch andere
Kakaogegenden in alter Zeit durch die Qualität
ihrer Produkte angesehen. Als solche nennt unter
anderen Sahagun die Gegend von Tochtepec,
das heutige Tuxtepec am Rio Papaloapan, neben
Guatemala und den beiden Anauac.^)
Die feinen Sorten wanderten in die Küchen
der Vornehmen und in die des Hofes. In diesen
Kreisen war die Schokolade das Tafelgetränk, das
nach den Mahlzeiten in kunstvoll aus edlem Me-
tall gearbeiteten Trinkschalen *) genossen wurde,
genau wie auch im modernen Europa der Kaffee
im Anschluß an die Mittagsmahlzeit eingenommen
wird. Wenn auch die Zahlenangaben der spanischen
Autoren meist um ein Vielfaches die wirkliche
Zahl übertreiben, so muß doch immerhin nach
dem Überlieferten der Verbrauch an Kakao bei
den in Betracht kommenden Stellen ziemlich be-
deutend gewesen sein. So soll der Kakaospeicher,
den die Truppen des Cortes bei der Einnahme
der Hauptstadt Mexico plünderten, 4000 Cargas
Kakaobohnen enthalten haben,*) was einer Zahl
von 96 Millionen Bohnen gleichkäme, und bei der
täglichen Mahlzeit des Herrschers Motecuhgoma
sind nach Angabe desBernal Diaz 50 größere
Gefäße mit Schokolade aufgetragen worden.*)
Wenn der schon einmal zitierte W h y m p e r den
jährlichen „Verbrauch" an Kakao am mexika-
nischen Hofe auf 2744000 fanegas (^= ca. 1 10 Mil-
lionen Kilogramm) beziffert, so ist das ein Miß-
') Oviedo, 1. c. (= tom. I, p. 319 re.): „El calachuti
. . , pönese de aquel graso por los labrios e toda la barba,
e paresge que esid undato con agafran desleydo grueso, e re-
luce como manteca."
') Juarros trat. IV, cap. 14 (= Band II, p. 77).
') Sahagun Hb. X, cap. 18.
*) Bernal Diaz cap. 91: ,,copas de oro fino" (ed.
Garcia I, p. 280).
°) Herrera II, IX, 4 und Torquemada IV, 57.
") Bernal Diaz, cap. 91. „En ello, mas lo que yo vi,
que trayan sobre c;inquenta jarros grandes hechos de buen
cacao, bon su espuma". . . Erst vor kurzem ist in einem Artikel
der „Woche" über die Schokolade diese Stelle so ausgelegt
worden, als habe der König selbst die 50 Gefäße getrunken.
Davon kann keine Rede sein. Denn aus der Quelle geht her-
vor, daß sie für die ganze Tafelgesellschaft bestimmt waren.
Verständnis der benutzten Quelle. Bezieht sich
doch diese Zahlangabe vielmehr auf die Tribut-
leistungen in Form von Kakaobohnen an dem
Hofe des mit dem mexikanischen König eng ver-
bündeten Fürsten Negaualcoyotl von Tezcoco.*)
Diese Tribute zeigen nun gleich den Kakao
in der zweiten Art seiner Verwendung in Mexico
sowohl wie im übrigen Mittelamerika, soweit der
Baum kultiviert wurde, nämlich als Münze im
öffentlichen Verkehr.
Neben Metallstückchen, mit Goldstaub ange-
füllten Federposen, Quetzalvogelfedern, Decken
und Stoffstücken als Zahlungsmitteln nahmen die
Kakaobohnen eine gleichwertige Stellung ein. Sie
bildeten eine der beliebtesten einheimischen Geld-
sorten. Ebenso war es mit ihnen in Yucatan der
Fall, wo sie neben Steinen, kupfernen Glöckchen
und Schellen benutzt wurden, wie auch in Nica-
ragua, wo man sie mit Muschelschnüren, Edel-
steinen, kleinen Beilen und kupfernen Schellen
zusammen bei Handelsgeschäften verwendete. Auch
in Guatemala waren sie die häufigste Münzsorte.
Allgemein verwendeten die Indianer zu Münz-
zwecken die weniger guten Kakaosorten, da ja
die Qualität dabei nicht in Frage kam.
Überall hatte sich eine bestimmte Währung
herausgebildet, und alte Berichte lassen er-
kennen, daß sich das Währungssystem auf der
vigesimalen Zählmethode aufbante. 400 Bohnen
bildeten ein „tzontli", 20 tzontli (8000 Bohnen)
ein ,,xiquipilli" und 3 xiquipilli (24000 Bohnen)
eine „carga", eine Bezeichnung spanischer Her-
kunft, für die die entsprechende mexikanische Be-
nennung unbekannt ist.-) Sie bedeutet „Last" und
ist in Anwendung gebracht worden auf die weiten,
umfangreichen Körbe aus Weidengeflecht, die eine
so große Zahl von Bohnen fassen konnten. Es
wird sogar erzählt, daß manche Körbe loo car-
gas, also 24 Millionen Bohnen, enthalten hätten;
sie wären von einem derartigen Umfange gewesen,
daß sechs Männer sie nicht zu umspannen ver-
mocht hätten.
Die erwähnte Währungseinteilung erhielt sich
nicht lange in die spanische Zeit hinein. Bereits
im Jahre 1527 setzte ein Königliches Manifest
unter, dem 28. Januar fest, daß an Stelle der Be-
hälter, die die Bohnen in den abgestuften Zahlen-
einheiten bargen, bestimmte durch einen offiziellen
Stadtstempel signierte Maße zu treten hätten.
Vielleicht waren die Spanier bei der früheren Me-
thode zu oft von den Eingeborenen betrogen
worden, daß sie auf eigene geeichte Hohlmaße
zurückgriffen. Aber schon am 24. September 1536
kam ein neuer Erlaß heraus, der wiederum die
Abzahlung der Bohnen nach der alten Weise ver-
langte.
Eine der ältesten Quellen über die Eroberung
Mexicos, der Bericht eines ungenannten und bis-
') Torquemada II, 53.
ä) Motolinia, Historia de los Indios de Nueva Espana
(bei Icazbalceta I, p. 190).
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
69
her unbekannt gebliebenen Autors, des sog. Con-
quistador Anönimo, gibt bereits den den euro-
päischen Münzen damaliger Zeit entsprechenden
Wert der Kakaomünze bekannt. Danach hätte
eine Kakaobohne im Werte einem halben „mar-
chetto" entsprochen,') der nach Ansicht des ge-
lehrten französischen Herausgebers und Übersetzers
spanischer Quellen aus dem ZeitaUer der Ent-
deckungen, Henri Ternaux-Co m pans, etwa
einem französischen Centime gleich gewesen wäre.
Demnach müßte also eine Bohne gleich einem
Centime gesetzt werden. Ob diese Rechnung
stimmt, mag dahingestellt bleiben. Nach späteren
Quellen wäre sie zu hoch gegriffen; denn Palacio,
ein Geistlicher, der im Jahre 1579 Guatemala im
Auftrage der spanischen Krone bereiste und über
die Ergebnisse seiner Rundreise einen offiziellen
Bericht abfaßte, bestimmt den Wert von 200 Bohnen
zu einem Real, das wären 20 Pfennig. Dann käme
auf eine Bohne Vio Pfennig. Er fügt aber noch
ausdrücklich hinzu, daß eine carga im Werte
24000 Reales gleichgekommen wäre. Eine carga
sind, wie oben angegeben, 24000 Bohnen. Dem-
nach hätte innerhalb der carga eine Bohne den
Wert eines Reals gehabt, also von 20 Pfennig.
Oviedo hat Angaben hinterlassen, aus denen
sich auf die Kaufkraft des Kakaogeldes in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schließen läßt.
Danach hätte ein Sklave 100 Bohnen gekostet,
für 4 Bohnen hätte man 8 Früchte erhalten, ein
käufliches Frauenzimmer hätte sich für 8—10
Bohnen hingegeben. =) Der Wert des Kakaogeldes
ist demnach ziemlich hoch gewesen.
Bis in die Gegenwart hinein hat sich der Kakao
als Zahlungsmittel neben den Metallmünzen er-
halten. Zur Zeit, als Otto Stoll Guatemala
bereiste, um die Wende der siebziger Jahre, waren
16 Bohnen gleich einem Viertel eines Reals
(i cuartillo) ; ^) für eine Beichte zahlte man in
Nebaj (Departamento Vera Paz) 1 5 Kakaobohnen
und IG Maiskolben.'') Auch Desire Charnay
hatte 1863 noch auf dem Markte in San Christo-
bal (Chiapas) Kakaobohnen als Münzen im Um-
lauf gefunden. ^) Und um auch noch ein Beispiel
aus dem 17. Jahrhundert hinzuzufügen: so fand
D a m p i e r auf seinen Seereisen in mittelamerika-
nischen Gewässern Kakaomünzen im Umlauf an
dem Gestade der Bai von Campeche, also wohl
in Tabasco. ®)
Die Verbreitung des Kakaos im mexikanischen
Reiche erfolgte teils durch den Handel, teils durch
Tributleistungen, die die aztekischen Eroberer
des Landes den unterworfenen Provinzen auferlegt
1) „Sono queste alberi (d. h. Kakaobäume) in grande
stimaziüne perche quei grani sono tenuli per la principal
moneta che corra in quel paese, et val ciascuno come un
mtzzo marchetto fra noi." Conquistador anönimo (bei Icaz-
balceta I, p. 3S0/81).
*) Oviedo, 1. c. (= tom. 1, p. 316 re.).
') Stoll, Guatemala, S. 103.
♦) Stoll, ebendort, S. 394-
>•) Charney, Cites et Ruines, S. 484.
") Dampier, vol. I, S. 91.
hatten. Der Kaufmannsstand nahm ja in der
Bevölkerung eine hervorragende Stellung ein.
Von seinem Handelszentrum in der Stadt Mexico
zogen seine Mitglieder bis in die Gegenden von
Honduras, ja vermutlich sogar bis in jene von El
Salvador und Nicaragua, also Gebiete, die schon
früher als besondere Produktionsländer des Kakao
genannt wurden. Nach Überlieferungen soll der
regelmäßige Kakaoimport unter der Regierung
des letzten Königs von Tlaltelolco namens Mo-
quiuix aufgenommen worden sein. Das wäre
mithin etwa um 1470 n. Chr. gewesen, und dieses
Datum hat eine um so größere Wahrscheinlich-
keit für sich, als eben jene südlicheren Provinzen
verhältnismäßig spät mexikanischer Oberhoheit
Untertan wurden.
Die Art des in Frage kommenden Handels-
objektes brachte es mit sich, daß Betrug beim
Handel mit Kakao nicht selten war. So röstete
der Betrüger kleine schlechte Bohnen, um ihnen
ein besseres Äußere zu geben, er tauchte sie in
Wasser, damit sie durch Vollsaugen ihren geringen
Umfang vergrößerten; bisweilen wurden sie auch
mit Farbe bemalt, damit sie recht frisch erschie-
nen. Ganz grob verfuhren Fälscher, die in die
dünne äußere Haut der Bohnen einen aus Wachs
hergestellten Kern einschlössen. ')
Die Tributleistungen werden zumeist aus jenen
Qualitäten zusammengesetzt gewesen sein, die für
die Münzen verbraucht wurden. Daneben gingen
natürlich auch Mengen besserer Sorten ein, durch
die der Konsum am königlichen Hofe gedeckt
wurde. Vielfach finden sich in den erhaltenen
Bilderschriften derartige Kakaotribute bei einzelnen
Städten angegeben.
Unter den zahlreichen Kultzeremonien, die
einzelnen Verrichtungen in der einheimischen
Landwirtschaft gewidmet waren, finden sich natür-
lich auch solche, die mit der Pflege des Kakao-
baumes in Zusammenhang stehen. So mußte
beim Einpflanzen eines Setzlings oder beim Aus-
streuen der Samen das Ackerland zuvor mit dem
Blute eines Menschen oder Tieres besprengt wer-
den. Bei den Maya-Indianern der Halbinsel Yu-
katan und ihren mittelamerikanischen Nachbarn
hielt man vor der Aussaat zunächst ein Fest ab
zu Ehren der Götter Ekchuah, Chac und Hobnil,
die als Schutzgottheiten der Kakaopflanzungen
verehrt wurden. Auf dem Landstück eines Dorf-
genossen abgehalten, gipfelte die Feier in der
Opferung eines Hundes, der auf seinem Fell einen
der Farbe des Kakao entsprechenden Fleck tragen
mußte. War diese auf Analogiezauber beruhende
Handlung beendet, so brannten die Anwesenden
vor den Götteridolen Weihrauch ab, und zum
Schluß bekam jeder Teilnehmer einen Zweig vom
Kakaobaume, den er als guten Talisman für das
Gedeihen seiner Pflanzung daheim aufzubewahren
hatte.
') Sahagun.lib. X, cap. 18. — Oviedo, 1. c. (=tom. I,
p. 316 re.).
70
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 5
Die Bedeutung des Kakaobaumes für die Wirt-
schaft der einheimischen Bevölkerungen von Mittel-
amerika und Mexico ist nach allem Vorhergehen-
den sehr hoch zu veranschlagen, Oviedo nennt
ihn sogar den von den Indianern am höchsten
geschätzten Baum.*) Für das letztere Land war
er freilich nur Gegenstand des Importes, und
daher mag er dort in alter Zeit bereits nicht
billig gewesen sein. Nicht ohne Grund werden
jedenfalls die Quellen fast stets nur von dem
Schokoladegetränk der Vornehmen reden. Im
Erzeugungslande selbst ist er neben den aus Mais
gewonnenen Getränken von alters her auch bei
dem niederen Volke zur Zubereitung der Schoko-
lade verwendet worden. Und diese ist über die
Zeiten der Eroberung hinweg das Nationalgetränk
Mittelamerikas geblieben, ein Beweis mehr dafür,
daß jene Zeiten trotz ihrer eingreifenden Umwäl-
zungen in dem Kulturleben der eingeborenen
Nationen vieles von dem alten Kulturgut und dem
alten Volksleben weiter fortbestehen ließen. Und
so sehr ist die Schokolade heute dem Mittel-
amerikaner zum Bedarfsgegenstand geworden, daß
seine Länder für den Kakaoexport so gut wie
gar nicht in Frage kommen. Nur das nordwest-
liche Chiapas mit seinem Departement Pichucalco
macht davon eine Ausnahme. ^) Langsam hat
der Kakao, wie anfangs gezeigt wurde, Fuß in
Europa gefaßt; heute, so kann man wohl sagen,
ist er zum Lieblingsgetränk vieler Millionen
Europäer geworden. Aber auch bei niedriger
stehenden Völkern , die ihn erst später kennen
lernten, hat er sich bald eine Vorzugsstellung zu
erringen gewußt, wie das Beispiel der Philippinen
beweisen mag. *)
Literatur.
Blanco, Manuel, Flora de Filipinas. 2. Aufl. Manila 1845.
Charney, Desire, Cites et Ruines Americaines. 1863.
Colmenero de Ledesnaa, Antonio, De chocolata Inda,
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Dufour, Philippe Sylvestre, Traite curieux du Cafe, The
et Chocolate. Vienne (ohne Jahr).
Herrera, Antonio de, Historia general de los hechos
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') Sapper, Nördl. Mittelam. S. 197.
') Über die dortigen Verhältnisse unterrichtet Padre Kr.
Manuel Blanco, Flora de Filipinas. Es scheint, als ob
dort zuerst die Sitte aufgekommen ist, die Schokolade mit
Kaffee vermischt zu trinken: „Otros le (dem Kakao) aiiaden
cafe tostado en sustancia." 2. Aufl. S. 422.
Täuschende Ähnlichkeit mit Bienen, Wespen und Ameisen.
[Nachdruck vcrbotCD.]
Von Prof. Dr.
Auf Seite 752 des letzten Bandes dieser Zeit-
schrift kommt Heikertinger, bezugnehmend
auf meinen Aufsatz (S. 173) noch einmal auf den
Bienenfang der Spinnen- und den Ameisenfang
der Vögel zurück. — Da Heikertinger, um
seine Theorie stützen zu können, unausgesetzt die
Forschungsresultate anderer unrichtig wiedergibt
und alles fortläßt, was gegen seine Theorie spricht,
würde ich es nicht für nötig halten, noch einmal
in diesem Punkt das Wort zu nehmen, wenn ich
es nicht, als staatlich angestellter Spezialist in der
Spinnentierkunde, für meine Pflicht hielte, weitere
Kreise über den wahren Sachverhalt aufzuklären.
Aus der etwas unklaren jetzigen Darstellung
Heikertingers muß derjenige Leser, der meine
früheren Arbeiten und Ausführungen nicht noch
einmal vornimmt, den Eindruck gewinnen, i. daß
zwischen den Bienen und Spinnen, mit denen ich
experimentiert habe und denen, über die sonst
gewöhnlich in der Mimikryliteratur die Rede ist.
Friedr. Dahl.
ein wesentlicher Unterschied bestehe, 2. daß auch
nach meiner Ansicht die Kreuzspinne, mit der
Heikertinger einige Versuche gemacht hat,
zu denjenigen Spinnen gehört, welche Bienen in
allen Fällen leicht bewältigen und 3. daß
ich bei meinen Experimenten Bienen verwendet
habe, welche im Verhältnis zur Spinne zu groß
waren und deshalb freigegeben wurden. — Ein
unbefangener Leser, dem ich Heikertingers
Darstellung vorlegte, verstand diese wenigstens
so. — Alles das ist aber unrichtig.
Ad I. Zunächst verstehe ich auch jetzt noch
nicht, warum die kleineren Bienen, die, ebenso
wie die größeren, mit einem Stachel bewehrt sind,
und denen, ebenso wie den größeren, wehrlose
Fliegen in Bau, Haltung und Bewegungen täuschend
ähnlich sind (Mimikry), nur deshalb, weil sie mit
einer Theorie in Widerspruch stehen, „außerhalb"
bleiben sollen. — Zudem habe ich, wie sich jeder
Leser leicht überzeugen kann (Vierteljahrsschr. f.
1
N. F. XX. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
7«
wiss. Philos. Bd. 9 S. 177), auch mit Tieren ex-
perimentiert, die annähernd so groß sind wie die
Kreuzspinne und die Honigbiene. Ich benutzte
Arama sclopetaria, Andrena labialis und Helophihis
pcnditltis. Bei allen meinen Versuchen mit diesen
Tieren entkam die genannte Biene und die bienen-
ähnliche Fliege regelmäßig aus dem Netz. Nur
das Abbeißen der haltenden Fäden ging in diesen
Fällen so schnell vor sich, daß ich es nicht mit
aller wünschenswerten Sicherheit feststellen konnte.
Dieses Abbeißen habe ich dagegen bei Zilla
x-noiata sehr deutlich gesehen. Worauf es aber
bei der Mimikryfrage allein ankommt, das zeigte
sich auch in diesen Fällen sehr klar und sicher:
Die Spinne verhielt sich diesen Tieren gegenüber
völlig anders als noch größeren gewöhnlichen
Fliegen gegenüber und die Versuchstiere entkamen
deshalb regelmäßig, während die größeren ge-
wöhnlichen Fliegen regelmäßig gefangen wurden.
— Bei meinen Versuchen ging ich allerdings viel
sorgsamer zu Werke als Heikertinger, der die
Honigbiene gewaltsam mit einer Pinzette am
Hinterbein packte und ins Netz hielt. Solche Fälle
kommen in der Natur nicht vor und können
deshalb bei Schlüssen auf das Naturleben nicht
maßgebend sein. Ich habe ausdrücklich einen Fall
erwähnt, daß eine ziemlich stark gedrückte Biene,
Nomada succincta, von der Aranea sclopetaria ein-
gesponnen und an die Wohnung geschleppt wurde.
— Was speziell die Kreuzspinne anbetrifft, so
verweise ich auf das Spinnenwerk von A. Menge
(Preußische Spinnen in: Sehr. d. naturf. Ges. Danzig
1866 — 78 S.46), den ich in meinem Aufsatz als einen
unserer vorzüglichsten Spinnenbeobachter bezeich-
nete, und der als solcher den Biologen allgemein
bekannt ist. Menge sagt: „Erkennt die Spinne
das ins Netz gedrungene Tier als gefahrbringend,
z. B. eine größere Wespe oder Ameise, oder ist
es für sie ungenießbar, so beißt sie selbst die
zurückhaltenden Fäden ab und ist dem Tiere zu
seinem Entkommen behilflich." — Also auch da
liegt eine durchaus zuverlässige Veröffentlichung
vor. — Ad 2. Über das Bewältigen von Bienen
im Netz der Spinnen, das ich nur nebenbei er-
wähnte, konnte ich die ganze Literatur nicht
bringen und glaubte durch den allgemeinen Hin-
weis auf Menge für jeden, der sich weiter für
die Frage interessiert, dargetan zu haben, daß die
Kreuzspinne nicht zu ihnen gehört. Auch jetzt
kann ich nicht alles bringen, da natürlich kritische
Auseinandersetzungen nötig sind. Als eine Spin-
nengattung, bei der man den Bienen- und Hummel-
fang auch in der Natur beobachtete, nenne
ich nur die Gattung Argyope. Die Gattung kommt
für Deutschland fast gar nicht in Betracht, weil
sie nur bei Berlin und am Rhein von Bingen bis
Basel einzeln, selten zahlreich, vorkommt. Be-
obachtungen in der Natur sind übrigens in allen
Fällen, in denen es sich um Schlüsse auf das
Naturleben handelt, viel wertvoller als Experi-
mente. Experimente bleiben da immer nur ein
Notbehelf. — Ad 3. Bei meinen Experimenten
mit Bienen habe ich stets, wie jeder aus meiner
genannten Arbeit ersehen kann, einen Gegenver-
such gemacht und zwar, wenn möglich, mit Fliegen,
die noch etwas größer waren als die Bienen.
Wir kommen nun zu einer zweiten Frage, wie-
weit Ameisen von den Vögeln gefressen werden.
Heikertinger sagt, er habe „an erdrückendem
Tatsachenmaterial nachgewiesen, daß die Ameisen
eine Hauptnahrung der Vögel ausmachen". — Er
selbst hat keine Untersuchungen am Objekt ge-
macht. — Sehen wir uns also einmal an, wie er
die Literatur benutzt. — Da er meine Arbeit über
„Das Leben der Vögel auf den Bismarckinseln"
(Mitt. a. d. zool. Mus. Berlin, Bd. i, H. 3, S. 107 ff.)
nennt, mag uns diese Arbeit als Beispiel dienen.
— In seiner Abhandlung (Biol. Zentralbl. Bd. 39,
S. 98) sagt Heikertinger: „Eine Arbeit F.
Dahls gewährt uns einigen Einblick in die
Nahrung der Vögel der Bismarckinseln. Von 63
zumeist insektivoren Vogelarten fanden sich in
28 Ameisen vor und zwar ebensowohl geflügelte
als ungeflügelte." — So kurz und allgemein diese
Angabe ist, so falsch ist sie von Anfang bis zu
Ende und zwar von ihm zugunsten seiner Theorie
gefälscht. — Zunächst sei erwähnt, daß ich im
ganzen 280 Mageninhalte von 97 Vogelarten ge-
nau untersuchte. Unter diesen waren, wenn man
von Fällen absieht, in denen Insekten höchstens,
wie angegeben wurde, den hundertsten Teil des
Mageninhalts ausmachten und nur zufällig mit
Pflanzenteilen aufgenommen sein konnten, 167
Mägen 54 insektenfressenden Vogelarten
entnommen. In 41 Mägen, die 27 Vogelarten
entnommen waren, befanden sich Ameisen; aber
nur in 10 Mägen von 9 Vogelarten wurden sicher
ungeflügelte Ameisen, d. i. Arbeiter, nachgewiesen.
In 19 Mägen waren es sicher nur geflügelte, und
in 12 Mägen von 10 Vogelarten waren die Ameisen
soweit zerstört, daß man nicht erkennen konnte,
ob es Geschlechtstiere oder Arbeiter waren. —
Die Angabe H ei ker tingers, daß in den Mägen
aller 27 (bzw. 28) ameisenfressenden Arten „so-
wohl geflügelte als ungeflügelte" vorhanden ge-
wesen seien, ist also falsch. Selbst wenn alle
Ameisenbruchstücke von Arbeitern hergerührt
haben würden, was als vollkommen ausgeschlossen
gelten kann, könnten es höchstens 19 Vogelarten
sein, welche Arbeiter gefressen hatten. Nach der
Lebensweise der Vögel zu schließen aber waren
es gewiß nicht mehr als 10 — 12 Arten. Auf die
Arbeiter aber kommt es bei der Mimikryfrage
allein an; denn Mimikryfälle nach geflügelten
Ameisen sind bisher noch nicht bekannt geworden.
— Es kommt hinzu, daß ich nur bei einer einzigen
Vogelart im Bismarck- Archipel, bei Megaluriis
iiiacntnis eine größere Zahl von Arbeitern (30)
im Magen fand und daß gerade diese Vogelart nur
ganz lokal vorkommt, von mir nur auf der kleinen
Insel Uatom, niemals dagegen auf Neupommern
selbst beobachtet wurde. Abgesehen von Alega-
lurus fand ich höchstens 2 Ameisenarbeiter in
einem Magen. — Zu diesen Befunden muß noch
72
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX, Nr. 5
eins berücksichtigt werden, worauf ich in meiner
Arbeit „Das Leben der Ameisen im Bismarck-
Archipel" (Mitt. a. d. zool. Mus. Berlin Bd. 2,
H. I III) ganz besonders hingewiesen habe : Der
Ameisenreichtum ist im Bismarck -Archipel, wie
jedem Besucher sofort auffällt, ein ungeheurer.
Nach meinen zahlreichen Köderfängen mittels
Selbstfängers, die ich in Norddeutschland und im
Bismarck-Archipel in gleicher Weise unter sorg-
fältiger Vermeidung von Ameisennestern und
Ameisenstraßen, ausführte, ließ sich berechnen,
daß der Ameisenreichtum, d. i. der Reichtum an
Ameisenarbeitern im Bismarck-Archipel etwa 30
mal so groß ist als in Norddeutschland. Was be-
deuten da, frage ich, die wenigen Ameisenarbeiter,
die ich wirklich in Vogelmägen fand?
Vergleichen wir aber nun einmal die Individuen-
zahlen der verschiedenen Landarthropoden, die in
den Mägen der Vögel des Bismarck- Archipels ge-
funden wurden. — Zunächst sei darauf hinge-
wiesen, daß, abgesehen von den Tagfaltern, die
täuschende Ähnlichkeit sich ganz besonders beim
ruhenden und kriechenden Tiere zeigt. Damit
steht im Einklang, daß die fliegend fangenden
Vögel des Bismarck-Archipels, wie die Magen-
inhalte zeigen, beim Fange eine Auswahl nur in
der Größe treffen, sonst aber Fliegen, Bienen,
Ameisen, Käfer und Wanzen ohne Unterschied
fressen. Wenn der Bienenfresser f'ili/d?;'^?/'^/' besonders
Bienen frißt, so liegt das lediglich daran, daß an den
Orten, wo er seine Jagd betreibt, die fliegenden
Insekten von geeigneter Größe besonders Bienen
sind. Da die fliegendfangenden Vögel für die
Mimikryfrage, abgesehen von den Tagfaltern, also
nicht in Betracht kommen, mögen sie zunächst
aus unserer Statistik ausscheiden. Ebenso scheiden
aus die Seeschwalben (Sterna), welche ihre Nahrung
auf dem Meere suchen und gelegentlich tote oder
halbtote geflügelte Insekten auf der Oberfläche
treibend finden. — Es ergeben sich dann aus
meinen Magenuntersuchungen folgende Zahlen :
142 Vögel hatten gefressen: 87 Spinnen, mehr
als 280 Käfer, 4 Schmetterlinge, mehr als I2i
Raupen, 159 Ameisen (und zwar 42 Arbeiter,
68 Geschlechtstiere und 49 zweifelhafte), 4 Bienen,
2 Grabwespen, keine Faltenwespen und Schlupf-
wespen, 23 Zweiflügler, 197 Zweiflüglerlarven, 4
Ameisenlöwen, 39 Wanzen, 33 Zikaden, 22 Ohr-
würmer und 69 Geradflügler. Die Zahlen ent-
sprechen bei den Käfern, Raupen, Zweiflügler-
larven, Zikaden, Ohrwürmern und Geradflüglern
etwa dem Eindruck, den man selbst beim Sam-
meln von ihrer Häufigkeit bekommt. — Entschie-
den zu niedrig ist die Zahl der Schmetterlinge,
Hautflügler, Zweiflügler und Wanzen. Auch bei
den Spinnen scheint mir die Zahl keineswegs
ganz der Häufigkeit zu entsprechen. — Z. T. er-
. klärt sich das Mißverhältnis in den letztgenannten
Tiergruppen daraus, daß die Tiere keine Teile
besitzen , die sich bei der Druckwirkung des
Muskelmagens gut erhalten und die schon in
Bruchstücken erkennbar sind. Alle Tiere, welche
feste Mundwerkzeuge oder einen festen Kopf be-
sitzen, lassen sich leicht der Gruppe und der Zahl
nach feststellen. Feste Mundwerkzeuge (Cheliceren)
haben freilich auch die Spinnen. Wenn diese
trotzdem in zu geringer Zahl erscheinen, so wird
es daran Hegen, daß erfahrungsgemäß von den
Vögeln oft nur der leicht abtrennbare weiche
Hinterleib gefressen wird, dieser aber im Magen-
inhalt schwer zu erkennen ist. Die sicher erkenn-
baren Spinnwarzen sind zu klein und werden
nicht leicht gefunden. Daß bei Vögeln gegen die
Spinne als Nahrung irgendeine Abneigung vor-
handen wäre, läßt sich also aus ihrer Zahl im
Magen nicht nachweisen. — Viel zu gering ist
die Zahl der Zweiflügler, die, nach meiner Be-
rechnung aus den Köderfängen, im Bismarck-
Archipel 35 "1^1 so individuenreich vertreten sind
als bei uns (Mitt. a. d. zool. Mus. Bd. I, Heft 3,
S. 1 29 f.), was sehr viel sagen will , da sie auch
bei uns schon recht individuenreich vertreten sind.
Da wir wissen, daß Fliegen allgemein von Vögeln
gern gefressen werden, könnte man denken, daß
sie als die geschicktesten Flieger unter den In-
sekten, durch ihren geschickten Flug den Vögeln
entgehen, ') und das mag in einem gewissen Grade
auch richtig sein. Bei ihrem großen Individuen-
reichtum erklärt uns der geschickte Flug aber
auch nicht annähernd ihre äußerst geringe Zahl
in den Mageninhalten der Vögel; denn auch bei
den geschickt fliegenden, fliegendfangenden Vögeln
ist offenbar die Zahl der Dipteren (57 in 23
Mägen) viel zu gering. Nun wissen wir aber, daß
die Dipteren durchweg sehr zart gebaut und da-
bei äußerst brüchig sind und daß sie sehr feste
Teile, die gequetscht leicht erkennbar wären, nicht
besitzen. Ferner zeigt die Untersuchung der
Mageninhalte, daß gerade bei den Vogelarten, bei
denen Dipteren besonders als Nahrung in Frage
kommen könnten, nach den Angaben in meiner
Arbeit fast immer ein großer Teil des Magen-
inhaltes als unerkennbare Masse vorhanden war.
Da diese Masse aber meist Chitinteilchen erkennen
ließ, dürfen wir wohl annehmen, daß die ge-
fressenen Dipteren der Mehrzahl nach unter der
Wirkung des Muskelmagens völlig zermalmt
sind. — Dasselbe gilt für die Schmetterlinge
namentlich für die Kleinschmetterlinge und die
kleineren Heteroceren. — Schmetterlingsraupen
und Dipterenlarven sind zwar auch dünnhäutig.
Aber ihre Haut ist verhältnismäßig zäh , so daß
diese trotz ihrer Zartheit meist erkannt wurde.
Von den Raupen wurden allerdings bisweilen nur
die Köpfe und die Stigmen erkannt. — Es bleiben
dann nur die Hymenopteren und Wanzen, die,
obgleich sie leicht erkennbare Hartgebilde besitzen,
in zu geringer Zahl in den Mageninhalten sich
finden. Besonders fällt das bei den Wanzen auf,
die im Bismarck-Archipel außerordentlich viel in-
dividuenreicher vorhanden sind als die Zikaden
') Die schlimmsten Feinde der Dipteren sind zweifellos
die netzbauenden Spinnen.
N. F. XX. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
73
und sich trotzdem in den Mageninhalten in kaum
größerer Zahl finden. Bei den Hymenopteren
muß ganz besonders die geringe Zahl der Ameisen-
a r b e i t e r auffallen, deren Individuenreichtum, wie
schon hervorgehoben wurde, im Bismarck- Archipel,
ganz enorm groß ist. Doch auch die Bienen,
Grabwespen und Faltenwespen sind reich ver-
treten und nicht annähernd in entsprechender
Zahl in den Mageninhalten vorhanden. Bei den
genannten Hautflügjern und den Wanzen bleibt
uns nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß sie
von vielen Vögeln als Nahrung gemieden werden.
Sie fanden sich auch nur in dem Magen verhält-
nismäßig weniger Vogel arten. Während sich
Käfer bei 29 nichtfliegendfangenden Vogelarten
und die verhältnismäßig individuenärmeren Gerad-
flügler bei 23 Vogelarten fanden, hatten nur
8 Arten Bienen gefressen, nur 14 Arten Wanzen
und auch nur 15 Arten geflügelte Ameisen.
Ameisenarbeiter werden, wie schon oben ange-
geben wurde, höchstens von 12 Vogelarten ge-
fressen.
Damit ist der Beweis erbracht, daß im
Bismarck- Archipel die Ameisen, Wespen, Bienen
und Wanzen unter den Vögeln weniger Feinde
besitzen als andere Insekten, daß sie also, während
sie ihrer Nahrung nachgehen und in der Brut-
pflege tätig sind, weniger von Vögeln behelligt
werden als andere Insekten. — Bewiesen ist da-
mit freilich nur, daß sie von manchen Vögeln
gemieden werden. Die Frage, warum sie ge-
mieden werden, interessiert uns erst an zweiter
Stelle. — Da wir wissen, daß besonders in diesen
beiden Ordnungen unangenehme, ja, sogar gefähr-
liche Absonderungen vorkommen, liegt der Ge-
danke allerdings sehr nahe, das Gemiedenwerden
diesen Absonderungen zuzuschreiben. Da die
Absonderungen nicht bei allen Arten der Gruppe
gleich stark sind, — wissen wir doch, daß bei
manchen Wanzen, namentlich bei gestreckten,
unscheinbar gefärbten Arten, der Geruch sehr
schwach ist, — würde uns die Richtigkeit dieser
Annahme noch klarer vor Augen treten, wenn
wir bei unseren Vergleichen über die „Ordnung"
hinaus, wenigstens bis auf die „Familie" weiter
gingen. Wir würden dann sehen, daß unter den
Wanzen manche, z. B. die sehr lebhaft gefärbten
Pyrrhocoriden, fast nur von den Kuckucken ge-
fressen werden, von diesen aber ziemlich regel-
mäßig. Wir würden weiter sehen, daß es auch
unter den Käfern einzelne Gruppen gibt, die (ab-
gesehen von den fliegendfangenden Vögeln) nur
von den Kuckucken gefressen werden , z. B. eine
lebhaft gefärbte häufige Coccinellide und die eben-
falls lebhaft gefärbte Gattung O'idcs.
Steht nun fest, daß Bienen, Wespen und
Ameisenarbeiter von vielen insektenfressenden
Vögeln gemieden werden, so ergibt sich als
logischer Schluß, daß diejenigen Tiere anderer
Gruppen, die ihnen täuschend ähnlich sind, in
dieser Ähnlichkeit einen großen Vorteil besitzen und
nur das setzt die Selektionslehre voraus. Diese Lehre
gibt dann für das, was der Neolamarckismus als
Zufall ansehen muß, eine natürliche Er-
klärung.
Wie der Leser an dem hier gegebenen Bei-
spiel sieht, muß der Forscher, um aus Vogel-
magenuntersuchungen sichere Schlüsse ziehen zu
können, äußerst sorgfältig. Schritt für Schritt vor-
gehen. Bei Heikertinger bemerken wir von
einer solchen Sorgfalt keine Spur. Bei ihm soll
es die Masse tun. Die Masse soll das „erdrückende
Beweismaterial" liefern.
In meiner Arbeit über die Ameisen des Bis-
marck-Archipels nannte ich die Vögel die schlimm-
sten Feinde der Ameisen, und das ist richtig. Ich
wies aber ausdrücklich darauf hin, daß gerade die
Vernichtung der Geschlechtstiere den Be-
stand der Ameisenstaaten gefährden könne. Die
wenigen Arbeiter, die von den Vögeln gefressen
werden, kommen dabei gar nicht in Betracht.
Meine Worte schließen keineswegs aus, daß die
Vögel anderen Tiergruppen noch weit schlimmere
Feinde sind. Durch meine hier gegebenen Aus-
führungen ist dafür der Beweis geliefert.
Was die Magenuntersuchungen einheimischer
Vögel anbetrifft, so bin ich bereits in einer ande-
ren Zeitschrift („Aus der Heimat" Jahrg. 33, S. 22)
näher auf dieselben eingegangen und werde in
derselben Zeitschrift noch einmal auf das Thema
zurückkommen. — Hier sei nur noch einmal her-
vorgehoben, in wie geringer Zahl die Arbeiter
unserer Waldameise, (der eine einheimische Spinne
täuschend ähnlich ist), von Vögeln gefressen wer-
den, namentlich während des Sommers. — Man
kann es nicht genug betonen, daß Tiere, welche
so offen auftreten wie unsere Waldameise, un-
möglich viele Feinde haben können, weil sie dann
schon längst ausgerottet sein würde; und damit
decken sich alle Vogelmagenuntersuchungen voll-
kommen. Neben den Ameisenstraßen könnten
zahlreiche Vögel sich gütlich tun, wenn ihnen die
Waldameise wirklich ein angenehmes Futter wäre.
Jeder Tierbeobachter kann sich leicht davon über-
zeugen, daß man mit einer Pinzette eine Ameise
nach der andern aufsammeln kann, ohne von den
anderen belästigt zu werden. — Man müßte also
hunderte von Waldameisenarbeiter in den Vogel-
mägen finden. Und was findet man? Während
des Sommers günstigenfalls einzelne Stücke. Ist
das alles Zufall? — Daß offen auftretende Tiere
von den Vögeln gemieden, versteckt lebende
gierig gefressen werden, ist übrigens eine so all-
gemein gültige Erscheinung, daß jeder Naturbe-
obachter, ja, sogar der Laie sie kennt. Welcher
Garten- und Hühnerbesitzer wüßte nicht, daß die
zahlreich frei auf dem Kohl lebenden Raupen des
Kohlweißlings von den Hühnern, auch einzeln vor-
geworfen, verschmäht, die im Innern der Kohl-
köpfe lebende Raupe der Kohleule dagegen gierig
gefressen wird. Ist das alles Zufall? — Heiker-
ting;er sagt: „Eine Unterscheidung zwischen ge-
fährlichen und harmlosen Ameisen müßte vom
Vogel- und nicht vom Menschenstandpunkt vor-
74
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 5
genommen werden, was aber für uns Menschen
undurchführbar ist." — Gewiß ist das durchführbar.
Wenn man im Magen des Wendehalses, nach den
bis jetzt vorliegenden Untersuchungen, während
des Sommers fast nie Waldameisen, sehr zahl-
reich aber andere Ameisen findet, so muß er sie
doch wohl unterscheiden können; denn daß er
Waldameisen, auch einzeln umherlaufende, im Som-
mer nicht finden könne, wird doch wohl keiner,
der das Tierleben der Heimat kennt, glauben
wollen. — Der Vertreter der neolamarckistischen
Zufallstheorie wird sich also immer wieder mit
der Annahme beruhigen müssen, es ist Zufall,
während sich für den Vertreter der Selektions-
lehre das eine stets als notwendige F"olge aus dem
anderen ergibt.
Ich hoffe durch meine hier gegebenen Aus-
führungen dem nicht voreingenommenen Leser
klar vor Augen geführt zu haben, wie verschieden
der Neodarwinismus und der Neolamarckismus
den aus den Vogelmagenuntersuchungen sich
ergebenden Tatsachen gegenüberstehen.
Wundern muß man sich eigentlich über das
nochmalige Wiederaufglimmen des Larmarckis-
mus, da er doch das allgemeine Bedürfnis des
Menschen, sich alle Erscheinungen in der lebenden
Natur ursächlich zu erklären, so wenig befriedigt,
da doch erst die Darwinsche Selektionslehre
kommen mußte, um den Abstammungsgedanken
zum vollen Siege zu führen. — Diese eigenartige
Erscheinung dürfte in folgenden drei Tatsachen
ihre Erklärung finden : Erstens darin , daß B o -
taniker die Abstammungslehre mehr in die
Hand nahmen, in der Botanik aber der Kampf
ums Dasein und das Wirken der Selektion nicht
so klar zutage tritt wie in der Zoologie. Zweitens
daiin, daß über die wichtigsten Fragen der Se-
lektionslehre, namentHch über die Mimikryfrage in
erster Linie die Entomologie zu entscheiden hatte,
diese sich aber vorwiegend in den Händen von
Dilettanten befindet. Drittens darin, daß die Ver-
treter der Selektionslehre sich über das Auftreten
der ersten Anfangsstadien nützlicher Eigenschaften
immer noch nicht völlig klar geworden sind.
Dilettanten sind leicht geneigt ins Extrem zu
verfallen. Nachdem die Entomologen von der
Selektionslehre gehört hatten, suchten sie überall
nach Mimikryfällen. Bald gab es für sie nur noch
Schutzfarben, Trutzfarben und Mimikry. Jede
auch nur annähernde Ähnlichkeit wurde von ihnen
als Mimikry gedeutet. — ■ Die Folge war, daß sie
die Mimikrylehre und damit auch die Selektions-
lehre gründlich in Mißkredit brachten; denn jeder,
der z. B. Vögel kennt, muß sich sagen', daß
viele Farben der Tiere weder als Schutzfarben
noch als Trutzfarben zu verstehen sind. Da man
aber nicht auf den eigentlich recht nahe liegen-
den Gedanken kam, daß das Weibchen jeder
Tierart das Männchen der eigenen Art von denen
anderer Arten, die am gleichen Orte vorkommen,
zur Paarung muß unterscheiden können, daß,
wenn der Geruchssinn versagt, wie bei den Vögeln,
zum Erkennen außer dem Gehörssinn nur noch
der bei Vögeln so hoch entwickelte Gesichtssinn
in Frage kommen kann, die Farben also lediglich
Erkennungs färben sein werden, so wandte
man der Selektionslehre den Rücken und ließ unbe-
kannte innere Ursachen, ließ den Zufall walten.
— Die extremen Vertreter der Selektionslehre
aber, die in sehr vielen Fällen durch die Selektion
den Zufall ausgeschaltet sahen, wollten gar keinen
Zufall mehr anerkennen und alles durch Selektion
erklären. — Beides ist verfehlt : — Wie ein Stück
Feuerstein einem Stück Bernstein lecht ähnlich
sein kann, ohne daß beide Substanzen auch nur
das Geringste miteinander gemein hätten, so kann
auch ein Tier einem Tiere aus einer anderen
Gruppe recht ähnlich sein, ohne daß zwischen
beiden auch nur die geringste Beziehung bestände.
— Freilich ist es viel merkwürdiger, wenn einmal
zwei Tiere verschiedener Gruppen als wenn zwei
Steine einander ähnlich sind, weil die Ähnlichkeit
bei Tieren viel mehr an Einzelheiten gebunden
ist. Der Fall ist um so merkwürdiger, je höher
die einander ähnlichen Tiere organisiert sind. —
Je ähnlicher zwei hochorganisierte Tiere ver-
schiedener Gruppen einander sind, um so seltener
wird es sich um eine zufällige Ähnlichkeit
handeln. Sehen wir deshalb eine Ähnlichkeit mit
Tieren einer Gruppe (z.B. mit Ameisen) in ver-
schiedenen Gruppen wiederkehren, so sind
wir, wegen der äußerst geringen Wahrscheinlich-
keit eines Zufalls, genötigt, anzunehmen, daß die
Fälle in der gleichen oder in einer sehr ähnlichen
Weise zustande gekornmen sind. - — Sehen wir
weiter, daß in der Ähnlichkeit ein Vorteil der
einen Tiergruppe begründet ist, so haben wir da-
mit einen Anhaltspunkt, mittels der Selektions-
lehre den Zufall auszuschalten. Wir sind dann aber
genötigt, das Wirken der Naturauslese anzu-
erkennen. So zwingt uns schon die öfter wie-
derkehrende Ähnlichkeit von Spinnen, die viele
Feinde besitzen, mit Ameisenarbeitern, die wenige
Feinde besitzen, die Entstehung der Ähnlichkeit
duich Selektion anzunehmen. Das ist kurz der
logische Gedankengang, welcher der Mimikrylehre
zugrunde liegt. Es macht uns also schon die in
meinem letzten Aufsatz hervorgehobene, in ver-
schiedenen Spinnengruppen wiederkehrende Ähn-
lichkeit mit Ameisenarbeitern, die von Vögeln
selten gefressen werden, die Selektionslehre gleich-
sam zur Gewißheit, weil die Wahrscheinlichkeit,
daß in allen Fällen ein Zufall vorliegt, fast gleich
Null ist. — Die Gewißheit wird noch, größer,
wenn das nähere Eingehen auf irgendeinen Einzel-
fall weitere Einzelheiten ergibt : — Sehen wir, daß
bei der Gattung Myrmaradnic (Salticus) , im
Gegensatz zu fast allen anderen Spinnen, die Taster
des Weibchens stark erweitert sind und dadurch
die Kiefer der Ameisen vortäuschen, daß die
Vorderbeine beim Gehen vorgestreckt gehalten
werden und dadurch die Fühler der Ameisen vor-
täuschen, daß nicht nur die Gestalt und Haltung,
sondern auch die Bewegungen ameisenartig sind,
N. F. XX. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
75
so kann nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein
Zufall als völlig ausgeschlossen gelten. Schon die
Ameisenähnlichkeit bei den Spinnen genügt also,
um die Richtigkeit der Selektionslehre dem Neo-
lamarckismus gegenüber zu beweisen für jeden,
der es gelernt hat, mathematisch zu denken.
Diese Gewißheit darf uns aber nicht hindern,
jeden neuen Fall einer Ähnlichkeit einer gründ-
lichen Untersuchung zu unterwerfen. Wir dürfen
niemals ohne erneute Untersuchung verallgemeinern
wollen und müssen uns stets darüber klar sein,
daß eine zufällige Ähnlichkeit niemals völlig
ausgeschlossen ist.
Kurz sei zum Schluß des Auftretens der ersten
Anfange nützlicher Eigenschaften bei Tieren, in
unserem Falle der Entstehung der ersten An-
fänge einer Ameisenähnlichkeit gedacht, da die
Neolamarckisten behaupten, die ersten Anfänge
einer nützlichen Eigenschaft ließen sich durch Natur-
auslese nicht erklären, die Vorteile seien zuerst
zu unbedeutend um Selektionswert zu besitzen.
Den Beweis für diese Behauptung sind sie uns
freilich schuldig geblieben. — Nach allem, was
der Systematiker täglich beobachtet, muß genau
das Gegenteil von dem, was jene behaupten, als
zutreffend angenommen werden. Der Systema-
tiker weiß, daß bei jeder Tierart einige Eigen-
schaften mehr, andere weniger abändern, und zwar
pflegen alle Eigenschaften, die, soweit wir die
Funktion kennen, für die Erhaltung der Tierart
wichtig sind, wenig zu variieren, während die
weniger lebenswichtigen Eigenschaften stark ab-
zuändern pflegen. Schon Darwin wußte, daß
die sog. rudimentären Organe, die keine lebens-
wichtige Funktion mehr besitzen und deshalb ver-
kümmern, meist sehr stark variieren. — Nach
diesen unseren Erfahrungen muß bei den Mimikry-
formen, z. B. bei den ameisenähnlichen Spring-
spinnen die ameisenähnliche Gestalt, da sie lebens-
wichtig ist, verhältnismäßig konstant sein, und
das trifft zu. Nur die mächtig entwickelten Man-
dibeln des Männchens, welche dessen Ameisen-
ähnlichkeit bedeutend herabsetzen, variieren
stark. Die Gestalt des Weibchens aber variiert
wenig. Als bei den Vorfahren dieser Spinnen die
Ameisenähnlichkeit noch nicht vorhanden war,
war der allgemeine Habitus noch nicht lebens-
wichtig und konnte stark variieren. Durch starke
Variation der Körperform kann, namentlich bei
einer gestreckten Springspinne, leicht eine ziem-
lich hochgradige Ameisenähnlichkeit zustande
kommen, so daß die Naturauslese an derartige
Variationen anknüpfen konnte. — Starke Variationen
kennen wir auch heute noch bei vielen Tierarten.
Erinnert sei nur an die verschiedenen Farben und
Zeichnungen des Hainschneckengehäuses (Helix
)iemoralis) , einer gemeinen Ostseeassel (Idothea
haWiica) und an die starken Farbenabänderungen
fast aller Haustiere. Der Züchter hatte bei der
Domestikation z. B. des Rindes natürlich besonders
einen reichen Milch- und Fleischertrag im Auge.
Die Haarfarbe war ihm ziemlich gleichgültig. Des-
halb trat nach Aufhören der Naturzüchtung eine
starke Variation der Farbe ein. Verwildert ein
Haustier, wie man es beim Kaninchen kennt, so
tritt sofort wieder die Naturzüchtung ein, und die
Farbe wird wieder konstant.
Ich möchte diesen Aufsatz nicht abschließen,
ohne auf zwei vorzügliche kleine Abhandlungen
von E. Study hingewiesen zu haben, die in der
Zeitschrift „Die Naturwissenschaften" (7. Jahrg.
S. 371 ff.) und in der „Zeitschrift für induktive
Abstammungs- und Vererbungslehre" (Bd. 24, S. 33 ff.)
veröffentlicht sind. Die erste wendet sich gegen
die Anhänger der E im ersehen Schule und be-
kämpft sie mit ihren eigenen Waffen. Die zweite
geht mit der Logik O. Hertwigs ins Gericht.
Beide zeigen klar, daß nur die Selektionslehrc
unserem logischen Denken gerecht wird.
Einzelberichte.
Die Lehre von der inneren Sekretion.
Vor dem Jahre 1890 finden sich in der Lite-
ratur nur einige wenige Hinweise auf die endo-
krinen Drüsen oder Blutgefäßdrüsen, welche ihre
Absonderungen nicht in die äußere Umgebung
des Lebewesens, sondern ins Blut desselben er-
gießen. Immerhin hatte schon 1801 der Physio-
loge Legallois, wie Gley') nachweist, eine
sehr klare Vorstellung von den Beziehungen, die
vorhanden sein müssen zwischen den verschiedenen
Sekreten auf der einen, und den Schwankungen
in der Zusammensetzung des venösen Blutes auf
der anderen Seite. Der Göttinger Professor A. A.
') Abhandlungen und Monographien aus dem Gebiete der
Biologie und Medizin, I. Heft: Gley, „Die Lehre von der
inneren Sekretion" (Bern J920, Ernst Bircher).
Berthold demonstrierte 1849 ^'s erster durch
Versuche, daß die Keimdrüsen auf dem Wege über
das Blut den ganzen Organismus beeinflussen
können. Auch sonst finden sich kurze Hinweise
auf die Drüsen mit innerer Abscheidung. Die
wahren Begründer der Lehre von der inneren
Sekretion sind jedoch Claude Bernard und
Brown-Sequard; den Anteil, den der eine
und der andere an der Begründung dieser Lehre
haben, zeigt Gley auf.
Als wesentliche Kennzeichen der Drüsen mit
innerer Sekretion werden genannt: i. Die Zellen
der sog. Blutgefäßdrüsen müssen die Eigenschaften
von drüsigen Elementen besitzen, und sie müssen
um die Blutgefäße gelagert sein, die aus dem
Organ austreten; 2. in diesen Zellen und in dem
venösen Blut der Drüse oder in der austretenden
1P^
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 5
Lymphe muß eine spezifische Substanz chemisch
nachgewiesen werden Icönnen; und 3. muß das
venöse Blut der Drüse die physiologischen Eigen-
schaften dieser spezifischen Substanz besitzen. Für
zahlreiche Organe — sagt Gley — die zu den
Drüsen mit innerer Sekretion gerechnet werden,
„sind ohne Zweifel nicht alle diese Bedingungen
erfüllt worden ; manche dieser Organe sind jedoch
ganz sicher auch vom Standpunkt der schärfsten
Kritik als Drüsen mit innerer Sekretion aufzu-
fassen, denn obwohl nicht alle oben erwähnten
Merkmale zugegen sind, gestattet es eine Reihe
übereinstimmender Tatsachen , sie als endokrine
Drüsen anzuerkennen. . . . Niemand wird z. B.
bestreiten wollen, daß die Schilddrüse eine Blut-
gefäßdrüse ist, obwohl man bisher im venösen
Blut dieses Organs keine spezifischen chemischen
oder physiologischen Eigenschaften nachweisen
konnte; aber die Folgen der Exstirpation dieses
Organs sind so eigenartig und die Wirkung des
Schilddrüsenextraktes, das diese schädlichen Folgen
aufhebt, ist so charakteristisch, daß man gezwungen
ist anzunehmen, daß die Stoffe, die in diesem Ex-
trakt enthalten sind, das innere Milieu elektiv be-
einflussen."
Eine Ausnahme von der Regel, daß die Drüsen
der inneren Abscheidung keine Beziehungen zum
äußeren Milieu haben, bilden die Leber, das Pan-
kreas, und auch die Schleimhaut des Zwölffinger-
darms und des Leerdarms, die Stoffe sowohl nach
außen wie nach innen abscheiden. Überdies be-
stehen gewisse Wechselbeziehungen zwischen äuße-
rer und innerer Abscheidung. Als typisches Bei-
spiel wird u. a. der Harnstoff erwähnt, der in der
Leber gebildet, ins Blut ausgeschieden und von
der Niere abgefangen wird, um nach außen ab-
gegeben zu werden.
Der direkte Nachweis der Abscheidungspro-
dukte in den Drüsen oder im Blut und die Er-
mittlung ihrer chemischen Natur ist bisher erst
ausnahmsweise gelungen. „Es sind nur wenige
Stoffe, die in den Drüsenzellen chemisch nach-
gewiesen werden konnten : so Fette in den Darm-
zellen und in den Zellen des Fettgewebes, sowie
Adrenalin in den Zellen der Nebennieren. Man
hat allerdings auch in den Zellen der Schilddrüse
ein Produkt der Zelltätigkeit nachgewiesen , die
kolloide Substanz; aber wir wissen nicht, ob diese
kolloide Substanz nur das aktive Prinzip des Schild-
drüsensekretes enthält und ob es das ganze aktive
Prinzip in sich beherbergt. Der chemische Nach-
weis der spezifischen Produkte der Drüsen mit
innerer Sekretion im venösen Blute ist ebenfalls
nur für eine geringe Anzahl von Drüsen gelungen.
In den Darmvenen und im Ductus thoracicus hat
man Fette gefunden und sogar quantitativ be-
stimmt; man hat Zucker und Harnstoff im Blut
der Lebervenen nachgewiesen, und man hat schheß-
lich Adrenalin im Blute der Nebennierenvene ge-
funden."
Sehr wichtig für den Beweis des Vorliegens
innerer Sekretion ist die Feststellung, daß einem
spezifischen Produkt der Drüsentätigkeit bestimmte
physiologische Eigenschaften zukommen, die zeit-
weilig auf das Blut übertragen werden. Es wäre
nötig, daß er für alle endokrinen Drüsen erbracht
würde; darauf abzielende Untersuchungen sind
jedoch selten gemacht worden. Ein diesbezüg-
licher Nachweis wurde erbracht für jene Drüsen,
in denen Stoffe produziert werden, welche den
Ablauf chemischer Reaktionen verändern und nach
der Art von Fermenten wirken, nämlich das innere
Sekret des Pankreas, das zur Regulierung des nor-
malen Zuckergehaltes im Blute dient, und das
Antithrombin der Leber, auf dem die Gerinnung
des Blutes beruht. Auch hinsichtlich der beiden
bestbekannten inneren Abscheidungsstoffe, des
Sekretin der Schleimhaut des Zwölffinger- und des
Leerdarms, sowie des Adrenalin, gelang die Fest-
stellung, daß dieselben in das venöse Blut der
Organe übergehen, in welchen sie gebildet werden.
Statt die Anwesenheit der Sekrete im venösen
Blut zu ermitteln, wurde gewöhnlich ein einfacheres
Verfahren angewendet, das in der Beobachtung
der Wirkung von Organextrakten besteht. Das
Resultat jedoch istj meint Gley, daß beinahe
alle Arbeiten, die seit fünfzehn Jahren über diese
Frage ausgeführt wurden, auf einer Methode be-
ruhen, die zwar nicht absolut mangelhaft, jedoch
unvollständig und darum ungenügend ist. Ohne
die große Bedeutung mancher Ergebnisse zu ver-
kennen, zu welchen die Untersuchung mit Organ-
extrakten führte, warnt Gley vor Schlüssen, die
einzig auf solcher Wirkung beruhen; er sagt:
„Wenn die chemischen und physiologischen Merk-
male, d. h. der Nachweis des spezifischen Produktes
im venösen Blute, nicht vorhanden sind, so kann
eine innersekretorische Wirkung nur dann ange-
nommen werden, wenn eine ganze Reihe von
übereinstimmenden physiologischen, pathologischen
und therapeutischen Momenten vorliegt : es muß
nachgewiesen sein, daß die Exstirpation des Or-
gans, dessen innersekretorische Wirkung vermutet
wird, einen ganzen Komplex von funktionellen
Störungen hervorruft, die auch beim Menschen als
Krankheit vorkommen können; ferner daß man
diese Störungen herabmindern oder zum. Ver-
schwinden bringen kann durch regelmäßige An-
wendung von Organextrakten oder durch Organ-
verpflanzung, wenn die letztere möglich ist. Der
Erfolg einer solchen Substitutionstherapie bildet
die Gegenprobe zu den Versuchen, in denen ein
Organ zerstört wird. Und nur weil eine solche
Reihe von übereinstimmenden Tatsachen mit Be-
zug auf die Schilddrüse und mit Bezug auf die
interstitielle Drüse der Geschlechtsdrüsen ermittelt
wurde, werden die Schilddrüse, die interstitielle
Drüse des Hodens und das Corpus luteum mit
Recht als Organe mit innerer Sekretion betrachtet."
Gleys Einwände gegen die Methode der Organ-
extrakte lese man in seiner Schrift selbst nach.
Die inneren Sekrete werden in vier Gruppen
eingeteilt: i. Innere Sekrete, die als Nährstoffe
dienen (Glukose der Leber ; Fett der Darmschleim-
N. F. XX. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
n
haut und des Panniculus adiposus; Fibrinogen der gänge oder Funktionen reguliert werden. 3. Hor-
Leber). 2. Morphogenetische Substanzen oder mone und 4. Parhormone. Die Harmozone teilt
Harmozone, durch welche die chemischen Vor- Gley wie folgt ein:
Innere Sekrete:
1. Substanzen, die im Stoffwechsel Substanz, die die Zuckerpro-
eine Rolle spielen. duktion reguliert.
2. Substanzen, die dazu dienen, Antithrombin,
das innere Milieu unverändert
zu erhalten.
3. Morphogenetische Substanzen, Chemische Natur unbekannt,
die durch ihre chemischen Wir-
kungen die Formbildung be-
einflussen.
Organe mit innerer Sekretion:
Pankreas.
Leber.
Interstitielle Drüse des Testi-
kels und Corpus luteum.
Schilddrüse. Hypophyse.
Thymus.
Die Hormone und die Parhormone werden nach ihrer physiologischen Funktion wie nach-
stehend gruppiert:
Innere Sekrete:
Organe mit innerer Sekretion:
Hormone mit chemischen Wir- Substanz, die das Trypsin akti- Milz.
kungen.
Hormone mit physiologischen
Wirkungen.
Parhormone.
viert.
Substanz, die den Stickstoffumsatz Schilddrüse,
und den Gaswechsel steigert.
Sekretin.
Galaktagoge Substanz.
Kohlensäure.
Harnstoff.
Schleimhaut des Duodenums
und Jejunums.
Myometrale Drüse , Plazenta
oder Fötus (?).
Muskeln und Drüsen.
Leber.
Entgegen dem sonstigen Gebrauch beschränkt
Gley die Bezeichnung „Hormone" auf eine Ab-
teilung der inneren Sekrete, welche als eigentliche
Reizstoffe aufzufassen sind.
Die Nährstoffsekrete werden in recht beträcht-
lichen Mengen ans Blut abgegeben; sie sind für
den Energieverbrauch bestimmt und werden des-
halb auch Verbrauchssekrete genannt. Anderer-
seits sind die „morphogenetischen Substanzen
und die Hormone schon in sehr geringen Dosen
wirksam; es handelt sich um Körper, die sich
augenscheinlich in ähnlicher Weise verhalten, wie
nervöse Reize oder Fermente. Mit ihnen gelangt
keine Energie zu den Zellen, die von ihnen be-
einflußt werden; sie setzen bloß präexistierende
Energie frei, sie regeln die physiologische Funk-
tion und lösen sie aus". Sehr wichtig ist, daß
Harmozone und Hormone in ihrem Ursprung und
in ihrer Wirkung spezifisch im anatomischen und
physiologischen Sinne sind, nicht aber im zoolo-
gischen Sinne, d. h. „die Sekrete, die mit einer
elektiven Wirkung ausgestattet sind, stammen aus
einem ganz bestimmten Organ und ausschließlich
aus diesem Organ; aber welcher Art das Tier
auch angehören mag, dem sie entnommen wur-
den, sie üben ihre Wirkung auch auf Tiere aus,
die anderen Arten angehören". Fraglich ist, ob
die Beschränkung der Sekrete auf bestimmte Or-
gane absolut ist, oder „ob sich trotz der Arbeits-
teilung im Organismus nicht auch in anderen
Organen Spuren von Eigenschaften nachweisen
lassen, die bei einem bestimmten Organ die aus-
schlaggebende Eigenschaft sind."
Im letzten Teil seiner Arbeit unternimmt
Gley, festzustellen, aus welchen Stoffen die Drüsen-
zellen die von ihnen sezernierten spezifischen Sub-
stanzen bereiten, oder mit anderen Worten, wie
die Drüse geladen wird; weiterhin geht er auf
die Ursachen ein, welche die Ausscheidung aus
den Drüsenzellen oder die Entladung der Drüse
hervorrufen. Dann untersucht er den Einfluß des
Nervensystems auf die innere Sekretion und
schließlich die Wechselwirkung oder gegenseitige
Beeinflussung der Drüsen mit innerer Sekretion ;
in dieser letzteren Beziehung sind wichtige patho-
logische Probleme erstanden.
Aus der Unter- oder Überfunktion der Drüsen
mit innerer Sekretion erwachsen mehr oder min-
fs
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 5
der schwere Störungen der Gesundheit. Der Be-
griff der Unterfunktion ist längst bekannt und
manche Pathologen meinen, daß er überhaupt die
Pathologie zu beherrschen habe. Da die endo-
krinen Drüsen nur ganz kleine Mengen von außer-
ordentlich wirksamen Stoffen liefern, meint Gley,
es sei nicht anzunehmen, daß ihre Produktion
allzu leicht ungenügend würde. Ebenso wie die
Unterfunktion wahrscheinlich weniger häufig vor-
kommt, als heute angenommen wird, spielt wahr-
scheinlich auch die Überfunktion eine verhältnis-
mäßig bescheidene Rolle. Gley sagt: „Man hat
einen großen Mißbrauch mit Erklärungen durch
Störungen der inneren Sekretion getrieben; man
ging dabei so weit, daß, wenn man einen Sym-
ptomenkomplex nicht allein durch Hyper- oder
allein durch Hyposekretion einer Drüse erklären
konnte, man einfach diese beiden Faktoren gleich-
zeitig heranzog ; so hat man z. B. behauptet, daß
bei der Akromegalie gleichzeitig ein partieller
Hyperpituitarismus und ein Hypopituitarismus vor-
handen sind." Auf solche kritiklose Weise kann
man freilich leicht alle krankhaften Erscheinungen
erklären, aber die Erklärungen bedeuten in Wirk-
lichkeit gar nichts.
Zum Schlüsse wird die Frage aufgeworfen, „ob
nicht in den endokrinen Drüsen toxische Sub-
stanzen gebildet werden, durch deren mehr oder
weniger weitgehende Resorption krankhafte Sym-
ptomenkomplexe hervorgerufen werden könnten.
Eine solche Vorstellung ist natürlich hypotheti-
scher Natur, aber manche Tatsachen lassen sie
von Interesse erscheinen". So hat man z. B. ge-
funden, daß die Schilddrüse bei vielen Infektions-
krankheiten ein abnormes Kolloid ausscheidet, das
nicht mehr seine normalen Farbreaktionen gibt.
Neuerdings wurde versucht, die Erscheinungen der
Akromegalie durch eine Störung in der inneren
Sekretion der Hypophyse zu erklären , die von
der physiologischen Sekretion qualitativ verschie-
den sein soll. Es ist also möglich, daß die krank-
haften Erscheinungen nicht alle aus einer Insuffi-
zienz oder gar einem Verlust der Funktion resul-
tieren; krankhafte Symptome können auch bedingt
sein durch einen gestörten Stoffwechsel des Or-
gans. H. Fehlinger.
Das Gesetz der Verteilung der Fixsterne
im Räume.
Dieses Gesetz versuchten Kapteyn und
van Rhijn durch sorgfältige Bearbeitung des
reichen, jetzt vorliegenden Materials über Paral-
laxen, Eigenbewegungen und Sternhelligkeiten zu
erforschen (Astrophys. Journal, July 1920). In
den galaktischen , d. h. auf die Ebene der Milch-
straße bezogenen Breiten zwischen + 40 " bis
+ 90" läßt sich die mittlere, jährliche Parallaxe
von Sternen der Größenklasse m und der Eigen-
bewegung ft befriedigend darstellen durch die
Formel
\gn= —0,691 — 0,0682 m -|- 0,645 lg /<.
Durch Kombination dieser Formel mit dem be-
reits früher ebenfalls von Kapteyn gefundenen
Gesetz der Verteilung der Parallaxen von Sternen
von gegebener Größe und Eigenbevvegung er-
geben sich die beiden Hauptgesetze, welche die
Anordnung der Sterne im Räume bestimmen.
Das erste dieser Gesetze gibt die Häufigkeit der
verschiedenen absoluten Helligkeiten M ') pro
Raumeinheit wenigstens in der Umgebung der
Sonne zwischen — 10,6 M und -{- 7,4 M an und
stellt sich als eine symmetrische Wahrscheinlich-
keitskurve dar von der Gleichung:
lg cp (M) = — 2,394 + 0,1858 M — 0,0345 M^.
Daraus folgt, daß die totale Anzahl von Sternen
in der Nachbarschaft der Sonne vom hellsten bis
zum schwächsten ganz gleichmäßig gleich 0,0451
für die Raumeinheit (i parsec^) ist. Unter parsec
oder Sternweite ist die Entfernung zu verstehen,
die einer Parallaxe von i Sekunde entspricht,
d.h. eine Entfernung 206225 Erdbahnhalbmessern
oder 3 74 Lichtjahren. — Nimmt man an, daß die
für die Nachbarschaft der Sonne abgeleitete Funk-
tion <p (M) auch für alle weiteren Entfernungen
gilt, so wäre die mittlere absolute Helligkeit aller
Sterne 2,7 mit einem wahrscheinlichen Fehler von
+ 1,69, d. h. ungefähr 2,9 M schwächer als die
Sonne; die Sonne gehört somit zu den helleren
Fixsternen des Milchstraßensystems.
Das zweite Grundgesetz über die Anordnung
der Sterne im Räume bezieht sich auf die Raum-
dichtigkeit der Sterne als Funktion ihrer Entfernung
von der Sonne. Setzt man die Sterndichtigkeit
nahe der Sonne gleich I, so findet Kapteyn
folgende Tabelle:
Parallaxe Sterndichte Parallaxe Sterndichte
0,296"
1,00
0,007"
0,60
0,118
1,00
0,005
0.45
0,047
1,00
0,003
0,30
0,030
0,92
0,002
0,18
0,019
0,86
0,001
0,09
0,012
0,76
Betrachtet man die Dichtigkeit der Sternverteilung
in einer Ebene senkrecht zur Milchstraßenebene, so
ergibt sich in der Richtung der Pole der Milch-
straße praktisch als Grenze des ganzen Systems
die Entfernung von 1500 parsec, während in der
Milchstraßenebene die ebenso geringe Dichtigkeit
von Sternen erst in einer achtmal so großen Ent-
fernung angetroffen wird. Hierbei ist allerdings
Symmetrie rund um die Pole der Milchstraße
vorausgesetzt, die in Wirklichkeit, wie schon der
Anblick der Milchstraße zeigt, nicht vorhanden
ist. Auch ist bei allen diesen Untersuchungen
der Einfachheit halber die Sonne als im Mittel-
punkt des gesamten Systems stehend angenom-
men, was bekanntlich ebenfalls nicht ganz richtig
ist. Demnach müssen Kapteyns Forschungs-
') d. h. der Größe, wie sie in der Einheit der Entfernung
(i parsec) erscheint.
N. F. XX. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
79
resultate auch jetzt noch als provisorische be-
zeichnet werden, doch glaubt der geschätzte
Groninger Astronom, daß die erst in Zukunft zu
gewinnenden definitiven Ergebnisse die schon
jetzt erkennbaren Gesetze nicht mehr wesentlich
umgestalten werden. Kbr.
Die Ansdehuuug des ultravioletten
Spektrums.
IVIillikan berichtet im vorjährigen Juliheft
des Astrophysical Journal , daß durch hochge-
spannte, im Vakuum überspringende Funken und
Benutzung eines Hochvakuum-Spektrometers mit
besonders für diesen Zweck hergestelltem Kon-
kavgitter das ultraviolette Spektrum erheblich über
die bisher bekannten Grenzen hinaus verfolgt wer-
den konnte. Während Schumann mittels Vaku-
umkamera das Spektrum Geißlerscher Röhren bis
etwa 100 ixf.1 = looo Ängström-Einheiten zu ver-
folgen vermochte, photographierte M i 1 1 i k a n als
äußerste Linien der Funkenspektra von Kohlen-
stoff, Zink, Eisen, Silber und Nickel solche von
bzw. 260,5 ; 317.3; 271,6; 260,2; 202 Ängström-
Einheiten. Da in allen diesen Spektren auch die
Wasserstofflinie 1215,7 auftritt, glaubt Millikan,
daß im hochgespannten Funken neben gleichfalls
festgestellten Röntgenstrahlen Wasserstoff abge-
spalten wird. Die ultravioletten Strahlen sind
durch diese Beobachtungen den Röntgenstrahlen,
deren Wellenlängen nach Haga und Wind zwischen
I und 10 A.-E. liegen, erheblich näher gerückt.
Kbr.
Bücherbesprechungen.
Stromer, Ernst, Paläozoologisches Prak-
tikum. 104 S., 6 Textabb. Borntraeger, Berlin
1920. Brosch. 10 M.
Ohne mechanisches Handwerk geht es in
keiner Naturwissenschaft ab. Der vorliegende
Leitfaden geht von der sehr beherzigenswerten
Mahnung aus, solche Hilfsarbeit nicht zu gering
zu achten und etwa grundsätzlich Hilfskräfte
damit zu betrauen. Das Sammeln und die Prä-
paration von Fossilien gewähren nicht nur häufig
unwiederbringliche Gelegenheit zu wichtigen Be-
obachtungen, sondern sie müssen oft selbst aus
bestimmtem, wissenschaftlich bedingtem Gesichts-
winkel betrieben werden und sind dann ein un-
lösbarer Bestandteil der geistigen Stoffbearbeitung.
So sollte jeder Paläontologe die wichtigsten Hand-
griffe selbst geübt haben und kennen. Um sich
im Einzelfalle schnell über die vorteilhafteste
Methode zu unterrichten, ebenso zur methodischen
Aneignung ist die Stromer sehe Zusammenstellung
der wesentlichsten mechanischen und chemischen
Möglichkeiten ein trefflicher Führer.
Ein kürzerer spezieller Teil geht zum Schluß
die Tiergruppen in systematischer Reihe mit Hin-
blick auf die jeweils in Betracht zu ziehenden,
durch die normale Erhaltung bedingten Anwen-
dungen durch. Ein sorgfältig zusammengestelltes
und klar geordnetes Literaturverzeichnis gibt alle
nötigen weiteren Hinweise. Edw. Hennig.
einen aufreibenden Kampf gegen Sonnenglast und
Dürre — die gekrümmten, verzerrten Formen der
Stämme scheinen der Ausdruck dieses verzweifelten
Ringens zu sein. Trotz seiner Armut beherbergt
das Kaokofeld eine zahl- und artenreiche Tierwelt,
die St. in lebhaften Bildern vor Augen führt. Wir
erfahren u. a., wie sehr die Tiere der Dürre und
Trockenheit angepaßt sind, daß sie im Kampfe
ums Dasein andere Eigenschaften ausbildeten als
Artgenossen im wasserreichen Kongobecken, an
den Seen und den Sümpfen des Sudan.
Große Teile der Steppe bewohnt ein Zweig
des Hererovolkes, Ovatjimba genannt. Viehzüchter
sind alle Ovatjimba in gleicher Weise; Anfänge
von Ackerbau findet man im Norden des Kaoko-
feldes. Dort werden Felder gerodet, gehackt und
mit Mais oder Hirse bestellt. Die südlichen Ova-
tjimba, soweit sie südlich des 18,45 Breitengrades
leben, hausen ohne Stammesverband hordenweise
im Busch. Über körperliche und psychische
Eigenarten der Ovatjimba sagt St. Beachtenswertes.
In ihrem friedfertigen, ja feigen Wesen unter-
scheiden sie sich stark von ihren Nachbarn, den
Ovambo. Unter letzteren gibt es auffallend viele
Weißlinge oder Albino ; St. bekam den Eindruck,
daß diese geistig augenscheinlich nicht ganz auf
der Höhe stehen. H. Fehlinger.
Steinhardt, Vom wehrhaften Riesen und
seinem Reiche. 224 S. 24 Bildertafeln,
I Karte. Hamburg 1920, Alster- Verlag.
Eindrucksvoll schildert St. die Landesnatur des
südwestafrikanischen Kaokofeldes sowie das Leben
von Tieren und Menschen in dieser Steppe, die
im steten Wechsel von Sonnenglut und eisiger
Nachtkälte steht, die durchzogen ist von felsum-
schlossenen Tälern, deren Hänge spärlicher Wuchs
bedeckt; knorriger Steppendorn kämpft im Tale
Walther, J., Vorschule derGeologie. Eine
gemeinverständliche Einführung und Anleitung
zu Beobachtungen in der Heimat. Siebente er-
gänzte Auflage. Jena 1920, Gustav Fischer.
Das vor 15 Jahren in erster Auflage erschienene
Werk liegt nun in der siebenten Auflage vor, der
beste Beweis für seine Brauchbarkeit und die An-
erkennung, die es in geologisch interessierten
Kreisen gefunden hat. Die Darstellung ist klar,
verständlich und anregend, gegen frühere Auflagen
vielfach verändert und ergänzt. Die Literatur für
Exkursionen ist bis in die neueste Zeit nachge-
tragen. Krenkel.
8o
Natui-wissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 5
Anregungen und Antworten.
Zu Höfers Grundwasser und Quellen. Die Bemerkungen
des Herrn W. Halbfafi über mein Buch „Grundwasser und
Quellen" (Nr. 39, S. 624, 1920 dieser Wochenschrift) scheinen
mir geeignet, teilweise Irrungen im Leserkreise zu veranlassen,
weshalb ich mir erlaube, sie richtig zu stellen. So sagt Herr
Halb faß: „Man weiß nicht recht, ob der Verf. den Begriff
des juvenilen Wassers überhaupt gänzlich ablehnt oder nicht."
Hierzu habe ich zu bemerken, daß ich auf S. 67 das juvenile
Wasser mit der Bemerkung erwähne, daß „es im Abschnitt
Thermen eingehender besprochen wird". Da der Begriff ju-
veniles Wasser zur Erklärung mancher Thermen von E. Sueß
aufgestellt und auch nur für diese verwendet wurde, so ist
es naturgemäß, daß jenes bei diesen 'besprochen wird. Da
heißt es nach eingehenden Untersuchungen über Thermen auf
S. 165: „nicht das heiße Thermal wasser, sondern nur seine
Wärme ist juvenil; es gibt kein juveniles Wasser,
wohl jedoch juvenile Thermen" , also ein juveniles, fremdes
Heizgas, welches das Bodenwasser erwärmt. Damit glaube
ich mich über allen Zweifel klar ausgesprochen zu haben. —
Die Volgersche Kondensationsbypolbese habe ich auf
6 Seiten als unhaltbar bewiesen und durch meine, auch meteo-
rologisch begründete Nebellheorie ersetzt. Die „Umformung"
jener Hypothese durch M e z g e r erscheint mir nicht ausreichend
und deshalb zwecklos. Ich mußte mit den Zeilen sparen und
Unnotwendiges unterdrücken. — Herr Halb faß scheint den
wesentlichen Unterschied zwischen dem dickleibigen Lehr-
buch Keilhacks und meinem kurzen Leitfaden manch-
mal zu übersehen ; jenes kann die einzelnen Abschnitte mit
vielen Einzelfällen, Beispielen und Bildern erweitern, während
ich, meinem Programm gemäß, stets bemüht sein mußte, mich
auf das Wesentliche zu beschränken. — Den ,, Zusammenbang
des Grundwassers mit dem Meere" habe ich auf den Seiten
76, 98 und 109 besprochen, auch Beispiele und Literatur-
hinweise gegeben, was mir hydrogeologisch als ausreichend
erscheint; ich wäre dem Hydrographen Herrn Halbfaß dank-
bar gewesen, wenn er mir angedeutet hätte, in welcher Art
ich meine diesbezüglichen Ausführungen zu ergänzen hätte.
Wien III, 8. Oktober 1920.
Dr. Hans Höfer-Heimhalt.
Äther-Theorie und Einstein-Effekt. Da das Sonnenlicht
elektro-magnetischer Natur ist, liegt die Annahme nahe, daß
die Sonne im Äther nicht nur Bewegungserscheinungen, sondern
auch Zustandsänderungen in Form von Spannungen und Zer-
rungen hervorruft. Die Stärke derselben wird c. p. von der
Größe der Entfernung der betreffenden Ätherpartie von der
Sonne abhängen und in der Nähe derselben vergleichsweise
am stärksten sein.
Durch diese magnetische Beeinflussung des Äthers durch
die Sonne kann die Ablenkung eines Sternlichtstrahles beim
Vorbeistreichen am Sonnenrand hervorgebracht werden, indem
die Verzerrungen des Fortpflanzungsmittels den Gang des
Lichtwellenzuges in ähnlicher Weise beeinflussen müssen, wie
eine Narbe das benachbarte Gewebe, d. h. an sich heran-
ziehen. Hat doch schon Faraday eine Drehung des polari-
sierten Lichtstrahls im magnetischen Felde nachweisen können.
So kann der ,, Einst ein- Effekt " auch auf Grund der
Äther-Theorie erklärt werden.
Die Abweichung in der Perihelbewegung des
Merkur aber, welche eigentlich das Vorhandensein von
Planeten innerhalb der Merkurbahn, die aber tatsächlich
fehlen, erfordern würde, ist ebenfalls durch ein, in der Son-
nennähe am stärksten wirkendes, von der Sonne selbst aus-
gehendes und den ihr am nächsten befindlichen Planeten am
meisten beeinflussendes Magnetfeld einer prinzipiellen Er-
klärung zugänglich, dazu bedarf es also ebenfalls nicht der
Relativitätstheorie. Ar. Adler.
F'ischende Hunde. Am Stagno di San Giusta bei Orislano
an der Westküste Sardiniens beobachtete ich einstmals Hunde,
die regelrecht Fische fingen. Als wir am Ufer des erv/ähnten
großen Strandsees (den man kurz vor dem Kriege trocken zu
legen begann) nach Milben und Insekten suchten, bemerkten
wir wenige Schritte von uns entfernt ganz nahe am Wasser
einen mittelgroßen Hund, der scharf ins Wasser schaute. Er
ließ sich durch unsere Anwesenheit nicht stören (wurden doch
die Hunde in Sardinien zumeist in merkwürdig freundlicher
Weise behandelt, so daß sie wenig scheu sind). Nachdem der
Hund einige Minuten unbeweglich ins Wasser gesehen, fuhr
er plötzlich blitzschnell mit dem rechten Fang ins Wasser
und schleuderte einen etwa 20 cm langen Fisch ans Land und
trug ihn davon. Eine Strecke weiter fischte ein zweiter Hund
in derselben Weise, ebenfalls mit Erfolg. , Da ich vermutete,
es könnte sich vielleicht um matte, kranke Fische handeln,
die die Hunde anzögen, weil leicht fangbar, untersuchte ich
das Ufer genauer; es waren aber keine kranken oder toten
Fische aufzufinden. Die Scharen von Fischen schwammen
schnell davon, wenn ich näher hinzutrat; sie machten durch-
aus nicht den Eindruck als wären sie krank. Diese Hunde
fischten also regelrecht. Es wäre mir interessant, von ähn-
lichen Beobachtungen zu hören. Wenn ich mich recht er-
innere, habe ich einmal in einer Jagdzeitschrift im allge-
meinen gelesen, daß Hunde zuweilen große Fischliebhaber
seien und den Teichwirt dadurch schädigten.
Dr. Anton Krausse, Eberswalde.
Moderne, biologische Auffassung des Tierbaues bei J. Swift.
Bei meiner heurigen Reiselektüre des bekannten satyrischen
Werkes „Gullivers Reisen" von Swift, das bereits 1726 er-
schienen ist, ist mir im 3. Kapitel der Reise in das Land der
Riesen Brobdignag (Ausgabe der Reclamschen Universalbiblio-
thek S. Ill), wo davon die Rede ist, daß drei Gelehrte Gul-
liver untersuchen, eine hochinteressante Stelle aufgefallen, die
wohl verdient, allgemein bekannt gemacht zu werden. Es
heißt dort: „Alle drei stimmten darin überein, daß ich nicht
nach den regelmäßigen Naturgesetzen geschaffen sein könne,
weil ich nicht zur Erhaltung meines Lebens, durch Erklettern
der Bäume oder durch Eingraben in die Erde, gebildet sei.
Sie sahen ferner aus meinen Zähnen, die sie genau in Augen-
schein nahmen, ich sei ein fleischfressendes Tier; da jedoch
die meisten Vierfüßler mich an Kraft bei weitem überträfen
und Feldmäuse sowie einige andere viel zu behende seien,
könnten sie sich nicht vorstellen, wovon ich lebte, wenn ich
mich nicht von Schnecken oder Insekten ernähre; zugleich
aber erboten sich alle drei, durch sehr gelehrte Gründe zu
beweisen, auch dies sei nicht wohl möglich." Diese Äuße-
rung erinnert lebhaft an die Stelle in Goethes ,,Athrois-
mos", der freilich so manches Jahrzehnt später erschienen
ist: „Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des Tieres,
und die Weise zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten mächtig
zurück."
W'ien. Prof. Dr. E. Witlaczil.
Literatur.
Much, Prof. Dr. H., Pathologische Biologie (Immuni
tälswissenschaft). 3. Aufl. Mit 6 Tafeln u. 7 Textabb. Leip-
zig '20, C. Kabitsch. 45 M.
Inhalt: Fr. Termer, Kakao und Schokolade bei den alten Mexicanern und anderen mittelamerikanischen Völkern. S. 65.
Fr. Dahl, Täuschende Ähnlichkeit mit Bienen, Wespen und Ameisen. S. 70. — Einzelberichte: Gley, Die Lehre
von der inneren Sekretion. S. 75. Kapteyn und van Rhijn, Das Gesetz der Verteilung der Fixsterne. S. 78.
Millikan, Die Ausdehnung des ultravioletten Spektrums. S. 79. — Bücherbesprechungen: E. Stromer, Paläo-
zoologisches Praktikum. S. 79. Steinhardt, Vom wehrhaften Riesen und seinem Reiche. S. 79. J. Walther,
Vorschule der Geologie. S. 79. — Anregungen und Antworten: Zu Höfers Grundwasser und Quellen. S. 80. Äther-
Theorie und Einstein-Effekt. S. 80. Fischende Hunde. S. 80. Moderne, biologische Auffassung des Tierbaues bei
J. Swift. S. So. — Literatur: Liste. S. 80.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 41, erbeten.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Fol^e 20. Band;
der ganzen Reihe 36. Band.
Sonntag, den 6. Februar 1921.
Nummer 6.
Über Moorbildungen im tropischen Afrika.
tNachdruck verboten.] Von Prof. Dr. E.
H. Potonie, dem die geologische Wissen-
schaft eine Reihe höchst wichtiger Forschungen
über die Bildungsweise und den Bau der rezenten
Moore und über ihre Umwandlung zu Kohlen-
lagern verdankt, ist seit vielen Jahren dafür ein-
getreten, daß die großen Kohlenbildungs-
perioden der Erde unter dem Einfluß eines
tropisch- feuchten Klimas gestanden haben.
Auf die Begründung dieser Ansicht, für die Po-
tonie eine Anzahl vollgültiger Beweise beibringen
konnte, soll hier nicht eingegangen werden. Bis
in die neueste Zeit fand er Gegnerschaft, natur-
gemäß von solchen, denen eine sachgemäße Ab-
wägung aller hierbei in Frage kommenden Materien
unmöglich war, vor allem, weil ihnen eine Kennt-
nis tropischer Natur und tropischer Klimaeigen-
tümlichkeiten fehlte.
Eine wesentliche Stütze fand Potonie durch
die Entdeckung eines 800000 Hektar großen
Flachmoorgebietes in der heißen Ebene des flachen
östlichen Teiles von Sumatra am Kamparfluß durch
S. H. Koorders, dessen 30 m hoher immer-
grüner Mischwald auf mächtigen Torflagen wächst.
Andere Tropenmoore wurden später von Janensch
aus Deutsch Ostafrika , von R. Lang aus dem
malayischen Archipel und von K. Keilhack von
Ceylon beschrieben.^)
Während des Krieges ist es mir gelungen, die
Zahl der bekannten Tropenmoore um einige zu
vermehren, die sich in Deutsch-Ostafrika und in
der Kongokolonie finden, also in recht verschieden-
artigen Klimaprovinzen liegen. Diese seien im
folgenden kurz geschildert.
Kigoma, der Endpunkt der von Daressalam
nach dem Tanganjikasee führenden Zentralbahn
steigt am Suedgehänge einer geräumigen Ein-
buchtung des Sees empor. Sie wird durch zwei
Landzungen gegen die heftigen böigen Wirbel-
') Über Tropenmoore und die ältere Literatur vgl,
K. Keilhack, Über tropische und subtropische Torfmoore
auf der Insel Ceylon, Jahrb. Preuß. Geol. Landesanst. 1915,
H. 1; ferner K. Keilhack, Über tropische und subtropische
Flach- und Hochmoore auf Ceylon ; Mitt. Oberrhein. Geol.
Vereins, N. F. 4, S. 76. Keil hack gibt zum ersten Male
Listen der gesammelten Pflanzen, die wichtige Schlüsse und
Vergleiche mit außertropischen Mooren erlauben. — Weiter
sind anzuführen: 4. Bericht über die Ausgrabungen und Er-
gebnisse der Tendaguru- Expedition, Sitz.-Ber. Ges. Naturforsch.
Freunde, Berlin 1911, S. 393. — Janensch, Die Torfmoore
im Küstengebiet des südlichen Deutsch-Ostafrikas. Wiss. Er-
geh, der Tendaguru-Expedition, 3. H., S. 265. — R. Lang,
Geol.-Min. Beobachtungen in Indien, I — 3; Centralblatt für
Min., Geol. u. Pal. 1914, S. 257, 513. — Ausführlichere An-
gaben über die unten beschriebenen Moore und ihre klima-
tische Stellung inE. Krenkel, Moorbildungen im tropischen
Afrika, Centralblatt f. Min. 1920.
Krenkel, Leipzig.
winde des Grabensees abgeschlossen, der nach
den neuesten, von Jacobs und Stappers aus-
geführten Lotungen in seinem südlichen Teil-
becken bis zu 1435 "^ Tiefe erreicht und damit,
655 m unter den Spiegel des Indischen Ozeans
eingesenkt, der zweittiefste See der Erde nach
dem Baikal ist. Die genannten Landzungen, die
Anhöhen um die Bucht von Kigoma wie die
hohen Uferberge des Sees bestehen aus stark ge-
störten eintönigen Sandsteinserien der Tangan-
jikaformation.
Die Bucht von Kigoma zeigt an ihrem innersten
Rande einen flachen Strandsaum, der von hellen,
aus der Zerstörung der Sandsteine der Tangan-
jikaformation hervorgehenden Seesanden aufgebaut
ist. Die übrigen Seiten der Umrahmung der
Bucht steigen steiler aus dem Wasser empor. An
diesen steiler geneigten Uferböschungen läßt sich
um die ganze Bucht herum ein markantes Bran-
dungskliff erkennen, wie solche auch von anderen
Strecken des Sees bekannt geworden sind. Der
Strand der innersten Bucht findet landeinwärts
seine Fortsetzung in einem weiten ebenen Tal-
boden, der hinter einer etwa loo m breiten den
See von ihm abdämmenden Landbrücke einen
ausgedehnten Sumpf mit einer offenen Wasser-
fläche in der Mitte trägt. Sie wird von einem
wechselnd breiten Streifen wasserliebender Ge-
wächse umzogen , der sich durch seine saftig
grüne Farbe namentlich zur Trockenzeit von dem
fahlen Gelb der umgebenden Vegetation scharf
umrissen abhebt. Auch an den Abhängen dieses
Talbodens in der Umgebung des Teiches, der den
Namen Kibirizi trägt, ist ein Strandkliff sehr
deutlich zu erkennen, das sich in das eben er«
wähnte lückenlos fortsetzt. Das den Teich Kibi-
rizi umziehende Kliff beweist, daß sich die Bucht
von Kigoma einst erheblich tiefer landein er-
streckte. Es erklärt zugleich die Entstehung des
Teiches, der als ein von der heutigen Bucht von
Kigoma abgeschnürter Teil einer älteren, ausge*
dehnteren Bucht des Sees anzusehen ist.
Der Teich Kibirizi und seine Umgebung mit
stagnierenden Regenwassertümpeln sollten, als
Brutstätten malariaübertragender Mücken, während
des Krieges der Gesundung Kigomas zu Liebe
trockengelegt werden. Die vorgenommenen Ent-
wässerungsarbeiten, so die Anlage eines den Teich
mit der Bucht verbindenden Entwässerungsgrabens,
gaben Gelegenheit, die geologische Beschaffenheit
des Teichuntergrundes kennen zu lernen. Sie
legten zugleich ein recht ausgedehntes Tropen-
sumpfmoor frei.
82
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
N. F. XX. Nr. 6
Dieses Sumpfmoor erhält an einer Seite kleine
Zuflüsse aus den Randbergen des Sees. In seinem
Innern trägt es eine unregelmäßig gestaltete, von
Schwimmpflanzen lückenhaft bestandene Wasser-
fläche, die alle Anzeichen vorschreitender Ver-
sumpfung durch Verlanderpflanzen zeigt. Denn
von dem sie umgebenden innersten Vegetations-
gürtel aus rücken locker stehende Ausläufer in
sie vor, die sich nach außen mehr und mehr
verdichten. Dieser innerste Vegetations-
gürtel besteht aus einem sehr gleichmäßigen
Bestände von Sumpfgräsern — fast ausschließlich
wohl Cyperus Papyrus — von übermannshohem
Wuchs, die in dicken Klumpen, die man als
„Riesenbülte" bezeichnen könnte, beisammen stehen
und von schmalen Wasseradern durchzogen wer-
den. Auf diesen innersten „Papyrusgürtel" folgt
nach außen mit abnehmender Wassertiefe ein
zweiter, in dem die üppigen Papyrusstauden
zurücktreten, kleiner werden und sich andere
Gräser und Blütenpflanzen zwischenmischen. Am
Rande des Sumpfmoores, dem ausdauernde Was-
serlachen schon fast völlig fehlen, ist Papyrus
nicht mehr zu finden, eine Reihe verschiedener
Gräser und Stauden bilden vielmehr das vor-
herrschende Pflanzenelement. Auch hier stehen
die Süß- und Sauergräser noch in kleinen Bülten,
eine Analogie zu unseren Mooren.
Die Verlandung des Kibiriziteiches wird also,
genau wie bei den Seen unseres Klimas, durch
mehrere, zonenartig aufeinander folgende, wenn
auch nicht scharf getrennte Vegetationsgürtel be-
zeichnet. Eine genauere Beschreibung der diese
Gürtel zusammensetzenden Pflanzengemeinschaften
zu geben, ist mir unmöglich, so wünschenswert
sie auch wäre, da ich dazu zu wenig Botaniker
bin. Die gesammelten Pflanzen mußten in Afrika
zurückbleiben. Auffällig war es, daß sich nirgends
Moose und Flechten fanden.
An seiner Grenze wird nun dieser Grassumpf
— ein typisches Tropen flach moor, mit ver-
landenden Pflanzen im Innern, Fortsetzern der
Torfbildung im bereits landfest gewordenen Moor
nach außen hin — von einem zweiten Moortypus
umzogen, den man als Gehängemoor be-
zeichnen könnte. Dieses Gehängemoor zieht sich
über dem Sumpfmoor an den Böschungen des
Tales aufwärts und endet da, wo die oben be-
schriebene Strandlinie eines älteren, höheren
Standes desTanganjikadasGehänge durchschneidet.
Der Pflanzenwuchs auf ihm ist vielgestaltiger als
im äußersten Sumpfmoorgürtel, vor allem finden
sich viele blühende Kräuter, so Leguminosen. Als
auffallendstes Unterscheidungsmerkmal zum Sumpf-
moor, dem ein solcher völlig fehlt, zeigt das Ge-
hängemoor einen sehr lückenhaften Baum- oder
besser Buschwuchs von recht kümmerlichem Aus-
sehen, was wieder als Analogie zu unseren Mooren
gelten könnte. Das Gehängemoor endet mit
scharfer Grenze an den in der Umgebung von
Kigoma verbreiteten Pflanzenbeständen.
Am nördlichen Rande des Sumpfmoores, in
der Übergangszone zum Gehängemoor ansetzend,
finden sich üppige Bestände tropischer Kulturen,
so schöne Ölpalmen, die in dieser niedrigen Ufer-
region des Tanganjikasees als Vorposten ihres
Hauptverbreitungsgebietes inWestafrika in einzelnen
Exemplaren vorkommen, Bananenhaine und Pa-
payen. Sogar zu einzelnen P'eldkulturen ist der
trockene Humusboden hier früher benutzt worden,
der dann eine lockere krümelige Struktur durch
das Auflockern mit der Hacke angenommen hat.
Über die Untergrundsbeschaffenheit
des Kibirizisumpfmoores wurde folgendes festge-
stellt: Im Innern des Moores, unter der offenen,
tiefbraun gefärbten Wasserfläche, fand sich ein
breiiger, brauner P'aulschlamm, dessen Mächtig-
keit nicht ermittelt werden konnte. Am Ent-
wässerungsgraben dagegen, der ungefähr l^/g m
an seiner tiefsten Stelle in der Landbarre einschnitt,
wurde ein Profil erschlossen, das oben Torf, unter
diesem Sande und Kiese mit gelegentlichen
Tonschmitzchen zeigte , diese ganz ähnlich den
Ablagerungen des Buchtrandes, jedoch im Gegen-
satz zu deren kräftiger Färbung deutlich ausge-
bleicht und hier und da mit beginnender ort-
steinartiger Verfestigung. Die größte Mächtig-
keit des Torfes betrug im Graben über i m;
doch ist die wahre Mächtigkeit nach der Lage-
rung sicher größer. Die Farbe des nassen Torfes
ist braunschwarz bis schwarz, getrocknet dunkel-
braun. Der getrocknete Torf zeigt ein innig ver-
filztes Pflanzengewebe, in dem sich vor allem
Wurzelfasern, seltener Reste von Stengeln und
Blattstücken unterscheiden lassen. Der im Ge-
hängemoor vorkommende Torf zeigt eine viel ge-
ringere Mächtigkeit, die 20 cm erreicht. Er ist
sehr viel lockerer als der vorbeschriebene. Seine
Farbe ist heller. Unter seinen Bestandteilen über-
wiegen Wurzelteile, während eine homogene, diese
einbettende Grundmasse zurücktritt.
Außer dem Kibirizimoor dehnt sich vielleicht
zwischen Kigoma und dem Luitschetal ein anderes
großes Moor aus. Nach seiner Lage und seinem
Pflanzenbestand wäre es nicht ausgeschlossen, daß
hier ein Tropen hoch moor vorliegt. Da es
nicht besucht werden konnte, mag die bloße Er-
wähnung der Möglichkeit eines solchen Vorkom-
mens genügen.
Zu streifen wären noch die klimatischen
Verhältnisse am nördlichen Ostufer des Tanganjika-
sees. Dieses gehört dem äquatorialen Klimatypus
mit zwei Niederschlagsmaxima an; die kleine
Trockenzeit ist nur schwach entwickelt. Udjidji,
in der Nähe Kigomas, erhielt, um nur eine Be-
obachtungsstation zu nennen, im Jahre 191 1 eine
Regenmenge von 1092 mm; das Temperatur-
maximum betrug 34, das Minimum 12,5° C.
Wie gegenwärtig die Bedingungen zur Moor-
bildung am See gegeben sind , so bestanden sie
auch zur Karruzeit an beiden Ufern des noch
nicht gebildeten Sees. Karrukohlen sind sowohl
im Hinterlande von Karema wie im Lukugagraben
gefunden worden.
N. F. XX. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
H
Nach meinen übrigen Beobachtungen und Er-
kundigungen dürften Flachmoore auch in ande-
ren Teilen Deutsch- Ostafrikas vorkommen. So
wurde mir, um Beispiele aus verschiedenen Land-
schaften zu nennen, aus dem „Zwischenseen-
gebiet" berichtet, daß in den oft versumpften,
dicht mit Papyrus bestandenen Talsohlen Urundis
und Ruandas Torflagen festgestellt wurden. Ich
habe ferner im Innern Deutsch - Ostafrikas im
Nordugogo in einem Steppenbecken der Land-
schaft Mletsche über grauschwarzeni, fettem Steppen-
beckenton eine Torflage von etwa 20 cm Dicke
gefunden. Es handelt sich um ein kleines Flach-
moor, dessen Bau nicht weiter untersucht wurde.
Vorkommen ähnlicher Art werden sich wohl noch
öfter ermitteln lassen. Die Moore Ugogos sind
beachtenswert deshalb, weil das Klima dieses
Landes starke Extreme zeigt: so eine lange,
scharf ausgeprägte Trockenzeit mit völliger Regen-
freiheit während vieler Monate und eine kurze
Regenzeit mit allerhöchstens 700 mm Regen in
günstigen Jahren, dazu sehr hohe Temperaturen.
Zwischen Daressalam und Bagamojo habe ich
weiter an der Küste des Indischen Ozeans mehr-
fach dünne Lagen von braunem Torf über fossil-
führenden marinen Sanden oder in diese einge-
lagert gesehen. Besonders diese Vorkommnisse
der Küstenmoore (Mangrovenmoore?) von
paralischem Typus, die rezenten Beispiele für
eine unserer wichtigsten Erscheinungsformen der
fossilen Kohlenlager, erscheinen mir aus vielen
Gründen einer näheren Untersuchung wert, so
auch wegen der sich in ihrer Lagerungsweise ab-
spiegelnden jungen Bewegungen des Küstenlandes.
Aus allen diesen Angaben ergibt sich — zu-
sammen mit der Schilderung der Moore aus dem
südlichen Küstengebiet Deutsch- Ostafrikas, die
Janensch und v. St äff im Hinterlande von
Lindi und Kilwa aufgefunden und ausführlich ge-
schildert haben — daß Moorbildungen in den
verschiedensten Teilen dieses großen Gebietes auf-
treten. So an der mäßig feuchten ozeanischen
Küste mit ihren geringen Temperaturschwankun-
gen, im trockeneren Küstenhinterland, im regen-
armen heißen Innern mit großen Temperatur-
gegensätzen, an der inneren, dem regenreichen
Kongobecken schon angenäherten Seengrenze am
Tanganjika, und in den kühleren, regen- und
nebelreichen Hochländern des Nordwestens. Zwei-
fellos werden sich noch viele andere Vorkomm-
nisse finden.
Unter den ostafrikanischen Mooren ließen sich
schon heute nach bestimmten Merkmalen ver-
schiedene Typen aufstellen. Da aber gerade
ihr Pflanzenbestand, als eins ihrer wichtigsten
Merkmale, noch nicht genügend erforscht ist und
fast nur lücken- und laienhafte Angaben über ihn
vorliegen, müßte eine solche Aufstellung als ver-
früht unterbleiben, solange nicht der Botaniker
sein Urteil gesprochen hat. Trotzdem mag der
Versuch einer nur orientierenden Übersicht der
zu scheidenden Typen gewagt werden. Ihr sind
die bisher bekannt gewordenen außerafrikanischen
Vorkommen beigefügt. Die Moore Ostafrikas
werden in ihrer Mehrzahl den tropischen Flach-
mooren angehören; es ist aber kaum daran zu
zweifeln, daß es auch hier tropische Hochmoore
gibt.
Zu unterscheiden wären :
I. Tropische Moore.
A. Rezente Tropenmoore.
1. Tropenflachmoore
a) mit tropischem Regenhochwald, der deut-
liche Anzeichen eines Sumpfwaldes trägt,
so Pneumatophoren, Besen- und Brettwurzeln ;
Unterholz in verschiedenem Grade, oft nur
gering entwickelt. Unter der Wurzeldecke
dunkler schlammiger Humus. Offenen Wasser-
stellen nicht selten.
Vorkommen: im Kongobecken am Ruki;
außerhalb Afrikas: Osiküste von und mitt-
leres Sumatra, Ceylon?
b) mit üppiger Baum- und Buschvegetation,
z. T. in reinen, z. T. in gemischten Bestän-
den; Kraut- und Graswuchs zurücktretend.
Vorkommen : Großes und kleines Narunyo-
moor am Lukuledi, Mto Nyangi am Mbem-
kuru
c) mit Sumpfgräsern : Grasmoor (mit Gramineen,
Cyperaceen , Nymphaceen , Leguminosen).
Durchsetzt von wenig dichtem, mäßig hohem
Busch und niedrigen, nur vereinzelt höheren
Bäumen.
Vorkommen : (3.) Narunyomoor, Matumbica-
tal. Außerhalb Afrikas: südliche Westküste
von Ceylon
d) mit reinem oder überwiegendem Sumpf-
gräserwuchs im Innern („Papyrusmoor"),
meist mit offenen Wasserstellen ; ohne Baum-
und Buschwuchs.
Vorkommen: Bucht von Kigoma, Hoch-
länder des Zwischenseengebieies, (kleine)
Steppenmoore, Katanga;
e) paralische (Mangroven-) Moore: Pflanzenbe-
stand noch unbekannt.
Vorkommen: an der Küste Deutsch-Ost-
afrikas zwischen Bagamojo und Daressalam,
z. T. wohl subrezent.
2. Ubergangsbildung:Gehängemoor von
geringer Ausdehnung mit verkümmerter Baum-
und Buschvegetation.
Vorkommen : Bucht von Kigoma.
3. Tropenhochmoore, mit niedrigen Gräsern,
Farnkräutern und vereinzelten Baum- und Busch-
gruppen ; Vegetation kümmerlich.
Vorkommen: am Pindirobach im Mbemkuru-
tale (Süden von Deutsch- Ostafrika), zwischen
Kigoma und Luitsche?
B. Subrezente Tropenmoore.
Schwammige Torflager zwischen jungen Sedi-
menten, mit Resten von Baumstämmen und an-
deren Pflanzen.
Vorkommen : am Kongo zwischen Buma und
Lisala, eingelagert in junge Kongoalluvionen,
g4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 6
darunter Bleichsand; in Katanga. — Außerhalb
Afrikas : in mehreren, durch Bleichsande getrennten
Lagen übereinander auf der Malayischen Halb-
insel bei Ipoh und Tronoh.
IL Subtropische Moore
(mit Gebirgsklima im tropischen Gebiet).
1. Flachmoore: Grasmoor ohne Bäume und
Sträucher: die Flora zeigt viele Anklänge an
unsere heimischen Moorpflanzen (mit Apono-
geton, Juncus, Scirpus, Eriocaulon u. a.).
Vorkommen: Nurelia, am Talagalla (2250 m)
auf Ceylon. Hierher gehören wohl am besten
die Papyrusmoore in den Hochländern des
Zwischenseengebietes in Deutsch-Ostafrika.
2. Hochmoore: Grasmoor mit verkümmertem
Baumwuchs und wenig Staudenwuchs ; ohne
Moose.
Vorkommen: Nurelia auf Ceylon (weitgehende
Übereinstimmung in den Familien und selbst
in den Gattungen zu der Flora in den nord-
deutschen Mooren).
Daß auch außerhalb des eben besprochenen
Gebietes Bedingungen zur Moorbildung im tropi-
schen Afrika vorhanden sind, habe ich durch
vielerlei Angaben bestätigt gefunden, die mir
während meiner Reise durch die Kongokolonie
gemacht worden sind. Von diesen mag nur eine
erwähnt werden, die gut beobachtet erscheint.
Es handelt sich nach der Beschreibung um ein
großes mit Hochwald bestandenes Sumpfflach -
moor. Es dehnt sich am Unterlaufe des Ruki
aus, eines linken Nebenflusses des Kongo, der
sich bei Coquilhatville unter dem Äquator in den
Riesenstrom ergießt und die Urwälder der Mitte
des Kongobeckens entwässert. Was mir die
Schilderung dieses Moores als gut beobachtet er-
weist, ist die Erwähnung von „kurzen dicken Ge-
bilden, die zugespitzten Baumstümpfen gleichen
und in großer Anzahl den sumpfigen Boden be-
decken". Es kann sich hiernach nur um die
kegelförmigen Atemwurzeln sumpfständiger Laub-
bäume handeln, deren Lebensweise also eine
große Übereinstimmung verrät zu der Sumpfwald-
vegetation, wie sie uns Koorders und nach
ihm Potonie aus dem ebenen Flachlande des
östhchen Sumatra zwischen den Flüssen Siak und
Kampar beschrieben haben.
Auch subrezente Tropenmoore sind
im Kongobecken vorhanden. So sah ich auf der
Dampferfahrt kongoabwärts zwischen den an der
äußersten nördlichen Biegung des Kongoknies
gelegenen Stationen Buma und Lisala an einer
durch eine der jüngsten Hochfluten mit ihren
riesigen Wassermassen frisch abgebrochenen Ufer-
wand ein wichtiges Profil junger Ablagerungen
entblößt. Bis zum Wasserspiegel lagen Flußsande
von heller Färbung, darüber, allmählich aus diesen
hervorgehend, eine schwarzbraune, etwa I bis 1 ^4 ni
mächtige, lockere torfige Schicht, in der
noch schwärzliches Astwerk zu erkennen war,
und über dieser als Abschluß, aber nun mit
scharfer Abwaschungsgrenze ansetzend, jüngste.
gelb und braun gefärbte Flußablagerungen des
Kongo.
Dieses Profil zeigt deutlich, wie sich in einer,
wohl nur wenig zurückliegenden Zeit über jungen
Flußsedimenten in einer Üferniederung ein Sumpf-
flachmoor, wohl ein Waldmoor, gebildet hat. Es
wuchs, nach Analogie des gegenwärtigen Wachs-
tums der Flora im tropischen, feuchtigkeitschwan-
geren Kongourwald zu urteilen, das in kürzester
Zeit enorme Pflanzenmassen hervorbringt, rasch
heran, wurde dann wieder zerstört und abgetragen
und schließlich von einer neuen Lage von Sedi-
menten eingedeckt. Ein Einschneiden des Kongo
in seine Ablagerungen brachte das werdende
Kohlenflöz wieder ans Tageslicht.
Damit ist der Beweis erbracht, daß im tro-
pischen Urwald des Kongobeckens Moore in junger
geologischer Zeit entstanden sind, ebenso wie sie
noch heute in ihm gedeihen.
Dem vorbesprochenen ähnliche subrezente Torf-
lager hat C. Guillemain aus der Südprovinz
der Kongokolonie, aus Katanga, beschrieben.
Nur im Aufbaumaterial mögen sie sich unter-
scheiden, indem es sich bei ihnen um die Residuen
ausgedehnter Papyrussümpfe handelt. In erheb-
licher Ausdehnung finden sich diese jugendlichen
Kohlenflözbildungen im unteren Lufiratale und an
anderen Kongoquellflüssen.
Gleichartige subrezente Bildungen hat R. Lang,
der im östlichen Sumatra wachsende Waldmoore
über weiten Gebieten fand, ähnlich denen am
Ruki, von der Halbinsel Malakka bekannt ge-
geben, wo sich in den Tagebauten der Zinngruben
ausgezeichnete Profile von vertorften Waldsümpfen
und ihrer Gesteinsunterlage finden.
Daß im Gebiete des feuchten tropischen Kongo-
urwaldes Ansammlung von Rohhumus keine Aus-
nahme, sondern sogar eine Regel ist, deuten auch
die Schwarzwasserflüsse des inneren Kongo-
beckens an. Der tropische Urwald bedeckt in
Zentralafrika ein ausgedehntes, wenn auch nicht
geschlossenes Gebiet, das sich zwischen dem
5. Grade nördlicher und dem 5. Grade südlicher
Breite zonenartig zu beiden Seiten des Äquators
ausstreckt, mit einzelnen Ausläufern südwärts. Die
das Urwaldland durchziehenden zahlreichen Ge-
wässer sind echte Schwarzwasserflüsse. Sie
führen von gelöstem Humus tiefschwarz bis bräun-
lich in verschiedenen Tönen gefärbtes Wasser.
Obwohl es durch seine Farbe den Eindruck starker
Trübung erweckt, lassen sich eingetauchte Gegen-
stände viele Meter tief verfolgen. Dieses dunkle
Schwarzwasser führen die Ströme des Kongo-
beckens allein innerhalb des Urwaldbereichs, nicht
aber außerhalb desselben, ein deutlicher Hinweis
darauf, daß die dunkle Färbung mit der Erzeugung
von Rohhumus zusammenhängt.
Im großen ganzen ist das Urwaldland des
Kongobeckens weniger regenreich, als meist an-
genommen wird. Die hier fallenden Regen sind
beträchtlich geringer als auf Sumatra und Java,
I
N. F. XX. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
8S
wo Regenmengen von weit über 3000 mm durch-
aus die Regel sind. Im Kongobecken bewirkt
jedoch die Form der gewaltigen geologischen wie
orographischen Mulde eine intensive Sammlung
der Niederschläge in der Rinne des Kongo. Dazu
ist die Verdunstung durch die üppige, den Boden
vor Austrocknung bewahrende Pflanzendecke und
die meist starke Wolkenbildung gehemmt. Diese
Momente steigern die Wirksamkeit der kaum je-
mals 2000 mm übersteigenden Regenfälle — solche
Niederschläge finden sich z. B. als in einem der
regenreichsten Gebiete des Landes zwischen Co-
quilhatville und Lukolela am Kongo — für die
Urwaldstrecken um das Mehrfache.
Die aus dem tropischen Afrika bisher be-
schriebenen Moore sind nicht eben zahlreich. Sie
werden sich jedoch als verbreitet sehr rasch
herausstellen, sobald aufmerksam auf ihr Vor-
kommen geachtet werden wird.
Ohne hier weiter auf spezielle, mit der Moor-
bildung in den Tropen zusammenhängende Fragen
eingehen zu wollen, die geologischer und klima-
tologischer Natur sind, soviel jedenfalls ist sicher,
daß die wichtigsten Perioden weit ausgedehnter
und langandauernder Moorbildung auf der Erde
unter der Herrschaft eines tropisch- feuchten Klimas
standen mit allen seinen, einen üppigen Wuchs
der Flora fördernden Eigenschaften.
Spekulatives über die Endlichkeit der Welt.
[N»chdjuck verboten,] Von E. J. Gumbel (Berlin).
Die folgenden Zeilen sollen plausibel machen, Sonne aufgehen zu sehen
warum ein experimenteller Nachweis der Endlich-
keit der Welt auf optischem Weg heute und ver-
mutlich immer unmöglich ist.
Die Astronomen vermuten, daß die Welt end-
lich, aber unbegrenzt ist. Die allgemeine Rela-
tivitätstheorie hat sich dieser Vermutung ange-
schlossen. Man veranschaulicht sich dies, indem
man zweidimensionale Geschöpfe betrachtet, die
auf der Oberfläche einer Kugel leben. Deren
Welt hat nämlich beide Eigenschaften.
Unsere Welt verhält sich geometrisch, als wenn
wir auf der dreidimensionalen Oberfläche einer
Kugel von vier Dimensionen lebten. (Die Begriffe
Welt und Vierdimensionalität sind dabei nicht im
Sinn des raum-zeitlichen Kontinuums gebraucht.)
Da nur das Licht uns die Erkenntnis der uns
umgebenden Sternenwelt bringt, so drängt sich
zum experimentellen Nachweis der Endlichkeit der
Welt folgender Gedankengang auf: Das Licht
schreitet von einer Lichtquelle in Kugelwellen fort.
Das Licht muß also, nachdem es die ganze Welt
durchlaufen, wenn man von der Absorption ab-
sieht, von der „entgegengesetzten" Seite wieder
zurückkehren. Anders gesprochen: Es muß für
jeden auf der dreidimensionalen Oberfläche der
vierdimensionalen Kugel gelegenen Stern ein Bild
existieren , wo die Kugelwellen zusammenlaufen
und wieder auseinander gehen. Dieses Bild wird
an unserem Firmament als Stern erscheinen, den
wir an und für sich von den „wirklichen" Sternen
nicht unterscheiden können.
Nach der allgemeinen Relativitätstheorie wird
das Licht beim Durchgang durch Gravitations-
felder abgelenkt. Wir setzen bei der Überlegung
also voraus, daß die Gravitationsfelder das Zu-
standekommen des Bildes nicht verhindern.
Die Frage des Nachweises der Endlichkeit der
Welt konzentriert sich demnach auf die Auffindung
des Bildsternes. Hierzu stehen uns eine Reihe
von Methoden zur Verfügung. Zunächst könnte
man sich auf einen geeigneten Punkt der Erde
stellen und versuchen das Bild der untergehenden
Oder allgemein ge-
sprochen, es ist zu versuchen, zu bestimmten
Sternen der einen Himmelshalbkugel die zuge-
hörigen Bildsterne als Sterne der anderen Halb-
kugel aufzufinden. Die beiden Sterne müssen be-
zogen auf die Ekliptik an der Himmelskugel ieinen
Längenunterschied von 180 Grad und die gleiche,
aber entgegengesetzte Breite haben.
Der Nachweis der Zusammengehörigkeit zweier
Sterne als Stern und Bild läßt sich auf zwei
Weisen durchführen: mit Hilfe der Dopplerver-
schiebung und mit Hilfe der Parallaxenwerte. Wir
betrachten zunächst die Dopplerverschiebung.
Wenn der eine Stern sich in einer bestimmten
Richtung zur Erde bewegt, so müßte sein Bild
sich in entgegengesetzter Richtung bewegen. Also
müßten die beiden Dopplerverschiebungen den
gleichen Betrag, aber entgegengesetzte Richtung
haben. Man müßte demnach die Sterne der nörd-
lichen und südlichen Halbkugel einzeln darauf
durchsehen, ob sich zwei Sterne mit diesen Eigen-
schaften finden.
Da aber zu jedem Stern ein Bildstern gehört,
so könnte man auch untersuchen, ob wenigstens
entsprechende Sterngebiete der nördlichen und
südlichen Halbkugel im Mittel die gleiche, aber
entgegengesetzte Dopplerverschiebung aufweisen.
Dem liegt die Annahme zugrunde, daß die ge-
samte durch die Schwerkraft herbeigeführte Ab-
lenkung des Lichtes zwar nicht verschwinde, aber
verhältnismäßig klein sei. In Erweiterung dieses
Gedankens wäre zu untersuchen, ob nicht für die
nördliche und südliche Halbkugel im ganzen die
gleiche, aber entgegengesetzte Dopplerverschiebung
herauskommt.
Tatsächlich werden aber im Mittel ebensoviele
Sterne sich auf die Erde zu, als von ihr weg be-
wegen. Daher wird sich für dieses Mittel in
beiden Fällen Null ergeben, was für unsere Theorie
nichts aussagt. Dies ist nur einer der Einwände,
die die Unausführbarkeit unseres Gedankenexperi-
ments und damit überhaupt des Nachweises der
Endlichkeit der Welt auf optischem Weg zeigen.
86
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 6
Es ist nämlich überhaupt unwahrscheinlich, daß
das Licht seinen Umlauf um die Welt vollendet.
Denn es ist zu befürchten, daß es von den schwarzen
Massen aufgeschluckt wird. Endlich haben wir
bei unserem Vergleich stillschweigend vorausge-
setzt, daß der Stern seine Geschwindigkeit in der
kolossalen Zeit, die das Licht vom Stern zum
Bild braucht, nicht wesentlich verändert hat. (Eine
an sich schon sehr unwahrscheinliche Hypothese.)
Entscheidend aber ist, daß stets einer der
beiden zusammengehörigen Sterne so weit von
uns entfernt sein muß, daß die genauen spektro-
skopischen Untersuchungen, die die Feststellung
der Dopplerverschiebung verlangt, überhaupt nicht
vorgenommen werden können. Dies läßt sich
einfach zeigen. Die Entfernung eines Sternes wird
mit Hilfe seiner Parallaxe gemessen.
Dies gibt uns scheinbar ein zweites Mittel um
die Zuordnung von Stern und Bild durchzuführen.
Die Entfernung des Sternes von der Erde und die
Entfernung des Bildes von der Erde müßte näm-
lich zusammengerechnet den halben Umfang eines
größten Kreises der vierdimensionalen Kugel
geben.
Aber eine einfache Überlegung zeigt, daß die
Parallaxe des Bildes tatsächlich immer dann un-
meßbar ist, wenn die Parallaxe des Sternes meß-
bar ist und umgekehrt. Nehmen wir den gün-
stigsten Fall für die gleichzeitige Messung von
Bild und Stern, so müssen beide gleichweit von
der Erde entfernt sein. Dann beträgt ihre Ent-
fernung je einen Quadranten eines größten Kreises
der vierdimensionalen Kugel. Aber nach einem
Satz der Geometrie ist der Umfang eines größten
Kreises auf einer n dimensionalen Kugel wie bei
der gewöhnlichen Kugel 2R7T. Wir brauchen
also zur Bestimmung der Parallaxe den Radius
der vierdimensionalen Kugel. Dieser ist natürlich
nicht exakt bestimmbar. Nach den Schätzungen
de Sitters ergibt er sich als das 10*^- bis 10'*-
fache des Erdbahnradius. Rechnen wir mit der
ersten Zahl, so gibt eine elementare Rechnung
eine Parallaxe von höchstens einhunderttausendstel
Bogensekunde. Eine solche ist aber durch unsere
astronomischen Messungen nicht nachweisbar. Also
selbst im günstigsten Fall kann man die Beziehung
für die Parallaxen, die sich daraus ergibt, daß die
Entfernung von Stern und Bild gleich einen halben
Weltumfang ist, nicht nachweisen.
Wenn der Stern sichtbar ist, so ist also sein
Bild nicht sichtbar und umgekehrt. In dem oben
erwähnten günstigsten Fall ist, da der Erdbahn-
radius 150 MiH. Kilometer beträgt und das Licht
300000 km in der Sekunde macht, die Entfernung
von der Erde zum Stern ungefähr 10 Mill. Licht-
jahre. Der Arcturus ist aber z. B. nur lOO Licht-
jahre entfernt. Bei quadratischer Abnahme der
Intensität mit der Entfernung wäre also ein Stern
von gleicher Größe 10 milliardenmal schwächer
als der Arcturus, also ein Stern von der 40. Größen-
klasse. Stern und Bild können also nicht gleich-
zeitig gesehen werden.
Jetzt sehen wir auch, wie unberechtigt unsere
frühere Annahme war, daß Stern und Bild sym-
metrisch gelegen sein müßten. Denn aus einer
bestimmten Lage eines Bildes zu einer gewissen
Zeit kann nur gefolgert werden, daß der zuge-
hörige Stern vor 20 Mill. Jahren die dazu sym-
metrische Lage eingenommen hat.
Da es unmöglich ist, zu einem Stern das zu-
gehörige Bild zu finden, ist es unmöglich die End-
lichkeit der Welt auf diesem optischen Weg ex-
perimentell zu beweisen. Dies könnte nur ge-
schehen, wenn man ein Verfahren finden könnte,
um den Bildcharakter eines Sternes nachzuweisen.
Durch optische Eigenschaften ist dies sicher nicht
möglich. Denn, da das Bild über seine Geschichte
nichts aussagt, so sind für die Optik Stern und
Bild völlig gleichberechtigt.
In mechanischer Hinsicht dagegen werden
Sterne und Bilder einander nicht äquivalent sein.
Zwei Bilder werden sich ungefähr verhalten wie
zwei Sterne, da nahe gelegene Bilder nahe gelegenen
Sternen entsprechen. Dagegen wird das gegen-
seitige Verhalten eines Sternes und eines Bild-
sternes gegenüber dem Verhalten zweier wirk-
licher Sterne bemerkenswerte Abweichungen zeigen.
Denn nur das vom Bild ausgestrahlte Licht wird
durch den Stern eine Gravitationswirkung erfahren,
nicht aber das vom Stern ausgestrahlte. Eine
Gravitationswirkung, die von der Masse des Bildes
herrührt, wird nicht vorhanden sein. Hat man
nun von zwei Sternen, die wir als sehr benach-
bart sehen, die Parallaxen so genau gemessen, daß
man entscheiden kann, daß sie nicht etwa nur
zufällig auf derselben Gesichtslinie stehen, sondern
„wirklich" benachbart sind, so ist es vielleicht
einmal möglich, durch den Unterschied in der
Größenordnung der Gravitationswirkung des
Lichtes und der Gravitationswirkung der Masse
den Nachweis für den Bildcharakter eines Sternes
und damit der Endlichkeit der Welt zu erbringen.
[Nachdruck verboten.]
Zum Kreislaufprozeß des Wassers,
Von Prof. W. Halbfaß, Jena.
Daß der Kreislaufprozeß des Wassers auf der
Erde nicht in mathematisch genauem Sinne ge-
nommen werden darf, bedarf wohl kaum einer
besonderen Erwähnung. Dennoch geht aus dem
meiner Ansicht nach wohlbegründeten Beweis-
verfahren von G n i r s *) hervor , daß wenigstens
in den zwei letzten vergangenen Jahrtausenden
eine meßbare Erniedrigung des Niveaus der
Ozeane, die gegenüber der Gesamtmasse der
Erde eine nur verschwindend dünne Oberflächen-
') MiU. Geogr. Ges. Wien 1908.
N. F. XX. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
87
Schicht darstellen, nicht stattgefunden hat. Es
hat sich ferner herausgestellt, daß alle Behaup-
tungen von einer dauernden Abnahme des
Wasserstandes der Flüsse und der Binnenseen
nicht zu erweisen sind und daß endlich von einer
gleichmäßigen, die ganze Erde umspannenden,
Abnahme der Niederschläge nicht die Rede sein
kann, daß vielmehr ein vielleicht periodisches An-
und Abschwellen im Wasserstand der Flüsse und
Seen und der Niederschlagsmengen erfolgt.
Auf der anderen Seite aber läßt sich nicht
bestreiten, daß die Erde beständig von ihrem
Wasservorrat einbüßen muß. Von den Ober-
flächenschichten der Erde sickert Wasser unauf-
hörlich in tiefere Schichten der Erdkruste, aus
denen es nur zum Teil in Gestalt von Quellen
und in Dampfform wieder an die Oberfläche zu-
rückkehrt. Die ,, Bergfeuchtigkeit" des Gesteins
auch in den größten Tiefen beweist, daß das
Wasser in Tiefen sinken kann, aus denen es frei-
willig nicht wieder emporsteigt. Am Meeres-
boden herrscht ein Druck, der in einer Tiefe von
9000 m mit 900 kg auf I qcm entspricht, d. h.
ein Druck, dem selbst die Wände des stärksten
Dampfkessels nicht standhalten könnten, ge-
schweige denn der viel weichere Boden der Welt-
meere. Es muß also in die unter dem Meeres-
boden liegenden Erdschichten fortwährend Wasser
abfließen, an dessen Wiederemporsteigen natürlich
nicht zu denken ist. Weiter binden die unaus-
gesetzt sich vollziehenden Kristallisationsvorgänge
in der Natur chemisch Wasser und halten es fest,
lassen es also in den atmosphärischen Kreislauf
nicht wieder zurückgehen. Endlich aber erfolgt
in Vulkanen, sobald das durch Erdspalten ver-
sinkende Wasser mit dem heißen Magma der
tieferen Schichten in Berührung kommt, sofort
eine Zersetzung in seine Bestandteile: Wasserstoff
und Sauerstoff, wobei ersterer wegen seiner
Leichtigkeit explosionsartig in die Höhe schießt
und in den oberen Schichten des gasförmigen
Erdgürtels der sog. Wasserstoffschicht dauernd
verbleibt.
Es muß also irgendeine andere Quelle der
Erneuerung und Vermehrung des Wassers auf
der Erdoberfläche vorhandens sein, welche imstande
ist, alle die geschilderten Verluste zu decken. Da
an eine irdische Quelle nicht zu denken ist, so
kann sie nur kosmischen Ursprungs sein, auf
welche Tatsache bereits namhafte Physiker hin-
gewiesen haben. Nur von den eigentlichen Geo-
graphen und Hydrographen scheint die Lücke,
die hier in unsere Kenntnisse von einer der wich-
tigsten Vorgänge in der Natur klafft, noch nicht
genügend beachtet zu sein.
Eine höchst originelle Erklärung versuchten
in einer sehr umfangreichen Schrift — sie umfaßt
nicht weniger als 772 Seiten Text im Lexikon-
format mit 312 Abbildungen — der Ingenieur
Hörbiger und der Astronom Fauth,*) welche
wohl deswegen bisher so wenig Beachtung ge-
funden hat, weil sie unmittelbar vor dem Welt-
krieg erschien und weil sie z. T. in einem wenig
lesbaren Stil geschrieben wurde. Ohne Zweifel
gehört dieses Werk zu den bedeutendsten und
gedankentiefsten Leistungen menschlichen Geistes
und wir Deutsche können stolz darauf sein, daß
es ein Werk deutscher Forscher ist. Vor kurzem
ist von einem begeisterten Anhänger dieser Lehre,
dem Ingenieur Dr. ing. Voigt,") ein Buch er-
schienen, das eine gemeinfaßliche Einführung in
Hörbiger- Fauths Glazialkosmogonie sein
will, sehr faßlich geschrieben und durch bildliche
und graphische Darstellungen vortrefflich unter-
stützt, sehr geeignet erscheint, solche Leser in die
Hörbigerschen Ideenwelt einzuführen, denen es
an Zeit und Geduld gebricht, das umfangreiche
Hauptwerk selbst zu studieren. Wir können uns
hier auf die Begründung der Hörbigerschen
Glazialkosmogonie im einzelnen und auf die
Folgerungen, die aus ihr auf die Entstehung der
Sedimentgebirge, Kohlen-, Erdöl- und Salzlager-
stätten gezogen werden, nicht einlassen, sondern
wollen nur diejenigen Gedankengänge hervorheben,
die ein Hineinspielen kosmischer Einflüsse auf den
Kreislaufprozeß des Wassers an der Erdoberfläche
wahrscheinlich machen sollen und es m. E. auch
wirklich tun.
Hörbiger weist zunächst auf die Schwierig-
keiten hin, welche sich der Erklärung so gewalti-
ger Hagelwetter entgegenstellen, wie dasjenige
vom 13. Juli 1788, das durch ganz Frankreich
vom Süden des Landes über Belgien bis nach
Holland hinein sich erstreckte, eine Gesamtbreite
von 150 km, eine Länge von über lOOO km er-
reichte oder dasjenige vom 24. Mai 1830, welches
Rußland vom baltischen bis zum schwarzen Meer
von einer Ausdehnung von 15 Längegraden und
10 Breit egraden verwüstete und eine durch-
schnittliche Geschwindigkeit von 94 km in der
Stunde besaß, oder endlich dasjenige, welches am
7. Juni 1894 Wien heimsuchte, wobei im Durch-
schnitt auf I qm Bodenfläche nahezu i Zentner
Eis fiel ! Die kurze Dauer des Zerstörungswerkes,
der lange schmale Weg, den das Unheil nimmt
und die schnelle Aufklärung nach dem Rasen
und Toben der Elemente führen eigentlich von
selbst zu den Gedanken, daß hier außerirdische
Kraftäußerungen vorliegen müssen. Sie gehen
weit über alles hinaus, was man etwa als Wirkung
einer Störung im atmosphärischen Gleichgewicht
ansehen könnte, welche die Temperatur-, Feuchtig-
keit- und Schwereunterschiede der atmosphärischen
Schichten begleiten.
Dasselbe gilt von den tropischen Regen, die
mit fast absoluter Pünktlichkeit eintreffen und
durch ihre Anschmiegung an den Sonnenhoch-
stand nach geographischer Breite und Tageszeit
auf kosmischen Ursprung hinweisen. Nach einer
') Hörbiger-Fauth, Eine neue Entwicklungsgeschichte
des Weltalls und des Sonnensystems. Kaiserslautern 1913.
-) Dr. ing. Voigt, Eis ein Weltenbaustoff. Berlin-
Wilmersdorf, Hermann Paetel. 312 S. in 8" nebst Atlas in
15 Taf. u. 4". 24 M.
as
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 6
vollkommen klaren Nacht, nach einem klaren
Sonnenaufgang gegen lo Uhr morgens, bewölkt
sich derHimmel, und Regen setzt mit großartiger Ge-
nauigkeit gegen 4 Uhr nachmittags ein, der dann
bis gegen Abend anhält, um dann wieder eine
klare Nacht folgen zu lassen. Wären diese enor-
men Niederschläge einfach eine Folge der Kon-
densation von Wasserdämpfen, die der Erdboden
verdunstet, so ist absolut nicht abzusehen, warum
die tagsüber verdampften Wassermengen nicht in
der kühleren Nacht als Regen niederfielen! Von
der physikalischen Erklärung der Hagelstürme
und tropischen Regen zu derjenigen der tropischen
Wärme ist nur ein Schritt, den Hör biger auch
tut. Diese Stürme bestehen in einem stoßweisen
Herabsteigen rasch bewegter Luftschichten in die
unterste am Erdboden zurückgehaltene Schicht,
welches selten länger als i Minute dauert, aber
gewaltige Wirkungen hervorruft. Der jüngst ver-
storbene Mathematiker Reye hat berechnet, daß
zur Bewegung der einströmenden Luft, welche
auf Kuba im Jahre 1844 einen furchtbaren Zyklon
hervorrief, eine halbe Milliarde PS. 3 volle Tage
lang aufgewendet worden ist. Solche in kürzester
Zeit sich austobenden Gewalten können unmög-
lich Einregelungsversuche sein, welche die Atmo-
sphäre macht, um das durch Sonnenbestrahlung
gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen, sie
können vielmehr nur kosmischen Ursprungs sein.
Hörbiger weist nun auf die Tatsache hin,
daß schon wiederholt in sehr großen Höhen
Wolken in einer Höhe bis zu 150 km am völlig
klaren Himmel beobachtet wurden, welche nur
aus Cirruseis bestehen können, ihren optischen
Eigenschaften entsprechend. Wie kommen Eis-
kristalle und Eisblöcke von solchem Umfange in
so unfaßbare Höhen, wo bereits die atmosphäri-
sche Luft begonnen hat sich in ihre Elemente
aufzulösen.? Da sie sich nur abwärts senken
können, so müssen sie zumal als Gebilde, die gar
nicht an die Erdrotation gebunden sind , vom
Weltenraume her hereingekommen sein. Sie bil-
den einen quantitativen Zuwachs von Wasser zur
Erde, welcher jenseits des irdischen Kreislauf-
prozesses des Wassers steht. Es gibt also einen
Wasserzufluß zur Frde, der aus dem Weltenraum
quillt und seinen Ursprung aus dem ungeheuren
Strom von Flüssigkeiten nimmt, der von der
Sonnenkorona ausgeht und im kalten Weltenraume
erstarrt.
Die sonstigen Konsequenzen , welche Hör-
biger aus seiner Annahme, daß namentlich die
äußeren, unsere Sonne umkreisenden Planeten,
aus Eis bestehen, worauf schon ihr spezifisches
Gewicht hinweist, und daß unser Mond ursprüng-
lich als Planet die Sonne umkreist habe, können
wir hier beiseite lassen, da sie mit seiner Theorie
des kosmischen Anteils am Kreislauf des Wassers
auf der Erde nur in einem losen Zusammenhang zu
stehen scheinen, wollen aber die Fachmänner nach-
drücklichst auf die Lektüre des Originalwerkes oder
wenigstens des Voigt sehen Auszuges hinweisen.
In der Geschichte der Theorien vom Kreislauf-
prozeß des Wassers müssen jedenfalls Hörbiger
und sein Schüler Fauth mit Achtung genannt
und die von ihnen beigebrachten Tatsachen sorg-
fältig auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Dar-
aus, daß die „Wissenschaft" sie bisher durch-
gehends abgelehnt hat, folgt noch lange nicht
ihre Unrichtigkeit. Die Geschichte der Wünschel-
rute bietet ein glänzendes und schwerwiegendes
Beispiel dafür, daß Tatsachen und Theorien, wel-
che anfangs Männer der Wissenschaft mit einer
verächtlichen Handbewegung glaubten abtun zu
können, später doch allgemeinste Beachtung ge-
funden haben.
Einzelberichte.
Petrographie des älteren Paläozoikums
zwischen Albuugen und Witzhausen. ^)
In dem behandelten Gebiet nehmen nach M o -
esta Grauwacken den weitaus größten Teil der
Oberfläche ein, am Südrande erscheinen aber in
den tiefsten Geländeteilen auch Tonschiefer mit
Einlagerungen von Quarziten, Kieselschiefern,
Hornsteinen, Kalken und Diabasen. Eine sichere
Alterbestimmung ist mangels sicher bestimmbarer
Versteinerungen nicht möglich. Mo esta ver-
gleicht die Grauwacken mit den Tanner Grau-
wacken und die Schiefer mit den Wieder Schiefern
des Harzes.
Die Schiefer sind namentlich an den Hängen
des Hölltals aufgeschlossen. Sie sind reich an
Quarz, ziemlich serizitisch, etwas eisen- und kohle-
') O. Mügge in den Nachr. v. d. Ges. d. Wissenschaften
zu GöUingen. Math, naturw. Klasse. 1919.
haltig und oft sehr zierlich gefältelt. Ihre Kalk-
einlagerungen sind dicht bis marmorartig. Die
Kieselschiefer sind voll von meist elliptisch defor-
mierten Radiolarien ; sie erscheinen auch im Kon-
takt mit den unten besprochenen Diabasen. Die
von Moesta als älter angesprochenen Grau-
wacken sind sandig, im großen bankig, im Hand-
stück fast kompakt. Auf Grund der Mineralge-
mengteile und der z. T. nur wenig abgerollten
Gesteinsbruchstücke und weil im Gelstertale die
Grauwacke, nicht der Schiefer, vom Zechstein
überlagert wird, weil ferner nur die Schiefer, nicht
auch die Grauwacken, Diabase eingeschaltet ent-
halten, endlich auch weil Lagerungsverhältnisse,
die auf jüngeres Alter der Schiefer hinwegweisen,
ihm nicht bekannt geworden sind, hält Mügge
die Grauwacken im Gegensatz zu Moesta
für jünger als die Schiefer. Die Grauwacken
könnten etwa, wie es B e y s c h 1 a g für die petro-
N. F. XX. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
89
graphisch durchaus ähnlichen Grauwacken von
Oberellenbach tut, zum Culm gestellt werden,
wenn die Parallelisierung der Schiefer mit den
Wieder Schiefern zu Recht besteht.
Die Diabase, die in den Schiefern sehr häufig
auftreten, sind alle sehr zersetzt. An der Grenze
zu den Schiefern werden sie zuerst feinkörnig,
schließlich völlig dicht. In den dichten Gesteinen
ist Olivin reichlich ausgeschieden, z. T. als größere
Einsprengunge, z. T. als sehr kleine Einspreng-
unge, die im Längsschnitt als zweizinkige Doppel-
gabeln, im Querschnitt als abgestumpfte Rhomben
mit großem Grundmasseeinschluß erscheinen. Sie
sind völlig zersetzt.
Die von M o est a erwähnte variolitische
Varietät ganz nahe am Bahnhof Albungen wurde
vonMügge wieder aufgefunden. Ihre Variolen haben
dieselbe Zusammensetzung wie die dichten Diabase,
die Zwischenmasse der Variolen dagegen scheint
Glas nur mit Ausscheidungen zahlreicher kleiner
Olivine gewesen zu sein. Sie ist jetzt vollständig
zersetzt. Im Gegensatz zu den Sphärolithen der
sauren Ergußgesteine lassen sie keinen Kristalli-
sationsmittelpunkt erkennen. Warum sie sich
trotzdem längs Kugeloberflächen von der um-
gebenden Glasmasse abgrenzen, dürfte nach des
Verf. Ansicht in folgendem begründet sein : Vom
jetzigen Mittelpunkte der Variolen, in dem zuerst
Feldspatkeime auftauchten, wuchsen diese anfangs
strahlig nach allen Richtungen, wurden aber als-
bald durch die schon ausgeschiedenen zahlreichen
kleinen Olivineinsprenglinge, sehr bald auch durch
die fast gleichzeitig einsetzende Kristallisation des
Schrnelzrestes zu Augit fortwährend unterbrochen.
An jeder Unterbrechungsstelle entstand ein neues
Wachstumszentrum und nur, weil diese Unter-
brechungen wegen der großen Zahl, Kleinheit und
regellosen Verteilung der Olivine auf allen Seiten
gleichmäßig erfolgte, blieb die Grenze zwischen
dem durch die Ausscheidung von Plagioklas und
Augit völlig kristallin werdenden Teile des Mag-
mas und jenem, der nur aus Glas mit mikro-
skopischen Olivineinsprenglingen bestand, zu jeder
Zeit annähernd eine Kugelfläche. Diese „Variolen"
stehen also den „Spärolithen" der sauren Erguß-
gesteine, deren regelmäßig radialstrahliges Wachs-
tum nicht durch das Vorhandensein zahlreicher
kleiner älterer Einsprengunge behindert wurde,
als kugelige Wachstumsformen von
Faseraggregaten ohne regelmäßigen
Bau gegenüber.
Aus verschiedenen Gründen nimmt der Verf.
an, daß die Diabaseinlagerungen als Ergüsse unter
hohen Wasserdruck entstanden sind. Exogene
Kontakterscheinungen erheblicher Art fehlen. In
chemischer Hinsicht zeigen die Analysen der
Variolen und ihrer Zwischenmasse größere Unter-
schiede, als nach der mikroskopischen Untersuchung
erwartet wurde. Die Variolen weisen einen et-
was höheren Gehalt an Alkalien auf, die Zwischen-
masse eine starke Anreicherung des Magnesia-
eisengehaltes. F. H.
Asphaltgäuge im Fischflußsandstein im Süden
von Südwestafrika.
In Südwestafrika war schon seit längerer Zeit
das Gerücht verbreitet, in den Sandsteinen des
Fischflusses kämen Kohlen vor. Im Februar 191 5
erhielt H. Schneiderhöhn („Senkenbergiana",
Bd. I, Nr. S, 191 9) vom Kommando der Schutz-
truppe den Auftrag, diese Vorkommen zu unter-
suchen. Leider sind später seine Sammlungen,
Photographien und Skizzen über diese Gegend
verloren gegangen, indem nach dem Friedensschluß
in Südwest seine Koffer von englischen Offizieren
in Windhuk gestohlen worden sind. Es konnte
daher nur eine kurze Beschreibung der Vorkommen
gegeben werden.
Die geologischen Verhältnisse stellen sich in
ihren Grundzügen nach P. Range') wie folgt
dar : Auf einem kristallinen Sockel der afrikanischen
Primärformation liegt eine mächtige Folge kon-
kordanter Sedimente, die folgendermaßen gegliedert
werden :
Karrooformation
Fischflußschichten
Schwarzrandschichten
Obere
Nama-
Schwarzkalk
Kuibisschichten
Basisschichten
Untere
formation
Alle diese Schichten liegen heute so gut wie
horizontal mit einem kaum merklichen Einfallen
nach Südosten. Der Fischfluß hat sich in seinem
Mittellauf in die nach ihm benannten Schichten
eingeschnitten. Infolge des ganz schwachen süd-
östlichen Einfallens kommt man nach Süden zu
in immer höhere Horizonte, wobei sich deutlich
ein Faziesübergang von Flachsee- bis zum reinen
Litoralgestein beobachten läßt.
Von Bedeutung sind zwei Absonderungs- oder
Kluftsysteme. Sie setzen senkrecht durch die
horizontalen Gesteinsbänke hindurch und durch-
kreuzen sich unter 60". Die eine Kluftrichtung
streicht ost — westlich, die andere südsüdwestlich
— nordnordöstlich. Beide Kluftsysteme sind meist
reine Zerrungs- bzw. Druckklüfte. Die Ost-West-
klüfte bilden die Lagerstätte des als Kohle ange-
sehenen Asphaltes.
Eine sehr eigenartige Erscheinung ist an dem
Ausstrich dieser Klüfte zu sehen. Längs der
Klüfte ist oft die oberste Gesteinslage dachförmig
aufgebuckelt. Die Aufwölbung erreicht manch-
mal 50—70 cm Höhe und ist fast nur längs der
Ost- Westklüfte entwickelt. Sie ziehen sich oft
viele hunderte von Metern hin. Die Entstehung
dieser Aufbuckelungen ist auf Kosten der hohen
Erwärmung zu setzen, welche die oberste, durch
keinerlei Schutt oder Vegetation geschützte Sand-
Steinlage durch die Sonnenbestrahlung erfährt.
Nach unten setzen sich diese Aufwölbungen nicht
fort.
') P. Range: Geologie d. d. Namalandes. Beitr. z.
geol. Erforsch, d. d. Schutzgebiete. 1912, H. 2.
90
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 6
Die Asphaltgänge sind bis jetzt nur in dem
tiefeingeschnittenen Fischflußtal und in einigen
Seitenschluchten beobachtet worden, und zwar an
folgenden drei Stellen :
1. Etwa 4 km südlich vom Übergang Unis
gaos, der etwa 13 km südöstlich Berseba liegt.
Dort sind an der östlichen Steilwand des Fisch-
flußtales 2 größere und etwa 20— 25 kleinere Gänge
aufgeschlossen.
2. In einer 2 km nördlich dieser Stelle von
Westen einmündenden Seitenschlucht 6 kleinere
Gänge.
3. Am Übergang Rukadomes, 50 km südlich
Unis gaos am westlichen Talhang 3 kleinere Gänge.
Sämtliche Gänge sind mit einer brekziösen
Gangmasse erfüllt. Ihre Mächtigkeit schwankt
zwischen 0,75 m bis zu 1 mm. Sämtlich asphalt-
führende Gänge sind dadurch ausgezeichnet, daß
in ihrer Umgebung das rote Gestein auf einige
Zentimeter fahlgrün ausgebleicht ist.
Die Gangfüllung besteht aus tonig-sandigen
Zerreibsei, Kalkspat und Asphalt. Letzterer bildet
stets die innerste, jüngste Gangausfüllung, zu beiden
Seiten ist er von Kalkspat umsäumt, und den
äußersten Saum bildet das Zerreibsei. Der As-
phalt ist eine geruchlose, glänzende, tiefschwarze
Masse von der Härte 2 — 3 und mit muschligem
Bruch. Er läßt sich leicht schon mit einem Streich-
holz zum Entflammen bringen und brennt dann
mit heller, starker, wenig rußender Flamme, die
leicht bituminös riecht. Nachdem der asphaltartige
Anteil verbrannt ist, bleibt ein erheblicher Rest
von porösem, anthrazitähnlichem Kohlenstoff übrig,
der, einmal entzündet, lang nachglüht, eine starke
Hitze dabei entwickelt und zum Schluß wenig
Aschenbestandteile übrig läßt. In dem breitesten
beobachteten Gang, an der Fundstelle i betrug
die Asphaltmächtigkeit 0,25 m. In anderen Gängen
ist sie bedeutend geringer und sinkt bis auf 1 mm
herab. Auf dem Plateau konnten einige Gänge
bis zu I km weit verfolgt werden, dann hinderten
Schuttmassen einer Senke daran. Aus den Mächtig-
keiten ergibt sich, daß trotz der guten Qualität
an eine bergmännische Gewinnung des Materials
nicht zu denken ist, wenn nicht noch mehr und
größere Vorkommen gefunden werden. Doch ist
das nicht anzunehmen, da die Hottentotten schon
laOge dieses Material zum Feueranzünden benützen
und in dem dortigen gut aufgeschlossenen Gebiet
andere Gänge sicher schon längst aufgefunden hätten.
Der Verf. nimmt für den Asphalt am Fisch-
fluß die anorganische Entstehung an und denkt
an hydrothermale Exhalationen, die vielleicht im
Gefolge der Entstehung des Explosionstrichters
des Großen Brukaros auftraten, der 20 km nörd-
lich von Berseba liegt. Es erscheint ihm sehr
wahrscheinlich, daß im Gefolge dieser, wohl der
Postkarroozeit angehörigen Explosion auch die
Asphaltsubstanz in Form von Kohlenwasserstoffen
empordrang und zusammen mit Schwerspat, Quarz,
Chalcedon, Kalkspat und Kupferkies der hydro-
thermalen Phase angehört. F. H.
Entfernung des großen Orionnebels.
Bergstrand glaubt durch eine indirekte Er-
mittlung der Parallaxe der mit dem Orionnebel
in nahem Zusammenhang stehenden, die Helium-
linien zeigenden Sterne ß, y, ö, e, C, x usw. Orionis
Aufschluß über die Entfernung des Nebels ge-
wonnen zu haben (Astron. Nachrichten Nr. 5038).
Bei diesen Sternen sind nämlich die Geschwindig-
keiten im Visionsradius aus den Linienverschie-
bungen im Spektrum auf Grund des Doppl er-
sehen Prinzips ziemlich genau in Kilometern be-
stimmt. Vergleicht man nun die durchschnittliche
Bewegung im Visionsradius, die bei diesen Sternen
von der Sonne fort gerichtet ist, mit den aus ge-
nauen Positionsmessungen von verschiedenen Daten
zu ermittelnden relativen Eigenbewegungen, die
eine langsame perspektivische Zusammenziehung
der ganzen Gruppe hervorbringen, so läßt sich
unter der Voraussetzung, daß die wirklichen Be-
wegungen der einzelnen Sterne unregelmäßig nach
dem Gesetz des Zufalls verteilt sind (daß also
auch die Bewegungen senkrecht zum Visionsradius
die gleiche durchschnittliche Geschwindigkeit haben,
wie diejenigen im Visionsradius), die mittlere Ent-
fernung dieser Sterne und damit auch des von
ihnen umgebenen Orionnebels abschätzen. Berg-
strand findet eine Parallaxe von 0,008", d. h.
der Erdbahnhalbmesser würde vom Orionnebel
aus unter diesem Sehwinkel erscheinen, was einer
Entfernung von etwa 400 Lichtjahren entspricht.
Kbr.
Die Geschlechtsbestimmnng bei den Motten-
läusen.
Der sog. Hymenopterentypus der Geschlechts-
bestimmung gilt, soweit wir heute wissen, für alle
Hymenopteren. Bei allen Hautflüglern entstehen
die Männchen aus unbefruchteten Eiern, die zwei
Richtungskörper abgeschnürt und eine Reduktion
ihrer Chromosomenzahl erfahren haben. Die
Hymenopterenmännchen sind infolgedessen haplo-
ide Organismen, bei deren Samenreifung die Re-
duktionsteilung ausfallen muß. Im Gegensatz zu
ihnen sind alle Weibchen diploid. Sie gehen aus
befruchteten Eiern hervor oder aber aus solchen,
die zwar unbefruchtet geblieben sind, ihre Chro-
mosomenzahl aber nicht reduziert haben. Den-
selben Modus der Geschlechtsbestimmung be-
sitzen offenbar auch die heterogenen Rädertiere,
doch sind bei diesen die Unsersuchungen noch
nicht so genau durchgeführt wie bei den Hymeno-
pteren. Nach kürzlich veröffentlichten Unter-
suchungen von Schrader*) gehören auch die
Mottenläuse, die Aleurodinen, hierher, oder wenig-
stens gewisse Formen von ihnen.
Die Mottenläuse, kleine zarte Tierchen von
') Schrader, F., Sex determination in Ihe white fly
(Trialevrodes vaporariorum). Journ. of Morphology, vol. 34,
1920.
N. F. XX. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
91
I — i'/q mm Größe mit vier mehlig bestaubten
Flügeln, die man früher zu den Schildläusen rechnete,
sind eine nicht sehr artenreiche Gruppe der Schnabel-
kerfe. Viele von ihnen leben als Schädlinge auf
Kulturpflanzen, so Aleurodes citri, die „weiße
Fliege" oder Orangenfliege, die in Orangen- und
Zitronenkulturen südlicher Länder oft in derartiger
Masse auftritt, daß die ganzen Blätter wie mit
Mehl bestäubt erscheinen. Solche Pflanzen er-
kranken und liefern nur kümmerliche Früchte. In
unseren Breiten finden sich auf Kulturpflanzen die
Kohlmottenlaus und die Erdbeermottenlaus, die
aber in der Regel nicht in so großer Zahl auf-
treten, daß sie schädlich werden. Außerdem gibt
es viele harmlose Mottenläuse auf anderen Pflanzen,
so Aleurodes aceris auf dem Ahorn , Aleurodes
proletella, wie schon der Name andeuten soll, eine
der gemeinsten Formen, auf dem Schöllkraut. Die
Spezies, die Seh rader zu seinen Untersuchungen
gedient hat, ist Trialeurodes vaporariorum, eine
auf verschiedenen Nachtschattengewächsen lebende
Mottenlaus. Bei einer in Amerika lebenden Rasse
dieser Form kommen Männchen und Weibchen
in mehr oder weniger gleichem Verhältnis vor.
In England scheint neben dieser Rcisse eine andere
zu existieren, die lediglich aus Weibchen besteht.
Die Weibchen pflanzen sich offenbar partheno-
genetisch fort und erzeugen immer wieder Weib-
chen. Auch bei der amerikanischen Rasse gibt
es eine parthenogenetische Entwicklung, aber
hier gehen aus den unbefruchteten Eiern nur
Männchen hervor. Der Modus der Geschlechts-
bestimmung bei dieser Rasse wurde durch die
zytologische Untersuchung ermittelt.
Trialeurodes vaporariorum besitzt im weib-
lichen Geschlecht 22 Chromosomen. Vor der
Reifung der Eizellen findet eine paarweise Ver-
einigung der homologen Chromosomen statt, die
Doppelchromosomen werden zu Tetraden, und so
treten 11 Tetraden in die erste Reifungsteilung
ein. Da die einzelnen Komponenten der Tetraden
vor der Reifung miteinander verschmelzen, er-
scheinen allerdings die Doppelchromosomen in
der Äquatorialplatte der ersten Reifungsspindel
als einfache Gebilde. Auf dem Stadium der
Äquatorialplatte verharrt die Reifungsspindel, bis
das Ei abgelegt ist. Nur wenn die Ablage des
Eies verzögert wird, kann die erste Reifungsteilung
noch etwas weiter ablaufen. Die 1 1 Tetraden
werden geteilt, so daß 1 1 Dyaden in den ersten
Richtungskörper kommen , 11 im Ei verbleiben.
Der Richtungskörper bleibt unter der Oberfläche
des Eies liegen und trifft ebenso wie der Eikern
sogleich die Vorbereitungen zu einer neuen Tei-
lung. Der Richtungskörper ist meist in der Tei-
lung hinter dem Eikern etwas zurück, führt die
Teilung aber auch immer vollständig durch. So
erhalten wir vier Chromosomengruppen, jede aus
1 1 einfachen Chromosomen bestehend. Die
Richtungskörper bleiben alle drei im Eiplasma
unter der Oberfläche liegen und gehen nach
einiger Zeit zugrunde. Die innerste Chromosomen-
gruppe stellt den gereiften Eikern dar, oder viel-
mehr, sie wandelt sich in diesen um und wandert
ins Zentrum des Eies.
Ist das Ei unbesamt geblieben, so liefert der
Eikern im Zentrum des Eies allein die erste
Furchungsspindel mit 1 1 Chromosomen, der haplo-
iden Zahl. Diese Zahl wird während der ganzen
Entwicklung und auch beim ausgebildeten Indi-
viduum beibehalten, wie eine Untersuchung der
verschiedensten Somazellen zeigt. Immer ist es
ein Männchen, das aus einem solchen unbefruch-
teten Ei mit haploider Chromosomenzahl hervor-
geht.
Ist aber das Ei besamt worden, so trifft der
gereifte Eikern auf seiner Wanderung ins Eiinnere
auf den Samenkern, der inzwischen aus dem Kopf
des Spermatozoons hervorgegangen ist, und ver-
schmilzt mit diesem zu einem einheitlichen Fur-
chungskern. So wird hier die diploide Chromo-
somenzahl wieder hergestellt, und in die erste
Furchungsspindel treten 22 Chromosomen ein.
Aus dem befruchteten Ei entsteht ein Weibchen.
Wie läuft nun bei den Männchen dieser
Mottenlaus die Samenreifung ab ? Da die Männ-
chen haploide Organismen sind, müssen wir er-
warten, daß bei ihnen, ähnlich wie bei den Männ-
chen der Hymenopteren, die Reduktionsteilung
ausfällt. Das ist in der Tat der Fall. Bei den
Hymenopteren macht die Spermatozyte — man
möchte sagen — wenigstens noch den Versuch zu
der Reifungsteilung. Hier fällt sie vollständig aus.
Die einzige Spermatozytenteilung, die zur Bildung
der Spermatiden führt, ist eine Äquationsteilung
und unterscheidet sich in nichts von den voraus-
gehenden Spermatogonienteilungen. Da auch im
übrigen die „Spermatozyte" nicht die geringsten
Unterschiede gegenüber einer Spermatogonie auf-
weist — eine Wachstumsperiode fehlt vollkom-
men — , so ließe sich darüber streiten, ob über-
haupt von einer Spermatozyten- oder Reifungs-
teilung die Rede sein kann. Aus allen Sperma-
tiden gehen funktionsfähige Samenfäden hervor
— ■ weibchenbestimmende Spermatozoen mit II
Chromosomen.
Bleibt ein Weibchen unbegattet, so vermag es
nur Männchen hervorzubringen, ähnlich wie die
drohnenbrütige Bienenkönigin. Das regelrecht be-
gattete Weibchen erzeugt weibliche und männ-
liche Nachkommen, doch ist das Geschlechtsver-
hältnis sehr variabel; es ist wahrscheinlich von
äußeren Faktoren abhängig. Wie die Hymeno-
pterenweibchen den Charakter des abzulegenden
Eies bis zu einem gewissen Grade willkürlich zu
bestimmen vermögen, so scheint es auch bei der
untersuchten Mottenlaus zu sein.
Es wäre von besonderem Interesse, die eng-
lische Rasse von Trialeurodes vaporariorum, die an-
scheinend aus rein parthenogenetisch sich vermeh-
renden Weibchen besteht, *) auf ihre zytologischen
') Es wäre aber auch denkbar, dafi es sich um eine Form
mit Heterogonie handelt.
92
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 6
Verhältnisse hin zu untersuchen. Ist der Modus
der Geschlechtsbestimmung bei dieser Form ganz
ebenso wie bei den Hymenopteren, so sollte man
erwarten, daß die parthenogenetisch entstandenen
Weibchen diploid sind, daß sie aus Eiern ihren
Ursprung nehmen, in denen die Reduktionsteilung
unterbleibt.
Was uns aber den hier beschriebenen Fall als
besonders wertvoll erscheinen läßt, daß sind die
so außerordentlich klaren Chromosomenverhält-
nisse, die er bietet. Es ist kürzlich die Ansicht
geäußert worden, haploide Organismen seien nicht
lebensfähig, die haploide Natur der Hymenopteren-
männchen wurde angezweifelt. Läßt sich auch
die Haltlosigkeit einer solchen Auffassung ohne
Schwierigkeit darlegen, so muß doch zugegeben
werden, daß die Chromosomenverhältnisse bei den
Hymenopteren sehr ungünstig sind; nicht nur
sind die Chromosomen sehr klein und sehr zahl-
reich, die Chromosomen der Reifungsteilungen
sind Sammelchromosomen, die in den somatischen
Zellen wieder in geringerwertige Elemente zer-
fallen, und das erschwert weiterhin die Unter-
suchungen. Alle diese Schwierigkeiten bestehen
bei Trialeurodes nicht, hier tritt es klar zutage,
daß auch eine (die mütterliche) Chromosomen-
garnitur vollauf genügen kann, einen lebensfähigen
Organismus zu produzieren. In diesem Falle wie
in den anderen uns bisher bekannten Fällen ist
es immer ein Männchen, das auf diese Weise ent-
steht. Zwar lassen sich bei Trialeurodes ebenso-
wenig wie bei den Hymenopteren morphologisch
dififerente Geschlechtschromosomen nachweisen,
aber wir haben guten Grund zu der Annahme,
daß wie bei vielen Tieren so auch hier zwei Ge-
schlechtschromosomen oder zwei X das weibliche,
ein X das männliche Geschlecht bestimmen.
Nachtsheim.
(London) mitgeteilten Strukturen von abnormen
Liesegan gschen Schichtungen dürften die Er-
klärung noch erschweren.^)
Um den im Organismus auftretenden Bestand-
teilen möglichst nahe zu bleiben, verwendete H a t -
schek zum Studium die Bildung von Kalzium-
phosphaten in Gelatine -Gelen. Zu diesem
Zweck wurden Lösungen von Kalziumsalzen auf
mit Trinatriumphosphatlösung imprägnierte Gela-
tineschichten in Probiergläsern aufgefüllt, so daß
allmähliche Diffusion eintrat. Es zeigte sich ein
Unterschied im Reaktionsverlauf je nach der Her-
kunft der Gelatine. Übereinstimmend aber wurde
festgestellt, daß die Schichtenbildung von Kalzium-
phosphat von sehr großer Schärfe und Regel -
m ä ß i g k e i t war, vollkommen frei von Umsetzungs-
produkt in den Räumen zwischen den Nieder-
schlagsschichten. Aber daneben zeigten sich einige
sonderbare Anomalien.
So waren in einigen Fällen die Schichten g e -
krümmt, und zwar merkwürdigerweise mit der
konkaven Seite nach unten. In anderen
Fällen waren die Schichtungen durch 2—3 mm
breite Brücken miteinander verbunden. Endlich
aber zeigte sich in einigen Fällen, daß die Schich-
tungen weit voneinander entfernt lagen, und daß
gleichzeitig zwischen zwei Schichten von mikro-
skopischenKristallen drei Schichtungen
von makroskopischen Aggregaten gelegen
waren. Derartiges ist bisher nie beobachtet worden.
Eine Deutung mit heutigen Mitteln ist zunächst
unmöglich.
Es dürfte für Biologen wie Geologen von
hohem Belang sein, zu erkennen, daß, wie be-
schrieben, sehr viel verwickeltere Strukturen als
die bisher bekannten durch einfache, von außen
unbeeinflußte Diffusion sich zu bilden vermögen.
H. Heller.
Abnorme Liesegangsche Schichtniigeu.
Man versteht unter Liesegangschen Ringen ')
im allgemeinen bekanntlich rhythmische Fällungen
der verschiedensten Salze, wie sie bei der Diffusion
der ihnen zugrundeliegenden Lösungen in Gelatine
entstehen. Läßt man beispielsweise eine mit
Natriumchromat versetzte Gelatinelösung erstarren,
und bringt nachher einen Tropfen Silbernitratlösung
darauf, so diffundiert er in die Gelatine hinein und
fällt dabei naturgemäß das sehr schwerlösliche
rote Silberchromat aus, aber merkwürdigerweise
nicht gleichmäßig, sondern in zahlreichen
deutlich voneinander abgehobenen
Ringen. Diese oft untersuchte Erscheinung ist
von hervorragender Wichtigkeit für biologische
und geologische Schichtungen, beispielsweise wer-
den die Achatbänderungen darauf zurückgeführt.
Eine restlos einwandfreie Theorie darüber aber
besteht noch nicht. Die von Emil Hatschek
Die Polychromie des kolloidalen Schwefels.
Unter geeigneten Versuchsbedingungen durch-
läuft ein System kolloidalen Schwefels nahezu alle
Farben der Farbenskala. Diese Erscheinungen
sind deshalb besonders interessant, weil die zu
beobachtenden Farberscheinungen lediglich auf
dem Grade der Verteilung des Dispersoids
ohne weitere chemische Veränderungen beruhen.
Im Gegensatz zu den Metallsolen, bei denen be-
kanntlich ebenfalls lebhafte Farberscheinungen
wahrgenommen werden, ist das Dispersoid hier
ein Dielektrikum. Die Versuche bilden ein
besonders schönes Beispiel für die Beziehungen
zwischen Farbe und Dispersitätsgrad, ein Thema,
das heute besonders lebhaft erörtert wird; u. a.
werden von Wo. Ostwald auch die Farbum-
schläge bei den gebräuchlichen Indikatoren auf
kolloidale Phänomene, d. h. solche der Teilchen-
größe des Indikators zurückgeführt, worüber er in
eine Kontroverse mit Hantzsch, dem erfolg-
') Vgl. hierzu: ,, Liesegangsche Ringe" vom Verfasser;
Prometheus 30, S. 409 (Nr. 1561 (1919)).
') KoUoid-Zeitschr. 27, S. 225 (1920).
N. F. Joe. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
9i
reichen Erforscher der chemischen Natur der In-
dikatoren geraten ist.
Rudolf Auerbach^) geht von einer ~ -
20
Lösung von Natriumthiosulfat NaoSgOg aus. Wer-
den 10 ccm hiervon mit 9,9 com Wasser und
hierauf 0,1 ccm Phosphorsäurelösung (HgPOJ
von der Dichte 1,70 versetzt, so bemerkt man,
wie bei jedem Säurezusatz zu dem genannten Salz
zunächst eine schwache Trübung, dann gelbblaue
Opaleszenz eintritt, und hierauf verschiebt sich die
Durchsichtsfarbe allmählich von gelb über kreß, rot,
veil nach blau. Alsdann fällt der abgeschiedene
Schwefel aus und setzt sich als Niederschlag zu
Boden. Ein Versuch, der sich im Probierglas an-
stellen läßt und innerhalb etwa 20 Minuten be-
endet ist.
Quantitativ ließ sich die Farbenskala nun mes-
sen mittels der Farbnormen von Wi. Ostwald-)
derart, daß das Bild der in einer Küvette befind-
lichen Lösung auf einen Schirm von Normalweiß
geworfen und daselbst mit den Ostwaldschen
Normalaufstrichen verglichen wurde. Gegen Ende
der Umsetzung wird die Messung ungenau infolge
wachsenden Weißgehaltes. Der Verlauf der
Trübung des Gesichtsfeldes ist nun sehr inter-
essant. Man erkennt bei Kreß 10 einen Knick
im Weißgehalt und der Schwarzgehalt der Farb-
töne nimmt plötzlich stark zu. Dieser Punkt ist
als Beginn der Flockung zu betrachten. Er
ist nach etwa 3 Sekunden erreicht. Von da an
werden die Farben wachsend trüber, bis nach
Eintritt des Blau der bunte Farbton verschwindet
und man in die Grau reihe hineinkommt. Hier
beginnt der Schwefel sich abzusetzen, und man
kommt durch die verschiedenen Grau nach dem
reinen Weiß zurück. Die Messung ergab einen
hohen Gehalt an Vollfarben in den bunten Sta-
dien. Da das Beersche Gesetz als gültig be-
funden wurde, so sind die Farbänderungen nicht
als Folge der wachsenden Schwefelkonzentration
aufzufassen.
Aus Vorstehendem ergibt sich eine neue Be-
stätigung des Satzes von Wo. Ostwald, nach
dem sich das Maximum der Absorption disperser
Systeme mit abnehmendem Grade der Dis-
persion nach dem langwelligen Ende des
Spektrums zu verschieben pflegt.
H. Heller.
Die Herkunft des Benzols bei der Leuchtgas-
gewinnung.
Hierüber liegt eine neue Arbeit von Franz
Fischer und H. Schrader vor.'') Benzol ist
M Kolloid-Zeitschrift 27, S. 223 (1920).
^) Vgl. „Ostwalds Forschungen 2ur Farbenlehre" vom
Verfasser, Naturw. Wochenschr. N. F. 19, Heft 9, S. 129
(1920). Darin auch Erklärung der hier gebrauchten Farb-
benennungen.
') Franz Fischer und H. Schrader, Brennstoff-
Chemie I. Bd., S. 4 (1920).
das wichtigste Ausgangsmaterial für die Darstellung
aromatischer Verbindungen. Es wird der Haupt-
menge nach als „Nebenerzeugnis" der Gasanstalten
und Kokereien gewonnen, also aus rohen Kohlen
bei hohen Temperaturen. Die Frage, auf welche
Weise es hieraus entstehe, hat offenbar ein hohes
theoretisches, in gleichem Maße aber auch prak-
tisches Interesse. Kann man doch hoffen durch
Kenntnis der Entstehung die dazu führenden Um-
setzungen und Bedingungen derart willkürlich zu
beeinflussen, daß der wertvolle Stoff in der theo-
retisch höchstmöglichen Menge gewonnen wird.
Für die Theorie war die Frage in mehrfacher Hin-
sicht von Belang.
B u 1 1 e r o w zuerst gelang es, beim Leiten von
Azetylen durch glühende Röhren Benzol synthe-
tisch zu erzeugen. Man nahm früher auf Grund
dieser Reaktion an, daß das Kokereibenzol in ähn-
licher Weise entstehe, etwa so, daß normale Kohlen-
wasserstoffe durch thermische Zersetzung unter
Ringschluß zusammentreten. Für z. B. Hexan
ergäbe sich etwa das Schema
CH.2 — CHj
CH.,
CH
CHa,
chJ
CHy
CH,
^,CH,
CH,
CH,
,CH
chI Jch
CHj— CH3 CHj CH
1896 aber zeigte Haber, daß Hexan bei der
thermischen Zersetzung nur ganz geringe Mengen
von Benzol liefert. Dieser Weg konnte also
nicht der sein, der in der Kokerei vorliegt. Man
dachte dann daran, daß aus Paraffinen, Naphtenen
ungesättigte Verbindungen entstehen könnten,
die sich dem Azetylen ähnlich verhielten.
Auch dagegen sprach der Versuch, der, während
des Krieges in Amerika durchgeführt, klägliche
Benzolausbeuten ergab. Endlich meinte man auch,
daß in den Kokereigasen Azetylen selbst entstehe
und sich zum Benzol kondensiere. Über die Her-
kunft des Azetylens aber wußte man nichts aus-
zusagen.
Nun ist durch die Arbeiten der letzten Jahre,
an denen die beiden Forscher hervorragenden An-
teil haben, festgestellt worden, daß bei vermindertem
Druck und tiefen Temperaturen aus der Kohle
der sog. U r t e e r entsteht, der beim gewöhnlichen
Kokereiverfahren natürlich ebenfalls primär auf-
treten muß. Der Urteer also muß diejenigen
Stoffe enthalten, aus denen infolge weitergehender
Zerlegung das Benzol hervorgeht. Urteer besteht
im wesentlichen aus zwei großen Stoffklassen,
aus dem Erdöl ähnlichen Kohlenwasserstoffen und
aus Phenolen, d. h. also ringförmigen Verbindungen.
Aus welchem Anteil kommt das Benzol?
Die Anwort ist nach Obigem naheliegend : da
aus aliphatischen Verbindungen nicht oder wenig
Benzol entsteht, so müssen die Urteerphenole da-
für verantwortlich gemacht werden. Ein einfacher
Reduktionsvorgang würde zur Entstehung hin-
reichend sein. Die Untersuchung bestätigte den
Schluß in vollem Umfange. Wurde z. B. o-Kresol
94
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 6
mit Wasserstoff bei 700 — 800 Grad durch ein
Porzellanrohr geschickt, so trat die Bildung von
benzolartigen Flüssigkeiten ein. Daneben fand
sich stets Methan. Es muß mithin eine vollstän-
dige Reduktion aller Seitenketten stattfinden:
CH3
CHs
/\0H
+
H^ = f 1 + H
Kresol
Toluol
CH3
^^
H,
= 1 1 + CH^.
\y
Benzol Methan
Bei dieser in thermochemischer Beziehung
wichtigen Umsetzung ergab sich nun ein be-
merkenswerter Einfluß der Gefäßwandungen auf
den glatten Verlauf des Prozesses. In Eisenröhren
nämlich trat starke Rußabscheidung und Verminde-
rung der Benzolausbeuten ein. Erst ein ver-
zinntes Rohr lieferte Benzolkohlenwasserstoffe
bis zu 78 "/o ohne jegliche Kohlenstoffabscheidung,
vermutlich deshalb, weil Zinn nicht imstande ist,
Karbide zu bilden.
Durch diese Versuche ist die Entstehung des
Benzols in den Kokereien und in der Gasretorte
aufgeklärt Daneben ist das allgemein wichtige
Ergebnis gezeitigt worden, daß Benzolhomologe
durch Reduktion quantitativ ihre Seitenketten
verlieren und in Benzol übergehen können. Dies
ist ein für die präparative Chemie zweifellos
wichtiger Befund. Für die Technik ist ein
gangbarer Weg gewiesen, die bei der Urteerge-
winnung in großen Mengen anfallenden Phenole
in kostbares Benzol überzuführen, und zwar auf
eine Weise, die den Anforderungen wissenschaft-
licher Betriebsweise entspricht, dabei aber nicht
mit Unkosten verknüpft ist. H. H.
Bleiwasserstotf zum ersten Male dargestellt.
Nachdem vor kurzem die Entdeckung zweier
neuer gasförmiger Hydride , des Wismut- und
des Zinnwasserstoffs, gelungen war, lag es
nahe, nach dem Analogen dieser Stoffe, dem
Blei Wasserstoff, zu forschen. Diese Arbeiten sind
nach vielen vergeblichen und äußerst mühevollen
Versuchen nunmehr von Erfolg gekrönt worden.
Zwar gelang es Fritz Paneth (Hamburg) und
O. Nörring") einstweilen nicht, wie bei den
beiden anderen Metallen, den gesuchten Bleiwasser-
stoff aus Blei-Magnesiumlegierungen darzustellen,
dagegen führte eine andere nicht minder inter-
essante Methode zum Ziel. Tellur und Arsen
lassen sich durch Gleichstromelektrolyse in die
') In der Urabbandlung durch grobe Druckfehler ent-
stellt!
') I: Berichte d. deutsch. Chem. Geselisch. 53, S. 1693
(1920). II: Zeitschr. f. Elektrochemie 26, S. 452 (1920).
Hydride überführen ; andererseits gelingt es durch
elektrische Zerstäubung mittels Induktionsfunken
in Wasserstoffatmosphäre oder durch kolloidale
Zerteilungen ') Hydride herzustellen. Beide Wege
versagten beim Blei, führten aber zu dem ge-
suchten Hydrid, wenn sie auf eine ebenso einfache
wie sinnreiche Weise miteinander gekoppelt
wurden.
Eine Schwefelsäurelösung wurde bei 220 Volt
mit einer in besonderer Weise konstruierten
B 1 e i kathode elektrolysiert. Hierdurch trat augen-
blicklich in der bekannten Weise kathodische
Wasserstoffentwicklung auf. Infolge der besonde-
ren Form der Kathode (deren Herstellung im
Original I nachzulesen ist) bildet der Wasserstoff
eine Hülle um das Blei, so daß momentan Strom-
unterbrechung eintritt. Alsbald hört die Gasent-
wicklung auf, die Säure gelangt wieder an die
Kathode, es tritt neue Wasserstoffentwicklung auf
usw. Nun ist jede dieser Stromunterbrechungen
mit kräftigen Funken an der Kathode verbun-
den. Sie bewirken ein teilweises Verdampfen des
Metalls, das mit dem ja unmittelbar vorher ent-
standenen Wasserstoff nunmehr zum Bleiwasser-
stoff zusammentritt. Unter geeigneten Versuchs-
bedingungen ist das Funken sehr regelmäßig und
lebhaft und damit die Bildung des Hydrids stetig
gewährleistet.
Mit dem Strom des molekular entweichenden
Wasserstoffs geht der gasförmige Bleiwasserstoff
hinweg. Sein Nachweis gestaltet sich nicht eben ein-
fach, gelang jedoch schließlich auf folgende Weise.
Durch die Zerstäubung entstandenes Blei wurde
natürlich im Gasstrom mitgerissen. Es wurde
durch dichte Wattefilter zurückgehalten. Das
gebildete Hydrid wurde in einem mit flüssi-
ger Luft gekühlten Gefäß kondensiert. Wurde
die Kühlung alsdann aufgehoben, so verdampfte
der Bleiwasserstoff wieder und konnte in einer
angeschlossenen Marsh sehen Röhre durch Bildung
eines Bleispiegels nachgewiesen werden. Da-
mit ist einwandfrei erwiesen, daß in der Tat ein
gasförmiger Beiwasserstoff entsteht und es sich
nicht nur um eine Suspension von Bleiteilchen
kleinster Ausmessung in Wasserstoff handelt. Die
Identifizierung des Bleispiegels, der den bekannten
Arsen- bzw. Antimonspiegeln ganz analog ist, ge-
schah u. a. durch Zufügen eines Körnchen Jods,
wodurch der graue Bleibeschlag beim Erwärmen
plötzlich in das gelbe Jodid überging.
Nun ließ sich ein Bleispiegel solcher Art dar-
stellen gleichgültig, ob man Schwefelsäure oder
Kaliumhydroxydlösung elektrolysierte. Es kann
mithin nur eine Umsetzung zwischen Blei und
dem beiden Elektrolyten gemeinsamen Wasser
stattgefunden haben. Da ferner gasförmige Oxyde
oder Hydroxyde des Bleis nicht wahrscheinlich
sind, so muß als sichergestellt gelten, daß sich
der kathodisch entwickelte Wasserstoff mit dem
Blei zu dem erwarteten Hydrid vereinigt hat.
Vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. 18, S. 427 (1919)-
N. F. XX. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
55
allerdings , so ist hinzuzufügen, erst nachdem
Funken durchschlag stattgefunden hat. Ohne
diese fand keine nachweisbare Hydridbildung statt.
Es ist mithin weiter anzunehmen, daß entweder
durch die F"unken entstehender atomarer Wasser-
stoff in statu nascendi sich mit dem fein zer-
stäubten Blei verbindet, oder aber, daß aktiver
Wasserstoff Hg ') für die Hydrierung verantwort-
lich gemacht werden muß, was deshalb wahr-
scheinlich ist, weil er mit Schwefel, Arsen usw.
unmittelbar Hydride ergibt.
Im Anschluß an diese Untersuchungen erörtert
P a n e t h die Frage , welche Elemente gas-
förmige Hydride zu bilden imstande
sind? Meist nimmt man an, daß solche Hydride
nur von Nichtmetallen gebildet werden, so
daß man im allgemeinen sie geradezu als ein
Kennzeichen dieser betrachtet, während die Hy-
dride von Metallen entweder fest -) oder nicht
unzersetzt vergasbar seien. Mit der Entdeckung
des Zinn-, vor allem aber des Bleiwasserstoffs ist
jedoch dieser Satz nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Zu einer überraschenden Gruppierung der Ele-
mente mit gasförmigen Wasserstoffverbindungen
gelangt man nun, wenn das periodische Sy-
stem in der Anordnung von Staigmüller^)
betrachtet wird. Man ersieht daraus sofort, daß
eine scharfe Trennungslinie zwischen den genannten
und anderen Elementen mit gasförmigen Hydriden
(insgesamt sind es 20) und denjenigen Grundstoffen
ohne dieses Kennzeichen möglich ist. Nur das
Bor steht außerhalb dieser Gruppe. Diese Schar
von Elementen aber umfaßt alle die, die I — 4
Stellen vor einem Edelgas stehen. Diese
Eigenart steht mit dem elektronen Atombau natur-
gemäß in engsten Beziehungen, die hier jedoch
noch nicht berührt werden sollen. Im übrigen
beweist die Entdeckung des Bleiwasserstoffs, daß
die Stellung des Bleis im Periodischen System
neben Silicium und Zinn in der gleichen Gruppe
auch valenzchemisch gerechtfertigt ist.
Der Berichterstatter möchte nicht unterlassen
hinzuzufügen, daß die Arbeit Pan eths ein Muster
chemischer Methodik und bester Experimeniier-
kunst ist, und eine schlechthin klassische Leistung
genannt zu werden verdient. H. Heller.
Die Ursache der Unterschreitung des
Eienientarquantunis.
Hierüber macht E. Regener eine wichtige
Mitteilung.^) In einem Aufsatz in dieser Zeit-
schrift ') hatte der Unterzeichnete beiläufig er-
wähnt, daß neuere Messungen von F. Ehren-
haft*") ergeben haben, daß die Ladung des
') Vg'- iiOzonform des Wasserstoffs", Ref. in Naturw.
Wochenschr. N. F. 19, S. 527 (1920).
') ^g'- i.Wasseritoff, die schwächste Säure", Ref. in Na-
turw. Wochenschr. N. F. 19, S. 782 (1920).
') Zeitschr. f. physik. Chemie 39, S. 245 (1902).
*) Königl. PreuS. Akad. d. Wissensch., Berlin 1920, S. 632.
*j Naturw. Wochenschr. N. F. XVIII, Nr. 20, S. 275.
») Annalen d. Physik 56, I9l8ff.
Elektrons, des kleinst möglichen elektrischen Quan-
tums, Werte annehmen könne, die weit unter-
halb dessen liegen, der bisher auf verschiedene
Weise als die absolut kleinste existenzfähige Menge
angenommen werden mußte. Daraus war ohne
nähere Kritik der erwähnten Untersuchungser-
gebnisse gefolgert worden, daß „die Atomistik
der Elektrizität sehr in Frage gestellt" sei. Die
Bedeutung einer solchen Möglichkeit bedarf nicht
der Erörterung. Es ist darum von Wichtigkeit,
daß Regener zu einer ganz anderen Deutung
der an sich einwandfreien Messungen Ehren-
hafts kommt. Er macht nämlich sehr wahr-
scheinhch, daß die Unterschreitung des Elementar-
quantums in den genannten Arbeiten nur schein-
bar sei.
Die Begründung dieser Auffassung wird ge-
wonnen aus Versuchen, die im Auftrage Rege-
ners von E. Radel gemacht wurden. Dieser
stellte Ladungsmessungen an Teilchen an, deren
Größe in dem weiten Intervall von 2,8 -lO^^ bis
8-io~* cm Radius gelegen war. Wurde an diesen
nach der ursprünglichen Methode (Beobachtung
der Steig- und Fallgeschwindigkeit im elektrischen
und Gravitationsfeld) gemessen, so ergab sich bei
Anwendung des Widerstandsgesetzes von Stokes-
Cunningham immer dann der bekannte Wert
der Elementarladung von ca. 4,8- lo^^*^, wenn die
Radien der Teilchen größer waren als etwa
2,7 • 10^^ cm. Dabei war es ganz gleichgültig, ob
an Teilchen aus Kolophonium, Paraffinöl, Queck-
silber, Gold oder anderen Stoffen gemessen wurde.
Bei sehr kleinen Teilchen aber ergaben sich
in der Tat die von Ehrenhaft mitgeteilten
großen Unterschreitungen des Ladungs-
wertes. Sie müssen jedoch als nur scheinbar
reell gewertet werden. Denn wenn der Ladungs-
wert bei diesen aus der Brownschen Be-
wegung berechnet wurde, so ergab sich eben-
falls ein Mhtelwert nahe dem bekannten von
4,8-10""'*'! Nun kommt bei der letztgenannten
Art der Berechnung ein Faktor nicht vor, der
in der ersten Rechnung enthalten ist: der Radius
der Teilchen. Er also muß für den Widerspruch
verant wertlich gemacht werden.
R e g e n e r macht über den Einfluß des Radius
nun folgende Erörterungen. Jedes Teilchen ver-
dichtet auf sich eine Gasschicht. Diese ver-
größert die Reibung der Teilchen am umgeben-
den Gas. Im allgemeinen ohne Belang wird der
Wert dieser Reibungseinflüsse nun von Bedeutung,
wenn es sich um sehr kleine Teilchen handelt.
Alsdann nämlich läßt er die Beweglichkeit
geringer erscheinen. Man findet infolgedessen
rechnerisch eine bewegende Kraft der Teilchen,
die ohne den Reibungseinfluß größer gefunden
würde. Aus der Bewegungskraft aber ermittelt
man die Ladung, und so wird auch sie unter
den angegebenen Umständen zu klein ge-
funden.
Radel hat sogar die Grenze, bei der die hier
geschilderten Einflüsse wirksam zu werden be-
96
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
N. F. XX. Nr. 6
ginnen, genau bestimmen können. Goldteilchen
von 2,7 • io~^ cm Radius zeigen noch das richtige
Quantum , aber bereits Teilchen von 1,5 bis
2,o. 10^^ cm zeigen nur mehr die halbe Ladung.
Der Radius ist in erster Linie von der Dichte der
Substanz abhängig. Daraus folgert Regen er
weiter, daß die Teilchen mit einer gegen die Ober-
fläche hin zunehmenden Gasschicht umhüllt sind.
Diese Ausführungen sind so überzeugend, daß
sich die aufsehenerregenden Versuchsergebnisse
Ehrenhafts damit erledigt haben dürften.
Hans Heller.
Bücherbesprechungen.
Eilers , Georg , Am Schattenstab, eine
Himmelskunde in geschichtlicher An-
ordnung. 192 S. Braunschweig 1920, Georg
Westermann. Geb. 16 M.
Scheiner, J., DerBau desWeltalls. 5. Aufl.
Von Prof. Dr. Guthnick. 120 S. Leipzig 1920,
Teubner.
Peter, B. , Die Planeten. 2. Aug. Von Dr.
Hans Naumann. 125 S. Leipzig 1920, Teubner.
Voigt, Dr. Ing. e. h.. Eis, ein Weltenbau-
stoff, gemeinfaßliche Einführung in Hörbigers
Glazialkosmogonie (Welteislehre). 312 S. mit
Atlas, 15 Tafeln in Quart. Berlin 1920, Her-
mann Paetel. Geh. 24 M., geb. 32 M.
Das erste Werk, mit hübschen Bildern und
Zeichnungen, wendet sich an solche, die ohne
Vorkenntnisse in die Astronomie eindringen
wollen, es ist sehr anschaulich und mit großem
pädagogischen Geschick geschrieben, und stellt
den Werdegang der Astronomie von der Urzeit
her dar, wo man die ersten Messungen der Zeit
am Schattenstab vornahm. Als Geschenk vorzüg-
lich geeignet, wird es jedem Anfänger eine reine
Freude bereiten. Die beiden nächsten Bücher
sind aus der Sammlung „Natur und Geisteswelt",
und beide durch ihre neuen Verfasser auf den
gegenwärtigen Stand der Forschung gebracht. Bei
der Beschreibung der Planeten ist leider die so
sehr ausführliche und brauchbare Erklärung der
Marserscheinungen von Bau mann nicht benutzt,
die doch vieles von dem Rätselhaften sehr be-
friedigend erklärt. Sonst ist das gegebene Material
gut und reichhaltig. Ganz ausgezeichnet ist die
Darstellung Guthnicks über den Bau des Welt-
alls. Man stellt auf jeder Seite den erfahrenen
Beobachter und Forscher fest, der hier aus Eige-
nem berichtet. Die Ergebnisse der Sonnenforschung,
die der Spektralanalyse auf allen Gebieten sind
so eingehend dargestellt, als es der beschränkte
Raum gestattet. Mit besonderer Befriedigung
wird man aber die beiden letzten Abschnitte
studieren über die Fixsterne und die Nebelflecken
und über den äußeren Bau des Weltalls. Gerade
hier wird gegenwärtig ungeheuer viel gearbeitet,
und es ist schwer, die Ergebnisse zu finden, die
hier in übersichtlicher Weise zusammengestellt
werden, unter stetem Hinweis auf das Proble-
matische, das vielen Ergebnissen noch anhaftet.
Über die Hör biger sehe Glazialkosmogonie
ist hier Bd. 191 3, S. 561 ausführlich die Rede
gewesen. Wegen des allzu großen Umfanges des
Originalwerkes hat hier Voigt die wichtigsten
Gedankengänge klar dargestellt, der Atlas stellt
die Vorgänge bildlich dar, und gibt Abbildungen
aus der Sternenwelt. Soviel man auch kritisch
zu dieser Kosmogonie sagen kann, sie ist jeden-
falls eine schöpferische Idee und jeder, der sich
mit kosmologischen Problemen befaßt, kann hier
die Vielseitigkeit bewundern, mit der der an sich
einfache Grundgedanke vom Welteneis auf Pro-
bleme der verschiedensten Art vom Fixstern bis
zur Eiszeit und dem Hagelwettern angewendet
worden ist. Der Preis ist für das Gebotene billig
zu nennen. Riem.
Förster, Wilhelm Die Freude an derAstro-
nomie. 2. Aufl. 32 S. Berlin 1920, Ferd.
Dümmler. Brosch. 2,50 M.
An einen sehr interessanten kulturgeschicht-
lichen Rückblick, in dem eine Szene aus dem jetzt
kaum bekannten Kindermärchen von Tieck, „Der
gestiefelte Kater" eine Rolle spielt, in der König,
Gelehrter und Hofnarr sich über die großen Zahlen
der Astronomie unterhalten, an Erinnerungen an
Alexander v. Humboldt und dessen Kosmos
knüpft der Verfasser Betrachtungen, wie auch der
Laie von der bloßen Freude an der Schönheit
des Sternhimmels fortschreiten kann zur tätigen
Mitarbeit auf vielen Gebieten, auf denen schon
mit geringen Mitteln, aber mit Sorgfalt und Aus-
dauer etwas geleistet werden kann, was wissen-
schaftlichen Wert haben kann. Riem.
Inhalt: E. Krenkel, Über Moorbildungen im tropischen Afrika. S. 81. E. J. Gumbel, Spekulatives über die Endlich-
keit der Welt. S. 85. W. Halbfaß, Zum Kreislaufprozefi des Wassers. S. 86. — Einzelberichte: O. Mügge, Petro-
graphie des älteren Paläozoikums zwischen Albungen und Witzhausen. S. 86. H. Schneiderhöhn, Asphaltgänge
im Fiscbflußsandstein im Süden von Siidwestafrika. S. 89. Bergstrand, Entfernung des großen Orionnebels. S. 90.
Schrader, Die Geschlechtsbestimmung bei den Mottenläusen. S. 90. E. Hatschek, Abnorme Liesegangsche Schich-
tungen. S. 92. R. Auerbach, Die Polychromie des kolloidalen Schwefels. S. 92. Fr. Fischer und H. Schrader,
Die Herkunft des Benzols bei der Leuchtgasgewinnung. S. 93. F. Paneth, Bleiwasserstoff zum ersten Male darge-
stellt. S. 94. E. Regener, Die Ursache der Unterschreitung des Elementarquantums. S. 95. — Bücherbesprechun-
gen: G. Eilers, Am Schattenstab. J. Scheiner, Der Bau des Weltalls. B. Peter, Die Planeten. Voigt, Eis,
ein Weltbaustoff. S. 96. W. Förster, Die Freude an der Astronomie. S. 96.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folge so. Band;
der ganien Reibe j6. Band.
Sonntag, den 13. Februar 1921.
Nummer 7.
Wind und Wetter als Feldwirkiingen der Schwerkraft.
[Nachdiuck verboten.]
Von Dr. phil. H. Fricke.
Mit 5 Abbildungen im Text.
Die Ergebnisse der britisciien Expeditionen
zur Beobachtung der Sonnenfinsternis vom 30. Mai
1919 scheinen die Auffassung zu bestätigen, daß
das Gravitationsfeld die Lichtstrahlen ablenkt. Man
hat darin bekanntlich einen Beweis für die Ein-
steinsche Relativitätstheorie erblicken wollen,
doch läßt sich die Erscheinung wohl natürlicher
mit der Äthervorstellung in Zusammenhang
bringen. ') Die neu entdeckte Erscheinung
zeigt im Grunde ja weiter nichts, als daß der
Äther im Schwerkraftfelde seine Struktur geändert
haben muß, derart, daß das Licht nicht nach allen
Seiten sich mit der gleichen Geschwindigkeit fort-
pflanzt. Damit wäre jedoch eine Erscheinung ent-
deckt, die über das Wesen der bisher so geheim-
nisvollen Schwerkraft etwas Wichtiges aussagt. Sie
zeigt, daß die Gravitation, die seit Newton durch
ihre Zeit- und Widerstandslosigkeit eine Sonder-
stellung unter den Naturkräften einzunehmen schien,
Ähnlichkeit mit dem elektromagnetischen Kraft
felde besitzt, und dieses stellt man sich seit Fa-
raday bekanntlich als einen elastischen Zwangs-
zustand im Äther vor. Es wäre damit eine Un-
vollständigkeit in der von Newton gegebenen
Darstellung der Schwerkraft nachgewiesen. Aller-
dings hatte man diese Lückenhaftigkeit bereits
lange vor Einstein erkannt, wie die Arbeiten von
Riemann, W. Weber, Tisserand, Gerber,
Levy^) u. a. beweisen. Bei allen bisher unter-
suchten Abweichungen von der Newtonschen
Theorie handelt es sich jedoch um Störungen
höherer Ordnung, die eben an der Grenze der
Nachweisbarkeit liegen.
Demgegenüber soll hier die Aufmerksamkeit
auf Wirkungen gelenkt werden, die ganz unmittel-
bar in bisher unerklärter Weise mit der Schwer-
kraft zusammenzuhängen scheinen und die zu den
gewaltigsten und auffallendsten Naturerscheinungen
auf der Erdoberfläche gehören. Gemeint ist vor
allem die unten genauer beschriebene tägliche
Doppelschwingung des Barometers, die
Ebbe und Flut im Luftmeer der Erde. Es ist
jedoch nicht ausgeschlossen, daß der größte Teil
der geophysikalischen Erscheinungen überhaupt
') Vgl. hierzu die Arbeit E. Wiecherls; „Die Gravi-
tation als elektrodynamische Erscheinung" in den Annalen der
Physik, 1920, Bd. 63, S. 301 ; ferner die Darstellung der
Arbeilen L. Silbersteins, Physikal. Berichte, 1920,
S. 1514— 16.
') Vgl. die Darstellung von Zenneck über die Gravi-
tation in der Enzyclopädie der math. Wissenschaften. Leipzig,
Teubners Verlag, 1903. Bd. V, I, bes. S. 35— ?3; f"°" <"*=
oben angeführte Arbeit von Wjechert.
— Wetterstürme, Erdbeben, Vulkane und gebirgs-
bildende Kräfte, für die eine allgemein anerkannte
Erklärung bisher merkwürdigerweise nicht ge-
funden ist — sich einheitlich als Feld wirkungen
bisher unbekannter Art der sich fortwährend in-
einander verdrehenden kosmischen Schwerkraft-
felder darstellen lassen. Die Newton sehe Theorie
kann zu einer solchen Erklärung nicht führen, da
sie Widerstände bei den Bewegungen der Schwer-
kraftfelder nicht kennt. Doch ist Newtons Auf-
fassung logisch kaum haltbar, da eine Kraft nur
da wirken kann, wo sie auf Widerstände stößt.
Die Mängel der Newtonschen Theorie scheinen
also viel offener zutage zu liegen, als man bis-
her ahnte.
Es soll hier nun an der Hand von Abbil-
dungen gezeigt werden, daß die tägliche Doppel-
schwingung des Barometers genau mit Struktur-
änderungen des Schwerkraftfeldes parallel läuft.
Nur der Umstand, daß die mehr als 200 Jahre
alte Newtonsche Theorie Feldwirkungen dieser
Art nicht kannte, scheint die klare Einsicht in die
einfachen Zusammenhänge bisher verhindert zu
haben.
Die erste Abbildung erklärt zunächst einmal
den merkwürdigen Umstand, daß wir auf der Erde
von einer Anziehungskraft der Sonne nichts merken.
Man sollte meinen, daß die Gravitation auf der
Erde einen höheren Wert besitzen müßte, wenn
die Sonne in Richtung des Erdmittelpunktes steht,
und ihre Wirkung zu der der Erde sich addiert,
als wenn sie senkrecht über uns steht und der
Erde entgegenwirkt. Nach der Newtonschen
Theorie wird die Soiinenanziehung jedoch durch
die Trägheitsbewegung der Erde ausgeglichen.
Man kann die Erdbahn mit genügender Annähe-
rung als einen Kreis betrachten; die Sonnenan-
ziehung wird dann durch die Zentrifugalkraft der
Erdbewegung aufgehoben, die scheinbar relativ zu
einer ruhend gedachten Erde entsteht. Die Erde
steht im Schwerkraftfelde der Sonne also dauernd
unter der Wirkung zweier entgegengesetzt gleicher
Kräfte, der Sonnenanziehung und der Fliehkraft
ihrer Bahn. Nach der Newtonschen Auffassung,
die Widerstände im Schwerkraftfelde nicht kennt,
heben sich diese Kräfte in allen Teilen der Erde
vollständig auf. Viel wahrscheinlicher ist jedoch,
daß das Gleichgewicht zwischen den beiden gleich
starken Gegenkräften erst eintritt, wenn der Erd-
körper seine Struktur geändert hat und in einen
inneren Spannungszustand versetzt ist. Schon die
einfache Logik fordert eine solche Annahme ; denn
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N. F. XX. Nr. 7
wenn die Newton sehe Auffassung richtig wäre,
so würde sich die Erde in einem vollkommen
kräftefreien Räume genau so wie in dem Schwer-
kraft-Trägheitsfelde der Sonne verhalten, in dem
zweifellos in verschiedenen Richtungen verschiedene
Kräfte wirksam sind, das also relativ zur Sonne
„polarisiert" ist. An elastische Feldwirkungen dieser
Art, die bei den elektromagnetischen
Kräften stets auftreten, scheint man bei der
Schwerkraft bisher gar nicht gedacht zu haben.
,"
^
Abb.
Abb. 2 soll nun ganz schematisch die zunächst
als starr betrachtete Erde und ihr elastisches Luft-
meer veranschaulichen, wie es
Abb. 2.
ohne ein fremdes Kraftfeld aussehen wird. Abb. 3
dagegen soll die Wirkung des als relativ zur Erde
ruhend gedachten Sonnenfeldes zeigen, wie es sich
als Folge der in Abb. i veranschaulichten Kräfte
darstellen muß. Die aus den Schwerkraft- und
Trägheitswirkungen sich zusammensetzenden Kraft-
linien entsprechen ganz den Kraftröhren Fara-
days, in deren Längsrichtung ein Zug, in deren
Querrichtung ein Druck herrscht. Der Mechanis-
mus der Äiherbewegungen, der einen solchen
Spannungszustand erklärt, kann vorläufig unerörtert
bleiben. Doch mag erwähnt werden, daß mög-
licherweise infolge einer Schirmwirkung des ge-
waltigen Erdkörpers auf der der Sonne zuge-
kehrten Seite die Sonnenanziehung, auf der ent-
gegengesetzten Seite die Fliehkraft stärker wirk-
sam ist. Auf den dadurch elastisch gespannten
Erdkörper würde dann noch seitlich die Quer-
kontraktion wirken (Abb. 3).
AA^i^^A^AtA
Y Y t t y V y t y V V
Abb. 3.
Nun verhält sich nach Lord Kelvin der Erd-
körper kosmischen Kräften gegenüber wie der
beste Stahl, aus dem sein Inneres vermutlich auch
besteht. Nicht wie Stahl können sich jedoch die
weicheren Oberflächenschichten, vor allem aber
nicht die Lufthülle verhalten. Da diese keine
Gestaltselastizität besitzt, muß sie den inneren
Kraft wirkungen nachgeben, es tritt ein F 1 i e ß e n ,
eine Strömung ein. Es muß also auf den der
Sonne zugewendeten und den ihr gerade gegen-
überliegenden Teilen der Erde eine aufsteigende,
auflockernde Luftströmung, auf den seitlich dazu
liegenden Erdteilen dagegen eine absteigende,
verdichtende Luftströmung entstehen.
Nun ruht die Erde jedoch nicht im Schwere-
felde, sondern dreht sich fortgesetzt darin. Je
nach dem Stande der Sonne muß die Erscheinung
sich daher im steten Wechselspiele wiederholen.
Abb. 4 stellt einen Querschnitt durch die Äqua-
torialebene der Erde dar und veranschaulicht die
Verhältnisse zur Zeit der Nachtgleichen. Man
kann das Kraftfeld der Sonne in vier Quadranten
teilen; in je zwei gegenüberliegenden herrschen
die gleichen Zustände. In dem der Sonne zuge-
kehrten und dem gegenüberliegenden Quadranten
überwiegt die auflockernde Komponente, in den
rechtwinklig zur Sonne stehenden die nieder-
drückende. Also von 3 Uhr morgens bis 9 Uhr
vormittags erzeugt die Sonnengravitation einen
absteigenden Luftstrom, so daß um 9 Uhr vor-
mittags ein Druckmaximum eintreten muß; von
da ab beginnt allmählich die Auflockerung, die
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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bis 3 Uhr nachmittags dauert, so daß um diese
Zeit das Minimum eintritt. Von da an tritt wie-
der bis 9 Uhr abends Verdichtung, weiterhin bis
3 Uhr nachts Verdünnung ein. -Die Zeiten der
Luftverdichtung sind in der Abb. 4 durch schraf-
fierte Flächen angedeutet. Daß die Maxima und
IVIinima in Wirklichkeit erst eine Stunde später
eintreten — morgens um 10 Uhr ist ja eine be-
kannte Wetterkrisis — erklärt sich zwanglos aus
der Trägheit der Luft.
Dieser Verlauf der täglichen Barometer-
schwankung wird nun durch die Naturbeobachtung
in der allergroßartigsten Weise bestätigt. Abb. 5
stellt die täghche Doppeloszillation für verschiedene
Breitengrade dar. Ich entnehme einer Darstellung
von Hann') (in Himmel und Erde, VI, S. 345)
das folgende:
9^Jtm.
6^3Un.
if^Tlm.
tiefsten Stände. Die Luftdruckunterschiede er-
reichen und überschreiten selbst 3 mm, sind also
sehr in die Augen fallend. Die jetzt schon viel-
fach in Anwendung gebrachten, kontinuierlich die
Luftdruckänderungen aufzeichnenden Barographen
liefern Tag für Tag die gleichen schönen Doppel-
wellen, so daß es manchem fast langweilig und
unnötig erscheinen möchte, in solchen Gegenden
den Luftdruck regelmäßig aufzuzeichnen, der sich
ja vom Wetter ganz unabhängig gemacht hat
und keine Warnung mehr vor Witterungsände-
rungen zu geben vermag. In der Tat finden wir
bei einem sorgfältigen Beobachter in Gambia
(Westafrika, 13^2" nördlicher Breite) die von diesem
Standpunkte aus erklärliche, sonst aber doch
kuriose Bemerkung, „daß daselbst die Luftdruck-
beobachtungen wohl kein wissenschaftliches Inter-
esse haben, weil die Barometerschwankungen bei
jeder Witterung ganz gleichmäßig vor sich gehen
und der heftigste Tornado nicht den geringsten
Effekt darauf habe".
Trotzdem der kosmische Charakter der ganzen
Erscheinung eigenthch unverkennbar ist, hat die
Abb. 4.
bo'j\f:
„Die Regelmäßigkeit der stündlichen Schwan-
kungen des Barometers unter den Tropen", sagt
A. V. Humboldt, „ist so groß, daß man be-
sonders in den Tagesstunden die Zeit nach der
Höhe der Quecksilbersäule bestimmen kann, ohne
sich im Durchschnitte um 15 — 17 Minuten zu
irren. In der heißen Zone des Neuen Kontinentes,
an den Küsten wie auf Höhen von mehr als
12000 Fuß (3900 m), wo die mittlere Temperatur
auf 7 " herabsinkt, habe ich die Regelmäßigkeit
der Ebbe und Flut des Luftmeeres weder durch
Sturm, noch durch Gewitter, Regen und Erd-
beben gestört gefunden" (Kosmos, I, S. 336). Tag
für Tag erreicht das Barometer zwischen 9 und
10 Uhr vormittags und abends seine beiden höchsten
und um 4 Uhr morgens und abends seine beiden
') Vgl. auch Hann, Lehrbuch der Meteorologie, Leipzig
1906, bes. S. 138 flf.
meteorologische Wissenschaft bisher jeden Ver-
such einer solchen Erklärung mit Gründen abge-
wiesen, deren Unrichtigkeit ohne weiteres ersicht-
lich ist. So schreibt Hann in dem erwähnten
Aufsatze (S. 361): „Die tägliche Barometerschwan-
kung mit ihren zwei Maximis und Minimis hat
auf den ersten Blick die größte Ähnlichkeit mit
der Ebbe und Flut des Meeres. Man nennt sie
deshalb oft kurzweg „eine atmosphärische Ebbe
und Flut". So bezeichnend diese Ausdrucksweise
für die Art des Auftretens der täglichen Luft-
druckschwankung ist, so verfehlt wäre es, dabei
auch an eine ähnliche Ursache zu denken. Die
atmosphärischen Gezeiten können keine Gra-
vitationserscheinung sein, denn sonst
müßten sie vor allem dem Mondtag folgen und
nicht dem Sonnentag. Der Mond hat eine 2,2 mal
größere fluterzeugende Kraft als die Sonne, was
auch für die Atmosphäre gültig ist. Die Gravi-
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tationsfluten , die der Mond in der Atmosphäre
erzeugt, sind aber sowohl nach der Theorie, als
auch nach dem Ergebnis der Beobachtungen un-
merklich klein (o,o6 mm) und lassen sich gar
nicht vergleichen mit der geschilderten Barometer-
schwankung, die in nicht mißzuverstehender Weise
vom täglichen Laufe der Sonne abhängt."
Der Trugschluß in dieser Argumentation liegt
klar auf der Hand. Die Begriffe „Gravitations-
wirkungen" und „Ebbe und Flut erzeugende Kräfte"
sind miteinander verwechselt worden. Die Schwer-
kraftwirkungen entsprechen nach Newton der
Funktion -5 , worin m die Masse und r die Ent-
fernung bedeutet. Während die Schwerkraft der
Sonne auf der Erdoberfläche noch 0,6 Promille
der Erdschwere beträgt, ist die des Mondes nur
0,0000033 (ein Dreihunderttausendstel) der Erd-
schwere, also 200 mal schwächer als die der
Sonne. Wenn es also unmittelbare Wirkungen
des Schwerkraftfeldes gibt, wie es hier angenom-
men wird, so müssen diese der Sonne und
nicht dem Monde folgen! Eine Überschlags-
rechnung zeigt auch, daß die in den Tropen be-
obachtete Barometerschwankung der Größe nach
mit den Änderungen im Gravitationsfelde genau
übereinstimmt. Bei der Ebbe und Flut des Meeres
handelt es sich überhaupt nicht um eine solche
unmittelbare Schwerkraftwirkung, sondern um
eine Störung zweiter Ordnung (Differentialfunk-
tion), bei der Entfernungsänderungen infolge der
Erddrehung die Hauptrolle spielen ; diese Erschei-
nung, bei der der Mond wegen seiner großen
Nähe allerdings einen bedeutenderen Einfluß als
die Sonne ausübt, ist von einer viel geringeren
Größenordnung als das hier betrachtete I'hänomen.
Da in der Newtonschen Formulierung Feld-
wirkungen nicht vorkommen, glaubte man, die
der Sonnenbewegung genau folgende Luftdruck-
änderung könne nur durch die Wirkung der
Sonnenstrahlung verursacht worden sein. Nun
paßt der Gang der Temperatur mit seinem nur
einmal täglich eintretenden Maximum und Mini-
mum und seinen starken örtlichen Unterschieden
zu der so unverkennbar als Gravitationswirkung
verlaufenden Erscheinung wie die Faust aufs
Auge. Man fand aber doch einen Ausweg; man
sagte einfach, die tägliche Doppeloszillation sei
die erste Oberschwingung der durch rätselhafte
Widerstände unterdrückten Hauptschwingung —
eine Erklärung, die man wohl nur so lange bei-
behalten wird, als man absolut keine andere findet.
Die Abhängigkeit der täglichen Barometer-
schwankung von der geographischen Breite, wie
sie in Abb. 5 ersichtlich ist, ist nach der hier ge-
gebenen Erklärung ohne weiteres verständlich,
denn am Pol ändert die Sonne im Laufe des
Tages ihre Höhe nicht mehr, eine Schwingung
kann daher nicht eintreten. Dagegen müßte eine
Drehung des Windes eintreten, und man hat solche
täglichen Drehungen des Windes mit der Sonne
tatsächlich vielfach beobachtet.
Die Sonnenschwerkraft wirkt also täglich zwei-
mal wie die Hübe einer gewaltigen Saug-
und Druckpumpe auf die Erde. Dadurch werden
vom Äquator ausgehend gewaltige auf- und ab-
steigende Luftströmungen erzeugt, die die Haupt-
ursache der irdischen Luftbewegungen und der
Winde darstellen. Indem sich die periodischen
Wirkungen in bestimmter Richtung aufsummen,
werden auch Bewegungen der Luft, des Meeres,
und der Erdschichten von längerer Dauer und
bestimmter Richtung erzeugt werden. Es ist also
hier ein ganz neuer Weg zum Verständnis der
das Leben unseres Planeten erhaltenden Natur-
kräfte aufgefunden, lediglich dadurch, daß wir die
leeren Räume, durch die Newton seine Schwer-
kraft zeit- und widerstandslos hindurchwirken Heß,
mit anschaulichen Vorstellungen ausgefüllt haben
und kontinuierlich wirkende Kräfte darin vermuten,
wie sie uns seit Faraday im elektromagnetischen
Felde längst geläufig sind.
Es mag zunächst überraschend und befremdend
erscheinen, wenn der Gravitation, deren Gesetze
man längst nach jeder Richtung hin für erforscht
und aufgeklärt hält, hier ganz neue Eigenschaften
beigelegt werden. Man muß jedoch bedenken,
daß wir auf der Erde mit Schwerkraftfeldern
wegen deren Kleinheit eigentlich gar keine Ex-
perimente anstellen können. Wir sind daher auf
das kosmische Gedankenexperiment und die dar-
aus abgeleiteten astronomischen Berechnungen
angewiesen, und diese kann man meist gar nicht
nachprüfen. Die vom Verf. seit langer Zeit ver-
tretene Ansicht, daß die Gravitationsfelder in
Wirklichkeit viel mehr unmittelbar wahrnehmbare
Eigenschaften besitzen, als die dürre Newton-
sche Theorie ahnen läßt, ist daher nicht zu wider-
legen. Die neueren Bestrebungen vieler Theo-
retiker (u.a. Wiecherts, s.o.), das Schwerkraft-
feld als einen Teil des elektromagnetischen Kraft-
feldes aufzufassen, würden dadurch eine ganz neue
Unterstützung erhalten. Daß Newtons Formu-
lierung sich in der Astronomie bisher leidlich
bewährt hat, liegt vielleicht nur daran, daß die
Schwerkraft- und Trägheitserscheinungen, wie wir
am Beispiel der Erde in Abb. i sahen, mit ent-
gegengesetzt gleichem Betrage in die Formeln
eingehen. Man braucht nur anzunehmen, daß
der Einfluß der Zeit und der räumlichen Wider-
stände sich nicht nur bei der Schwerkraft, son-
dern in genau derselben Weise auch bei den
Trägheitsbewegungen der Massen geltend macht
— eine Symmetrie, wie sie bei den Strönnungen
einer inkompressiblen Flüssigkeit, hier des Äthers,
stets zu erwarten ist — so erklärt es sich sofort,
wie die Täuschung eines von Zeit und räumlichen
Widerständen unabhängigen Kraftfeldes zustande
kommen mußte. Nur diesen eigenartigen Verhält-
nissen verdankt Newtons seltsame, aller Logik
widersprechende Lehre von der zeitlosen Fern-
kraft ihre Erfolge, wenigstens für eine erste An-
näherung. Die oben erwähnten neueren Theorien
von Riemann bis Einstein lassen jedoch
N. F. XX. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
loi
schon deutlich erkennen, daß bei genaueren Be-
rechnungen Glieder zu berücksichtigen sind, die
vom Quadrat der Lichtgeschwindigkeit abhängen,
und die die Gravitation somit als Ätherwirkung
kennzeichnen. Abgesehen von diesen geringen,
bisher allein beachteten Unstimmigkeiten lassen
sich aber, wie unsere Ausführungen zeigten, viel
schwerere Bedenken gegen Newtons Theorie
geltend machen. Es mag in diesem Zusammen-
hange noch darauf hingewiesen werden, daß die
auf Grund der herrschenden Ansichten aus den
Bahnen der Gestirne abgeleiteten Berechnungen
der „schweren Massen" bei den meisten Weltkörpern
so geringe Werte geliefert haben, daß die Richtig-
keit der Voraussetzungen recht zweifelhaft er-
scheint. So hat man beispielsweise für den Jupiter
eine mittlere Dichte von 1,4 (auf Wasser als Ein-
heit bezogen), für den Saturn sogar nur eine
solche von 0,7 herausgerechnet, obgleich man auf
diesen Planeten deutlich vulkanische Ausbrüche
erkennen zu können glaubt. Auch die aus den
Bahnelementen der Finsternisveränderlichen vom
Algoltypus errechneten Massen haben ganz un-
wahrscheinlich geringe Werte ergeben. In allen
diesen Fällen wird die Newton sehe Theorie wohl
gar nicht anwendbar sein, denn es können offen-
bar neben der Schwerkraft noch ganz andere Kräfte
die Bahnen der Gestirne bestimmen. Man mag
dabei zunächst an elektromagnetische Kräfte
denken, die in dem Bohrschen Atommodell be-
kanntlich auch zur Berechnung von Planetenbahnen
führen. Es können bei der ungemein schnellen
Rotation der äußeren Planeten jedoch auch Flieh-
kräfte im. Äther wirksam werden, die eine schein-
bare Verminderung der Schwerkraft und damit
der Massen bewirken würden. Das unbedingte
Vertrauen, das namentlich die Astronomen seit
200 Jahren der Ne wtonschen Theorie entgegen-
bringen, dürfte vor einer schärferen Kritik wohl
kaum noch bestehen können. Man mag über die
dunklen Prinzipien Einsteins denken wie man
will, man wird ihm jedoch das Verdienst zuer-
kennen müssen, daß er endlich einmal zu einer
gründlichen Prüfung der Gravitationstheorie ange-
regt hat. Eine solche Kritik darf jedoch nicht bei
einigen praktisch wertlosen kleinen Störungen höhe-
rer Ordnung Halt machen ; man muß vielmehr die
Möglichkeit erwägen, daß die herrschende Schwer-
kraftlehre ganz große , unmittelbar wahrnehm-
bare Mängel enthält, und daß es die höchste Zeit
ist, sie durch eine rationelle Feldwirkungslheorie
nach Art der elektromagnetischen oder noch besser
durch eine alle Kraftfelder umfassende Äther-
strömungstheorie zu ersetzen.') Dann erst können
') Die weitere Ausgeslallung des hier entwickelten Ge-
dankenganges findet sich in meinem, in Nr. 10 des Jahrg. 1920
dieser Zeitschrift besprochenen Buche „Eine neue und ein-
fache Deutung der Schwerkraft", Wolfenbüttel, Heckners Ver-
lag, 1919, weiter in den 1920 cbendort erschienenen Schriften
„Der Fehler in Einsteins Relativitätstheorie" und „Die neue
Erklärung der Schwerkraft". Eine kurze Darstellung meiner
Äthertheorie habe ich in „Glasers Annalen für Gewerbe und
Bauwesen", 1920, Bd. 86, Nr. 1032, S. 95 — 96, gegeben.
wir dem pulsierenden Leben und Atmen unseres
Erdballs wirkliches Verständnis entgegenbringen.
Es erscheint auch keineswegs ausgeschlossen, daß
die Kenntnis der Vorgänge im Schwerkraftfelde
uns ganz neue Methoden zur Energiegewin-
nung zur Verfügung stellen wird.
Es mag noch zum Schluß darauf hingewiesen
werden, daß der Gedanke, ein Pulsieren der
Schwerkraft sei die Ursache der Barometerschwan-
kungen, von keinem Geringeren als von Goethe
herrührt. Er hat ihn nicht nur in seinen umfang-
reichen meteorologischen Arbeiten, sondern auch
in seinen Dichtungen („Zahme Xenien") mehrfach
behandelt. So schreibt er am Anfang seiner
„Italienischen Reise" während einer Wetterbe-
obachtung auf dem Brenner : „Ich glaube nämlich,
daß die Masse der Erde überhaupt, und folglich
auch besonders ihre hervorragenden Grundfesten
nicht eine beständige, immer gleiche Anziehungs-
kraft ausüben, sondern daß diese Anziehungskraft
sich in einem gewissen Pulsieren äußert, so daß
sie sich durch innere notwendige, vielleicht auch
äußere zufällige Ursachen, bald vermehrt, bald
vermindert. Mögen alle anderen Versuche, diese
Oszillation darzustellen, zu beschränkt und roh
sein, die Atmosphäre ist zart und weit genug,
um uns von jenen stillen Wirkungen zu unter-
richten." Goethe verband offenbar mit dem Begriff
der Schwerkraft weit anschaulichere, lebendigere und
wohl auch richtigere Vorstellungen als der von ihm
bekämpfte Newton. Leider vermochte er nicht
wie dieser durch exakte Formulierung seinen Ideen
in den Augen der Fachphysiker das nötige Gewicht
zu verleihen, so daß seine bedeutsamen Anregungen
bisher unbeachtet und unverstanden geblieben
sind. Wenn die Ausführungen dieses Artikels
nun atich noch keine abgeschlossene Theorie ent-
halten, so lassen sie den Weg zu einer solchen
doch bereits klar erkennen; sie lassen auch die
Fragen, die heute durch den Kampf um Ein-
stein das allgemeine Interesse erregen, in einem
ganz neuen Lichte erscheinen.') Newtons
') Einstein geht bekanntlich von dem Widerspruche
aus, der zwischen den Versuchen von Fizeau und Michel-
son bestehen soll. In beiden Fällen bleiben die optischen
Gesetze realativ zu dem auf der Erde ruhenden und mit ihr
bewegten Beobachter konstant. Einstein schlofl daraus
etwas voreilig auf eine geheimnisvolle Bedeutung des „Be-
obachterstandpunktes" für die Optik, eine gänzlich un-
physikalische Idee. Er leitete daraus das logisch un-
haltbare ,, Prinzip von der Konstanz der Vakuumlicht-
geschwindigkeit relativ zu beliebig bewegten Beobachtern"
ab, das bereits durch die Versuche von Sagnac mit
bewegten Beobachtern widerlegt erscheint. Denn selbst-
verständlich kann ein Beobachter die optischen Erscheinungen
nur insoweit beeinflussen, als er mit einem Kraftfelde ver-
bunden ist. Natürlicher ist wohl die Idee, in den Versuchen
von Fizeau und Michelson sei nicht dem Beobachter,
sondern dem genau wie dieser bewegten Schwerkraft felde
der Erde der entscheidende Einfluß zuzuschreiben, wie ich in
der Schrift: ,,Der Fehler in Einsteins Relativitätstheorie"
(Wolfenbüttcl 1920) näher ausgeführt habe. Die Physiker
konnten auf diese einfache Lösung bisher nicht kommen, da
optische Feldwirkungcn der Schwerkraft unbekannt waren;
erst die Ergebnisse der Sonnenünsternisexpedition haben hier
Wandel geschaffen. Der Gedanke von Stokes, das Ergeb-
102
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N. F. XX. Nr. 7
Theorie der Schwerkraft scheint so unvollständig
zu sein, daß sie nicht nur den Störungen höherer
Ordnung, sondern bereits den nächstliegenden,
uns unmittelbar berührenden Erscheinungen und
nis des Mich eis onschen Versuchs durch eine Mitführung
des Äthers durch die Erde zu erklären, läßt sich zwanglos mit
tneiner Auffassung verbinden, da das hier behandelte„Schwer-
kraft-Trägheitsfeld" offenbar nichts anderes als der „Äther" ist.
Kräften gegenüber versagt. Der Ersatz der alten
unhaltbaren Lehre von der Fernwirkung der
Schwerkraft durch eine moderne Feldwirkungs-
und Äthertheorie dürfte daher zu den dringend-
sten Aufgaben der physikalischen Wissenschaft
gehören. Ihre Lösung wird uns einen ganz un-
erwarteten und überraschenden Einblick in den
Zusammenhang der Naturkräfte gewähren.
[Nachdruck verboten.]
Über das Vorkommen des Ziesels in Sachsen
verdanken wir die ersten ausführlicheren Mit-
teilungen J. Thaliwitz, der 1895 (10) die Frage
aufwarf; „Ist das Ziesel ein Bewohner unserer
sächsischen Schweiz?", um danach 1898 (11) des
Tieres Vorkommen im äußersten östlichen Erz-
gebirge um Lauenstein sowie in der Gegend der
Orte Olsen, Ölsengrund, Breitenau, Liebenau und
Hellendorf festzustellen. Jacobi (4) führt diese
zusammenhängenden, auf ein Gebiet von nur
gegen lO qkm Fläche sich erstreckenden Vor-
kommen unter Berufung auf Thaliwitz dann
ebenfalls an und bezweifelt eine ältere,aufR eichen -
bach und E. Besser sich stützende Angabe
Reibis ch's (8) von einem Vorkommen des Tieres
auch in der Lausitz. Ihm sowohl wie auch Thall-
witz ist dabei entgangen, daß Citellus citellus
aus Sachsen aber noch früher erwähnt wird.
Chrst. Frdr. Ludwig (6), dem wir die erste
umfassendere Zusammenstellung auch der sächsi-
schen Säuger verdanken, führt das Tier bereits
1810 allerdings ohne alle weiteren, in diesem Falle
aber ganz besonders wünschenswerten näheren
Angaben auf, und Schumann (9) schreibt dann
1822 in seinem Lexikon von Sachsen:„Der russische
Balk aber, welcher mit russischem Getreide mit-
gekommen und im mittleren Sachsen sehr zahl-
reich geworden war, ist glücklich wieder aus-
gerottet". Endlich bezeichnet Fechner (3) unsere
Art 1851 als „sehr selten in der Zittauer Gegend,
bei Bjnzlau (Schlesien) häufiger". Nach einer
späteren Angabe in den Meyer und Helm sehen
Jahresberichten der ornithologischen Beobachtungs-
stationen im Königreich Sachsen (7) wurde schließ-
lich im Jahre 1891 ein Ziesel auch im Vogtlande,
und zwar auf Feldern bei Chrieschwitz (bei Plauen)
erschlagen, wobei gesagt wird, daß „er bisher noch
nicht beobachtet, seitdem aber auch nicht wieder
gesehen worden ist". Jacobi (4) äußert hierzu
den Verdacht, daß es sich in diesem Falle um
ein aus der Gefangenschaft entwischtes Tier ge-
handelt haben könne.
Aus den vorliegenden, ja nur bescheidenen
Angaben ein sicheres Urteil über das sächsische
Vorkommen des Ziesels zu fällen, ist nicht ganz
leicht. Das eine aber steht jedenfalls fest, daß
das Tier in Sachsen ältere Bürgerrechte besitzt,
Über das Vorkommen des Ziesels in Sachsen.
Von Rud. Zimmermann, Dresden.
Mit einer Kartenskizze.
als man bisher im allgemeinen anzunehmen ge-
neigt war, und daß es bei uns einmal auch schon
weiter verbreitet gewesen zu sein scheint, als sein
heutiges nur beschränktes Vorkommen schließen
läßt. Nun sagt ja schon Blasius (i): „Man hat
eine Zeitlang geglaubt, daß das Ziesel von Osten
her in Deutschland eingewandert sei; man kann
aber eher umgekehrt behaupten, daß es allmählich
immer weiter nach Osten zurückgedrängt worden
ist." Doch scheint es, daß er sich bei dieser
Behauptung, wie ihm ja auch entgegengehalten
worden ist, lediglich auf eine mißverständliche
Auslegung eines alten Schriftstellers (Albertus
Magnus), nicht aber auf wirkliche beglaubigte
Funde gestützt hat. Heck (2) dagegen läßt auf
Grund einer noch zu erwähnenden Beobachtut g
Liebes die Möglichkeit bestehen, daß Citellus
citellus „vor gut loo Jahren schon einmal viel
weiter westlich gewesen zu sein scheint". — Ist
es nun schon auffallend genug, daß das Tier be-
reits in unserem ältesten umfassenden Verzeichnis
der sächsischen Säugetiere genannt wird, so gewinnt
die Möglichkeit seiner ehemals größeren Ver-
breitung in Sachsen vor allem durch die Angabe
Schumanns, den ich zwar nicht immer als emen
in zoologischen Dingen absolut zuverlässigen Ge-
währsmann halte, dessen Mitteilungen in diesem
Falle aber doch so bestimmt gehalten sind, daß
man nicht achtlos an ihnen vorübergehen kann,
sofort eine fast zwingende Wahrscheinlichkeit. *)
Inwieweit dabei die Behauptung von einer Ein-
schleppung des Ziesels mit russischem Getreide
zu Recht besteht, muß zunächst in Ermangelung
aller weiteren Unterlagen noch unerörtert gelassen
werden. Vielleicht glückt uns noch einmal ein
literarischer Fund — bisher war allerdings das
Fahnden nach weiteren Belegen im älteren Schrift-
') Man könnte sich höchstens an die für den Ziesel sonst
nicht gebrauchte Bezeichnung „Balk" stoßen. Mir ist die
Herkunft dieses Ausdruckes, den aber schon der verstorbene,
bekannte sächsische Faunist Robert Berge unserer Art zu-
schreibt, nicht bekannt; doch entsinne ich mich, ihn früher
schon einmal für den Ziesel gebraucht gefunden zu haben,
ohne aber heute der Quelle nachkommen zu können. Aber
abgesehen davon, läßt die Angabe Schumanns schon im
Zusammenhang mit seinen übrigen Mitteilungen kaum auf eine
andere Art als Citellus schließen.
N, F. XX. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
103
tum ein vergebliches ^) — , der eine weitere Klärung
in die Angelegenheit bringt. Steht die ehemalige
Weiterverbreitung des Tieres in Sachsen aber sicher,
so gewänne damit auch die diese Weiterverbreitung
bereits stützende Mitteilung Liebes (5), nach der
dieser Mitte der siebziger Jahre des verflossenen
Jahrhunderts auf dem Wolgen bei Leubsdorf in
Ostthüringen (unweit der sächsischen Grenze) zahl-
reiche, von ihm auf gegen 80 Jahre alt geschätzte
Tierbauten fand, die er als solche des Ziesels
deutete, ein viel bestimmteres Aussehen. Für die
Beurteilung des mittelsächsischen Vorkommens
des Ziesels ist vielleicht auch die Tatsache nicht
unwichtig, daß des Tieres Verschwinden — wenn
seine Einschleppung nicht etwa erst um oder nach
1813, zu welcher Zeit russisches Getreide aller-
dings in ungewöhnlich großen Mengen in Sachsen
eingeführt wurde, geschehen und einer ungewöhn-
lich raschen Ausbreitung des Tieres ein ebenso
schnelles Wiederverschwinden (die Schumann-
sche Mitteilung stammt ja schon aus dem Jahre
1822) nachgefolgt sein sollte") — zeitlich mit
jenen durchgreifenden Veränderungen in der land-
wirtschaftlichen Ausnutzung des Bodens zusammen-
fallen würde, die gegen Ausgang des 18. Jahr-
hunderts begannen und sich ins 19. hinein fort-
setzten und die sich in dem damals schon am
intensivsten genutzten Nordwest- und Mittelsachsen
am auffallendsten fühlbar machten. Die bis dahin
übliche Dreifelderwirtschaft nämlich, die immer
ein Drittel des genutzten Bodens brach liegen ließ,
ging in die heute noch übliche Reihenwirtschaft
über, wodurch für das Tier, das jeder regelmäßigen
Bodenbearbeitung abhold ist, die Lebensbedingungen
natürlich zu viel ungünstigeren wurden.
Unabhängig von dem mittelsächsischen Vor-
kommen des Ziesels müssen wir das heute noch
bestehende osterzgebirgische betrachten, das m. E.
zu jenem in keinerlei Beziehung steht oder jemals
gestanden hat und das man allgemein als eine
Einwanderung des Tieres aus Böhmen deutet.
Ich vermag mich dieser Ansicht heute aber nicht
mehr anzuschließen, sondern halte das Vorkommen,
das mit dem böhmischen in unmittelbarstem Zu-
sammenhang steht und sich nur wenige Kilometer
über die Grenze erstreckt, für die von jeher
') Dieser Mangel an älteren Angaben trifft allerdings
nicht nur für den Ziesel zu, sondern gilt gerade für Sachsen
auch noch für viele andere, zum Teil sogar viel auffallendere
Tierarten. Beispielsweise läßt sich das bis um die Mitte des
19. Jahrhunderts bestandene Vorkommen des sich der Be-
obachtung sicherlich kaum entziehenden Bibers in Sachsen in-
folge eines derartigen Mangels jeglicher älterer Fundorts-
bezeichnungen heute nicht mehr mit völliger Sicherheit um-
grenzen; besäßen wir hierüber als einzige nicht auch wieder
eine Angabe Schumanns und drei zufällig erhalten ge-
bliebene Belegstücke, so wüßten wir heute kaum etwas von
dem einem erst nach der Mitte der vierziger Jahre des ver-
flossenen Jahrhunderts erloschenen Vorkommen des Tieres an
der Mulde bei Würzen.
'') Die rasche Ausbreitung des Tieres besäße dann in der
Gegenwart ein Analogen in der Ausbreitung der Bisamratte,
sein schnelles Verschwinden würde sich aus den wenig gün-
stigeren Lebensbedingungen infolge einer intensiveren Bear-
beitung des Bodens erklären.
bestandene äußerste nördliche Ausstrahlung des
letzteren. Für ein Vorrücken des Tieres nach
Norden besitzen wir aus Böhmen auch keinerlei
Anhalt : die Tatsache etwa, daß sein Vorkommen
hier erst in verhältnismäßig jüngster Zeit sicherer
festgelegt worden ist, berechtigt uns noch nicht
zu dieser Annahme. Jeder Faunist weiß es ja
auch, wie spät die sorgfältigere Erforschung der
Kleinsäugerfauna überall erst eingesetzt hat und
wie spärlich nicht nur in der Vergangenheit,
sondern selbst in der Gegenwart noch vielfach
die Nachrichten über die meisten unserer Klein-
säuger fließen und wie lange manches alte Vor-
kommen sich der allgemeinen Kenntnis entzogen
hat. Übrigens erwähnt auch schon ein sächsischer
Schriftsteller des 17. Jahrhunderts das Tier aus
Böhmen; Chr. Lehmann (f 1688) schreibt in
seinem, erst nach seinem Tode 1699 erschienenen
„Historischen Schauplatz derer natürlichen Merck-
würdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Ertzgebirge"
über unser Tier: „In Böhmen ist eine Hamster-
Art / die sie Zeisele oder Tritschele nennen / fahl
und grünlicht an der Farbe / und streiffigt wie die
ramigten Katzen / so groß als Eichhörnchen und
fast eine Art wie die Meerschweingen. Hingegen
sind die Hamster größer / braun und weiß-
gilbicht . . .". Daß unser Gewährsmann das sächsi-
, Breitenau/^Oelseri,
Lauensleln '»[ö£lsen'gr''"i>
-^■, ";*;Bieni;of, .
Liebenau v*peierswäl()
V.-.-; ;■• ; -. •..-•,■.-.
BÖHMEN
Vorkommen das Ziesels in Sa
sehe Vorkommen nicht kennt, ist aber noch kein
Grund etwa zu der Annahme, daß es zu seiner
Zeit noch nicht bestanden hätte. Denn einmal
ist dasselbe ja ein räumlich nur ganz beschränktes
und außerdem auch kein besonders häufiges, und
zum anderen bestand zwischen dem Wohn- und
Wirkungsort Lehmanns (Scheibenberg) ein viel
lebhafterer Verkehr mit Böhmen als mit dem auch
bedeutend weiter entfernteren Osterzgebirge. —
Für das Bestehen des osterzgebirgischen Vor-
kommens von jeher spricht vor allem auch der
landschaftliche Charakter des Gebietes, das in
reichlich vorhandenen und vielfach dürftigen Wiesen
noch große steppenartige Anklänge zeigt und in
dem, soweit sich dies zurückverfolgen läßt, auch
schon von jeher mehr als in anderen sächsischen
Landesteilen der Wald zugunsten von Wiesen-
und Weideflächen zurückgetreten ist.
M. E. besitzt unser Tier auch gar keine so
große Fähigkeit, sein Verbreitungsgebiet aus-
I04
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 7
zudehnen und sich etwa wie der Hamster dem
Feldbau anzupassen. Viel eher kann man von
ihm behaupten, daß sein Vorkommen immer mehr
an Umfang einbüßt und besonders durch die
Zunahme des Feldbaues stark eingeengt wird.
Als ich 191 1 die rumänische Dobrudscha, in der
das Tier noch eine ganz gewöhnliche Erscheinung
ist und wo ich in reichstem Maße Gelegenheit
hatte, es zu beobachten, bereiste, wurde mir mehr-
fach mitgeteilt, daß es überall dort, wo der Feld-
bau an Ausdehnung gewinnt, in seinem Bestände
zurückgeht und ich selbst traf es in den Weide-
und Steppengebieten auch immer viel häufiger
an als in solchen mit überwiegendem Feldbau.
Im Einklang damit steht ja auch die von H e c k (2)
mitgeteilte Erfahrung von Falz -Fein, daß auch
in Südrußland die rasch zunehmende Kultivierung
der Steppe das Vorkommen des Tieres immer
mehr beschränkt. Die Vergrößerung des Ver-
breitungsgebietes des Tieres in Gebieten, in denen
der Landbau noch eine ganz andere Rolle spielt
und der Boden dabei auch viel gründlicher und
tiefer umgearbeitet wird, als etwa in der Dobrudscha
und in Südrußland, will daher auch wenig wahr-
scheinlich erscheinen.
Nun scheint aber aus der seinerzeit von
Jacobi (4) veranstalteten Umfrage eine Zunahme
des Ziesels und die Ausdehnung seines Ver-
breitungsgebietes wenigstens in Schlesien festzu-
stehen. Ich will mich hier auch, da ich die
schlesischen Verhältnisse zu wenig kenne, jedes
Urteils enthalten, möchte aber betonen, daß ich
heute im allgemeinen allen derartigen, auf Rund-
fragen sich stützenden und nicht durch völlig
einwandfreie Beobachter bekräftigten Angaben
sehr skeptisch gegenüber stehe. Wer sich mit
faunistischen Arbeiten beschäftigt und sein Material
dabei auch auf eigenen Nachforschungen im
Lande gesammelt hat, weiß, wie unendlich schwer
oft sichere Angaben selbst von bekannteren
Tierarten zu erlangen sind und wie wenig manches
Tier auch an den Orten häufigeren Vorkommens
sogar solchen Personen bekannt ist, von denen
man die Kenntnis desselben wohl erwarten dürfte.
Wenn auf ein derartiges Vorkommen aber erst
einmal die Aufmerksamkeit der Menge gelenkt
worden ist, wird schärfer auf dasselbe geachtet
und es mehren sich damit auch die Mitteilungen
über dasselbe und unter ihnen sind sicherlich dann
auch solche wenig geschulter Beobachter, die
infolge ihrer erhöhten Aufmerksamkeit auf ein von
ihnen vorher nicht gekanntes und nicht beachtetes
Tier und der dadurch bewirkten häufigeren Be-
obachtung desselben ein von Jahr zu Jahr zahl-
reicheres Vorkommen behaupten, ohne sich bewußt
zu sein, daß sie sich lediglich einer Selbsttäuschung
hingeben. Meine Schlafmausforschungen in Sachsen
sind ein ganz besonders redendes Beispiel dafür!
Wie manchesmal ist mir nun nicht schon von
einem Häufigerwerden des Siebenschläfers an Orten
berichtet worden, von denen ich das Vorkommen
länger als meine Gewährsmänner kenne und an
denen sich eine solche Zunahme durchaus nicht
behaupten läßt, wie manchesmal mir ein Fundort
nicht als zweifellos neu geschildert worden, an
dem dann sorgfältige persönliche Nachforschungen
ergaben, daß uralte Leute das Vorkommen schon
aus ihrer Kindheit kannten I Und könnte es daher
mit dem Ziesel nicht ganz ähnhch sein ?
Literatur.
1) Blasius.J.H., Naturgeschichte der Säugetiere Deutsch-
lands und der angrenzenden Länder von Mitteleuropa. Braun-
schweig 1S57 (S. 276 — 278).
2) Breiims Tierleben. IV. Auflage. Säugetiere , 2. Bd.
Leipzig 1914 (S. 498—503).
3) Fechner, K. A., Versuch einer Naturgeschichte der
Umgegend von Görlitz. Zweiter, zoologischer Teil : Wirbeltier-
fauna. 14. Jahresbericht über die höhere Bürgerschule zu
Görlitz. Görlitz 1857.
4) Jacobi, Arnold, Der Ziesel in Deutschland nach
Verbreitung und Lebensweise. Arch. f. Naturgeschichte, Jahrg.
1902, Bd. I, Heft 3, S. 199 — 238.
5) Liebe, K. Th. im Zoologischen Garten, 17. Jahrg.
1876, S. 106—108.
6) Ludwig, Chr. Fried r., Initia Faunae Saxonicae.
Fase. I. Leipzig 1810.
7) Meyer, A.B. und Helm, F., VII.-X. Jahresbericht
der ornithologischen Beobachtnngsstationen im Kgr. Sachsen.
Anbang: Die sonstige Landesfauna betreffende Beobachtungen.
Dresden und Berlin 1896.
8) Reibisch, Th., Verzeichnis der Säugetiere Sachsens.
Sitzungsber. d. naturw. Ges. Isis in Dresden. Jahrg. 1869,
S. 86—89.
9) Schumanns Lexikon von Sachsen. 9. Bd. Zwickau
1822 (Säugetiere S. 714 — 715).
10) Thallwitz, J., Ist das Ziesel (Spermophilus citillus
L.) ein Bewohner unser sächsischen Schweiz? Über Berg und
Tal, 18, 1S95, S. 139—140.
11) Thaliwitz, J. , Über das Vorkommen des Ziesels
in Sachsen. Sitzungsber. d. naturw. Ges. Isis in Dresden.
Jahrg. 1898, S. 95 — 96.
Einzelberichte.
Zinkblende iiu Basalt des Bühls bei Kassel.
So häufig die Blende als Gangmaterial auftritt,
so selten hat man sie in Effusivgesteinen be-
obachtet, und deshalb sind die Einschlüsse einer
schwarzen Zinkblende, die sich unter den zahl-
reichen wissenschafthch wertvollen Einschlüssen
in dem Basalte des Bühls bei Weimar in der Nähe
von Kassel finden, besonders merkwürdig. W.
EiteP) konnte an der Hand eines vorzüglichen
Materials aus der Sammlung des verstorbenen
Prof. Hornstein die paragenetischen Verhält-
nisse der Blendevorkommnisse klären und daraus
ihre Vorgeschichte ableiten.
Makroskopisch erscheinen die Blendeeinschlüsse
in der Regel als unregelmäßige, manchmal auch
') Centralbl. f. Min. usw. 1920, Nr. 17/18, S. 273—285,
N. F. XX. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
105
fast platten- oder linsenförmige Einlagerungen in
den normalen Bühlbasalt. In den meisten Fällen
ist die Blende ganz schwarz gefärbt, verrät also
sofort ihren hohen Gehalt an beigemengtem Eisen-
sulfid. In wenigen Handstücken aber bemerkt
man eine fast farblose, nur schwach gelbliche oder
honiggelbe Zinkblende, die nach dem umgeben-
den Basalte zu in eine Zone von gelblichroter
Farbe übergeht, um schließlich am Kontakt in
der gewöhnlichen tiefschwarzen F'arbe zu er-
scheinen. „Es machen derartige Einschlüsse ganz
den Eindruck, als hätte eine ursprünglich sehr
schwach eisenhaltige Zinkblende aus dem Basalt
oder aus anderen Substanzen der unmittelbaren
Umgebung randlich Eisensulfid aufgenommen, als
sei aber die isomorphe Mischung nur an den
Randpartien der Blende zustandegekommen,
während die Zeit nicht ausreichte, um in den
anisotropen Medium durch Diffusion den ungleich-
mäßigen Sulfidgehalt überall auszugleichen."
Häufig findet sich eine oft innige durch-
wachsung mit wasserklarem Quarz und braunem
Gesteinsglas. Sehr bemerkenswert ist das Auf-
treten von Magnetkies, der sich zuweilen mit der
Blende und dem Quarz zusammen, teils in den
Basalt direkt eingelagert findet, dann jedoch im-
mer in der nächsten Umgebung der anderen
Mineralien. Es ist nicht zu bezweifeln, daß auch
der Magnetkies mit der Zinkblende und dem Quarz
paragenetisch verknüpft ist und nicht etwa in
Basalt eine primäre Ausscheidung darstellt. Ein
Dünnschliff, der Zinkblende, Magnetkies und Quarz
nebeneinander zeigt, läßt darauf schließen, daß
die drei Mineralien gleichaltrig sind. Es fragt
sich nur, ob der Magnetkies eine primäre Bildung
oder etwa aus Pyrit durch thermische Dissoziation
entstanden ist. Bemerkenswert ist, daß man keine
Magnetkiesreste in der Nachbarschaft der oben
erwähnten zonaren Zinkblendeeinschlüsse mehr
findet. An sonstigen Akzessorien treten noch auf
Cordierit und in einem Einschluß auch Zirkon,
den der Verf. für ein zufällig in die Nähe des
Einschlusses geratenes Begleitmineral des Basaltes
selbst hält.
Untersuchungen im auffallenden Licht zeigten,
daß von einer Abschmelzung der Blende im Ba-
salt nicht die Rede sein kann, sie hat stets zackige,
scharfe Ränder. Beim gelinden Anätzen mit
kaltem Bromdampf treten mitunter die charakte-
ristischen Zwillingslamellen nach (in) auf. Die
erwähnte Glasmasse muß ziemlich leichtflüssig ge-
wesen sein, denn sie dringt in äußerst feinen
Äderchen in die aufgeblätterte Blende ein. Im
innigen Zusammenhang mit dem Glas stehen die
zahlreichen gerundeten Quarzkörner, die von un-
regelmäßigen Sprüngen durchsetzt sind und zahl-
reiche Interpositionen von Glas enthalten. Sehr
wichtig ist das in einem Schliff festgestellte Vor-
kommen von Pyrit in Paragenesis mit Quarz und
Zinkblende. Dies Mineral war völlig in die Blende,
einige kleinere Körner z. T. auch in Quarz ein-
gewachsen. Der Verf. kommt zu der Annahme,
daß es sich in dem vorliegenden Falle nur um
ein zufällig erhalten gebliebenes Relikt der pri-
mären Blende— Pyrit— Quarz — Paragenesis handeln
könne. Nach dem Gesamtbild zu urteilen, liegt
in den Blendeeinschlüssen jedenfalls ein primäres
Gangvorkommnis vor, das von dem Basall aus
der Tiefe nach oben befördert wurde. Irgendein
Anhaltspunkt für das geologische Alter dieser Gang-
bildungen sind jedoch nicht vorhanden. Es ist
immerhin nicht ausgeschlossen, daß die primären
Quarzgänge mit Blende und Pyrit ähnlich wie in
dem Vorkommen des Finkenberges in paläozoischen
Horizonten, also in beträchtlicher Tiefe gesucht
werden müssen.
„Wo ist nun aber der Pyrit, der zweifellos doch
einmal in größerer Menge in dem Gange vor-
handen war, neben der Blende verblieben?" Bei
Atmosphärendruck ist das Eisendisulfid von 575 "
ab nicht mehr beständig, sondern geht, besonders
rasch bei höheren Temperaturen, im Sinne des
Dissoziationsgleichgewichts
FeS., :<=>: FeS + S
in Magnetkies über. Dieser thermischen Um-
wandlung wurde der ursprünglich vorhandene Pyrit
unterworfen. Infolgedessen findet man jetzt reine
Magnetkieskonkretionen als unmittelbare sulfidische
Einschlüsse des Bühlbasaltes sehr häufig, höchst
selten jedoch (erst neuerdings vom Verf. festge-
stellt) reliktische Pyritaggregate.
Die Vorgeschichte der Blendeeinschlüsse ist
nach dem Verf. also kurz folgende: Ein in unbe-
kannter Tiefe das Gebirge durchsetzender Gang
von Blende mit wenig Pyrit und viel Quarz wurde
von dem Basalt durchbrochen. Mitgerissene Bruch-
stücke des Ganges erlitten dabei eine weitgehende
thermische Umbildung, indem der Pyrit in Magnet-
kies und Schwefeldampf dissoziierte. Bei der
hohen Temperatur konnte der Magnetkies mit der
Blende jedenfalls in isomorphe Mischung eingehen.
Es stimmt damit aufs beste überein, daß man
höchstens reliktischen Magnetkies in der nächsten
Umgebung eines völlig schwarzen, offenbar an
Schwefeleisen gesättigten Blendekristalls trifft,
ferner auch der Umstand, daß die oben erwähnte
honiggelbe Blende randlich dunkelbraun bis tief-
schwarz gefärbt erscheint. Dabei braucht der
Schmelzpunkt des Schwefeleisens (1183" in H.,S-
Atmosphäre gemessen) nicht erreicht worden zu
sein, so daß dieses in flüssigem Zustand die Blende
umspült hätte. Es genügt völlig die Annahme,
daß die festen Phasen P'eS und ZnS bei den Zu-
standsbedingungen lebhafter atomistischer Beweg-
lichkeit im Mischkristall koexistierten und demzu-
folge ineinander diffundierten. Während dieses
Diffusionsprozesses unterbrach die Erstarrung des
Basaltes und die fortschreitende relativ rasche
Abkühlung des Gesteinskörpers bald den Aus-
gleich der Konzentrationsunterschiede, und im ge-
wissermaßen halbfertigen Zustande sind die Ein-
schlüsse auf uns überkommen.
Die chemische Untersuchung ergab außer Zink,
Eisen und Schwefel Spuren von Mangan und
io6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 7
Kadmium. In einer von M. D i 1 1 r i c h analysierten
Probe ist das Verhältnis von FeS : ZnS ca. = i : 4,
also beinahe dem Marmatit (1:3) entsprechend.
In einem vom Verf. analysierten Stück vom spez.
Gew. 4,033 + 0,005 ist das Verhältnis FeS: ZnS
etwa wie 1:3, also einem normalen Marmatit
ungefähr entsprechend. F. H.
Limulus, ein zum Wasserleben übergegangener
Arachnide ?
Sollen, wie die Lankest ersehe Limulus-
theorie 1881 es will, die Spinnen von Limulus
oder, allgemeiner gesagt, die Land - Arachniden
von den Limuliden abstammen, so müßten die
Tracheenlungen der ersteren aus den Kiemen der
Merostomen hervorgegangen sein. Der Unter-
schied in der Lage der Organe — bei Limulus
frei an der Hinterseite der Blattfüße, bei Spinnen
eingesenkt und nur durch ein enges Stigma Luft-
zutritt gewährend — läßt sich aus der verschie-
denen Lebensweise — dort Wasser-,' hier Land-
leben — erklären. Nach Metschnikoff 1871
und anderen Untersuchern entstehen bei Arachni-
den und zwar bei Skorpioniden sowie Araneen
die Tracheenlungen als Einstülpungen dicht an
der Hinterseite der Gliedmaßenanlagen des Ab-
domens, die zur Embryonalzeit vorhanden sind,
was allgemein mitKingsley 1885 im Sinne der
Lankest ersehen Hypothese aufgefaßt wird.
Ähnlich Mac Leod 1884.
Im Sinne einer entgegengesetzten Auffassung,
nämlich der, daß die Limuliden — mit Sim-
roth, Jarowski, Bütschli, Montgomery,
B. Hall er — von landbewohnenden Tieren ab-
stammen und ihre Kiemen aus den Tracheen-
lungen der Arachniden hervorgegangen sind, führt
Versluys etwa folgendes aus. ^) i. Die Ablei-
tung der Tracheenlungen aus Kiemen bei Deutung
der Limulusblattfüße als echte Gliedmaßen würde
uns mit Fu reell 1909 zur Annahme eines diphy-
letischen Ursprungs der Skorpioniden und der
übrigen Arachniden zwingen, denn bei den Skor-
pionen erscheint das 2. Paar jener Gliedmaßen
als die sog. „Kämme" der Skorpione, ohne
Atmungsfunktion, und man könnte sich nicht
denken, daß Kämme sich später, im Araneen-
stadium, wieder hätten zu Tracheenlungen
umbilden können. Zu einer diphyletischen
Ableitung der Arachniden aber kann sich Vers-
luys offenbar nicht verstehen. 2. Sehr schwie-
rig würde auch eine Ableitung der Spinnwarzen
der Araneae sein. Die Spinnwarzen sollen ja
nach Montgomery 1909 und Kautsch 1910
aus rudimentären Gliedmaßen des 3. und 4. Ab-
dominalsegments hervorgegangen sein. Dies im
Verein mit der Limulustheorie würde heißen, daß
kiementragende Blattfüße zunächst, im Skorpio-
') J. Versluys, Die Kiemen von Limulus und die
Lungen der Arachniden. In: Bijdragen tot de Dierkunde.
XXI. Feestnummer. Leiden 1919. 15 Seiten.
nidenstadium der Phylogenese, zu Tracheenlungen
und schließlich, bei Arachniden, zu Spinnwarzen
wurden! 3. Ferner haben bekanntlich viele
Spinnen und Milben, die Pseudoskorpione und
die Phalangiden statt der Tracheenlungen, wie sie
den übrigen Arachniden eigen sind, Röhren-
tracheen. Es würden demnach vielmals Röhren-
tracheen aus Tracheenlungen entstanden sein
müssen, und „dieser Vorgang wird um so un-
wahrscheinlicher, je öfter er angenommen werden
muß". 4. Ferner treten bei Solifugen und Aka-
riden auch Tracheen auf, deren Stigmata am
Zephalothorax liegen, und die sich somit nicht
von den abdominalen Blattfußkiemen des Limulus
ableiten lassen. — Heymons 1905 war schon
geneigt, Limulus und die Arachniden auf gemein-
same, an feuchten Orten als Ufertiere lebende
Vorfahren zurückzuführen. Es liegen aber, meint
nun Versluys, die Kiemen der Gigantostraken
un^i des Limulus überhaupt nicht an dem Hinter-
leib von Gliedmaßen, sondern von Sterniten,
denn, wie besonders der Vergleich eines Giganto-
straken mit einem Skorpion auf den ersten Blick
lehre, die abdominalen Blattfüße von jenen seien
— mit Sarle 1903, Clarke und Ruedemann
191 2 — keine echten Gliedmaßen, sondern eben
Sternite, wie solche auch die Bauchseite des Prä-
abdomens der Skorpioniden und anderer Arach-
niden bedecken. „Zugunsten dieses Vergleiches
fällt schwer ins Gewicht, daß neben den Blatt-
füßen an den entsprechenden Segmenten keine
Sternite vorhanden sind, wohl aber ein typischer
Sternit am ersten darauffolgenden Segmente, wo
kein Blattfuß auftritt." Die Ähnlichkeit der Ab-
dominalfüße von Limulus mit den Spaltfüßen der
Crustaceen sei eine sehr oberflächliche. Höch-
stens: „in diesen modifizierten Sterniten sind die
Reste abdominaler Gliedmaßen mit enthalten und
mögen vielleicht etwas zur Kompliziertheit des
Baues der Blattfüße beitragen". Die Blattfüße der
Merostomen als bewegliche Sternite müssen nun
den abgeleiteten Zustand darstellen gegenüber den
unbeweglichen Sterniten der Skorpione; mithin
seien auch die Kiemen von Limulus von den
Tracheenlungen abzuleiten als Anpassungen an
das Wasserleben. V. Franz (Jena).
Beobachtungen der „Vogelwarte Noordwijk
aan Zee".')
Die bisher nur primitive holländische „Trek-
station", „eigentlich das Studierzimmer der Villa
nova", also bisher ein privates, aber von Freunden
der Sache unterstütztes wissenschaftliches Unter-
nehmen, fand in der angesehenen holländischen orni-
thologischen Zeitschrift „Ardea" Aufnahme für ihren
ersten umfangreichen Bericht über Beobachtungen
von Juni 1 9 1 8 bis Februar 1 9 1 9, angestellt von den Ver-
') G. A. Brower en Jan Verwey; Waarnemingen
van het ,,Trekstalion Noordwijk aan Zee". In; Ardea, Tijd-
schrift der Nederlandsche Ornithologische Vereeniging. Jahr-
gang VlII, Afl. 1, Wageningen 1919, S. 1 — 96.
N. F. XX. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
107
fassern und einigen Helfern auf zwei hochgelegenen
Punkten — Wasserturm und Hoteldach — am
Innen- und Außenrand des Dünengürtels bei Tag
und Nacht. Die tagebuchmäßige Wiedergabe der
Einzelbeobachtungen nimmt, wie nicht selten in
ornithologischen Arbeiten, ziemlich bedeutenden
Raum ein. Von allgemeineren Feststellungen sei
folgendes erwähnt: Die kleinen Singvögel, Stein-
schmätzer, Braunkehlchen, Fliegenfänger, Würger
usw. halten sich auf dem Zuge tags über an ge-
eigneten Funkten längs dem Binnenrand des Dünen-
gürtels auf, ziehen dagegen abends und nachts
längs der Küste. Die Beobachter kamen zu der
Überzeugung, daß an den geeigneten Rastplätzen
die Vögel meist 3 bis 6 Tage verweilen. — Als
Zugstraßen an der holländischen Küste sind für
den Herbstzug drei verschiedene zu verzeichnen:
I. ONO»«WZW, längs der Küste, 2. O^-'W,
also vom Land seewärts, 3. umgekehrt: W«->0
(ZO). Die unter i genannte Straße ist die haupt-
sächlichste, die weitaus meisten Vögel folgen dem
Küsten- oder Dünenstreifen, obschon bei geeignetem
Wetter mehr oder minder zahlreiche auch über das
ganze holländische Land fliegen. Die zweite Straße
schlagen Vögel aus Zentral- und Westeuropa nach
England ein, sei es um dort oder in Irland zu
überwintern, sei es um über Großbritannien süd-
wärts zu ziehen : Saatkrähen, Kiebitze, wohl auch
Dohlen schlagen diesen Weg ein und ziehen da-
bei sehr hoch. Die dritte Zugrichtung ist eine
neu festgestellte (während über die zweite bereits
Eagle Clarke berichtet hat): Drosseln, Klein-
vögel und Krähen verschiedenster Art sah man
in der Abenddämmerung oder des Morgens vom
Meere her landwärts fliegen, und gelegentlich an-
gespülte Vogelleichen zeigen, daß der Flug übers
Meer nicht gefahrlos ist. — Hinsichtlich der
Schnelligkeit des Vogelzugs treten die Verfasser
besonders den übertriebenen Vermutungen Gät-
kes entgegen und stellen ausführliche Tabellen
auf, beruhend auf Beobachtung des Vogelzugs
durch zwei um i km voneinander entfernte Posten
und genaue nachträgliche Vergleichung aller
sicher vergleichbaren Beobachtungen. So fand
sich, daß für Stare eine Geschwindigkeit von 30
bis 68 km in der Stunde anzunehmen ist, ähnlich
kleinere Vögel, unter denen die Sperlinge die
schnellsten sind, worauf Finken, Bachstelzen und
Wiesenpieper folgen. Nebelkrähen ziehen ver-
hältnismäßig am langsamsten.
Den Schluß des Berichts bildet eine Aufzählung
sämtlicher beobachteter Vogelarten mit kurzer
Charakterisierung einer jeden hinsichtlich ihrer
Zugverhältnisse im Beobachlungsgebiet. Besonders
erwähnenswerte Arten darunter sind der Kolkrabe
und dieGabelschwanzmöve.Xemasabinii; vielleicht
ist nicht minder erwähnenswert, daß von Meisen
nur zwei Arten, Kohl- und Blaumeise, zur Be-
obachtung gelangten.
Man wird sich dem Wunsche der Redaktion
der „Ardea" anschließen, daß die holländische
„Trekstation" fortbestehen und weitere Berichte
liefern möge. V. Franz (Jena).
Das Eude des Wiseuts.
Von den beiden europäischen Wildrindern hat
sich nur der Wisent bis in unsere Tage zu halten
vermocht. Neben einem kleinen Bestand, den
der Fürst von Pleß auf seinen schlesischen Be-
sitzungen unterhielt und der aus vier, 1865 von
Bialowies bezogenen Tieren hervorgegangen war,
kam die Art in freier Wildbahn nur noch an
zwei Stellen vor : einmal in dem russischen Kron-
forst Bialowies, wo sich das Tier des weitgehend-
sten Schutzes und einer, im einzelnen freilich stark
übertriebenen Pflege erfreute, und zum anderen
an einer räumlich kleinen Stelle im Kaukasus. An
dem einen dieser beiden Vorkommen, im Wald-
gebiet von Bialowies, das ja bereits im August
191 5 in deutsche Hände fiel und bis zum Kriegs-
ende auch unter deutscher Verwaltung stand,
lernten wir während des Krieges das Tier auch
selbst noch kennen. Allerdings hatte es, als
deutsche Truppen in das Waldgebiet einzogen,
bereits stark unter den Kriegshandlungen gelitten;
der Bestand, der bei Ausbruch des Krieges noch
fast 750 Stück betragen hatte, umfaßte nur noch
150- 160 Stück. Infolge der unmittelbar nach
der Besetzung des Gebietes von der deutschen
Verwaltung ergriffenen Schutzmaßnahmen aber
erholte er sich in einer recht erfreulichen Weise,
und konnte, nachdem das Frühjahr 191 8 emen
Zuwachs von nicht weniger als 23 Kälbern ge-
bracht hatte, bei einer im Herbst desselben Jahres
vorgenommenen Zählung auf wieder gegen 200
beziffert werden. Was wir aber dann bei der
Räumung des Gebietes als unabwendbar hinneh-
men mußten, hat sich inzwischen leider auch er-
füllt: der Bialowieser Wisent gehört heute nur
noch der Geschichte an ; er, der sich ja so leidlich
noch durch die Kriegswirren selbst hindurch ge-
rettet hatte, wurde ein Opfer dieser elenden nach-
kriegszeitlichen Verhältnisse. Russische Bauern
haben ihm, so schreibt mir Konrad Löns, der
gleichfalls den Bialowieser Besatzungstruppen an-
gehört hatte und der dann, als nach jenen trüben
Novembertagen 1918 Offiziere und Mannschaften
nur noch daran dachten, auf raschestem Wege die
Heimat zu erreichen, freiwillig mit nur noch 25
Mann in dem Gebiet ausharrte, um den Rückzugs-
weg unserer Ukrainetruppen zu sichern, ein Ende
bereitet und ein paar der letzten mußte dann
schließlich auch das kleine, pflichttreu ausharrende
Häuflein dieser letzten Besatzungsmannschaften
unter dem eisernen Zwange der Verhältnisse für
die eigene Verpflegung abschießen. „So ist er
dahingegangen", schließt Löns seinen Bericht,
„unrühmlich, wie es das Ende dieses entsetzlichen
Völkermordens ja auch war!" —
Zur Geschichte auch des Bialowieser Wisents
gibt Szalay, der dabei das gesamte ältere
Schrifttum benutzt und kritisch verarbeUet hat.
io8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
in seiner fleißigen Arbeit „Wisente im Zwinger"
im Zoologischen Beobachter, 57. — 59. Jahrgang,
1916— 1918, interessante und wertvolle Daten;
neueres Material enthält das von der Militärforst
Verwaltung Bialowies herausgegebene Lieferungs-
werk „Bialowies in deutscher Verwaltung", aus
dem hier besonders
Gent he, F., Die Geschichte des Wisents in
Europa; 3. Heft, Berlin 1918, S. 119— 140,
Rörig, G., Die Säugetiere [des Waldgebiets
von BialowiesJ, ebenda, S. 141 — 171 (Der
Wisent, S. 142 — 150) sowie
E s c h e r i c h , G., In den Jagdgründen des Zaren,
ebenda, S. 192 — 204
hervorgehoben seien. Einige eigene Beobachtun-
gen und die Mitteilung über des Tieres Ausrottung
habe auch ich selbst in
Europas letzte Wisente, Zeitschrift für Vogel-
schutz und andere Gebiete des Naturschutzes,
2. Jahrg., Berlin 1921 (im Druck),
niedergelegt. Photographische und kinematogra-
phische Aufnahmen des Tieres, die im Januar
19 iS erfolgten und mit deren Leitung ich
betraut worden war, ließ der Bund für Vogel-
schutz in Stuttgart vornehmen, das dabei ge-
wonnene Material befindet sich im Besitze des
Bundes.
Über das Vorkommen im Kaukasus besitzen
wir keinerlei neuere Nachrichten. Der russische
Zoologe D.Filatow, der in den Jahren 1908 — 191 1
drei Reisen in den Kaukasus zur Erforschung des
Tieres, das K. A. Satunin übrigens als eine
eigene Spezies Bos (Bison) bonasus caucasicus Sat.
beschrieben hat, unternommen und über die Er-
gebnisse seiner Forschungen in einer längeren
Arbeit in den „Memoires de l'Academie Imperiale
des Sciences de St. Petersbourg, VIII. Serie, Classe
PhysicoMathematique, Vol. XXX, Nr. 8, St. Peters-
burg 191 2" berichtet hat, gibt die Ausdehnung
des im Kaukasus vom Wisent bewohnten Gebietes
mit 50 Werst in West-Ost- und 20 Werst in Nord-
Süd-Richtung an (und das an Größe damit noch
um ein Merkliches hinter dem Waldgebiet von
Bialowies zurückbleibt). Über die Größe des
Bestandes sagt er, daß die Zahl der Tiere „schwer-
lich weniger als 100 betragen, andererseits aber
wohl kaum an 1000 heranreichen" wird. Es soll
hier nicht weiter auf die Filatowschen Mit-
teilungen, die Hermann Grote in deutscher
Übersetzung im Zoologischen Beobachter (55, 1914,
S. TJ — 85) auszugsweise mitgeteilt hat, eingegangen
werden. Nur das eine sei noch hervorgehoben,
daß schon damals F i 1 a t o w den Bestand als stark
gefährdet bezeichnete und vorschlug, die Reste
desselben durch die ungesäumte Schaffung günsti-
gerer Lebensbedingungen für die bedrohten Tiere
zu erhalten zu versuchen, vor allem den Wald-
abtrieb in den vom Wisent bewohnten Tälern
einzustellen und den Weidebetrieb, in dem Filatow
infolge der damit verknüpften Beunruhigung der
Tiere und ihrer Verdrängung von den freien
Weideflächen in. den dumpfen Urwald des Gebirges
N. F. XX. Nr. 7
eine besonders ernste Gefahr für den Wisent er-
blickte, wesentlich einzuschränken. Da die von
ihm vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen während
des Krieges aber wohl kaum haben ergriffen
werden können und zu ihrer Unterlassung dann
vor allem auch noch die Wirkungen dieses letzleren
selbst besonders mit dem Überhandnehmen des
Wilddiebstahls gekommen sind, dürfte nach
menschlichem Ermessen auch dem Kaukasus-
Bestand das gleiche Schicksal geworden sein, das
den Bialowieser Bestand betroften hat. Meine
noch während des Krieges entstandenen Be-
fürchtungen teilte auch der inzwischen verstorbene
Herr von Falz- Fein, der die Vernichtung auch
des Kaukasus- Wisentes während bzw. nach dem
Kriege für eine kaum noch anzuzweifelnde Tat-
sache hielt.
Um die Tragik des Wisents zu einer er-
schöpfenden zu gestalten, machte Prof. P a x -Breslau
auf der neunten Jahreskonferenz für Naturdenkmal-
pflege in Berlin (5. und 6. Dezember 1919) die
Mitteilung, daß auch der Pleßsche Wisentbestand,
der m. W. zuletzt gegen 30 Stück umfaßte, durch
den schlesischen Grenzschutz völlig zusammen-
gewildert und (wenn sich nicht inzwischen schon
sein Schicksal erfüllt haben sollte) an den Rand
des Abgrundes gebracht worden ist. — Wir werden
daher den Wisent, wenn nicht schon heute, so
doch zum mindesten in allernächster Zeit, in die
Annalen der Geschichte einreihen müssen.
Rud. Zimmermann, Dresden.
Das Problem der Zyauophjzeenzelle.
Seit Ferdinand Cohn, 1875, ist es Brauch
geworden, die Zyanophyzeen und Bakterien mit-
einander zu den Schizophyten zu vereinigen.
Wesentliche Unterschiede zwischen beiden in der
äußeren Morphologie wohl einander ähnlichen Grup-
pen, den Zyanophyzeen und den eigentlichen oder
Eubakterien, hat neuerdings namentlich Arthur
Meyer hervorgehoben, der den Bakterien, wie
191 8 auch Paravazini, Zellkerne und wegen
der Endosporen — während die Zyanophyzeen
Chlamydosporen bilden — Askomyzetenverwandt-
schaft nachsagt. Demnach bleiben die Zyano-
phyzeen als ganz isoliert stehende Gruppe übrig,
zumal sie, sei es infolge primitiver oder regres-
siver Organisation, keinen unzweifelhaften Zellkern
besitzen. Diese Sachlage und der Wunsch, eine
definitive Neuorientierung der Blaualgen , Rot-
algen und Spaltpilze in der botanischen Stammes-
geschichte vorzubereiten, veranlaßte O. Baum-
gärt eis Studie (Das Problem der Zyanophyzeen-
zelle, Archiv für Protistenkunde, Bd. 41, 1920, H. i,
S. 50 — 148, I Tafel). Der Arbeit ist eine vor-
zügliche Zusammenfassung beigefügt, deren gekürzte
Wiedergabe am besten über ihren Inhalt Auskunft
geben wird.
Der Protoplast der Zyanophyzeen besteht aus
dem peripheren Chromatoplasma, welches
als Assimilationspigment ein Gemisch von Chloro-
N. F. XX. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
109
phyll, Phykozyan und Karotin in diffuser Ver-
teilung enthält, wobei es zu winzigen Ansamm-
lungen in Form Meyerscher Granula sich an-
sammeln kann, und dem hyalinen Zentro-
plasma; letzteres hat lakunösenBau und in seinen
Alveolen „Plasten"; zunächst die Endop lasten,
flüssige bis steifgelige Gebilde, die wohl aus
Glyko- und P-Proteiden bestehen, und deren Sub-
stanz die Matrix für die beiden anderen Plasten-
arten ist : an der Peripherie der Endoplasten ent-
stehen bei optimaler Assimilation die Epiplasten;
sie bestehen aus einer sehr resistenten Hülle von
hochkondensiertenNukleoglykoproteiden und einem
weniger resistenten Kern, der mehr Proteincharakter
zeigt. Ektoplasten, vorwiegend aus Protein-
substanzen, entstehen an der Peripherie des Zen-
troplasmas, wenn, bei minimalem Lichtgenuß und
überwiegend saprobiontischer Ernährung, die Ei-
weißproduktion über die Kohlehydralassimilation
überwiegt.
f Zentroplasma und Plasten stellen
einen offenen Zellkern dar, der außerdem
noch die Rolle von Kohlehydratplasten hat, einen
„Karyoplasten", der „phylogenetisch jene Stufe be-
deutet, wo die Arbeitsteilung zwischen Karyo-
plasma und den Kohlehydratplasten noch nicht
durchgeführt erscheint". Der Kernsaft höherer
Pflanzenkerne entspricht den Endoplasten, die
Chromiolen den Epiplasten und die proteinhaltigen
Xukleolen den Ektoplasten.
Dem Karyoplasten fehlt eine typische mito-
tische Verlagerung von chromatischen Individuali-
täten mittels eines komplizierten Spindelfaser-
apparates; die vorhandenen Plasten werden bei
der Zerschneidung des Zentroplasmas ohne be-
sondere Gruppierungsvorgänge auf die Tochter-
zellen verteilt, wobei steifgelige Plastenaggregate
chromosomähnliche Gebilde vortäuschen können.
V. Franz, Jena.
Die Nahrung der am Wasser lebenden Yögel.
Folgende drei graphischen Tabellen gibt der
Ornithologe Wilhelm Schuster in der Allge-
meinen Fischereizeitung 1920:
Tabelle!
Fischnahrung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
It
Die Länge der Rechtecke bezeichnet die Meoge der von je
einem Vogel erbeuteten und verzehrten Nahrung.
Diese Tabellen erscheinen recht anschaulich und
einleuchtend und wohl nicht zu gewagt, obwohl
sie der Verf. selbst als „gewagt" hinstellt. In
anderen Punkten ist der Verkünder der „Wieder-
kehrenden Tertiärzeit" auch hier recht hypothe-
tisch, so in der durch Beobachtung nicht erhärte-
ten Vermutung, die herabfallenden flüssigen Ex-
kremente des Graureihers möchten Plsche anlocken,
Tabelle2.
Sonstige Nahrung
Weiß:
Wertlose Fische (kleine, kranke)
Schwarz:
Nutzfische mit Küchenwert.
1 Grauer oder Fischreiher, Ardea cinerea.
2 Fischadler, Pandion haliai-tos.
3 Großer und Mittlerer Säger.
4 Große Rohrdommel, Botaurus stellaris.
5 Taucher und Möwen, Podiceps und Larus.
6 Kleiner Säger, Zvv-ergrohrdommel.
7 Seeschwalben, Sterna.
8 Schwarzbrauner Milan.
9 Eisvogel und Wasseramsel.
10 Enten, Kiebitz, Rotschenkel, Wasser-,
Tüpfelhuhn, Rohrweihe.
11 Weißer Storch, Ciconia alba.
Teich-,
zumal sie — nach Adolf Müllers bisher nicht
bestätigter Angabe — bei Nacht leuchten sollen
wie Phosphor. Erwähnt wird, daß der Graureiher
auch Wassersalamander, Molche und Muscheln
frißt. 1) V. Franz (Jena).
Die Bedeutung einer anthropologisclien
üutersucliung der Jugend.
Rudolf Martin spricht sich in einem Vor-
trag, der in einer Versammlung des Münchener
Lehrerverbandes gehalten wurde (abgedruckt im
„Volksschulwart", 8. Jahrg. Heft 10) darüber
folgendermaßen aus. In der Vergangenheit war
die Erziehungstendenz ganz auf die Entfaltung
der geistigen Fähigkeiten gerichtet. Man war sich
nicht bewußt, daß alle geistige Entwicklung nur
dann von Dauer sein kann, wenn sie von einer
adäquaten körperlichen begleitet wird, und daß
der Körper um so kräftiger sein muß, je größer
die Anforderungen sind, die an Gehirn und Nerven
gestellt werden. Der Begriff der Körperkultur
mußte von unserer Zeit erst neu geschaffen werden
und es gilt nun, die Geister aufzurütteln, damit
') Ich fand außer Mäusen und Aalen einmal auch den
dreistachligen Stichling in Reihermägen.
HO
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 7
uns nicht der Vorwurf gemacht werden kann,
wir hätten der Jugend gegenüber unsere Pflicht
versäumt und unsere Aufgabe verkannt.
Um die körperliche Ertüchtigung der Jugend
zweckmäßig einleiten und durchführen zu können,
ist vorerst Klarheit über ihre Leibesbeschaffenheit
erforderlich. Wir brauchen einen Gradmesser für
die körperliche Beschaffenheit des Einzelnen, eine
Methode, die es uns ermöglicht, den physischen
Habitus eines Menschen in meß- und wägbaren
und damit in vergleichbaren Größen auszudrücken.
Diese weicht von Person zu Person stark ab,
erstens wegen der Verschiedenheiten der elterlichen
Erbanlagen, dann infoige der mannigfachen Ein-
wirkungen der Umwelt, die schon vor der Geburt
beginnen, jedoch besonders nachher die Entwick-
lung weitgehend beeinflussen.
Bei der Frage der Berufseignung spielt bereits
die Kenntnis der Körperkonstitution eine wichtige
Rolle, „hängt doch der Erfolg in den meisten
Berufen, weit mehr als offen zutage liegt, nicht
nur von dem erworbenen Wissen, sondern auch von
der körperlichen Beschaffenheit des Einzelnen ab".
Martin macht sich anheischig, „durch ein genaues
Studium der Körperproportionen eines Menschen
ein sicheres Urteil abgeben zu können über die
Funktionstüchtigkeit seiner einzelnen Körperteile
und damit über seine spezielle Leistungsfähigkeit
und Eignung zu gewissen Berufen".
Da aber der Körper ein äußerst verwickelter
Merkmalkomplex ist, gilt es, die wesentlichen
Eigenschaften auszuwählen und festzustellen.
Martin empfiehlt zwölf meßbare und vier nur
zu beschreibende Merkmale bei Schulunter-
suchungen zu berücksichtigen. Die Beteiligung
an der Erhebung ist von selten der Eltern und
Kinder als eine freiwillige gedacht. Erforderlich
ist u. a. die Vornahme aller Messungen nach einer
einheitlichen genau vorgeschriebenen Technik. Es
handelt sich dabei zwar um Handhabung recht
einfacher Instrumente, aber eine Vertrautheit mit
ihnen ist dennoch unerläßlich; jeder Lehrer kann
sie leicht erwerben. Beachtenswert sind Martins
Ausführungen über die Zeit der Beobachtung. Die
in dieser Hinsicht bestehenden Schwierigkeiten
sind am besten zu beheben, wenn in jeder Schule
am Anfang des Jahres die Schüler nach ihrem
Geburtsdatum in Monatslisten zusammengestellt
werden. Ungefähr zwischen dem lO. und 20. eines
jeden Monats werden dann die in diesem Monat
geborenen Kinder gemessen. Unter Umständen
könnte man sich auch damit begnügen, die Kinder
in Vierteljahrsgruppen zusammenzufassen. Ein
solches Verfahren ist wegen der Wachstums-
periodizität der Kinder erforderlich. Das Längen-
wachstum des Körpers ist „in der Zeit von April
bis Ende Juli am intensivsten, in der Zeit vom
August bis Dezember aber am geringsten. Um-
gekehrt fällt die stärkste Gewichtszunahme in die
Sommer- und Herbstmonate, während im Winter
und Frühjahr das Körpergewicht wenig oder gar
nicht zunimmt. Gewicht- und Längenwachstum
verhalten sich also alternativ. Die Zeit der größten
Längenzunahme ist für das Kind in körperlicher
und geistiger Hinsicht die ungünstigste; hier besitzt
es die geringste Widerstandskraft und Leistungs-
fähigkeit, während in der Periode der größten
Gewichtszunahme seine gesundheitliche und geistige
Verfassung am besten zu sein pflegt."
Das bei anthropologischen Schuluntersuchungen
gewonnene Material ist vielseitig verwendbar. Es
läßt sich daraus z. B. der Einfluß der sozialen
Umwelt auf das Wachstum und das Körpergewicht,
die Wirkung der geographischen Faktoren auf den
Körperbau, die Rassenzusammensetzung der Be-
völkerung usw. ermitteln.
Die geplanten Untersuchungen sollen unsere
Einsicht in die physiologischen Prozesse vertiefen
und beitragen, einer rationellen Körperkultur die
Wege zu ebnen. Dabei ist es besonders wichtig,
auch die Zweckmäßigkeit der einzelnen körper-
lichen Übungen festzustellen, denn jede derselben,
das Turnen, der Sport und die rhythmische
Gymnastik, hat ihre spezielle Bedeutung, und sie
alle sollen zur Ertüchtigung der Jugend heran-
gezogen werden.
Leibesübungen finden in der körperlichen Ent-
wicklung deutlich Ausdruck. Es wurden junge
Männer gemessen, die Turnvereinen angehören,
wobei sich ergab, daß „die Leute mit einer
mittleren Turnzeit von 2^/^ Jahren in sämtlichen
Köpermerkmalen diejenigen übertrafen, die nur
eine 4^/2 -monatliche Turnzeit hinter sich hatten.
Der Unterschied zugunsten der erstgenannten
Gruppe betrug für die Körpergröße 13 mm, für
das Gewicht 4700 g, für den Brustumfang 87 mm,
den Oberschenkelumfang 23 mm, den Oberarm-
umfang 15 mm und den Unterschenkelumfang
17 mm." Es zeigte sich auch, daß das Turnen
kein Auslese faktor ist, d. h. daß die länger
Turnenden nicht schon von vornherein die besser
Entwickelten waren, denn die erst kurze Zeit
Turnenden haben sich in der F"o]gezeit in gleicher
Weise entwickelt, wie die länger Turnenden. Die
Kräftigung der Muskulatur durch Leibesübung
trägt zur Ausbildung normaler Wirbelsäulen-
krümmungen bei, und ein erweiteter Brustkorb
dehnt die Lunge und macht sie widerstandsfähig
gegen Tuberkulose. Namentlich in den Perioden
raschen Wachstums erhöhen Leibesübungen die
Widerstandskraft der Kinder und verhüten oft,
daß krankmachende Einflüsse zur Geltung kommen
können. H. Fehlinger.
Weshalb ist die Hirnrinde gefaltet?
Es steht längst fest, daß die Faltung der grauen
Hirnrinde nur zum allerkleinsten Teil ein Aus-
druck der Intelligenzhöhe des Tieres sein kann,
da fast ausnahmslos kleinere Tiere eine viel
weniger gefaltete Hirnrinde haben als ihnen nahe
verwandte größere, ja es ist zum Beispiel bei
kleinen Nagern die Hirnrinde einfach glatt, während
N. F. XX. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
III
sie bei größeren mehr oder weniger gefaltet ist.
Mit anderen Worten : die Natur scheint es zu ver-
meiden, der Hirnrinde eine größere Dicke zu
geben als bis zu einem bestimmten Maß; wird
das Tier größer, so wird die Rinde nicht mehr
dicker, sondern stattdessen ausgebreiteter und da-
her gefaltet. So ist die Rinde der Walgehirne
sehr stark gefaltet. Warum dieses Verhältnis be-
steht, darauf gab man bisher die ziemlich ein-
leuchtend erschienene, obwohl nicht ganz ein-
wanddichte Antwort, dies diene der besseren Er-
nährung, wobei man sowohl an die erleichterte
Blutzufuhr wie auch an den erleichterten Lymph-
abfluß dachte und die Furchen des Gehirns ge-
geradezu Nährschlitze genannt hat. Seitz 1887,
Kükenthal und Ziehen 1889.
C. U. Ariens-Kappers greift neuerdings
dieses Problem in anziehender Weise auf.^) Ob
man seinem Gedankengang in allen Stücken folgen
wird, ist wohl die Frage, und es sei daher, da
ich nicht alle seine Betrachtungen in seinem Sinne
werde wiedergeben können, außer auf das folgende
Referat auch nachdrücklich auf die Originalarbeit
hingewiesen. Jedenfalls zeigt der Verfasser ein-
leuchtend, daß die obige Erklärung nicht genügen,
ja wohl kaum irgendwie zutreffen kann. Denn
das von ihm beigebrachte Tatsachenmaterial be-
steht in dem Hinweis auf zahlreiche im Innern
des Gehirns gelegene, also zu den Ernährungs-
wegen keine bestimmte Beziehung innehaltende,
gleichwohl aber sich faltende „Kerne", d. h.
Ganglienzeil- oder kurz „Grau"-Massen. Ein solcher
Kern ist zum Beispiel die Oliva inforior in der
unteren Oblongata des Säugetiergehirns. Ähnlich
erweist sich die dem weißen Hinterhorn im Rücken-
mark auflagernde graue Substantia gelatinosa
Rolandi ihrem gefältelten Querschnitt nach als
„Oberflächenorgan", ähnlich sehr deutlich der
Nucleus dentatus im Kleinhirn der Säuger, nicht
minder ist der Gollsche Kern bei Cebus, wo er
sehr groß ist, rindenähnlich lamelliert, ferner das
Grau der absteigendenTrigeminuswurzel beim Pferd,
der Nucleus laminaris im Acusticuskern ver-
schiedener Wirbeltiere und andere mehr; bei
Fischen mit starker Funktion des Sehorgans faltet
sich das Mittelhirndach ein, ebenso das Corpus
geniculatum externum (Franz). — Auch den
der Länge nach gefalteten Sehnerven von Pleu-
ronectes zieht der Verfasser als Beispiel kurz
heran, obwohl er doch kein Grau, sondern eine
weiße Fasermasse ist, also kaum hierher passen
kann. Als roten Faden durch alle diese Angaben
hindurchziehend findet Kappers, daß es sämt-
lich „Organe der Sensibilität oder Bestandteile
aufsteigender Bahnen sind", die bei stärkerer Aus-
dehnungOberflächenausdehnung gewinnen. Schließ-
') C. U. Ariens-Kappers: Über das Rindenproblem
und die Tendenz innerer Hirnteile, sich durch Oberflächen-
yermehrung statt Volumzunahme zu vergrößern. In : Folia
neuro-biologica, Band VUI, Nr. 5, :9I4. Seite 507 bis 531.
lieh ist die Großhirnrinde selber ein Beispiel, das
um so mehr auffällt, weil gerade in den olfak-
torischen, visuellen und sensiblen Regionen die
Rinde am dünnsten bleibt, also ihre Vergrößerung
am meisten durch Flächenausdehnung stattfindet.
Diese Erscheinungen im zentralen Nervensystem,
meint Verfasser weiter, laufen parallel mit Er-
scheinungen in der Peripherie. Die Sensibilität der
Haut ist eine Oberflächenausdehnung, die Akustik
zeigt in der gewundenen Fläche der Scala tym-
pani ein Oberflächenbild, die Retina zeigt eine
exquisite Oberflächenausdehnung von wenigen
Zellschichten, und der Geruch ist bei vielen Tieren,
bei denen diese Qualität mächtig ist, in einer
stark lamellierten Schleimhaut der Nase lokalisiert.
Diese Tatsachen dienen teils der vermehrten
Exposition gegenüber den Reizen, teils deren
besseren Lokalisation. „Wäre es angesichts dieser
Tatsachen befremdend, wenn dasselbe Prinzip im Ge-
hirn wiederholt würde ?" Verf. meint in der Tat, daß
„die Zweckmäßigkeit für die vermehrte Reizauf-
nahme und die leichtere Erhaltung des lokalisatori-
schen Stigmas durch Flächenausdehnung exquisit
rezeptorischer Teile klar ist" und sucht nun ferner-
hin — was ja stets berechtigt ist ■ — auch nach
einer entwicklungsmechanischen Erklärung für die
Erscheinung, denn „die Zweckmäßigkeit erklärt
eben nicht den biologischen Prozeß, wodurch diese
Flächenausdehnung zustande kommt". Für diese
Erklärung zieht er vielmehr die Neigung zur
flächenartigen Ausbreitung des Dendritengezweigs
der in Frage kommenden Zellen heran, und so
erwähnt er aus der Retina besonders die Hori-
zontalzellen, aus dem Kleinhirn die Purkinje-
schen Zellen, die Dendriten im Rückenmark von
Ammocoetes. Diese Flächenausdehnung der Den-
driten soll nun ihrerseits auf dem Kappers sehen
Gesetz der Neurobiotaxis beruhen, nach welchem
die Zellausläufer der maximalen Reizentladung
entgegenwachsen. Ganz schön, meine ich,
aber ist diese Neurobiotaxis wirklich eine „Taxis",
etwas irgendwie physikochemisch Erklärtes?
Kappers meint es, doch könnte ich dazu nur
meine Auffassung wiederholen, ') daß die Neuro-
biotaxis bisher nur vergleichend-anatomisch fest-
steht und nur aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten
„erklärt" werden kann. — Wie dem nun auch
sein mag, es scheint vom Verf. treffend darge-
legt, daß die Oberflächenausbildung jener grauen
Hirnmassen eine „inhärente" ist. „So wird
doch auch kein Mensch annehmen, daß ein Knochen,
ein Muskel, ein Sinnesorgan sich nur so und so
gebaut hat wegen einer bestimmten Blutzufuhr.
Dazu kommt, daß man Organe findet, wie die
Leber, wo jede Zelle in der sorgsamsten Weise
von Kapillaren umgeben ist, und doch von einer
Flächenausdehnung des Organs keine Rede ist."
V. Franz (Jena).
') Naturw. Wochenschr. 1919. Nr. 29, S. 414.
112
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 7
Goldschmidt, Prof. Dr., Rieh., Einführung in
die Vererbungswissenschaft. 3. neu-
bearbeitete Auflage mit 178 Abb. Leipzig 1920,
Wilh. Engelmann.
Kurz nach dem Erscheinen von E. Baurs
„Vererbungslehre" ist nun auch Goldschmidts
bekannte „Einführung in die Vererbungswissen-
schaft" neu herausgekommen. Das Buch weist
in der Anordnung und Auswahl des Stoffes eine
große Anzahl von Änderungen auf, die teils aus
den auch während der Kriegsjahre gemachten
Fortschritten auf dem Gebiet der Vererbungs-
forschung resultieren, vor allem aber auf einer
weher vertieften kritischen Durcharbeitung des
bekannten Tatsachenmaterials wie auf einer teil-
weisen Umgruppierung des gesamten Stoffes be-
ruhen.
Schon der Abschnitt über die Variabilität zeigt
derartige Veränderungen. Eine größere Einheit-
lichkeit ist hier dadurch erzielt, daß in der ersten
Vorlesung die elementaren Tatsachen über die
Zellteilung und die Chromosomen in Reifung und
Befruchtung fortgelassen sind und dafür in einer
besonderen Vorlesung Platz gefunden haben, die
im Anschluß an die Besprechung der Spaltungs-
gesetze den gesamten Chromosomenmechanismus
bei der Mendelspaltung behandelt. — Auch die
übrigen Vorlesungen über die Variabilität weisen
wesentliche Änderungen auf Die jetzt am Schluß
des ganzen Abschnittes stehende Vorlesung über
die IVIodifikabilität hat eine merkliche Verkürzung
erfahren.
Es folgt dann wie früher am Anfang des Haupt-
teiles über den IVIendelismus die Besprechung der
Dominanz- und der einfachen Spaltungserschei-
nungen. Alle schwierigeren Fälle, wie das Auf-
treten von Neuheiten, die durch ihre Häufigkeit
immer mehr an Bedeutung gewinnenden Poly-
merien, ferner die Koppelungen, die Lethalfak-
toren u. a. sind dagegen in einem Abschnht über
„höheren Mendelismus" zusammengestellt. Hier
finden sich auch im Anschluß an die Besprechung
der Tatsachen über Geschlechtschromosomen, ge-
schlechtsbegrenzte Vererbung und ähnliches die
neuen Forschungsergebnisse von Morgan und
seinen Schülern (an der Taufliege Drosophila). Die
aus ihnen abgeleiteten theoretischen Folgerungen
Morgans, die den Mechanismus der Mendel-
spaltung bis in seine feinsten Einzelheiten aufzu-
hellen scheinen, wie z. B. über die Lagerung der
Bticherbesprechungen.
Faktoren im Chromosom, über den P"aktorenaus-
tausch zwischen benachbarten Chromosomen u. a.
erfahren dabei eine durchdringende Erörterung.
Das eigentliche Problem der Geschlechtsbe-
stimmung ist von den übrigen Tatsachen über
Vererbung des Geschlechts abgetrennt und in
verkürzter Form in der vorletzten Voriesung dar-
gestellt. Auch die früher nur kurz im Anschluß
an die geschlechtsbegrenzte Vererbung diskutierte
Frage der Intersexualität wird in einer besonderen
Vorlesung auf Grund der neuen Untersuchungen
des Verf. und seiner Mitarbeiter sehr eingehend
behandelt.
In der Voriesung über die Mutationstheorie
hat der über die Oenotherafrage handelnde Teil
eine wesentliche Umarbeitung erfahren im Hin-
blick auf die weitgehende Klärung, welche dies
Problem inzwischen durch die neu hierzu erschiene-
nen Untersuchungen insbesondere durch Renners
Ergebnisse und ihre Interpretation gefunden hat.
Auch der Vorlesung über die Vererbung erwor-
bener Eigenschaften ist die kritische Durcharbeitung
besonders anzumerken. Hier sind Guthries
jetzt wohl endgültig widerlegte Transplantations-
versuche ausgemerzt. Auch fehlen Kamm er ers
Versuche über die Farbenvariationen beim Feuer-
salamander und andere nicht eindeutige früher oft
zitierte Befunde. Denn wie der Verf selbst ein-
leitend betont, ist hier „die Interpretation der im
Vordergrund des Diskussion stehenden Unter-
suchungen in letzter Zeit schwankend" geworden.
So ist in fast jedem Kapitel die kritisch sich-
tende Hand des Verf. zu spüren. Nur einige Un-
genauigkeiten auf botanischem Gebiet bedürfen
noch der Korrektur. Die Neuauflage ist, darin
müssen wir dem Verf. recht geben, ein fast neues
Buch geworden, das seine Aufgabe, in die Ver-
erbungswissenschaft einzuführen, voll und ganz
erfüllen wird. Um so mehr ist es deshalb zu be-
dauern, daß es dem Verleger trotz der Verwendung
eines überaus dürftigen Papiers nicht möglich war,
den Preis des Buches niedriger anzusetzen. Da-
durch werden naturgemäß der Verbreitung dieses
empfehlenswerten Buches in den Kreisen der
Studierenden unserer Hochschulen leider sehr enge
Grenzen gezogen. S. V. Simon-Göttingen.
Literatur.
Spitta, Prof. Dr. O., Grundrifl der Hygiene. Mit
197 Textabb. Berlin '20, J. Springer. 36 M.
Inhalt: H. Fncke, Wind und WeUer als Feldwirkungen der Schwerkraft, (s Abb.) S. 97. Rud. Zimmermann, Über
das Vorkommen des Ziesels in Sachsen, (i Abb.) S. :o2. — Einzelberichte: W. Eitel, Zinkblende im Basalt des
Buhls bei Kassel. S. 104. J. Versluys, Limulus, ein zum Wasserleben übergegangener Arachnide? S. 106. G A
Brower und Jan Verwey, Beobachtungen der „Vogelwarte Noordwijk aan Zee". S. I06. R. Zimmermann Das
Ende des Wisents. S. 107. O. Bau mgärtel, Das Problem der Zyanophyzeenzelle. S. 108. W. Schuster' Die
Nahrung der am Wasser lebenden Vögel. (3 Abb.) S. 109. R. Martin, Die Bedeutung einer anthropologischen Unter-
suchung der Jugend. S. 109. C. U. Ariens -Kapp ers, Weshalb ist die Hirnrinde gefaltet? S. iio. — Bücher-
besprechungen : Rieh. Goldschmidt, Einführung in die Vererbungswissenschaft. S. 112. — Literatur: Liste. S. 112.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, BerUn N 4, luTalidenstrafie 42, erbeten.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folge 20. Band ;
der ganzen Reihe 36. Band.
Sonntag, den 20. Februar 1921.
Nummer 8.
Das Problem der Wirtswahl bei den parasitischen Pilzen/)
[Nachdruck verboten.]
Von Dr. Fritz
I.
Wenn wir von parasitischen Pilzen sprechen,
müssen wir zuerst vorausschicken, was wir unter
diesem Begriff verstehen; denn von den Pilzen,
die nur auf totem Substrat exjstieren können
(Saprophyten), gibt es mancherlei Übergänge (z. B.
Wundparasiten) bis zu den Formen, die unbedingt
auf lebendes Gewebe angewiesen sind. In diesem.
Aufsatz werden nur die letztgenannten Typen,
die strengen Parasiten, berücksichtigt.
Das Problem der Wirtswahl bildet einen guten
Ausgangspunkt zur Diskussion über Neubildung
biologischer und morphologischer
Arten. Doch werde ich diese Fragen im vor-
liegenden Aufsatz nicht in die Besprechung ein-
beziehen, indem ich auf einen Vortrag von Ed.
Fischer verweise (Fischer 1916). Im folgen-
den wird also die Wirtswahl der Parasiten als
gegebene Tatsache angenommen und nur den
Gründen nachgegangen , die sie so und nicht
anders gestalten, wie sie eben ist.
Daß zwischen den strengen Parasiten und
ihren Wirten innige Beziehungen existieren müssen,
ist von vornherein anzunehmen; denn der Pilz
benutzt die Pflanze nicht nur als Wohnplatz, son-
dern auch in bezug auf seine Nahrung ist er voll-
ständig auf sie angewiesen, vermag er doch nicht
die geringste Spur von Baustoffen selbst zu pro-
duzieren. Dieser tiefen Abhängigkeit wegen
können die Gründe von Immunität oder Empfäng-
lichkeit nicht nur durch das eine der beiden Lebe-
wesen bedingt sein. Pilz und Wirt müssen viel-
mehr in sehr feiner Weise aufeinander abgestimmt,
aneinander angepaßt sein.
Betrachten wir vorerst die Tatsachen dieser
Anpassung und der dadurch bedingten Speziali-
sation ohne uns über ihre Gründe irgendwelche
Vorstellung zu machen, so fällt uns die außer-
ordentliche Kompliziertheit der Verhältnisse auf.
Diese möge einleitend an Hand einiger Beispiele
gezeigt werden.
Zuerst möchte ich auf die bekannte Erschei-
nung hinweisen, daß die Spezialisation der ein-
zelnen Pilze in sehr weiten Grenzen schwankt.
So ist beispielsweise der sehr häufige „weiße Rost"
des Hirtenläschchens (Cystopus candidus)
nach den Untersuchungen von Eberhardt
(Eberhardt 1904) in ein und derselben biologischen
Form sowohl auf Capsella als auch noch auf
mancher anderen Cruciferengattung verbreitet.
Für Peronospora parasitica dagegen, einer
anderen Kreuzblütler- bewohnenden Peronosporee,
Kobel (Bern).
hat Gäumann erwiesen (Gäumann 1918), daß
sie so weitgehend spezialisiert ist, daß kaum ein
und dieselbe Form Vertreter verschiedener Gattun-
gen zu befallen vermag. Ähnliche Beispiele ließen
sich aus den Versuchen von Stäger (1905 — 10)
mit dem Mutterkorn der Gräser (Claviceps
purpure a) und denjenigen von Bürens mit
Protomyces (v. Büren 191 5) und noch aus
anderen Pilzgruppen erwähnen. Doch möchte ich
nur noch anführen, daß man in den sehr zahl-
reichen Untersuchungen der Rostpilze fast durch-
weg weitgehende Spezialisierung gefunden hat.
Aber gerade hier gibt es einige interessante Aus-
nahmen, auf die ich noch zurückkommen werde.
Neben Coleosporium- Arten , P u c c i n i a
Isiacae und P. subnitens handelt es sich
hauptsächlich um das vielbesprochene Cronar-
tiumasclepiadeum. Es ist dies eine Uredineen-
Art, die ihre Aezidiosporen, d. h. ihre geschlecht-
lich entstehenden Fortpflanzungsprodukte, auf der
Kiefer ausbildet. Ihre Uredo- und Teleutosporen-
generation lebt für gewöhnlich auf Vince toxi -
cumofficinale. Ed. Fischer konnte dann
aber einwandfrei dartun — nachdem schon
Geneau de Liamarliere dies wahrscheinlich
gemacht hatte — , daß auch Paeonia befallen
wird. Seither hat besonders Kle bah n noch eine
ganze Anzahl anderer Wirte experimentell aufge-
funden und zwar aus den verschiedensten Familien,
wie die nachstehende Zusammenstellung zeigt:
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Es ist aber ausdrücklich hervorzuheben , daß
dieser Pilz nicht etwa omnivor ist , d. h., daß er
nicht auf jede beliebige Pflanzenart überzugehen
vermag (vgl. hinterste Kolonne der Tabelle).
Betrachten wir nun die Wirtswahl vom Ge-
sichtspunkt der systematischen Verwandtschaft
der Pilze unter sich aus. Da sind denn auch
wieder alle möglichen Fälle realisiert:
Es ist allgemein bekannt, daß morphologisch
nicht unterscheidbare Formen in ihrer Wirlswahl
verschieden sein können. Solche biologische
Arten oder Spezial formen hat die Forschung
sehr viele bekannt gemacht. So fand ich, um nur
ein Beispiel anzugeben (Kobel 1920), daß Uro-
myces Trifolii in zwei morphologisch nicht
verschiedene Formen zerfällt. Davon hat die
eine als Hauptwirt Trifolium pratense, geht
daneben auch auf andere Trifolien über, nicht
') Dieser Aufsatz wurde als Vortrag im Winter 1919/20
in der ,, Bernischen botanischen Gesellschaft" gehalten und für
die „Naturwissenschaftliche Wochenschrift" etwas umgeändert.
114
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 8
Familien
Asclepiadaceae:
Ranunculaceae:
Solanaceae:
Scrophulariaceae:
Verben aceae:
Balsaminaceae:
Rosaceae:
Tropaeolaceae:
Wirte
Vincetoxicum officinale
„ fuscatum
Paeonia officinalis
„ peregrina
„ tenuifolia
Schizanthus Graham!
Fedicularis palustris
Nemesia versicolor
Verbena teucrioides
erinoides
Immun
Impatiens balsaminea
Grammatocarpus volubilis
Tropaeolum minus
„ majus
„ Lobblanum
,, canariense
P. silvatica
V. officinalis
„ Aublietia
„ biseriata
„ bonariensis
„ bracteosa
„ urticifolia
„ venosa
J. nolitangere
„ glandulosa
„ parviflora
aber auf T. ochroleucum. Die andere wird
auf T. ochroleucum gefunden, ging in den
Versuchen auf weitere Arten über, nie dagegen
auf T. pratense. Von Interesse für unsere
Frage ist dabei, daß trotz dieser offenbaren bio-
logischen Verschiedenheit einige gemeinsame
Wirte aufgefunden wurden (T. alpinum, ar-
vense, pannonicum, squarrosu m).
Angesichts dieser verschiedenen Wirtswahl von
morphologisch nicht unterscheidbaren Formen
verwundern wir uns durchaus nicht, daß Pilze aus
Gruppen, die im System weit auseinander liegen,
auf demselben Wirtspflanzenkreis nicht die gleiche
Auswahl treffen. Ich verweise auf die Umbelli-
feren bewohnenden Puccinia- und Protomyces-
Arten und auf die Gramineen-Bewohner unter den
Rostpilz- und Claviceps- Arten.
Dagegen wurde auch beobachtet, daß mor-
phologisch verschiedene Arten fast durchweg die-
selben Wirte befallen. Dies gilt z. B. für Pucci-
nia Jaceae und P. Centaureae f. spec.
Transalpinae, wie Hasler (1918) nachge-
wiesen hat.
Einen interessanten Fall fand ich auch unter
meinen Versuchsobjekten (Kobel 1. c). Uro-
myces Trifolii-hybridi, U. Trifolii-re-
pentis und U. flectens sind offenbar einander
nahe verwandte Spezies. Denn weder in ihren
Aezidien oder Uredosporen (wo solche vorkommen),
noch in ihren Teleutosporen zeigen sie greifbare
Unterschiede. Auch die Wirtswahl ist in weit-
gehendem Maße identisch. Dagegen weichen die
3 Arten im Entwicklungsgang sehr deutlich von-
einander ab.
Von großem Interesse für die Frage der Wirts-
wahl ist die Erscheinung des Wirtswechsels,
wie sie sich am ausgesprochensten bei den Rost-
pilzen findet. Es zeigt sich, daß die Wirte der
beiden Entwicklungsabschnitte aus systematisch
meist weit entfernten Gruppen stammen: Cupres-
saceen — Rosaceen (Gymnosporangien), Abieiaceen
— verschiedene Dikotylenfamilien (Coleosporien
nnd Cronartien), Papilionaceen — Euphorbiaceen
(verschiedene Uromyces-Arten) usw. Auch der
Grad der Spezialisation ist oft in beiden Ab-
schnitten sehr verschieden. Während z. B. für
Cronartium asclepiadeum und einige
Coleosporien die Aezidien - Generation sehr
spezialisiert und die Uredo - Teleuto - Generation
multivor ist, wurde für Puccinia Isiacae und
P. subnitens das Gegenteil erwiesen.
Als Komplikation für die Frage der Wirtswahl
tritt hinzu, daß man nicht zwischen Anfälligkeit
und Immunität schlechtweg unterscheiden kann.
Es kommen vielmehr alle möglichen graduellen
Abstufungen vor zwischen vollkommener Wider-
standsfähigkeit und leichtestem Befall. So findet
man z. B. häufig — um nur einen solchen Emp-
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
HS
fänglichkeitsgrad zu kennzeichnen — , daß auf be-
stimmten Pflanzen eine Uredinee wohl Pykniden,
nicht aber Aezidien zu bilden vermag. Doch ist
noch eines anderen Punktes zu gedenken. Der
Amerikaner Siakman (1915) hat nämlich er-
wiesen, nachdem schon Ward, Klebahn u. a.
darauf aufmerksam gemacht hatten, daß der Nicht-
befall einer Pflanze auf zwei diametral entgegen-
gesetzten Gründen beruhen kann : auf der Immu-
nität im eigentlichen Sinne und auf „Überempfäng-
lichkeit". Stak man konnte nämlich beobach-
ten, daß oft die Keimschläuche der Uredineen-
sporen in normaler Weise in eine Wirtspflanze
eindringen und sich dort einige Zeit entwickeln.
Dann aber töten sie die Wirtszellen in ihrer Um-
gebung ab. Da nun die Rostpilze strenge Para-
siten sind, können sie in diesem abgestoibenen
Gewebe nicht weiter gedeihen und schaffen sich
so durch zu intensives Einwirken selbst ein zu
ihrem Fortkommen unbrauchbares Substrat.
II.
Nachdem wir uns die Haupttatsachen der
Spezialisation vergegenwärtigt haben, wollen wir
ihre Ursachen diskutieren.
Wir wollen zuerst die Frage berücksichtigen,
ob vielleicht rein pflanzengeographische
Gründe für die Wirtswahl maßgebend seien,
so, daß ein Pilz sich an die Pflanzen angepaßt
hätte, die an seinem ursprünglichen Entstehungs-
ort gerade wuchsen. Es sind wirklich einige
Beispiele bekannt geworden, die für diese Annahme
sprechen. So hat Stäger (1905) vom Mutter-
korn der Gräser eine Spezialform gefunden, die,
soweit die Versuche reichen, nur die beiden wald-
bewohnenden Gramineen Brachypodium sil-
vaticum und Milium effusum befiel, nicht
aber ihre verwandten Wiesenbewohner. Ein
anderes schönes Beispiel hat Ed. Fischer be-
kanntgegeben. Es handelt sich um Uromyces-
caryophyUinus, einen Rostpilz, der seine
Aezidien auf Euphorbia Seguieriana (^ E.
Gerardiana) bildet. Fischer konnte nun dartun,
daß dessen Teleutosporengeneration im Wallis
(Schweiz) in gleicher Weise sowohl Saponaria
ocymoidesals auch Tunica prolifera befällt.
Mit Infektionsmaterial aus dem Großherzogtum
Baden konnte er die Tunica sehr stark, die Silene
aber nur äußerst schwach infizieren. Da die letzte
in Baden nicht vorkommt, liegt hier eine sehr
schöne Kongruenz zwischen Pflanzengeographie
und Wirtswahl vor. Es scheinen dies aber Aus-
nahmefälle zu sein, denn in weitaus den meisten
Untersuchungen zeigt sich, daß die Spezialisation
mit der Verbreitung der Wirtspflanzen nicht
parallel geht. Ich verweise nur auf das Cronartium
asclepiadeum (vgl. die Tabelle), das eine Menge
Pflanzen zu befallen vermag, die in seinem natür-
lichen Verbreitungsgebiet — und dieses ist durch
die Kiefer bedingt — nicht vorkommen.
Lange hat man geglaubt, die Immunität mit
gewissen morphologischen Eigentümlichkeiten
der betreffenden Pflanzen erklären zu können.
Es liegt ja nahe, etwa eine dicke Cuticula oder
Epidermis oder einen dichten Haarbesatz als Schutz-
mittel anzunehmen. Dies mag in einigen Fällen
berechtigt sein, ist aber sicher nicht von großer
oder gar allgemeiner Bedeutung.
Dann hat man vielfach versucht, die Empfäng-
lichkeit mit der systematischenVerwandt-
schaft zu parallelisieren. Man hat dafür wirklich
einige schöne Beispiele gefunden, wovon ich be-
sonders die Puccinia Hieracii anführen will.
Diese Sammelart zerfallt zuerst in zwei Unterarten;
sie weisen geringe morphologische Unterschiede
auf; davon lebt die eine nur auf Euhieracien, die
andere ausschließlich auf der Untergattung der
Piloselloiden. Jede von ihnen zerfällt dann weiter
in eine Anzahl Spezialformen, die auch in recht
weitgehendem Maße der weiteren Aufteilung der
Gattung Hieracium folgen. Als ferneres Beispiel
dieser Art möchte ich die Resultate anführen, die
Schweizer (1919) mit einer Compositen - be-
wohnenden Peronosporee, dem Verursacher der
unter dem Namen „Salatschimmel" bekannten
Krankheit des Salates und vieler anderer Compo-
siten, erhielt. Diese BremiaLactucae zerfällt
in eine Anzahl Spezialformen, wovon jede nur
Vertreter von einer Gattung befällt, nicht aber
auch — soweit wenigstens die eingehenden Ver-
suche reichen — auf Vertreter anderer Gattungen
übergeht.
Meist liegen die Verhältnisse aber so, daß eine
Art, bzw. Spezialform vorzugsweise Ver-
treter einer bestimmten systematischen
Gruppe befällt, daneben aber auch auf einzelne
Vertreter aus verwandten Gruppen übergeht. Je
nach dir Infektionsweite des Pilzes sind diese
Gruppen bald Gattungen, bald Untereinheiten von
solchen. Daß dem so ist, zeigen fast alle mit einer
genügend großen Anzahl Pflanzen ausgeführten
Versuche, so z. B. die von mir mit Trifolien ■ be-
wohnenden Uromyces -Arten eingeleiteten und die
von Steiner mit den Alchemillen-bewohnenden
Formen der SphaerothecaHumuli gemachten
Experimente (Steiner 1908). Wichtig für unsere
Frage ist die Tatsache, daß auch innerhalb
der Hauptnährpflanzengruppe einzelne
Arten unempfänglich sein können. Bei
den sehr eingehend studierten Getreiderosten hat
man sogar gefunden, daß es innerhalb einer
empfänglichen Art, ja, innerhalb einer empfang-
lichen Varietät, Rassen geben kann, die praktisch
immun sind. Es ist dies ein Resultat, das für
die Züchtung widerstandsfähiger Sorten von Kultur-
pflanzen von größter praktischer Bedeutung ist.
Sehen wir also schon in diesen Beispielen, daß
die Empfänglichkeit nur bis zu einem gewissen
Grade mit der systematischen Verwandtschaft
Hand in Hand geht, so zeigt das mehrfach erwähnte
Cronartium asclepiadeum ein Verhalten,
das gleichsam jeden derartigen Parallelisierungs-
versuch verhöhnt. Dieser oft großen Willkür und
Unregelmäßigkeit halber ist es durchaus nicht
ii6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 8
ratsam, umgekehrt für Pflanzen, die von denselben
Parasiten befallen werden, eine systematische Ver-
wandtschaft geltend zu machen, wenn nicht zugleich
auch andere Verhältnisse (morphologische, genetiche
usw.) im gleichen Sinne sprechen.
Wenn wir von der systematischen im Stich
gelassen werden, so haben manche Forscher auf
die chemischeVerwandtschaft hingewiesen
und dies sicher mit viel größerer Berechtigung.
Der Pilz ist ja in höchstem Maße von den Stoffen
der Wirtspflanze abhängig, da sie seine einzige
Nahrungsquelle darstellen.
Wir müssen aber diese Verwandtschaft näher
zu definieren trachten, indem wir das Wesentliche
im komplizierten Chemismus der Pflanze heraus-
suchen. Dies sind nun unzweifelhaft die Ei weiß -
Stoffe, die ja als die eigentlichen Träger der
Lebenserscheinungen anzusehen sind. Obschon
man chemisch von ihnen leider wenig weiß, ist
doch sicher, daß sie große und komplizierte
Moleküle darstellen, und daß infolge der Isomerie
— worauf für unsere Frage besonders Heske
hinweist — eine unübersehbare Anzahl unter sich
wenig verschiedener Eiweiße existieren kann.
Daß sie faktisch existiert, hat die Serodiagnostik
erwiesen, indem sie verschiedene Methoden zur
biologischen Eiweißdifferenzierung gefunden hat.
Diese sind bereits so verfeinert, daß man sogar
Varietäten einer Art in ihren Eiweißen auseinander
halten kann. Daneben existieren aber auch
Methoden, die dazu taugen, große Unterschiede,
wie sie z. B. zwischen Familie und Familie vor-
kommen, nachzuweisen.
Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse
der Serodiagnostik für unsere Frage keine Be-
deutung haben zu können, denn sie zeigen, daß
die Eiweißverwandtschaft mit der systematischen
parallel zu gehen scheint, und diese haben wir
ja als nicht durchaus maßgebend für die parasitäre
Wirtswahl erkannt. Aber die Verhältnisse liegen
bei weitem nicht so einfach. Vor allem ist zu
bedenken, daß die Eiweißähnhchkeit nicht immer
durch die stammesgeschichtliche — was soviel
heißt, wie systematische — Verwandtschaft bedingt
sein muß. Es können vielmehr auch Konvergenzen
in den Eiweißstoffen systematisch weit auseinander
Stehender Lebewesen möglich sein, ein Punkt, der
auch von den Serodiagnostikern zugegeben wird.
So müßten denn Vincetoxicum officinale,
Nemesiaversicolor,Tropaeolum und alle
die anderenWirtedesCronartium asclepiadeum
unabhängig von ihrer Stammesgeschichte gewisse
Eiweißähnlichkeiten erworben haben. Diese fürs
erste fast unmöglich anmutende Forderung gewinnt
durch die Untersuchungen von Thöni und
Thaysen (1915) bedeutend an Wahrscheinlich-
keit. Sie konnten nämlich dartun, daß ein und
dieselbe Pflanzenart mehrere Eiweiße besitzt. Es
gelang ihnen bei Weizen, Roggen und Gerste eine
ganze Anzahl durch fraktionierte Ausfällung mit
Ammoniumsulfat zu isolieren und ihre Verschie-
denheit dann auf serodiagnostischem Wege dar-
zutun. Diese Forscher weisen selbst darauf hin,
daß man das Problem der parasitischen Pilzwahl
damit in Zusammenhang bringen könne, sind sich
aber bewußt, daß Einwände dagegen zu gewär-
tigen seien. Diese verlieren aber bedeutend an
Kraft, wenn man auch den Einfluß anderer Fak-
toren, auf die ich noch zurückkommen werde,
nicht vergißt.
Daß unter der Zahl der Eiweißstoffe in den
verschiedenen Wirten des Cronartiums asclepiadeum
nun auch gewisse gemeinsame Typen vorkommen
können, erscheint uns schon viel wahrscheinlicher.
In diesem Zusammenhang betrachtet, erscheint es
interessant , daß dieser Rostpilz zwei Wirte mit
einigen ebenfalls mullivoren Coleosporien gemein-
sam hat (Schizanthus Grahami und Tropaeolum
minus). Ferner wird Tropaeolum majus zugleich
von Cronartium und der vielleicht in ihrer Wirts-
wahl noch extremeren Puccinia Isiacae befallen.
Diese hat wiederum sechs Gattungen mit der
vierten multivoren Uredinee, mit Puccinia sub-
nitens, gemeinsam; davon stimmen drei sogar
in den Arten überein (dies nach den Unter-
suchungen von Klebahn, Tranzschel,
Arthur und Bethel zusammengestellt). Es
ist möglich, daß in weiteren Untersuchungen
eine noch größere Übereinstimmung gefunden
wird. Es scheinen demnach nicht nur die ge-
nannten Pilze sehr multivor, sondern ebenso die
betreffenden Pflanzen sehr empfänglich. Dies kann
seinen Grund darin haben, daß gewisse, von
mehreren Pilzen ausnutzbare Eiweißstoffe, immer
wieder auftreten, ohne daß in den befallenen
Pflanzen andere chemische Verbindungen vorkom-
men, die einen Befall durch den Parasiten ver-
hindern. Es wäre höchst wünschenswert — und
Ed. Fischer hat diesen Gedanken schon 1916
(1. c.) geäußert — , daß Serodiagnostik und Myko-
logie zusammenarbeiten , um diese interessante
Frage abzuklären. Dabei dürfte man allerdings
vor den feinsten Methoden, und besonders vor
einem Isolierungsversuch der verschiedenen Ei-
weiße, nicht zurückschrecken.
Aus den bisher gemachten serodiagnostischen
Versuchen ist für unsere Frage noch nicht viel abzu-
leiten. Doch muß ich eine Angabe vonWendelstadt
undFellner(i9ii)erwähnen. Sie konnten nämlich
konstatieren, daß ImpatiensBalsaminea mit
Tropaeolum minus — wenn auch nur schwach
— positiv reagierte. Und sie erklären es als auf-
fallend, daß hier zwei Pflanzen aus verschiedenen
Familien in ihren Eiweißen so nahe übereinstim-
men, daß sie (in ihrer Versuchsdisposition 1) eine
Verwandtschaft anzeigen. Für uns hat dieser
Punkt aber besondere Bedeutung dadurch, daß
die beiden Pflanzen zugleich Wirte des Cronar-
tium asclepiadeum sind.
Wir müssen aber noch auf andere Faktoren
hinweisen, die die Verhältnisse noch unübersicht-
licher gestalten können. Vorerst" haben wir zu
berücksichtigen, daß in der Wirtspflanze noch
sehr viele andere Stoffe als nur Eiweiße vor-
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
117
banden sind, Verbindungen, die unter Umständen
auch von Bedeutung für den Pilz sein können.
So hat V. Kirchner gefunden, daß zwei für
Gelbrost empfängliche Weizensorten einen ge-
ringeren Säure-, dafür aber einen bedeutenderen
Dextrosegehalt aufwiesen als zwei wenig empfäng-
liche. Ähnliches hat er für den Befall durch
Steinbrand dargetan und war schon vor ihm für den
Rebenschädling Peronospora viticola be-
kannt. Er ist geneigt, diesen Verschiedenheiten
die Schuld am Befall oder Nichtbefall zuzuschreiben.
Dabei darf man nicht vergessen, daß solche Re-
servestoffe (und Stofifwechselprodukte) , von Art
zu Art bekanntHch, im Gegensatz zu den Eiweißen,
sowohl in quantitativer als auch in qualitativer
Hinsicht, sehr variabel sein können. Es ist daher
sehr virohl möglich, daß ihnen manche Art inner-
halb der oben erwähnten Hauptnährpflanzengruppe
die Immunität gegenüber einem bestimmten Para-
siten verdankt. Da diese Stoffe bis zu einem ge-
wissen Grad auch von äußeren Einflüssen, z. B.
der Düngung, abhängig sind, könnten indirekt auch
die Infektionsmöglichkeiten der Pilze einigermaßen
beeinflußt werden. Doch hebt v. Kirchner
nachdrücklich hervor, daß die Anfälligkeit (bzw.
Widerstandsfähigkeit) durchaus erbliches IMerkmal
sei. Dies ist natürlich für die Beurteilung der
ganzen Frage von fundamentaler Bedeutung, speziell
auch für die Züchtung widerstandsfähiger Sorten
unserer Kulturpflanzen.
Ein interessantes Beispiel, das auch in diesen
Zusammenhang gehören dürfte, führt Lang an.
Er experimentierte nämlich unter anderen mit
einer für den Gelbrost (Puccinia gluniarum)
nicht empfänglichen Weizensorte. Infizierte er
aber die betreffenden Pflanzen vorher mit dem
Brandpilze Tilletia Tritici, so verloren sie
ihre Immunität gegenüber dem Rostpilz. Lang
nimmt wohl mit Recht an, daß durch das Auf-
lösen des Tilletiamyzels der Chemismus der Weizen-
sorte verändert wurde.
III.
Suchen wir uns zum Schluß noch eine Vor-
stellung über die Vorgänge bei derNahrungs-
aufnahme der parasitischen Pilze zu machen;
denn das Wie der Aufnahme könnte geeignet
sein, auch einige Anhaltspunkte über die Wirts-
wahl selbst zu liefern.
Wir dürfen von vornherein nicht annehmen,
daß die Eiweißsubstanzen der Wirtspflanzen als
solche aufgenommen werden. Wir müssen viel-
mehr annehmen, daß die Pilze Fermente aus-
scheiden, die fähig sind, die komplexen Moleküle
zu zerlegen. Auf diese Fermentwirkung hat neben
anderen Forschern besonders Heske hingewiesen.
Die Teilstücke des Eiweißes müssen jedenfalls so
klein sein, daß sie durch die Haustorienwand des
Parasiten hindurchzutreten vermögen. Erst dann
kann der Pilz sie aufnehmen und in Teile von
sich selbst umwandeln.
Ehrlich^ denkt sich das Eiweißmolekul zu-
sammengesetzt aus einem „Kern" von unbekannter
chemischer Zusammensetzung, an den die sog.
„Seitenketten" gebunden sind. Er stellt sich
darunter gewisse chemische Gruppierungen vor,
die fähig sind, sich mit bestimmten chemischen
Stoffen zu vereinigen. Ist diese Bindung geschehen,
so entstehen im Eiweißmolekül drin Umlage-
rungen, die die aufgenommene Substanz in Teile
des aufnehmenden Organismus selbst umwandeln.
Diese Gedankengänge bilden die Grundlage zu
E h r 1 i c h s berühmter „Seitenkettentheori e",
die in der Immunitätslehre eine so bedeutende
Rolle spielt. Die weiteren Punkte dieser Theorie
können wir für unsere Frage entbehren. Für uns
ist wichtig, daß die Seitenketten des Pilzeiweißes
— gleichsam als Fangarme wirkend — sich mit
den durch die Fermente gebildeten Teilprodukten
des Pflanzeneiweißes, unfd mit anderen geeigneten
Produkten der Pflanzenzelle, verbinden können.
Ja, es erscheint möglich, daß sie diese sogar in-
folge der chemischen Valenz durch die Haustorien-
membran hindurchzuziehen vermögen. Nun sind
drei Fälle denkbar:
1. Die aufgenommene Substanz kann so an
eine Seitenkette gebunden werden, daß sie nach-
her durch intramolekulare Umwandlungen ver-
arbeitbar ist.
2. Sie kann mit einer Seitenkette eine so feste
Bindung eingehen, daß sich dieser intramolekulare
Umbau nicht mehr zu vollziehen vermag. Abge-
sehen davon, daß der aufgenommene Teil so für
den Pilz nutzlos wird, ist für ihn auch ein „Fang-
arm" verloren, da die Seitenkette durch die feste
Bindung gleichsam lahmgelegt wird.
3. Und schließlich ist auch der Fall denkbar,
daß ein aufgenommener Stoff zu den Seitenketten
des Pilzeiweißes gar keine Affinität besitzt (wenn
in diesem Fall überhaupt eine Aufnahme erfolgt).
Weil nun sowohl bei den Eiweißstoffen der
Wirtspflanzen als auch bei denjenigen der Pilze
eine große Mannigfaltigkeit möglich ist, und weil
auch eine große Anzahl von Fermenten in Be-
tracht kommen kann, verwundert uns die große
Vielgestahigkeit in der Wirtswahl durchaus nicht.
Daß die.«e aber in den weitaus meisten Fällen mit
der systematischen Verwandtschaft der Wirte
Hand in Hand geht, wird verständlich durch die
damit mehr oder weniger parallel gehende Ei-
weißverwandtschaft.
Die Unempfänglichkeit könnte nach dieser
Hypothese ihren Grund in einer Lahmlegung der
Seitenketten haben, wenn nicht schon die Fer-
mente des Pilzes ungeeignet waren zum Auflösen
des betreffenden pflanzlichen Eiweißes. Die Uber-
empfänglichkeit dagegen ist wohl am einfachsten
als zu heftiges Einwirken der Fermente erklärbar,
da man ja ein Absterben der Wirtspflanzenzellen
konstatiert.
Eine geringe Änderung im Chemismus des
Pilzes — sei sie nun durch Mutation oder
sonstwie entstanden — hätte sogleich eine Ände-
rung in der Wirtswahl zur Folge, also die Bildung
ii8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift,
N. F. XX. Nr. 8
einer neuen Spezialform. Von dieser aus ist der
Schritt zu einer neuen morphologischen Art kein
großer und kaum mehr prinzipieller Natur. Man
weiß im Grund nie, ob bei den „biologischen
Arten" nicht doch geringe, mit den derzeitigen
Hilfsmitteln nicht beobachtbare morphologische
Unterschiede vorhanden sind, und die Übergänge
zu „guten Arten" sind ja allmähliche.
Überblicken wir noch einmal unser Problem,
so erscheint es uns als sehr wahrscheinlich,
daß die Wirtswahl in erster Linie ab-
hängig ist von den Eiweißsubstanzen
der Wirtspflanzen. Da aber ein und
dasselbe Lebewesen verschiedene Ei-
weißkörper besitzt, und da ebenfalls
Stoffwechselprodukte und Reserve-
stoffe, sowie morphologische Eigen-
tümlichkeiten von Einfluß sein können
und indem auch verschiedene Fermente
entscheidend einwirken werden, treten
in der Wirtswahl eines Parasiten viele
Unregelmäßigkeiten auf, so daß sie
nicht durchaus mit der systematischen
Verwandtschaft der Wirtspflanzen par-
allel geht. Mit H.lfe der Ehrlichschen
Seitenkettentheorie kann man sich einigermaßen
eine Vorstellung von den komplizierten Wechsel-
beziehungen machen. Möge bald die Eiweiß-
chemie die Hindernisse, die einen tieferen Einblick
in diese Fragen verwehren, überwinden. Dann
wird man für unser Problem, und auch für die sich
eng anschließende Frage der Bildung neuer Formen
im Pflanzenreich, auf besserer Grundlage stehen.
Literatur.
Für die Literatur über die Rostpilze verweise ich auf die
alljährlichen Zusammenstellungen von Ed. Fischer (Fischer,
Ed., Publikationen über die Biologie der Uridineen, Zeitscbr.
f. Botanik).
1. V. Büren, G. , Die schweizerischen Protomycetaceen
mit besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklungsgeschichte
und Biologie. (Beilr. zur Kryplogamenflora d. Schweiz V, I,
1915)-
2. Eberhardt, R., Contiibutions a l'etude de Cystopus
candidus (Centralblatt f. Bakteriologie usw. 2. Abt XII
1904.)
3. Fischer, Ed., Der Speziesbegrifif und die Frage der
Speziesentstehung bei parasitischen Pilzen. (Verhandl. Schweiz.
Naturf. Ges. 98. Jahresvers. Schuls 1916, II. Teil).
4. Gäumann, E., Über die Formen der Peronospora
parasitica. (Beih. z. Bot. Centralbl. XXXV, Abt. I, 1918.)
5. Hasler, R., Beitr. z. Kenntn. d. Crepis- u. Centaurea-
Puccmien vom Typus d. P. Hieracii. (Centralbl. f. Bakterio-
logie usw. Abt. 11, 48, 191S).
6. Kobel, F., Zur Biologie der Trifolien-bewohnenden
Uromyces-Arten. (Ibidem 52, 1920).
7 Schweizer, J., Untersuchungen am Salatschimmel,
Bremia Lactucae Regel. (Verh. d. thurgauisch. naturf. Ges.
Hefl 23, 1919).
8. S tag er, R., Verschiedene Publikationen in Bot. Zei-
tung 51, 1003, Centralbl. f. Bakteriologie II. Abt. 14, 190?:
17, 1907; 20, 1908; 27, 1910.
9. S t a k m a n , E. C, Relation between Puccinia graminis
and plants highly resistant to its attack. (Journ. of Agric.
Res. Vol. 44, 1915).
10. Steiner, R. , Die Spezialisation der Alchimillen-
bewohnenden Sphaerotheca Humuli. (Centralbl. f. Bakterio-
logie usw. 21, J908).
11. Thöni und Thaysen, Zeitschr. f. Immunitätsf. I,
23, 1915, S. 82—107, vgl. besonders S. 106.
12. Wendelstadt undFellmer, ibidem 8, 1911.
S- 43—57-
Die Birotationstheorie.
[Nachdruck verboten.] Von Hans Passarge
Die neue Theorie der Schwerkraft, deren
Grundzüge hier kurz entwickelt werden sollen,
hat ihren Ursprung in erkenntniskritischen Er-
wägungen zur theoretischen Mechanik. Sie stellt
im Sinne der Mechanik von Heinrich Hertz
einen Versuch dar, die unter dem Einfluß der
Gravitation verlaufenden gleichförmig beschleu-
nigten Bewegungen auf rein gleichförmige, nur
dem Trägheitsprinzig unterliegende Bewegungen
zurückzuführen oder mit anderen Worten, eine
mechanische Erklärung für Ursprung und Wesen
der Gravitation zu liefern. ^)
Nach der klassischen Mechanik Newtons ist
jede Masse Ursache einer Beschleunigung, ohne
daß aber der Begriff „Masse" über seine mathe-
matische Richtigkeit und Anwendbarkeit hinaus
definiert wird. In dieser Gestalt erfordert der auf die
Mechanik der Himmelskörper angewandte Begriff
„Masse" eindeutig die Annahme, daß den Himmels-
körpern eine verschiedene mittlere Dichte eigen-
') Heinrich Hertz, Die Prinzipien der Mechanik, in
neuem Zusammenhang dargestellt. Leipzig 1894.
(Königsberg i. Pr.).
tümlich ist, eine Annahme, die sich nicht ohne
weiteres mit sehr bestimmten Ergebnissen der
Astrophy.sik in Übereinstimmung bringen läßt.
Eine unbefangene Überlegung, d. h. eine solche,
der der Begriff „Masse" im Sinne Newtons nicht
vertraut ist, würde viel eher auf die Annahme
verfallen, daß die mittlere Dichte aller Himmels-
körper die gleiche ist, und eine Theorie der
Gravitation, die zu einem solchen Ergebnis führen
würde, würde den geschulten Astronomen und
Physiker zwar befremden, eine Überlegung aber
befriedigen, die sich ohne Kenntnis des Gravitations-
gesetzes, aber mit Kenntnis der Ergebnisse der
Spekt^o^kopie zum ersten Mal der Frage gegenüber-
sähe, welche Dichte den einzelnen Himmelskörpern
eigentümlich ist. Der Begriff einer unterschied-
lichen Dichte ist uns nur von den irdischen Stoffen
her unmittelbar geläufig, denn ohne weiteres und
logisch widerspruchslos führen wir bei zwei ihrem
Volumen nach gleichen, ihrem Gewicht nach aber
verschiedenen Körpern den Gewichtsunterschied
auf die verschiedene Dichte zurück. Die Frage
läßt sich aber nicht abweisen: ob es logisch zu-
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
119
lässig ist, den Himmelskörpern einen Dichteunter-
schied im gleichen Sinne beizulegen, wie den
irdischen Körpern, die wir greifen und wägen
können. Der Zweifel gründet sich vornehmlich
darauf, daß die Ergebnisse der Spektralanalyse
selbstleuchtender Himmelskörper eine sehr weit-
gehende Übereinstimmung der sie zusammen-
setzenden Stoffe ausweisen. Läßt man daraufhin
die heuristische Hypothese zu, daß alle Himmels-
körper, von denen eine Attraktionswirkung ausgeht,
von gleicher mittlerer Dichte sind, so gerät man
sofort mit dem Gravitationsgesetz in Widerspruch,
von dem nur die weitere Hypothese befreien kann,
daß zwar ein gewisser Teil des Himmelskörpers
inbezug auf seine Dichtigkeit dem Zustand ent-
spricht, der aus dem Gravitationsgesetz abgeleitet
werden muß, daß aber seine weitaus größere Masse
von gleicher Dichte wie die mittlere Dichte der
Erde ist. Eine solche Hypothese ist deshalb logisch
zulässig, weil es sich bei den Werten, die wir für
die Masse und Dichte der einzelnen Himmels-
körper kennen, immer nur um relative Werte
handelt.
Auf dieser Hypothese also fußt die Birotations-
theorie, indem sie, zunächst nur in Anwendung
auf die zum Sonnensystem gehörigen Himmels-
körper, voraussetzt, daß nur die äußeren Erstar-
rungs- oder Abkühlungsrinden der Planeten und
der Sonne in ihrem Dichtigkeitsverhältnis den aus
dem Gravitationsgesetz abgeleiteten verschiedenen
Werten entsprechen, daß aber der ganze innere
Kern bei allen von gleicher mittlerer Dichte ist.
Unter solcher Voraussetzung würde sich wegen
des unterschiedlichen Trägheitsmoments von Rinde
und Kern die Rotation eines Planeten unter ver-
schiedenen Bedingungen vollziehen, und es wäre
die weitere Annahme zulässig, daß die Rotation,
die wirklich beobachtet wird, nicht die ursprüng-
liche Rotation, des Planeten ist, sondern — im
Rahmen der über unbegrenzte Zeitfristen sich
erstreckenden kosmischen Entwicklung — ein
posthumer Bewegungszustand nur der Planeten-
rinde, während das ganze Innere um eine anders
gerichtete innere Achse in entgegengesetzter
Richtung rotiert. Einen äußeren Anhalt für eine
solche Annahme bieten die Eigenbewegungen der
Gebilde auf der Oberfläche von Saturn, Jupiter und
Sonne, aber es bietet sich eine schwache Analogie
auch auf der Erde selbst, wenn man sich der Ent-
stehung der äquatorialen Meeresströmungen und
der Passatwinde erinnert. Beschränken wir zu-
nächst die Betrachtung allein auf den Planeten
^ Erde, so gewinnen wir folgendes Bild: Die
ganze Erdrinde, Lithosphäre und Atmosphäre
als eine Einheit genommen, rotiert von Westen
nach Osten im Ablauf eines Sterntages einmal
um die Hauptträgheitsachse; diese Rotation ist ein
Folgevorgang der hypothetischen Rotation des
ganzen Erdinnern von Osten nach Westen, die in
kosmischer Vorzeit die einzige und ursprüngliche
Rotation der Urerde war, heute aber noch als
Innenrotation fortdauert. Aus beiden Rotationen
resultieren „Fliehkräfte", und aus Gründen, die
wohl in der atomistischen Struktur der Materie zu
suchen sind, stehen alle der Erde zugehörigen
Körper unter der Einwirkung beider „Fliehkräfte",
die wir uns aber nicht als Fliehkräfte im gewöhn-
lichen Gebrauch des Wortes vorzustellen haben,
sondern als Lageverrückungen unter dem Ein-
fluß gleichförmiger Bewegungen. Die so beein-
flußten Körper nehmen dann den Weg, der sich
als Resultierende eines Wegeparallelogramms ergibt,
und die Resultierende selbst ist nach Richtung
und Strecke der freie Fall. Ist dies alles richtig,
dann muß sich nachweisen lassen, daß die von
einem freifallenden Körper in einer Sekunde, unter
der Annahme, seine Bewegung erfolge mit gleich-
förmiger Geschwindigkeit, zurückgelegte Strecke
abzuleiten ist aus den gleichförmigen Bewegungen,
die die beiden Rotationen, weil allein dem Trägheits-
prinzip gemäß verlaufend, darstellen. Man kann
aber die Fallstrecke als mit der halben End-
geschwindigkeit in gleichförmiger Bewegung
zurückgelegt ansehen und also schreiben:
I 2 ?r (r — e)
I) -y- — T —
wenn / in m/sec'^ die Schwerebeschleunigung, r den
ganzen Radius der Erde, q den Radius der inneren
Erdkugel und T in Sekunden die Frist eines
Sterntages bezeichnen. Die Gleichung ist rein
geometrisch und homogen, weil auf beiden Seiten
beschleunigungslose Bewegung ausgedrückt ist,
nachdem man den Wert für die beobachtete
Schwerebeschleunigung g so auf y reduziert hat,
daß er der Länge eines Sternzeit Sekundenpendels
entspricht. Indem wir so verfahren, schalten wir,
ganz im Sinne der Hertz sehen Mechanik, den
Begriff „Kraft" aus der Überlegung aus und führen
jede Bewegung, die man sich gewöhnlich als unter
dem Einfluß von Kräften verlaufend vorstellt, auf
eine Bewegung zurück, die nur unter dem Träg-
heitsprinzip verläuft. Das berechtigt oder vielmehr
zwingt zu einer geometrischen Behandlung des
Problems. Dann entspricht, wenn man dem Radius
der Erde r den Wert i gibt, die Länge des In-
nenradius q bezogen auf die Erdoberfläche, der
Länge eines Sternzeit- Sekundenpendels L, und
es ist:
— = — oder o = rL.
r I ^
2)
Setzt man diesen Wert für q in Gleichung i) ein,
so erhält man, da y = sr-L, als Wert für die Länge
des mittleren Erdradius:
1) r = — TT T j-
•" 4 I — L
Die Ausrechnung ergibt in Übereinstimmung
mit den geodätischen Messungen für r^^ den Wert
6 367 331m. Für q ergibt sich der Wert 6 300 370 m,
und der Abstand x—q, also die Mächtigkeit der
Lithosphäre, ist dann 66961 m, in Übereinstim-
mung mit der Rechnung nach geothermischen
Tiefenstufen, denen zufolge in einer Tiefe von
120
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 8
rund 6; km unter der Erdoberfläche alle auf ihr
bekannten Stoffe schmelzflüssig sein müssen. Die
Masse der Erde muß nun nach der Birotations-
theorie definiert werden nicht als Masse des ganzen
Erdballes, sondern als Produkt des Rauminhalts
der Lithosphäre in die mittlere Dichtigkeit der
die Lithospäre zusammensetzenden Stoffe. Diese
Dichtigkeit hat nach den Ergebnissen der Geo-
logie und der Geophysik den runden Wert 2,6;
dem Rauminhalt der Lithosphäre entspricht der
Ausdruck (i — L)". Das Resultat muß, wenn die
Birotationstheorie richtig ist, das gleiche sein wie
das aus der allgemeinen Gravitation abgeleitete
Ergebnis für die Masse der ganzen Erde. In der
Tat ist (i— L)3 ■ 2,6—1 : 330593. Wir dürfen
also sagen: Der aus der Birotationstheorie abge-
leitete Wert für die Masse der Lithosphäre ist,
bei nicht ganz sicherem Wert für ihre mittlere
Dichte, identisch mit dem auf Grund der allge-
meinen Gravitation abgeleiteten Wert für die Masse
der ganzen Erde. Der Wert für L ist 0.9894836 m,
Log (i—L) = 0,0218671 —2. Auf welche geo-
graphische Breite bei vorstehenden Ausrechnungen
die Länge des Sekundenpendels zu beziehen ist,
muß zunächst außer Betracht bleiben, um die
weitere Darstellung der Theorie nicht zu ver-
zögern und zu Beweisen zu gelangen, die noch
eindringlicher für sich selbst sprechen.
Wir übertragen die Birotationstheorie auf die
Bewegung des Systems Erde -Mond. Da beide
Himmelskörper gemäß unserer Hypothese von
gleicher Dichte sein sollen, berechnet sich die
Lage des Schwerpunktes des Systems nicht aus
den „Massen", sondern aus den Volumina. Be-
deutet R den Abstand des Mondes vom Schwer-
punkt des Systems, und P den Abstand des Erd-
mittelpunktes vom Schwerpunkt des Systems, ist
also R -f P der aus der Mondparallaxe berechnete
Abstand Erde Mond, und V: i das Volumenver-
hältnis Erde : Mond, dann liegt der Schwerpunkt
des Systems außerhalb der Erde, 1317000 m von
der Oberfläche entfernt, und es muß, wenn die
Theorie richtig ist, der Wert für die Schwerkraft
des Mondes sich aus seiner Bewegung um den
Schwerpunkt des Systems ableiten lassen. Wir
können aber auch einfacher verfahren, indem wir
Erde und Mond als nur einen Himmelskörper
auffassen und auf eine solche fiktive räumliche
Einheit die Birotationstheorie unmittelbar wie auf
die Erde allein anwenden. Dann haben wir in
Gleichung 2) r durch R zu ersetzen, und es ist
der Quotient q:R gleich der Länge des Sekunden-
pendels für den Mond, ein Wert, der mit tt-
multipliziert, die Schwerkraft des Mondes im Ver-
hältnis zur Schwerkraft der Erde ergeben muß.
Ist also die mittlere Entfernung Erde Mond aus
der Parallaxe zu 38442OGOO m bestimmt, so
findet man, wenn V: 1=49,504 das Volumen-
verhältnis ausdrückt, nach den obigen Angaben
R = 376 808 300 m und P =761 1673 m. Dann
ist ?7:2j5 R-i = 0,165 S die Schwerkraft des Mondes,
ein Resultat, das mit den besten Bestimmungen
der „Masse" des Mondes, insbesondere mit der
Bestimmung von Hinks aus Störungen in der
Bahn des kleinen Planeten Eros, vollkommen über-
einstimmt. Die gleiche Auffassung, nämlich die
Auffassung des Systems Erde-Mond als einer Ein-
heit, führt aber auch zu den Relationen
4)
„ 2 TT R dm
g T t
5)
2 TT P V^
vi7orin g in mjsec'^ die Schwerebeschleunigung der
Erde, R, P und V wie oben angegeben, dm ein
unendlich kleines Massenteilchen, T einen mittleren
Sonnentag in Sekunden und t die Frist einer
synodischen Lunation in mittleren Sonnentagen
bedeuten.
In Wahrheit sind Erde und Mond ein Doppel-
stern. Die Zusammenordnung zweier oder mehrerer
Himmelskörper zu Systemen von Doppelsternen
oder mehrfachen Sternen sind wir vielleicht be-
rechtigt, als eine allgemeine Regel im Aufbau des
Kosmos zu verstehen, i) Das Verhältnis zweier
gleich schwerer, durch eine gewichtslose Stange
verbundener Körper a und b und ihre gleichförmige
Bewegung um den in der Mitte ihres Abstandes
gelegenen gemeinsamen Schwerpunkt können wir
uns in der Weise veränderlich denken, daß a an
Größe stetig bis zur Größe A zunimmt und b
stetig bis zur verschwindend kleinen Größe ß ab-
nimmt; dann rückt der Schwerpunkt immer mehr
nach der Seite des zunehmenden Körpers, während
auf beiden Seiten die Bewegungsenergie gleich
bleibt. Setzen wir dann die Veränderung soweit
fort, daß b zu /J und a zu A, d. h. daß die Größe
b verschwindend klein gegen A und demgemäß
der Abstand des Körperchens ß vom Schwerpunkt
des Systems unendlich groß wird gegen den Ab-
stand des Körpers A vom Schwerpunkt des Systems,
so daß wir also keinen Fehler mehr machen, wenn
wir den Schwerpunkt des Systems mit dem
Schwer- und Mittelpunkt des Körpers A zusammen-
fallen lassen, dann ist ein so entstanden gedachtes
und bewegt vorgestelltes System mit der Zentral-
bewegung eines Körpers von kleinstem Gewicht
um einen festen Punkt identisch, und wir stehen
ganz unter dem Emdruck, als ob von dem festen
Punkt eine „Kraft" ausgeht, die das Körperchen ß
nach einem Zentrum, nämlich nach A hinzieht.
Übertragen wir nun diese Betrachtungsweise auf
ein fingiertes isoliertes System Sonne Erde, so
dürfen wir nach Analogie mit den Relationen 4)
und 5) schreiben :
4)' r3^27tRfi
r« =
T t
2 TT ff V
T t
Hierin bedeutet /'die zunächst nachStrecke/sec-
') W. Trabert, Kosmische Physik. Leipzig 191 1,
S. 196.
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
121
noch unbekannte Anziehungskraft der Sonne an
ihrer Oberfläche, R den Abstand der Erde vom
Schwerpunkt des Systems Sonne-Erde, /< die Masse
der Erde, a den verschwindend kleinen Abstand
des Sonnenmittelpunktes vom Schwerpunkt des
Systems , V = i ^ das Volumen der Sonne,
T in Sekunden einen mittleren Sonnentag, t in
mittleren Sonnentagen die Frist eines Jahres-
umlaufes der Erde. Multipliziert man 4)' und 5)'
miteinander und gibt zugleich der verschwindend
kleinen Strecke 0 den Wert i m, dann muß auch
auf der linken Seite F in Metern ausgedrückt
werden und man erhält, wenn G diese in m/sec"
ausgedrückte Schwerkraft der Sonne ist:
6) G«=^f;^.
Die Ausrechnung mit den Zahlenwerten der
einzelnen Größen bestätigt die Richtigkeit, und
die Auflösung der Gleichung nach R ergibt für
die Berechnung die astronomische Einheit:
worin k die Gaus sehe Sonnenkonstante ist. Die
Gleichung enthält aber auch das dritte Keplersche
Gesetz :
R«
,, = const.
und sie bestätigt damit die Richtigkeit der Biro-
tationstheorie, deren Voraussetzung es eben war,
daß alle Himmelskörper, von denen eine Attraktions-
wirkung im Sinne des Newton sehen Gravitations-
gesetzes ausgeht, von gleicher Dichte sind.
Einzelberichte.
Der positive Spitzenstrom.
Die elektrische Entladung zwischen einer Spitze
und einer Platte als Elektroden erfolgt in Gasen
in Form des sogenannten Spitzenstroms. Ist die
Spitze Kathode, d. h. negative Elektrode, so ist
selbst bei Atmosphärendruck die selbständige Ent-
ladung ein Glimmstrom mit den charakteristischen
Kathodenlichtschichten. Auch bei positiver Spitze
kann sich ein Glimmstrom ausbilden; nur zeigen
sich dann die leuchtenden Kathodenschichten an
der negativen Plattenelektrode. Unter besonderen
Bedingungen (großer Elektrodenabstand, geringe
Stromstärke und nicht zu niedriger Gasdruck) kann
aber bei einer Spitzenanode eine ganz andere
Entladungsform auftreten, wobei die Plattenkathode
ganz dunkel bleibt und sich nur an der positiven
Spitze ein Lichtbündel zeigt. Diese ganz andere
Art der Entladung wurde von Johannes Stark der
, .positive Spitzenstrom" genannt. Durch Erhöhung
der Stromstärke geht der positive Spitzenstrom
leicht in die gewöhnliche Glimmstromentladung
über; an der vorher dunklen Kathodenplatte treten
dann die Glimmstromkathodenschichten auf und
gleichzeitig sinkt der Spannungsabfall an der
Spitzenanode von einigen hundert Volt auf den
kleinen Wert des Glimmstromanodenabfalls.
Auf Veranlassung von J. Stark untersuchte
MaxWeth') die Leuchterscheinungen des posi-
tiven Spitzenstromes spektrographisch. Um ein
helles großes Anodenlichtbüschel zu erzielen,
erzeugte Weth den positiven Spitzenstrom in
Wasserstoff von nur einigen Millimetern Gasdruck.
Er fand, daß bei geringem Druck die Anode
durchaus nicht eine scharfe Spitze zu sein braucht.
Weth benützte zur Erzielung großer Lichtstärke
als Anode einen Messingstift von 1,5 bis 5 mm
Durchmesser, der bis an sein Ende in eine Glas-
') Ann. d. Phys. Bd. 62, S. 58g — 602, 1920.
röhre eingeschmolzen und mit dieser zusammen
glatt abgeschliffen war. Trotzdem war an der
kleinen ebenen Anodenfläche der Spannungsabfall
zur Ausbildung eines positiven Lichtbüschels hin-
reichend. Als Entladungsgefäß diente ein Liter-
kolben mit Quarzfenster. Der beschriebenen
Anode gegenüber war das untere Drittel des Glas-
kolbens innen versilbert und bildete die Kathode.
Als Stromquelle diente eine Hochspannungs-
dynamomaschine von 35CO Volt, von der beliebige
Spannungen abgenommen werden konnten.
In Wasserstoff von 2 mm Druck zeigte der
positive Spitzenstrom folgendes Aussehen: die
ebene Endfläche der Drahtanode ist von einer
dünnen, weißblauen und ziemlich hellen Lichthaut
überzogen; dann folgt eine viel dunklere 0,3 mm
dicke Schicht. Auf dieser sitzt ein weißlicher
Kegel, der ganz allmählich in einen braunrötlichen
Lichtpinsel von etwa 12 mm Länge übergeht und
dann im Gasraum erlischt. Bei ganz niedrigen
Drucken wird das Lichtbüschel zwar bis 25 mm
lang, aber auch äußerst lichtschwach ; unter 1 mm
Gasdruck ist der Spitzenstrom nur noch schwierig
zu erhalten.
Diese beobachteten Leuchterscheinungen
stimmen völlig mit der von Stark aufgestellten
Theorie des positiven Spitzenstroms überein. Infolge
der kleinen Oberfläche der positiven Elektrode
konzentriert sich der Potentialabfall an dieser;
daher strömen auf die Anode aus dem Gasraum
mit wachsender Geschwindigkeit negative Ionen
und vor allem Elektronen. Die Elektronen treffen
schließlich mit einigen hundert Volt Geschwindig-
keit auf das Anodenmetall und werden reflektiert
oder lösen sekundäre Kathodenstrahlen aus. Daher
herrscht an der Anode durch den dichten Elektronen-
schwarm der verschiedensten Geschwindigkeiten
eine lebhafte Oberflächenionisation; durch Elek-
tronenstoß wird unmittelbar an der Anode das
Gas stark ionisiert und die hier entstehenden
122
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 8
Atom- und Molekülionen emittieren bei ihrer
Bildung Licht, das uns in der sehr hellen weiß-
blauen Anodenlichthaut entgegentritt.
Aus diesem Gebiet stärkster Ionisation unmittel-
bar an der Anode werden die positiven Ionen
abgestoßen und laufen mit zunächst wachsender
Geschwindigkeit in den Gasraum. In nächster
Nähe der Anode ist aber die Geschwindigkeit der
positiven Ionen noch zu gering, um beim Zusammen-
stoß mit Gasmolekeln ionisierend oder licht-
erregend zu wirken. Wir haben hier die auf die
Anodenlichthaut folgende viel dunklere Schicht
vor uns, welche — wie oben erwähnt — in Wasser-
stoff von 2 mm Gasdruck 03 mm dick ist. Am
Ende dieses „Dunkelraumes" ist aber die Ge-
schwindigkeit der positiven Ionen so groß geworden,
daß sie die lonisierungsarbeit beim Zusammenstoß
mit Gasmolekeln leisten können.
Auf den Dunkelraum folgt also eine zweite
Zone lebhafter Ionisation und Lichterregung durch
den Stoß der raschen positiven Ionen. Dies ist
das Gebiet des mit dem Auge sichtbaren weiß-
lichen Lichtkegels und des Lichtpinsels. In dem
dichten Gas verlieren allmählich die positiven
Ionen durch Zusammenstöße mit Gasmolekeln
und durch lonisierungsarbeit an Geschwindigkeit
und können diese auch nicht mehr zurückgewinnen,
da in größerer Entfernung von der Spitzenanode
das elektrische Feld immer schwächer wird. Die
positiven Ionen laufen dann langsam auf die Platten-
kathode zu, wo sie neutralisiert werden. Auf dem
letzten Teil ihres Weges können sie wegen ihrer
geringen Geschwindigkeit weder Ionisation noch
Leuchten hervorrufen und erleiden daher auch
keine Umladungen mehr.
Großes Interesse bietet die spektrographische
Untersuchung des positiven Spitzenstroms. Nach
Starks Theorie werden von der Spitzenanode
positive Ionen in den Gasraum hinausgestoßen
und bewirken die Bildung des positiven Licht-
büschels. Wenn dieses wirklich von schnellen
leuchtenden Ionen (= Kanalstrahlen) hervorgerufen
wird, so stellen diese eine rasch bewegte Licht-
quelle dar und die Spektrallinien der Wasserstoff-
ionen müssen nach Dopplers Prinzip eine Ver-
schiebung der Wellenlänge aufweisen. Wirklich
beobachtete Weth bei den Linien Hß und Hy des
des Balm er sehen Serienspektrums eine Ver-
schiebung um 3 Angströmeinheiten (== AE), ^)
was einer Geschwindigkeit der leuchtenden Wasser-
stoffteilchen im Lichtpinsel des positiven Büschel-
lichts von i8o-Volt entspricht. Da im Lichtpinsel
auch ganz langsame Teilchen leuchten und da
nach Dempster neutrale Kanalstrahlenteilchen
unter 50 Volt Geschwindigkeit nicht mehr leuchten,
so zieht Weth den wichtigen Schluß, daß es nur
die positiv geladenen Wasserstoffteilchen sind,
welche Licht aussenden. Dies entspricht Starks
Hypothese, daß das Balm ersehe Serienspektrum
') I AE == 0,000000 1 mm.
vom positiven Wasserstoffatom emittiert wird,
während nach Bohrs erfolgreicher Theorie die
Balmerlinien vom neutralen Wasserstoffatom
stammen sollen. Immerhin ist durch Unter-
suchung des positiven Büschellichts BohrsTheorie
wohl nicht entscheidend zu widerlegen, da durch
den hohen Gasdruck im positiven Spitzenstrom
die Möglichkeit der Neutralisierung und Umladung
der Ionen nicht mit völliger Sicherheit aus-
geschlossen werden kann.
Das Bandenspektrum des Wasserstoffs fand
Weth am stärksten in der Nähe der Spitzenanode.
Es i^t bekannt, daß es vorzugsweise von langsamen
Elektronenstrahlen angeregt wird und solche haben
wir ja auch nach Starks Theorie des positiven
Spitzenstroms in erheblicher Dichte an der Anoden-
oberfläche anzunehmen. Das Bandenspektrum
des Wasserstoffs ist nach Stark dem positiven
Molekülion Ho+ zuzuschreiben und auch Bohr
teilt es wegen seiner KompHziertheit dem Wasser-
stoffmolekül zu.
Auch das von Stark auf Grund theoretischer
Erwägungen entdeckte kontinuierliche Wasserstoff-
spektrum ist im positiven Büschellicht in erheblicher
Stärke vorhanden. Während sich Elektronen an
positive Atom- oder Molekülionen anlagern, gehen
diese aus dem stabilen Zustand des Ions kontinu-
ierlich in den ebenfalls stabilen neutralen Zustand
über. Deshalb müssen sich die Spektrallinien
ebenfalls kontinuierlich ändern und während sich
das Elektron auf einer Spiralbahn dem Ion all-
mählich nähert, werden die emittierten Spektral-
linien einen gewissen Wellenlängenbereich über-
streichen. Für Auge und Spektrograph, welche
über die verschiedenen Übergangsphasen und
über die Emission vieler einzelner Lichtquellen
integrieren, entsteht so ein kontinuierliches
Spektrum. „Seinen Träger, das im Übergang vom
positiven zum neutralen Zustand begriffene Atom
oder Molekül bezeichnet Stark als Quantenpaar."
Beim positiven Büschellicht haben wir in der Nähe
der Anode auch langsame Elektronen, die keine
vollständige Ionisation bewirken können. Diese
lagern sich an positive Ionen an und die so ge-
bildeten Quantenpaare erklären das Auftreten des
kontinuierlichen Wasserstoffspektrums an der Anode
des positiven* Spitzenstroms.
Die spektrographische Untersuchung des
Büschellichts durch Weth hat also ergeben, daß
die Balm ersehen Serienlinien des Wasserstoff-
spektrums, Starks Anschauung entsprechend,
möglicherweise vom positiven Wasserstoffatom
stammen; das Auftreten des kontinuierlichen und
des Bandenspektrums des Wasserstoffs, das nach
der Theorie zu erwarten war, ist tatsächlich fest-
gestellt worden. Schließlich ist die Theorie des
positiven Spitzenstroms von Stark durch die
Auffindung des Dopplereffekts am Büschellicht
glänzend bestätigt worden.
Karl Kuhn.
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
123
Restitution des Auges uaoh Exstirpation TOn
Retina und Linse bei Tritonen.*)
Weitere Prüfung der Frage, inwieweit das Vor-
handensein von Netzhautzellen notwendig sei für
das Zustandekommen der Linsenneubildung aus
der oberen Iris (vgl. Naturw. Wochenschr. 1920,
Nr. 31, S. 492), führte HorstWachs zu folgen-
den wiederum sehr beachtenswerten Versuchen
und Ergebnissen. Es wurden aus dem Auge
gleichzeitig Linse, Glaskörper und Netzhaut ent-
fernt und zwar durch Herausdrücken dieser Teile
aus einer an der Schläfenwand des Augenfelds ge-
setzten Öffnung an den mit Y2 P^oz. Chloreton-
lösung betäubten Tieren. Hierauf bildet sich die
Netzhaut und die Linse neu, und zwar letztere —
wie nach den früheren Ermittlungen des Verf zu
erwarten — erst nachdem bereits die neue Reiina
den Hohlraum austapeziert hat, wobei jedoch deren
Zellenmaterial noch nicht die Ausbildung der
Stäbchen- und Zapfenzellen erreicht zu haben
braucht. Material zur Neubildung der Netzhaut
wird vom Wundrande im Umkreise der ganzen
Iris geliefert, wo bekanntlich in der Grenzzone
zwischen Netzhaut und innerem Irisblatt die
normale Zuwachszone der Netzhaut liegt, außerdem
erhält die Anlage der neuen Netzhaut Zuwachs
von dem stehengebliebenen Figmentepithel oder
Außenblatt der Netzhaut aus. Dieser Zuwachs
erfolgt möglicherweise innerhalb breiter Berüh-
rungsflächen, sicherlich aber findet eine Zellabgabe
statt an deutlichen Umschlagsstellen des Tapetums
in das Material der neuen Netzhaut hinein. Mit
letzterem ist gemeint, das Tapetum ringsum er-
hebt sich hier und da zu Falten, deren Scheitel-
kante zu Netzhaut wird und sich mit den übrigen
Netzhautregeneraten im Auge vereinigt unter Ab-
schnürung von dem gleichzeitig sich wieder zu-
sammenschließenden Tapetum nigrum. — Die
Neubildung der Lmse erfolgt in der bekannten
Weise von der oberen Iris aus. — An der Um-
bildung von Tapetumzellen in Netzhautzellen ist
besonders beachtenswert, daß hierzu keineswegs
etwaige Reservezellen verwendet werden, denn
solche sind gar nicht vorhanden, sondern die
pigmenthaltigen Zellen des Tapetums entledigen
sich ihres Pigments durch Ausstoßung, werden
also „entdifferenziert" — nicht rückdifferenziert
— treten in rege Zellvermehrung ein und liefern
so das Material für oben besagten Zweck. ■') So
vollziehen sich im Grunde des Augapfels Vor-
gänge, die durchaus an die bei der Linsenneubil-
') H. Wachs, Restitution des Auges nach Exstirpation
von Rilina und Linse bei Tritonen. Zweiter Teil. Archiv f.
Entwicklungsmech., Bd. XLVI, Heft 2 und 3, 1920, S. 328
— 389 7 Tafeln.
''] Noch 1916 schrieb Barfurth, gemäß dem damaligen
Stande der Forschung, in ,, Regeneration und Transplantation,
Rückblick auf die Ergebnisse 25Jähriger Forschung" (Anat.
Hefte, ..Ergebnisse", S. 452): ,,üie Regeneration geschieht
nicht als Erneuerung bereits differenzierter oder in Rückbildung
begriffener Gewebe, sondern immer als vollständige Neubil-
dung von undifferenzierten Anlagen aus, die in der typischen
Ontogenese reserviert wurden,"
dung aus der oberen Iris erinnern: Ausstoßung
des Pigments der Zellen, Einsetzen reger Zell-
teilungen und Abgabe der gebildeten Zellen an
das zu Regenerierende in Gestalt von Umfaltungen.
Gelegentlich finden sich in der neuen Retina noch
Klümpchen schwachen Pigments, das wahrschein-
lich aus den zum Aufbau verwendeten Tapetum-
zellen stammt.
Gegenüber dieser vollständigen Netzhautregene-
ration, bei welcher übrigens anfangs infolge der
starken Verkleinerung des Augapfels das Tapetum
gleichsam der neuen Retinaschale entgegenkommt,
fällt auf, daß nach Spemann 1912 Entfernung
eines Teils der Augenanlage bei wesentlich jün-
geren, nämlich Neurulastadien nicht mehr die
Bildung eines Auges von normaler Größe gestattet,
sondern statt dessen ein kleineres Auge ent-
steht. Somit ist hier, vielleicht entgegen dem,
was man hätte erwarten können, aber in Über-
einstimmung mit früheren Befunden Wachs' an
der Linse, die Regenerationsfahigkeit nicht am
größten bei den jüngsten Stadien, und der Verf.
legt des weiteren dar, daß sie, mit höherem Alter
nach Zuwachs zu einem Optimum wieder ab-
sinkend, anscheinend parallel sei dem „Ausgesetzt-
sein", vielmehr der Verletzungsmöglichkeit unter
Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Über-
lebens der verletzten Tiere. —
In einer bei uns wenig bekannten Arbeit hat
schon Colucci 1891 ') die Regeneration der
Netzhaut von Triton untersucht und wenigstens
soviel richtig gesehen, daß die Neubildung vom
Tapetum nigrum aus erfolgt. Doch erkannte er
weder die Bedeutung der Linsen- noch der Netz-
hautregeneration richtig, sondern suchte als Er-
gebnis einen Parallelismus zwischen den regene-
rativen und den normal-embryonalen Vorgängen
festzustellen. V. Franz.
Der Ursprung des Menschengeschlechts.
Wieder eine neue Hypothese über den Ur-
sprung des Menschengeschlechtes! so könnte man
ausrufen. Doch bedeutet das nicht, daß den Aus-
führungen Hilzheimers,-) die der Autor selbst
als aphoristische bezeichnet und als solche zur
Diskussion stellen will, geringe Aufmerksamkeit
gebührte. Sie sind vielmehr sehr anregend. Wenn
von zwei verwandten Tierarten — führte H i 1 z -
heim er schon in seinem Handbuch der Biologie
der Wirbeltiere aus — die eine den Wald, die
andere die Steppe oder offene und Parklandschaft
bewohnt, so ist das Waldtier allgemein das pri-
mitivere: man vergleiche Okapi und Giraffe, Hirsch
und Renn, Wisent und Bison, Dendrohyrax und
Procavia, Tiger und Löwe. Der höchststehende
') Mera. Accad. Sc. Ist. Bologna, Ser. 5, Vol. I, erwähnt
nach H. Wachs, wie auch die vorangehende Fußnote.
^) M. Hilzheimer: Aphoristische Gedanken über einen
Zusammenhang zwischen Erdgeschichte, Biologie, Menschheits-
geschichte und Kulturgeschichte. Zeitschrift für Morphologie
und Anthropologie, Band XXI, Heft 2, S. 185—208.
124
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 8
Büffel, der Kaffernbüffel, das spezialisierteste
Schwein, Phacochoerus, die eigenartigsten Hunde,
die Mähnenhunde, die höchststehenden Beuteltiere,
die Känguruhs, die ihnen konvergenten Nagetiere
Springhase, Springmaus und Taschenmaus sind
Steppentiere. Den letztgenannten Beispielen eignet
der nach allen Seiten freibewegliche Kopf auf
schlankem Hals hoch über den Schultern — wie
beim Menschen. Also dürfte auch die Mensch-
werdung, die Erhebung zum aufrechten Gang bei
verlängerten Hintergliedmaßen, in der Steppe er-
folgt sein. Nur in ihr konnte sich Kultur ent-
falten, weiter entwickeln und den jetzigen Höhe-
punkt erreichen.
Europas Steppen nach der Eiszeit hatten
reiches Säugetierleben. Vertreter, die schon durch
ihre Körpergröße sich als fortgeschritten erweisen
gegenüber ihren im Wald gebliebenen Verwandten,
waren Breitstirnelch, Riesenhirsch, wollhaariges
Rhinozeros, Bison priscus und Mammut. Ihre
weniger ursprüngliche Organisation ist, wie das
Hilzheimer des näheren ausführt, auch im
einzelnen erweisbar. Was diese Tiere vernichtete,
war der Wald, als er in ihre Wohngebiete ein-
zog. Edelhirsch und Reh konnten, obwohl auch
sie offenbar in Anpassung an die Steppe oder
offene Landschaft ihre Eigentümlichkeiten erworben
haben, im Wald noch fortbestehen, die großen
Steppensäuger dagegen nicht. Mag auch Sibirien
nie Wald gehabt haben, so wurden das Mammut,
Bisonten und Rhinozeros an ihren winterlichen
südwärts gerichteten Wanderungen — die sie
mutmaßlich ausführten — durch einen Waldgürtel,
die heutige Taiga südlich der Tundra, gehindert;
in Nordamerika dagegen, wo sich eine gewaltige
Prärie unbegrenzt nach Süden erstreckt, hat sich
der Bison erhalten.
Sucht man nun die Sätze, daß das Heraus-
treten aus dem Wald Fortschritt bewirkt und die
Rückkehr in ihn auf einer gewissen Organisations-
höhe nicht mehr möglich ist, auf den Menschen
anzuwenden, so findet man in der Tat die körper-
lich und kulturell tiefstehenden Völker im Wald
lebend: die zurückgebliebensten Indianer Amerikas
(wenn wir von den besonders unwirtlichen Ver-
hältnissen im äußersten Süden absehen), die Zwerg-
völker Asiens und Afrikas. Die Erwerbung des
aufrechten Ganges wird mit dem Heraustreten
aus dem Wald erfolgt sein; die Pygmäen, kurz-
beinig, sind also vor Erwerbung der verlängerten
Hinterextremitäten in den Wald wieder zurück-
gekehrt. In einem mehrmaligen Vorrücken und
Rückgehen der zwischen dem Eis- und dem Wald-
gürtel gelegenen Zonen liegt der Anstoß zur
körperlichen und kulturellen Entwicklung des
Menschen.
Nordostafrika, in der Tertiärzeit ein Entwick-
lungszentrum der Elefanten, Sirenen, Zetazeen
und mancher Huftiere, das ehemalige Wohnge-
biet eines Affen, den Schlosser wohl mit Recht
für den Stammvater aller Anthropoiden und
Hominiden hält, dürfte auch die Menschenaffen
und den Menschen geliefert haben; irgendwo auf
dem Gebiet südlich des nördlichen Waldgürtels
treimten sich Menschenaffen und Menschen von-
einander. Zu Beginn der Eiszeit paßte der Mensch
sich dem südwärts rückenden Walde an. Im
Norden aus ihm hervortretend, ergab er die
Neandertalrasse. Er konnte nicht mehr zurück in
den nordwärts vorrückenden Wald, und so mußte
der Homo primigenius aussterben. Mit Beginn
der jungen Altsteinzeit drangen ein zweites Mal
Menschen in die nördliche Steppe vor, schon von
höherer Kultur, sie ergaben den Homo aurigna-
censis; auch er starb aus, getötet von dem wie-
der nach Norden vorrückendem Walde. — Süd-
lich des nördlichen Waldgürtels ist wohl die Kul-
turentwicklung nie gestört worden. Zunehmende
Wärme und Trockenheit nach der Eiszeit züchtete
Wüstennomaden und als deren ausgeprägtesten Typ
den feinknochigen, bei guter Muskulatur fettarmen,
lebhaften, nervösen, dem Ackerbau seit alters ab-
holden Juden.
In dem Maße wie Eis, Tundra und Waldgürtel
sich nordwärts zurückzogen, folgte die Kultur: es
blühte Medien und dann Persien auf. Vor dem
Wald der nordwärts vorliegenden Gebirge mußte
die Kultur nach Westen ausweichen. Athen,
Sparta, Korinth, Frankreich. Wir Deutschen da-
gegen sind im Begriff, aus einem Waldvolk ein
Steppenvolk zu werden, indem wir unter Mithilfe
der Natur die Kultursteppen schaffen.
So hypothetisch wie die Darlegungen des Ver-
fassers sind, werden sie unausbleiblich auf manches
Bedenken stoßen, doch betrachte ich es gerade
aus diesem Grunde nicht als meine Aufgabe, auf
solche Möglichkeiten im einzelnen hinzuweisen.
V. Franz (Jena).
Der Siiiupfzypressenwald iu Florida.^)
Der Klang dieser Bezeichnung erweckt beim
Leser unwillkürlich die Vorstellung von Sumpf,
Moor, von schlammigem Boden und wuchernder
Pflanzenwelt, allein von alledem habe ich soweit
ich gekommen bin, d. h. bis zur ungefähren Hälfte
der Halbinsel, nichts angetroffen, nichts wie das
märkische Luch, das Hochmoor der Lüneburger
Heide, die unergründlichen Moore des hohen
Venns oder die Sümpfe des norwegischen Fjelds.
Florida ähnelt in dem mir bekannt gewordenen
Stromgebiet des St. John-River, der amerikanischen
Riviera, der weiteren Umgebung von Berlin nach
Osten zu ■ — fester grobkörniger Sandboden mit
kärglichem Pflanzenwuchs und seichten Gewässern.
Schematisch zerfällt die Landschaft in vier scharf
gegeneinander abgegrenzte Zonen, die in unmittel-
') Aus Anlaß der Veröffentlichung des Aufsatzes: Die
Entstehung der bodenständigen Braunkohlen-
flöze. Eine Würdigung des gegenwärtigen Stand es
der Forschung in Nr. 38 dieser Zeitschrfft hat der Geh.
Rat Prof. Eugen Bracht, Darmstadt, dem Verfasser einen
Brief übersandt, der mit gütiger Erlaubnis hier abgedruckt
sei,
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
125
barer Abhängigkeit von ihrer Erhebung über dem
Wasserspiegel stehen.
Der Kiefernwald als erste Zone, der auf
einem Boden steht, der sich dort meist nur um
wenige Dezimeter über den Nullpunkt des Wasser-
spiegels erhebt, nimmt den größten Raum ein.
(Die Nadeln erreichen eine Länge, daß ich sie
zweimal zusammenlegen mußte, um sie in der
Brieftasche zu bergen.)')
Der Boden wird als Unterholz von einer
kriechenden Fächerpalme eingenommen, so daß
eine Durchquerung dieser Kiefernwälder einige
Schwierigkeiten bereitet.
Von Zeit zu Zeit erblickt man in Gesichts-
höhe eine der gefährlichen grafitfarbenen dicken
Schlangen, die sich auf einem Fächerblatt aufge-
rollt hier sonnen, beim Herannahen von Menschen
jedoch nach unten verschwinden. Der Biß dieser
Schlange ist tödlich. Hier und da erhebt sich
über die Kronen der Kiefern ein etwas höheres
Stockwerk, das von hohen Fächerpalmen gebildet
wird. Diese Fächerpalme ist ein Uferbaum, der
nur an feuchten Stellen wächst und daher den
Lauf der Ströme und die Seeränder begleitet, in
Buchten sogar im Wasser wurzelnd und der ganzen
Landschaft einen tropischen Zug verleihend. Die
Kiefernwaldzone ist eintönig und wird nur hier
und da durch kleine Lichtungen oder Teiche unter-
brochen; an den offenen Stellen bildet dann die
Yucca am Boden vereinzelte Beete, während als
größte Laubhölzer eine Nußbaumart ihre mächtigen
Kronen über alles erhebt.
Die zweite Zone seewärts ist die uns inter-
essierende Sumpfzypressenzone. Sie tritt
am Monroe Lake, wo ich sie zu beobachten Ge-
legenheit hatte, nicht als ein zufällig und willkür-
lich begrenztes Gebiet auf, sondern ihre Grenzen
sind durch die Wassertiefe gegeben, die schätzungs-
weise zwischen o — 1,50 m liegen mag. Auf
dem festen Ufer wuchsen keine Zypressen, sondern
nur Fächerpalmen, dagegen kam sie vereinzelt im
Buschwerk auch auf höherem Standort an den
Flußrändern vor.
Die Zypresse erscheint unmittelbar als ein
Anpassungsergebnis an sinkenden Boden. Nach-
dem sich die Pflanze durch Bildung der Atem-
wurzeln dem Leben im stehenden Wasser ange-
paßt hat, iieht sie die Seichtwasserzone dem Fest-
land vor. Sie ist aber in derselben an ein be-
grenztes Maximum der Wassertiefe gebunden; es
gibt somit in Seen wie dem Monroe- Lake keine
Wälder von beliebiger Flächenausdehnung, sondern
nur mäßig breite Gürtel, die im Seichtwasser
wachsen, dessen Tiefe zwischen ziemlich engen
Grenzen schwankt. Der Wald ist also nur vom
Kahn aus zu erreichen; da aber die Atemwurzeln
den Stamm rings umgeben, so bedarf es einiger
Vorsicht, um ohne Leck durchzukommen. Die
eigentlichen Wurzeln sind sehr dicht und radial
angeordnet und liegen ganz flach dem harten
•) Pinus palustris, Longleavedpine ?
Seegrund auf; Pfahlwurzeln habe ich bei ent-
wurzelten Exemplaren nicht bemerkt. Aus den
Wurzeln erheben sich die hohlen flachgedrückten
Atemwurzeln bis etwa 50—75 cm über die Was-
seroberfläche heraus und besorgen die Luftzufuhr
für das Wurzelsystem.
Die äußere Erscheinung des Sumpfzypressen-
waldes ist sehr eigenartig; unheimlich ist der
Anblick der zum Teil mächtigen, sehr locker
stehenden Stämme mit ihrem stark verbreiterten
Fußende! Da jeder Baum eines ausgebreiteten
Podiums bedarf, so ist der lichte Bestand erklär-
lich. Beim Fehlen jeglichen Unterholzes ist kein
Vogel zu sehen noch zu hören — es herrscht
vollkommenes Schweigen. Die Belaubung der
älteren Bäume ist sehr dürftig, die winzigen
Schüppchen wirken kaum als Laub und oft ist
mehr Spanisches Gras vorhanden als Laub ; dieser
Epiphyt hängt in massigen schwarzen Floren
von den Asten, als Trauerschmuck das unheim-
liche der Stimmung unterstreichend, und ich fühlte
mich wie in eine geologische Vergangenheit ver-
setzt.
Dort wo die zunehmende Tiefe des Seewassers
dem Fortkommen der Zypresse eine Grenze setzt,
beginnt die dritte, die Graszone; diese schließt
sich ohne merkliche Übergangszone dem Wald-
gürtel an und auch diese botanische Art ist offen-
bar an eine gewisse Wassertiefe gebunden. (Zahlen
vermag ich leider nicht anzugeben.) Ich kann
nur erwähnen, daß unsere langen Ruder beim
Durchqueren der Graszone nicht mehr bis auf
den Grund reichten, so daß wir mehrfach stecken
blieben; wir mußten alsdann Bündel der über
mannshoch aus dem Wasser ragenden Halme zu-
sammenraffen und uns auf diese Weise mit dem
Kahn weiterziehen. Ähnlich wie die Zypresse
stellt auch dies Schilfgras eine Anpassung an den
sinkenden Boden dar. Bei seinem dichten Bestand
muß es einen ergiebigen Produzenten von Pflanzen-
substanz abgeben, die sich unter günstigen Ver-
hältnissen als abgestorbene organische Masse, als
Flöz anhäufen kann.
Diese breiten Schilfgrasflächen werden nun
seewärts von einem letzten Vegetationsgürtel, als
vierter Zone, abgelöst, nämlich von einer auf der
Wasserfläche schwimmenden Pflanzen-
decke. Dieselbe besteht meiner Erinnerung
nach ganz oder wenigstens der Hauptmasse nach
aus entwurzeltem Schiifgrase und zwar in so
dichter und tiefer Packung, daß wir unser Boot
nur mit größter Mühe hindurchzubringen ver-
mochten. Das Rudern war natürlich ausgeschlos-
sen und das Abstoßen mit den Rudern, um von
einer kleinen Lücke zur anderen zu gelangen,
hatte wegen des Ausweichens der schwimmenden
Massen nur geringen Erfolg.
Diese schwimmende Decke enspricht wohl der
größten Tiefe, bis zu welcher das Schilfgras zu
wachsen vermag und bei der Wind und Stürme
ihre Entwurzelungstätigkeit ausüben.
Was nun die Senkungsvorgänge anbetrifft, so
126
Naturwissenschaftliche Wochenschrift,
N. F. XX. Nr. 8
haben, wie ich las, Bohrungen im Gebiet von
New Orleans das Vorkommen von zwei oder gar
drei Horizonten von Sumpfzypressenstämmen, bei
30 — 40 und öo m ? Tiefe ergeben ; zwischen diesen
Horizonten lagern anorganische Ablagerungen;
hiermit dürften frühere Senkungen wohl ge-
nügend erwiesen sein; in Florida dagegen würde
bei einer heutigen plötzlichen Senkung zur
Ausfüllung eines tieferen Seebeckens, um den
Boden für einen neuen Zypressenwald zu schaffen,
das Schwemmaterial fehlen mangels eines höher
gelegenen Hinterlandes.
Die Betrachtung des von der schwarzbraunen
Kohlenumhüllung entblößten Stubbenhorizontes
in der Lauchhammerschen Grube im Senfienberger
Revier versetzte mich unwillkürlich nach dem noch
lebenden Sumpfzypressenwald in Florida und regte
mich zum Feststellen des Gleichartigen sowie der
Unterschiede an. Es lag zunächst kein Grund
vor anzunehmen, daß der einstige deutsche Zy-
pressenwald wesentlich anders ausgesehen habe
wie der amerikanische; dagegen hatte ich keine
klare Vorstellung davon, welche Naturereignisse
zur Ausbildung eines Stubbenhorizontes führen
konnten. Schon die bloße Tatsache, daß alle
Bäume in einer gewissen Höhe abgebrochen zu
sein schienen, versetzte mich in Erstaunen; auch
vermochte ich mir aus der Erinnerung an den
heutigen Wasserwald ohne jede andere Vegetation
noch Unterholz zunächst nicht klarzumachen,
welche Pflanze, oder welche Pflanzengemeinschaft
das IVlaterial zu einer solchen Einbettung geliefert
haben konnte.
Nun stellt sich bezüglich einer solchen Ein-
bettung seit dem Erscheinen der Po tonieschen
Arbeiten bei jedem Beobachter unwillkürlich der
Begrifif der Vertorfung ein, die ja in normalen
Verhältnissen rasch verläuft; es war mir auch
gegenwärtig wie schnell solche Vertorfungen sich
vollziehen können.
Auf dem Torfgebiet des Hohlohs zwischen Gernsbach
und Wildbad pflegen I m tiefe Entwässerungsgräben bereits
nach wenigen Jahren wieder völlig zugewachsen zu sein.
Einen chronologischen Anhalt kenne ich von den Hochmooren
des Hohen Venns, wo die bisherige preußisch-belgische Grenze
entlang einer Römerstraße, „la Vecquee" genannt, verläuft.
Diese Straße liegt unter dem Torf auf der alten Bodenober-
fläche und wurde zu der Zeit, als ich mich dort aufhielt, der
Steingewinnung wegen ausgehoben. Dicht dabei fanden sich
auf der alten Bodenfläche beträchtliche Schlackenlager ausge-
breitet, die von einstiger Eisenverhüttung herrührten, aus einer
Zeit, als die Höhen des Venns mit Wald bestanden waren
und man das Erz zum Brennmaterial heraufführle, anstatt um-
gekehrt wie heute. Römerstraße und Schlackenlager liegen
2 m unter der jetzigen Torfoberfläche, so daß diese Vertorfung
an 1700 Jahre beansprucht hat.
Es erscheint mir daher verständlich, daß ein
Sumpfzypressenwald durch eine geringe Senkung
des Bodens gelötet werden kann, um dann sofort
durch jene Schilfgrasvegetation, die ich oben be-
schrieb, vollkommen eingebettet zu werden, und
zwar schnell genug, daß noch keine weitgehende
Vermoderung der Wurzelstumpfe eingetreten ist.
Es liegt wohl auf der Hand, daß dieses Schilfgras
bei dem nahezu völligen Fehlen einer Winterruhe
zu einer schier unbegrenzten Wachstumsleistung
gelangen konnte, um in verhältnismäßig kurzer
Zeit ungeheuere Mengen abgestorbenen organischen
Materials zu erzeugen, so daß selbst in den
Subtropen eine Art Torfbildung auf diesem Wege
möglich war.
Fassen wir die für Florida so einschneidenden
Senkungsvorgänge näher ins Auge, so ergibt sich,
daß dieselben nicht ganz einfach zutage liegen.
Mein Eindruck des Landes war nämlich nicht nur
derjenige von Landsenkung, sondern es erweckte
die gänzlich verschlissene Oberfläche, die ganz
geringe Hügelbildung und das Fehlen von Auf-
schlüssen und anstehendem Gestein die Vorstellung
von einer nach früherem Untergetauchtsein wieder
gehobenen Landmasse. An Steinen traf ich nur
einigemal im Urwald kleine bemooste Häufchen,
die dem Begriff einer Indianerbestattung ent-
sprachen; sonst gibt es da wo ich war, keinen
Siein und die Reste einer einstigen Steinzeit sind
nur als Analogie als solche zu deuten. Schon
bei der Landung in Sanford am Lake Monroe auf
den paar Schritten vom Garteneingang bis zum
Hotel wußte ich, daß ich auf vorgeschichtlichem
Material wandelte; die Wege waren nämlich mit
Muschelschalentrümmern bekiest und ein fünf-
pfennigstückgroßes Bruchstück eines halbgebrannten
Napfes verrieten dies. Der Gärtner bestätigte mir
die Herkunft dieses „Kieses" aus einem erreich-
baren „Shellmound", den ich bald aufsuchte.
Wenn nun die Bildung der Stubbenhorizonte
an sich schwer verständlich erscheint und in der
Tat ohne die Annahme einzelner, innerhalb der
säkularen Senkung vorgekommener instantaner
Senkungen unerklärlich bleiben müßte, so bietet
das Bild des Shell-mound's in schroffem Gegensatz
hierzu den Begriff äußersten Stillstandes und
säkularen Verharrens ohne die leiseste physikalische
oder klimatische, botanische sowie zoologische
Veränderung.
Die bloße Umschau von den Muschelbergen,
8 — 10 m hoch, 50 Schritte breit und kilometerlang
sich am Seeufer hinziehend, erweckt zunächst die
Vorstellung unermeßlich langer Zeiträume, die
erforderlich waren, um bei dem äußerst geringen
täglichen Zuwachs an zerstampften Gehäusen solche
Anhäufungen zu schaffen. Hier haben Geschlechter
in vollkommenem kulturellen Stillstand eben gerade
nur gelebt und sich ernährt — ohne Klimaänderung,
ohne Jahreszeiten, ohne Winterkälte — jeden
Kulturanstoßes enthoben und nur Schnecken-
gehäuseschichten über ältere Schichten häufend.
Ihre einzige Sorge war, Brennholz für das Rösten
sowie Feuer oder allenfalls Ton für die Herstellung
roher Gefäße zu beschaffen. Jedes Gehäuse wurde
mit einem Holzstäbchen angebohrt, um das ge-
bratene Tier herauszuholen. Als einziges anderes
Gerät kommen als große Seltenheit fossile Haifisch-
zähne vor, die von anderen Gebieten mitgebracht
werden mußten. Ich habe trotz eifrigen Suchens
nicht die leiseste Spur eines Gerätes angetroffen
N. F. XX. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
127
— nur die dünnen Aschenschichten fanden sich
in allen Lagen.
Steigt man den steilen Abhang zu dem
brackischen Seewasser hinab, so sieht man, daß
die Schalenmassen bis unter den Wasserspiegel
reichen — und daß in dem klaren seichten Wasser
heute noch die gleiche Schnecke weilerlebt, deren
Schale die Muschelberge bildet, wie ein Zeugnis
zugunsten der S i m r o t h sehen Pendulationstheorie.
Es hat somit hier seit den — wir dürfen wohl
sagen — vielen Jahrtausenden seit dem Auf-
treten des Menschen eine wesentliche Senkung
des Bodens nicht stattgefunden; es ist dies eine
Tatsache, an der nicht vorbeizukommen ist, wie
sie indessen mit den sonstigen Anzeichen und
den auf „Senkung" eingestellten Annahmen in
Widerspruch steht 1
Dieser Widerspruch ist indessen doch nur ein
scheinbarer, denn eine Betrachtung der Tiefenkarte
des mexikanischen Meerbusens liefert den Schlüs-
sel dazu.
Da zeigt es sich nämlich, daß die Halbinsel
nicht als Ganzes gleichmäßigen Senkungsvorgängen
unterworfen wurde, sondern die Westküste ganz
anders davon betroffen wurde als die Ostküste.
Dies geht aus dem Verlauf der Steilabsturzlinie
nach dem mexikanischen Meerbusen zu hervor,
die im Westen bei 270 km Entfernung von der
Küste von 200 auf 2000 m, im Süden sogar von
95 auf 3700 m absinkt und hiermit bezeugt, daß
die Halbinsel einst an dieser Westseite mehr als
doppelt so breit warl
Im Osten dagegen ist der Absturz nur ganz
gering und verläuft nahe der Küste bei nur unbe-
deutender Landeinbuße.
Es bedeutet dies, daß die Senkung sich in
einer Art Kippbewegung um eine Drehachse voll-
zog, die fast genau mit dem Verlauf der Ostküste
zusammenfallt, welche somit nahezu stillstehend
in ihrer alten Lage verharren konnte.
Da der beschriebene Shellmound ganz nahe
der Ostküste gelegen ist, wird dessen Verbleib im
ursprünglichen Zustande ganz begreiflich und die
etwaigen Senkungen und Hebungen, die hier statt-
gefunden haben mögen, müssen vor Anwesenheit
des Menschen sich zugetragen haben.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß
der Zypressenwald des Monroesees zwar eine be-
stimmte Form des Vorkommens im seichten
Seewasser darstellt, während die Verhältnisse im
Süden der Halbinsel etwas andere sein mögen,
dennoch aber insofern auf gleiche Wachstums-
verhältnisse hinauskommen als die Okefeno swamps
mit ihrer Fläche von ca. 900 qkm, und die Ever-
glades Cypress swamps mit 275 km Länge und
95 km Breite, d. h. 20 000 qkm ein Seichtwasser-
gebiet von 0,30 — I m Tiefe darstellen, die in der
Regenzeit noch anwächst; eine wesentlich ver-
schiedene Moorvegetation, die für die Vertorfung
in Frage kommen könnte, darf somit kaum vor-
ausgesetzt werden !
Fassen wir die Ergebnisse der Beobachtungen
zusammen, um die heutigen noch im Sumpfzy-
pressenwald bestehenden Verhältnisse mit den
fossilen tertiären Vorkommen im heimischen Ge-
biet zu vergleichen, so ergeben sich folgende Tat-
sachen :
1. Es gibt in Florida heute noch Sumpfzy-
pressenwald im Seichtwasser der Seen, der bei be-
schränkter Wassertiefe einen Vegetationsgürtel
darstellt.
2. Für eine eigentliche Sumpfvegetation ist an
diesen Stellen kein Platz.
3. Die Sumpfvegetation wird durch eine Schilf-
graszone ersetzt, deren Zerfallprodukte eine Art
Vertorfung erzeugen könnten.
4. Die Einbettung von Strecken des Sumpf-
zypressenwaldes in organische Schichten, eventuell
in abgestorbenem Schilfgras ist an eine Senkung
des Untergrundes, beziehungsweise an ein Vor-
rücken des Schilfgrasgebietes landeinwärts bei
wachsender Wassertiefe gebunden.
5. Während die Bohrungen im Mississippigebiet,
500 engl. Meilen westlich, das Vorhandensein von
Sumpfzypressenhorizonten in größeren Tiefen an-
deuten, denen Senkungen, säkulare sowie in-
stantane, entsprechen müssen, zeigt ein Muschel-
haufen eine nur unwesentliche Senkung des Bodens
seit seines Entstehens, obwohl die Bildung zwar
unmeßbare, aber sicherlich ungeheuere Zeiträume
in Anspruch genommen hat.
6. Der scheinbare Widerspruch zwischen die-
sem Stillstand und den sonstigen Anzeichen von
Bodensenkung findet seine Erklärung in einem
verschieden gearteten Anteil an den Bodenbewe-
gungen der Ost- und der Westküste der Halb-
insel, in dem Sinne, daß während die erstere
ziemlich unberührt verblieb, die Westküste durch
starke Senkungen ins Meer versank und die Halb-
insel auf weniger als den halben Flächenraum
einschrumpfte.
7. In Anbetracht der Wahrscheinlichkeit, daß
organische Ablagerungen nur dann der Zerstörung
zu entgehen vermögen, wenn ihnen durch baldige
Bedeckung mit anorganischen Sedimenten der
nötige Schutz zuteil wird, darf für Florida, bei
dem Fehlen eines abtragungsfähigen höheren
Hinterlandes, die Bildung von Stubbenhorizonten
in Verbindung mit Braunkohlenflözen wie unsere
heimischen nicht vorausgesetzt werden.
Eugen Bracht.
Bücherbesprechimgen.
Disp er, Peter, Über die Massenverteilung
und Verschiebung der Druck- und
Zugkräfte in einemKometen. Montabau
1919, WUly Kalb. 3 M.
128
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 8
Der Verfasser gibt leider nicht genau an, wie
er sich die physikalische und chemische Be-
schaffenheit eines Kometen vorstellt, was aber
zwischen seinen mathematischen Ableitungen an
Bemerkungen eingestreut ist, setzt jedenfalls ganz
andere Gebilde voraus, als sie über die Natur der
Kometen durch die Beobachtung bekannt geworden
sind. Es könnte sonst nicht auf S. 15 heißen:
„Der Schweif besitzt also einen, wenn auch äußerst
geringen Grad von Elastizität und Biegsamkeit,
wie sie etwa einem erhitzten und schnell abge-
kühlten Stück Eisen eigentümlich ist." Der Ko-
metenkopf scheint nach Disper eine Gasmasse
zu sein, und keine meteorische Wolke, so daß die
von ihm abgeleiteten Ergebnisse für die wirklichen
Kometen kaum in Betracht kommen dürften.
Interessant sind die von ihm gefundenen Be-
ziehungen zwischen Gravitation und Wärme, die
mit den Anschauungen von Fricke identisch
sind (vgl. S. 158 dieses Bandes). Riem.
Beutner, R., DieEntstehungelektrischer
Ströme in lebenden Geweben und
ihre künstliche Nachahmung durch
synthetische organische Substanzen.
Stuttgart 1920, Verlag von F. Enke.
In dem vorliegenden, streng wissenschaftlichen
Werke berichtet der Verf. vor allem über seine
äußerst interessanten Versuche über die Entwick-
lung elektromotorischer Kräfte bei der Einschal-
tung einer mit Wasser nicht mischbaren organi-
schen Flüssigkeit (kurz als „Öl" bezeichnet) zwi-
schen wässrige Lösungen verschiedener Salze oder
eines Salzes in verschiedendn Konzentrationen, und
über Ketten, die aus zwei verschiedenen, zwischen
identische wässrige Salzlösungen geschaltete „Öle"
aufgebaut wurden.
Ganz abgesehen vom großen Interesse, daß
diese Ketten und ihre Theorie für die physikalische
Chemie besitzen, sind sie von außerordentlichem
Werte für die Deutung der elektrischen Ströme,
die an allen lebenden Geweben zwischen einer
normalen und einer verletzten Gewebsstelle auf-
treten.
So sei z. B. nur darauf hingewiesen, daß nach
Ansicht der Ref aus Beutners Versuchen her-
vorgeht, daß alle Versuche, die schädigende
Wirkung verschiedener Salze auf tierische Gewebe
an der Größe des von ihnen hervorgerufenen
elektrischen Stromes zu messen, ihr Ziel verfehlten,
weil nicht die Giftwirkung des Salzes, sondern
sein Teilungskoefizient zwischen Wasser und Ge-
websoberfläche die Ursache der Verschiedenheit
der entwickelten elektromotorischen Kräfte zu
sein scheint.
Die den Physiologen am meisten interessierenden
elektromotorischen Wirkungen der tierischen Ge-
webe, die „Akiionsströme" werden vom Verf. nicht
diskutiert; sicher werden auch bei ihrer Deutung
die Beutnerschen Versuche zu berücksichtigen
sein.
Es ist hocherfreulich, daß die Verlagsbuch-
handlung dieses Buch, obwohl es vielleicht zu-
nächst leider nur auf einen kleineren Leserkreis
hoffen darf, der Wissenschaft zugänglich gemacht
hat. Brücke, Innsbruck.
Schulz, H., Das Sehen, eine Einführung
in die physiologische Optik. Stutt-
gart 1920, Verlag F. Enke.
Das vorliegende Werk entstammt der Feder
eines Physikers und hat die Vorzüge und Nach-
teile dieser Abstammung.
Es führt den Leser gut in die mit der physio-
logischenOptik zusammenhängenden physikalischen
Probleme ein. In die Darstellung der speziell
physiologischen und psychologischen Tatsachen
hat sich aber leider eine recht beträchtliche Zahl
von Irrtümern eingeschlichen.
Dennoch wird das Buch als Ganzes weiten
Kreisen wertvolle Kenntnisse vermitteln können.
Brücke, Innsbruck.
Literatur.
Seifert, Prof. Dr. O. , Die tierischen Parasiten des
Menschen. II. Teil. Klinik und Therapie der tierischen Para-
siten des Menschen. Mit 19 Te.xtabb. 2. Aufl. Leipzig '20,
C. Kabitsch. 72 M.
Pauli, Prof. Dr. Wo., Kolloidchemie der Eiweifikörper.
1. Hälfte. Mit 27 Textabb, Diesden u. Leipzig '20, Th.
Steinkopf.
Beniner, R. , Die Entstehung elektrischer Ströme in
lebenden Geweben und ihre künstliche Nachahmung durch
synthetische organische Substanzen. Mit 15 Textabb. Stutt-
gart '20, F. Enke. 40 M.
Fehlinger, H., Das Geschlechtsleben der Naturvölker.
Mit 9 Textabb. Leipzig '21, C. Kabitsch. 15 M.
Gothan, Prof. Dr., Potonies Lehrbuch der Paläobotanik.
2. umgearb. Aufl. 2. Lief. Berlin, Gebr. Bornträger. 22 M.
Cassirer, E., Zur Einsteinschen Relativitätstheorie. Er-
kenntnisiheoretische Betrachtungen. Berlin '21, B. Cassirer.
Schulz, Dr. H., Das Sehen. Eine Einfuhrung in die
physiologische Optik. Mit 86 Textabb. Stuttgart, F. Enke.
25 M.
Donath, Prof. Dr. und Lissner, Dr. A. , Kohle und
Erdöl. Mit 8 Abb. Ebenda. 7,50 M.
Kauffmann, Prof. Dr. H., Beziehungen zwischen phy-
sikalischen Eigenschaften und chemischer Konstitution. Ebenda
60 M.
Inhalt: F. Kobel, Das Problem der Wirtswahl bei den parasitischen Pilzen. S. 1:3. H. Passarge Die Birotations-
Iheorie. S. 118. — Einzelberichte: M. Weth, Der positive Spitzenstrom. S. 121. H. Wachs, Restitution des Auges
nach E.xstirpation von Retma und Linse bei Tritonen. S. 123. Hilzheimer, Der Ursprung des Menschengeschlechts.
S. 123. E. Bracht, Der Sumpfzypressenwald in Florida. S. 124. — Bücherbesprechungen: P. Disper, Über die
Massenverteilung und Verschiebung der Druck- und Zugkräfte in einem Kometen. S. 127. R. B eutner, Die Ent-
stehung elektrischer Ströme in lebenden Geweben und ihre künstliche Nachahmung durch synthetische organische Sub-
stanzen. S. 1 28. H. S c h u 1 z , Das Sehen, eine Einführung in die physiologische Optik. S. 128. — Literatur: Liste. S. 128.
Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten.
Verlag Ton Gustav Fischer in Jena.
Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Sonntag, den 27. Februar 1921. Nummer 9.
Neue Folge so. Band;
der ganxen Reihe 3Ö. Band.
[Nachdruck verboten.]
Pflanzen als Wetterpropheten.
Von K. Goebel.
Mit 2 Abbildungen.
Das Wetter vorhersagen zu können, war von
jeher ein eifrig erstrebtes Ziel — bekannthch ist es
auch jetzt nur noch unvollkommen erreicht. So-
lange man aber diesem Wunsch hilflos gegenüber-
stand, suchte man ihn auf einem Umweg zu be-
friedigen. Man nahm an, daß andere Organismen
bessere Wetterpropheten seien als der Mensch.
Zu diesen Organismen rechnete man auch
einige Pflanzen, die durch mehr oder minder auf-
fallende Bewegungen erkennen lassen sollten, ob
gutes oder schlechtes Wetter bevorstehe. Dieser
Glauben war so fest begründet, daß manche dieser
Pflanzen sogar ihre Artbezeichnung daher erhielten.
Allgemein bekannt sind bei uns die „Wetterdistel"
(Carlina acaulis) und das „Wettermoos" (Funaria
hygrometrica). ^) In unseren botanischen Gärten
aligemein verbreitet (auch als Zierpflanze angebaut)
ist eine Kappflanze, Dimorphotheca p 1 u v i a 1 i s , -)
so genannt, weil sie ihre Blütenköpfe bei Regen
schließen soll. Auch der aus Peru stammende
Strauch Porliera hygrometrica verdankt seinen Art-
namen einem ähnlichen Glauben. Aber auch
solche Pflanzen, denen man es nicht schon am
Namen anmerkt, haben zeitweise als Wetter-
propheten Aufsehen erregt. So der unten zu er-
wähnende Abrus precatorius und andere.
Wenn wir uns fragen, wie diese Pflanzen zu
ihrem Rufe gekommen sind und ob dieser be-
gründet ist, so sei zunächst daran erinnert, daß
die Bewegungen, welche diese Pflanzen ausführen,
ganz verschiedener Natur sind.
Bei Porliera, Abrus, Dimorphotheca u. a.
handelt es sich um Bewegungen lebender Blatt-
organe, bei Carlina, Funaria u. a. dagegen um
tote Pflanzenteile, die hygroskopische Bewegungen
ausführen. Diese bedürfen hier keiner ausführlichen
Besprechung — man findet sie ja in jedem
botanischen Lehrbuch erwähnt. Es sei deshalb
nur weniges hervorgehoben.
1. Die hygroskopische Empfindlichkeit ist eine
außerordentlich verschiedene. Am größten ist
sie unter den mir bekannten Pflanzen bei einigen
australischen „Strohblumen". Als Strohblumen
oder „Immortellen" bezeichnet man bekanntlich
einige Kompositen, deren Hochblatthülle aus
Blättern besteht, die, wenigstens in ihrem oberen
Teile, aus totem Gewebe bestehen, das sich ohne
•) Linne führt bei Besprechung des Nutzens des Moose
ausdrücklich an; „Mnium hygrometricum utwisar luftens
torka eller fuktighet (Skrifter afCarl v. Linne II, p. 137).
^) Noch im Katalog für 1921 von einer Erfurter Firma
steht bei dieser Pflanze ,, zeigt Regen an".
erhebliche Schrumpfung im trockenen Zustand
erhält und so dem ungeübten Auge als „lebend"
erscheint. Die Bezeichnung „Immortellen" ist also
eine ebenso irrige, als die der „Jerichorose" als
„Auferstehungspfianze" (Anastatica), in beiden
Fällen handelt es sich um totes Gewebe, das
weder nochmals sterben noch wieder aufleben kann.
Bekannt sind auch außer der schon genannten
Wetterdistel namentlich die auf trockenen Wiesen
bei uns wachsenden „Katzenpfötchen", Antennaria
dioica. Die hygroskopische Empfindlichkeit der
Hüllblätter dieser Pflanzen ist aber eine recht
bescheidene gegenüber der einiger australischer
Helipteres - Arten , die in unseren Gärten nicht
selten als Zierpflanzen gezogen werden, weil
deren Hüllblätter durch ihre lebhafte Färbung
(rot, gelb usw.) ebenso als „Schauapparat" —
wenigstens für das menschliche Auge — auffallen,
wie bei anderen Kompositen die Randblüten.
Diese Hüllblätter besitzen eine kurze mittlere
Zone, die als hygroskopisches Bewegungsgelenk
tätig ist. ') Bestreicht man diese Zone auf der
Außenseite mit Wasser, so tritt augenblicklich
eine starke Einwärtskrümmung des oberen Blatt-
teiles ein, während keine Bewegung erfolgt, wenn
man den oberhalb des Gelenkteiles gelegenen
Teil des Involukralblattes benetzt. Das Gelenk
ist eine ganz kurze schmale Zone an der Grenze
zwischen dem unteren, teilweise noch aus lebendem
Gewebe bestehenden Teil des Involukralblattes
und dem oberen, schmäleren gefärbten. Es ist
dorsiventral, denn nur die Außenseite (Unterseite)
ist in erheblichem Maße hygroskopisch. Diese
aber ist sehr empfindlich. Es genügt, daß man
einen „geöffneten" Blütenkopf in einen wasser-
dampfreichen Raum bringt, um sofort einen Ver-
schluß der Blütenköpfe herbeizuführen. Als solchen
Raum benutzte ich das Victoria regia- Haus unseres
Gartens. Die Blütenköpfe von Helipteres roseum
blieben darin dauernd geschlossen. Nur bei sta;i:em
Sonnenschein, der zunächst eine Verminderung
der relativen Luftfeuchtigkeit bedingte, trat eine
schwache Öffnung ein. Es genügt also Wasser-
dampf, um eine Schließbewegung herbeizuführen.
Demgemäß blieben an luftfeuchten Tagen auch
die Blütenköpfe geschlossen. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß auch der abendliche Ver-
schluß derHelipteres-Blütenköpfe auf eine Zunahme
der relativen Luftfeuchtigkeit, also auf einer hygro-
') Vgl. Goebel, Die Entfaltungsbcwegungen der Pflanzen,
Jena 1920, S. 93.
130
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 9
skopischen Bewegung beruht. Um einigermaßen
zahlenmäßige Anhaltspunkte für die hygroskopische
Empfindlichkeit dieser Involukralblätter zu ge-
winnen, wurden im Exsikkator durch Schwefelsäure
verschiedenen Wassergehaltes verschiedene Grade
relativer Luftfeuchtigkeit hergestellt. Bei Anwendung
von 40proz. Schwefelsäure (57% relative Luft-
feuchtigkeit) blieben die Köpfe offen. Bei 35proz.
(etwa ö5"/(, relative Luftfeuchtigkeit) waren sie halb-
geöffnet, bei 30proz. (/Ö^/q relative Luftfeuchtig-
keit) geschlossen. IMan kann also wohl annehmen,
daß Verschluß erfolgt, wenn etwa 70% relative
Luftfeuchtigkeit erreicht ist. Eine Verminderung
um 13% genügt, um die Offnungsbewegung herbei-
zuführen.
Man wird geneigt sein, anzunehmen, daß diese
starke hygroskopische Empfindlichkeit der Pflanze
von Nutzen sei, derart etwa, daß nachts die Blüten
durch den Verschluß des Involukrums gegen die
schädliche Einwirkung von Feuchtigkeit geschützt
seien.
Das ist möglich. Aber es sei darauf hinge-
wiesen, daß eine hygroskopische Empfindlichkeit
auch vorkommt, wo diese Schutzbedeutung aus-
geschlossen ist. So ist es bei Ammobium alatum,
der bekanntesten „Strohblume", die gleichfalls
dem australischen Florengebiet entstammt. Hier
sind die Hüllblätter so kurz, die Blütenköpfe so
dick, daß die letzteren von ersteren zur Blütezeit
nicht mehr ,, geschlossen" werden können. Trotz-
dem sind die Hüllblätter hier ebenfalls hygrosko-
pisch. Diese Eigenschaft ist also gewiß nicht im
„Kampf ums Dasein" zum Schutz der Blüten er-
worben worden. Vielmehr sehen wir den oberen
Teil der Hüllblätter an den Blütenköpfen einer
ganzen Anzahl von Kompositen aus ganz oder
größtenteils abgestorbenem Gewebe bestehen
(z. B. Xeranthemum, einige Centaurea-Arten u. a.),
ohne daß sie ausgesprochen hyproskopische Be-
wegungen ausführen. Bei Helipteres ist die pri-
märe Funktion des Gelenks die der Öffnung des
Hüllblattapparates beim Austrocknen. Das ge-
schieht durch Schwinden des Gelenks auf der
Außenseite. Die Schließbewegung kann ja mög-
licherweise auch von Nutzen sein. Aber wenn
ein solcher vorhanden ist — was nur experimen-
tell erwiesen werden kann — , so ist er nur ein
sekundärer.
Die kurz besprochenen hygrometrischen Pflan-
zen können also insofern einigermaßen als „Wet-
terpropheten" gelten, als sie eine Zunahme der
Luftfeuchtigkeit anzeigen, die ja vielfach dem
Regen voran geht.
Geheimnisvollere Kräfte schrieb man der
zweiten Gruppe von Pflanzen zu, bei denen es
sich namentlich um Öffnungs- und Schließbe-
wegungen von Blütenköpfen und Blättern handelt.
Vaucher, in dessen — mit Unrecht fast ver-
gessenem — Werk sich eine Menge „biologischer"
Beobachtungen finden, sagt ^) von Dimorphotheca:
„Ce que le Pluvialis presente de remarquable, c'est
le mouvement de ses ligules qui s'ouvrent le
matin, si la temp^rature est sereine, mais qui
restent fermes, si le temps annonce une pluie
durable, et non pas une pluie d'orage." Er folgte
darin im wesentlichen dem, was Linne von einer
anderen Pflanze anführte: „Den Sonchus Sibiriens
(= Lactuca sibirica) hat Linne-) sogar zum Wet-
terpropheten gemacht, indem er sagte, daß der
folgende Tag meistens schön ist, wenn die Blüthen
des Sonchus die Nacht hindurch geschlossen sind;
der folgende Tag wäre aber unbeständig und
regnigt, wenn die Blüthen des Sonchus die ganze
Nacht hindurch offen geblieben wären. Ich habe
zwar nicht Gelegenheit gehabt den Sonchus
Sibiriens des Nachts zu beobachten, aber wahr-
scheinlich wird er ein ebenso schlechter Wetter-
prophet sein, als die Calendula pluvialis, von der
man sagt, daß sie sich schließt, wenn Regen bevor-
steht; diese Blume richtet sich aber mehr nach
dem Sonnenschein, als nach dem kommenden
Regen. Herr Link sagte, daß er die Calendula
pluvialis sehr oft beobachtet und gefunden habe,
daß sie sich nur dann an das Wetter kehrt, wenn
es lange trocken gewesen ist, wenn aber oft
Regenschauer kommen, so richtet sie sich auf
keine Weise darnach, woraus man auf ein Ge-
wöhnen an schlechtes Wetter schließen könnte."^)
Tatsächlich handelt es sich bei diesen Kompositen
aber nicht um Wetterpropheten. An einem warmen
Julitage blieben in unserem Garten die Pflanzen
von Dimorphotheca pluvialis trotz 10 Minuten
langem prasselndem Regens geöffnet — während
die Blütenköpfe von Helipteres roseum und H.
Manglesii durch die Bewegungen ihrer Involu-
kralblätter geschlossen waren. Das periodische
Offnen und Schließen dieser Pflanzen wird viel-
mehr wie in anderen Fällen durch ihre Empfind-
lichkeit für Schwankungen der Licht- und Wärme-
intensität bedingt. Je nach den einzelnen Pflanzen
überwiegt die thermonastische oder die photo-
nastische Reizbarkeit. Dimorphotheca gehört zu
den ersteren — man kann sich leicht überzeugen,
daß Pflanzen im Victoriahaus auch nachts 10'',
wenn die im Freien stehenden längst geschlossene
Blütenköpfe zeigen, diese noch offen haben. Daß
die Blütenköpfe auch photonastisch reizbar sind,
soll nicht in Abrede gestellt werden, indes ver-
dankt die Pflanze ihren Namen jedenfalls nicht
ihrer photonastischen, sondern ihrer thermo-
') Vaucher, Histoire pbysiologique des plantes d'Eu-
rope, Vol. III (1S41), p. 140.
^) Vgl. Linne, Phil. bot. ed. II, p. 275 wo es von „Ca-
lendula africana" heißt: . . . at vero si vigilias non adsumat,
seu non aperiat flores hora septima matutina, pluviae hac
die cadent, coustanti lege umbres autem ex tonitru evilare non
facile didiscit. Sonchus Sibiriens si noctu claudatur proxi-
ma dies plerumque serena erit, si vero aperto flore per noctem
vigilet insequens dies plerumque erit pluviosa." Offenbar be-
ruht diese Annahme darauf, daß die Blütenköpfe stärker ther-
monastisch als photonastisch sind, in einer warmen Nacht
also offen bleiben. Nach einer waimen Nacht regnet es öfter
als nach einer kalten. Darauf dürfte Linnes Annahme be-
ruhen.
') M e y e n , Neues System der Pflanzenphysiologie, III
(1839), S. 497-
N. F. XX. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
131
nastischen Reizbarkeit. Als Regenprophet ist sie
jedenfalls ganz unbrauchbar.
Die Pflanzen, die man seit Pfeffers Unter-
suchungen gewöhnlich zur Demonstration der
Öffnungs- und Schließungsbevvegungen der
Blüten zu benutzen pflegt: Crocus und Tulipa
sind im getriebenen Zustand nicht sehr empfind-
lich. Die thermonastisch am stärksten empfind-
liche Pflanze, die ich derzeit kenne, ist 0.\'alis
hirta, eine wie Dimorphotheca vom Kap
stammende Oxalis-Art. Sie bildet in unserem im
Winter auf 12 — 15" gehaltenen Kaphause zwar
ihre Blütenknospen, aber sie entfaltet sie bei
dieser Temperatur nicht. Bringt man aber eine
Pflanze mit noch geschlossenen, hinreichend aus-
gebildeten Blütenknospen in ein Gewächshaus mit
25", so öffnen sich die Knospen innerhalb von
5 Minuten. In das kühle Haus zurückgebracht,
schließen sich die Blüten wieder, brauchen dazu
aber eine längere Zeit — mehrere Stunden. Sie können
sich bei höherer Temperatur dann noch einmal
öffnen.^) Gegen Benässung sind die Blüten sehr
empfindlich, nicht nur öffnen sie sich in warmes
Wasser gelegt überhaupt nicht, sondern es genügt
ein kurzdauernder Aufenthalt im Wasser, um sie
abzutöten. Es mag also, da Regen und niedrigere
Temperatur miteinander zusammen aufzutreten
pflegen, auch aus diesem Grunde für die Blüten
vorteilhaft sein, daß sie nur bei höherer Tempe-
ratur sich öffnen.
Es gibt aber auch Blüten, deren Öffnungs-
und Schließbewegung von anderen Faktoren ab-
hängt, die man bisher meist übersehen hat und
zwar deshalb, weil die meisten Botaniker die
(Jffnungs- bzw. Schließbewegung nur als einen
durch Wachstumsverschiedenheit auf den beiden
Seiten der Blumenblätter usw. bedingt betrachten.
Es geschah das auf Grund der berühmten Unter-
suchungen von Pfeffer. Dieser'-) glaubte nach-
gewiesen zu haben, daß die Krümmungsbewegun-
gen der Blüten durch Wachstum vermittelt werden.
Gewiß ist das in den von Pfeffer unter-
suchten Blüten und vielen anderen so. Aber man
kann nicht von Crocus und Tulipa auf die Ge-
samtheit der Blüten schließen. Unzweifelhaft
handelt es sich bei manchen davon nicht um
Wachstumsverschiedenheiten auf Ober- und Unter-
seite, sondern um Verschiedenheiten der Turgor-
spannung. Das läßt sich besonders leicht bei den
Blüten von Silene Arten zeigen.
Manche davon zeigen bekanntlich ein periodi-
sches Offnen und Schließen, wobei der Verschluß
durch Einrollen der Blumenblätter stattfindet.
Letzteres erfolgt bei Melandryum noctiflorum,
Silene nutans u. a. am Tage, die Öffnung abends.
Man kann aber auch am Tage leicht eine Öffnung
der Blüten herbeiführen, bzw. sie geöffnet er-
halten.
Meine Beobachtungen an Silene nutans und
Mel. noctiflorum ergaben zunächst folgendes.
Wenn man Blüten von Sil. nutans oder Mel.
noctiflorum mit eingerollten Petalen in Wasser
legt, findet bald eine Ausbreitung statt. So hatte
Abb. I.
Abb. 2.
') Bei Pflanzen, die schon länger im Warmhaus stehen,
tritt die photonastische Reizbarkeit hervor.
-) Pfeffer, Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., II, S. 175. Auf
die sonstige Literatur kann hier nicht eingegangen werden.
z. B. die in Abb. i abgebildete Infloreszenz 5^1$
nachmittags drei Blüten mit eingerollten Petalen.
Abb. 2 zeigt dieselbe, nachdem die Blüten ^/^ Stun-
den in Wasser von 20° gelegen hatten — bei
höherer Temperatur geht die Ausbreitung wesent-
132
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 9
lieh rascher vor sich.') Dem entspricht, daß diese
Blüten an trüben feuchten Tagen gleichfalls ge-
öffnetbleiben können, ebenso wenn man sie öfters
bespritzt. Selbstverständlich spricht dabei aber
die Wasserversorgung der ganzen Pflanze mit.
Daß die Einrollung auf einer Turgorverminderung
der Oberseite beruht, ist mir nicht zweifelhaft.
iVIan kann sie bei Silene conoidea herbeiführen
dadurch, daß man die Blüten wiederholt hin- und
herbewegt oder daß man sie abgeschnitten in
trockener Luft liegen läßt. Es ist derselbe Vor-
gang, welcher früher ^) von Gräsern wie Leersia
clandestina und Phalaris arundinacea beschrieben
wurde, nur daß er bei Sil. nutans und Mel. nocti-
florum mehrere Tage hintereinander sich einstellen
kann. Ferner erhielt ich sehr rasche Einrollung
der Blumenblätter von Mel. noctiflorum, wenn ich
die abends geöffneten Blumenblätter auf ihrer
Oberseite mit einem heißen Körper in Berührung
brachte und dadurch den Turgor aufhob. Be-
streichen mit hypertonischen Lösungen wirkt viel
langsamer und schwächer, weil die Blumenblätter
schwer benetzbar sind. Andere Sileneen zeigen
die Einrollung nur beim Abblühen.
In dem Ein- und Aufrollen der Blumenkrone eine
Anpassungserscheinung nachzuweisen, wird nicht
leicht sein. Man kann die Einrollung nicht etwa als
eine Schutzvorrichtung für die'Staubblätter und ihren
Pollen ansehen, denn die Staubblätter von Silene
nutans ragen, wie Abb. i zeigt, aus den einge-
rollten Blumenkronen weit hervor, die von Mel.
noctiflorum treten über die „Nebenkrone" über-
haupt nicht hervor, brauchen also auch keinen
Schutz. Die eingerollten Blumenblätter versperren
auch durchaus nicht immer den Eingang in die
Blüte. Daß die Blumenblätter aber gegen Schä-
digung durch Austrocknen empfindlicher seien
als die anderer Silene- Arten, welche keine peri-
odische Bewegung zeigen und sich gegen diese
Gefahr durch Einrollung schützen, ist weder nach-
gewiesen noch wahrscheinlich. Es liegt eine Ab-
hängigkeit des Turgors der Oberseite von äußeren
Faktoren vor — ähnlich wie in anderen Fällen,
ohne daß man diese derzeit als eine adaptative
bezeichnen könnte.
Daß beim Offnungsvorgang der Blumenkrone
die Blumenblätter noch erheblich heranwachsen,
ist auch ohne Messung leicht wahrnehmbar. Dann
aber wirkt der Antagonismus zwischen Ober-
und Unterseite so, daß nur bei starker Turges-
zenz der ersteren die Blüte geöffnet bleibt. Sinkt
die Turgeszenz auf der Oberseite, ^) so tritt Ver-
') Vaucher (Histoire physiol. des plan'es d'Europe, I
(1841), p. 365), welcher die Bewegungen der Fetalen einiger
Silene- Arten erwähnt, meint, sie seien ,,independants de tout
ageut exterieur, puisqu'ils ont lieu par un temps pluvieux
comme par un ciel serein, et dans l'obscurile comme au plein
jour". Daß das nicht zutrifft, geht aus dem oben Mitge-
teilten hervor.
'■') Goebel, Entfaltucgsbewegungen, S. 44.
^) Wenn man eingerollte Blumenblätter ausbreitet, schnellen
sie wieder (wie schon Gärtner beobachtete) in ihre ur-
sprüngliche Lage zurück.
Schluß ein. Das kann bei manchen Sileneen
mehrmals (periodisch) erfolgen, bei anderen ge-
schieht es nur einmal beim Abblühen. Künst-
lich kann der Vorgang, wie die bei Silene
conoidea angeführte Beobachtung zeigt, auch vor
dem Abblühen durch Transpirationssteigerung,
und mehrmals hervorgerufen werden. Der Unter-
schied liegt also nur in einer größeren Empfindlich-
keit der Oberseite bei den Silenazeen mit mehr-
mals sich öffnenden Blüten.
Sehen wir noch zu, wie es sich mit den
„Wetterpflanzen" verhält, deren Blattbewegungen
als ein Anzeichen für die Witterungsfestslellung
abgeben sollten.
Porliera hygrometrica ist ein zu den Zygo-
phyllen gehöriger Strauch, der an trockenen Stand-
orten in Peru wächst. Der Artname rührt von
den Beobachtungen her, die schon die ersten Be-
schreiber der Pflanze, Ruiz und Pavon') ver-
anlaßten, diese als Wetterpropheten zu betrachten.
Zunächst sei erwähnt, daß die Blätter sehr schöne
Schlafbewegungen ausführen. Sie sind doppelt
gefiedert. Die Fiederbläitchen schlagen sich nach
oben zusammen, die Blattspindel senkt sich. Das
Aussehen der ganzen Pflanze wird durch diese
„nyktinastische" Bewegung so verändert, daß sie
auf die genannten Forscher den Eindruck machte,
als ob sie blattlos und vertrocknet sei. Die Wet-
terprophezeiung soll nun darin bestehen, daß
wenn der folgende Tag trocken sein wird, eine
halbe Stunde vor Sonnenuntergang die Blätter
anfangen sich zusammenzufalten, was früher ein-
tritt, wenn der folgende Tag neblig und stürmisch
sein wird.
Die Zeit, in der die nyktinastische Bewegung
eintritt, soll also anzeigen, wie das Wetter am
folgenden Tage sich gestalten wird. Außerdem
kommt das Verhalten zum Regen in Betracht : R u i z
und Pa von geben an, wenn es nachmittags stark
geregnet habe und die Pflanze naß geworden sei,
so schließen sich die Blätter vor oder kurz nach
Sonnenuntergang vollständig. Das tun sie aber
auch sonst.
Endlicher-) dagegen meint , die Blätter
seien bei heiterem Wetter ausgebreitet, wenn
Regen bevorstehe (instante pluvia) aber geschlossen.
Ob das auf eigener Wahrnehmung oder auf einer
mißverstandenen Mitteilung von Ruiz und Pa-
von beruht, vermag ich nicht zu sagen. Jeden-
falls ist die Angabe nicht richtig.
Eingehender untersucht wurde das Verhalten
von Porliera von Pantanelli. ') Wie zu erwar-
ten war, ergab sich dabei, daß Porliera kein
Wetterprophet ist. Die Blattbewegungen können
') Ruiz et Pavon, Systema vegetabilium florae peru-
vianae et chilensis, 1, 1798, p. 94 u. 95.
*) Endlicher, Genera plantarum ( 1836 — 1840), II, 110.
') Enr. Pantanelli, Studi d'anatomia e fisiologia sui
Pulvini motori di Robinia Pseudacacia L. et Porliera hygro-
metrica R. et P. Atti della societa dei Naturalisti e Matematici
de Modena, Ser. IV, Vol. II, 1901. Daselbst auch weitere
Literatur.
N. F. XX. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
133
zwar abgesehen vom Licht auch von anderen
äußeren Einwirkungen — namentlich der Luft-
feuchtigkeit — beeinflußt werden, aber wenn die
alten Autoren daraus auf eine Vorahnung des
Wetters am folgenden Tage geschlossen haben,
so beruht das nur darauf, daß nach einem trüben
feuchten Abend am folgenden Tage häufig schlechtes
Wetter eintritt. Im übrigen bestätigte Panta-
nelli, daß je nach der Luftfeuchtigkeit die Schlaf-
bewegungen früher oder später eintreten können,
derart, daß ein Steigen der Luftfeuchtigkeit im
allgemeinen die „Schlafbewegung" und die Wach-
bewegung früher eintreten läßt, was nicht zu ver-
wundern ist, da es sich dabei um Beeinflussung
des Turgors der Gelenkpolster handelt. Doch ist
der Einfluß ein verhältnismäßig wenig starker
gegenüber den „inneren", die Turgoränderungen
bedingenden Einflüssen. Eine höhere Luftfeuchtig-
keit begünstigt nur zeitweilig die Ausdehnung der
gerade „aktiveren" Hälfte des Gelenkpolsters.
Außerdem nimmt Pantan eil i noch eine„Regen-
scheu" der Pflanze an. Nach oder während eines
Regens verändern sich die Öfi'nungswinkel der
Blättchen und noch mehr der Blätter. Dabei kann
es sich nicht um den Einfluß der Luftfeuchtigkeit
handeln, sondern entweder um den der Benetzung,
einer Temperaturdifferenz oder den mechanischer
Erschütterung. Letzteres lehnt Pantanelli ab, aber
er ist über die eigenthche Ursache nicht ins Klare
gekommen. Denn es ist nur eine teleologische
Zurechtlegung, wenn er sagt, „wir stehen also vor
einer Abwehreinrichtung gegen das Wasser in den
Beziehungen auf die Ernährungsphysiologie: ein-
mal um die Transpiration nicht zu hemmen, sodann
um die Infiltration zu verhindern, oder auch für
beide Zwecke. Daß die Spaltöffnungen auf der
Oberseite der Blättchen zahlreicher sind, wird
diese Annahme stützen". Daß aber Porliera nicht
einen Regen voraus ahnen kann, ist klar. Es ist
möglich, daß Endlichers Angabe darauf beruht,
daß einem Regen starke Licht- oder Temperatur-
abnahme vorausging.
Die Bewegungen von Porliera sind also zwar
noch nicht vollständig aufgehellt, aber sicher ist,
daß sie ihren Artnamen „hygrometrica" ebenso-
wenig zu Recht trägt, wie Dimorphotheca
„pluvialis" genannt zu werden verdient.
Im Jahre 1888 tauchte eine neue „Wetter-
pflanze" auf. Es erschien in Prag eine Broschüre
„J. F. Nowacks Wetterpflanze, deren Eigen-
schaften, Cultur und Pflege, mit Anleitung, wie
durch dieselbe jegliche Witterungs- und Temperatur-
veränderung für den Horizont, die Umgebung und
Local unbedingt verläßlich und genau 48 Stunden
vorher bestimmt werden kann".
Diese Pflanze, deren Eigenschaften in so merk-
würdigem Deutsch gepriesen wurde, ist Abrus
precaiorius, eine Leguminose.
Eine sorgfältige in Kew von F. W. Oliver
ausgeführte Untersuchung ') ergab, daß die Blatt-
bewegungen wie bei anderen Leguminosen un-
mittelbar von Schwankungen des Lichtes und
der Wärme beeinflußt werden, aber keine Vor-
ahnung für künftige Ereignisse erkennen lassen.
Das wird nicht hindern, daß solche Wetterpflanzen
wieder auftauchen — Mysterien haben die Menschen
stets mehr angezogen als nüchterne Beobachtung!
') The weather plant, Bulletin of miscellaneous infor-
mation Royal Gardens, Kew, Nr. 37, 1890.
[Nachdruck verboten.]
Der Holunder (Sainbucus uigra) iu der Volkskuudfe.
Von Dr. Heinrich Marzell, Gunzenhausen (Bayern).
Obwohl sich der Holunder meist in nächster
Nähe der menschlichen Siedelungen findet, so
daß es scheinen könnte, er wäre überall der Kul-
tur entsprungen, so ist er doch ein in Mitteleuropa
wirklich einheimischer Strauch. Seine natürlichen
Standorte sind Auenwälder und Flußufer. Aller-
dings wurde er sicher schon sehr früh auch von
den Menschen angepflanzt, so daß ein Vorkom-
men im Walde nicht selten ein Überrest früherer
Kultur sein mag. Auch haben wohl beerenfres-
sende Vögel viel zu seiner Verbreitung außerhalb
seines natürlichen Standortes beigetragen. In den
steinzeitlichen Niederlassungen der Schweiz und
den bronzezeitlichen Oberitaliens wurden Samen
des Holunders aufgefunden. Dies läßt darauf
schließen, daß schon der prähistorische Mensch
die Beeren einsammelte und (zu Mus gekocht)
verzehrte.^) Da der Holunder auch in Südeuropa
ein ziemlich häufiger Strauch ist, so haben ihn
die Völker des klassischen Altertums sicher ge-
kannt. Theophrast') beschreibt den von ihm
,akte' genannten Strauch sehr ausführlich, gibt aber
keine arzneilichen Verwendungen an. Daß aber
solche bekannt waren, beweisen die Schriften der
Hippokratiker, die die akte als abführendes, harn-
treibendes und gynäkologisches Mittel nennen,
vorausgesetzt daß hier dieser Pflanzenname das-
selbe bedeutet wie bei Theophrast und nicht
etwa den verwandten Attich (Sambucus Ebulus).
Dioskurides') unterscheidet akte (Sambucus
nigra) und chamaeakte (^„Erdholunder"; Sam-
bucus Ebulus). Er sagt aber, daß Anwendung und
Wirkung bei beiden Pflanzen die gleiche sei. Als
solche gibt er die harntreibenden Eigenschaften
an, ferner führen die als Gemüse gekochten Blätter
Schleim und Galle ab. Die in Wein gekochte
Wurzel dient den Wassersüchtigen; auch soll sie
Buschan 1895, 137.
') Hist. plant. 3, 13.
') Mat. med. 4, 173.
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 9
gegen Schlangenbiß helfen. Die frischen Blätter
lindern als Umschlag Entzündung und Geschwüre,
ferner helfen sie bei Podagra, wenn sie mit Ochsen-
oder Bockstalg aufgelegt werden. Die Beeren
werden schließlich zum Schwarzfärben der Haare
benutzt. Viele dieser von Dioskurides ange-
gebenen Anwendungen finden wir noch heute in
der Volksmedizin. P 1 i n i u s ^) berichtet von einem
Aberglauben der Hirten, demzufolge Hörner und
Posaunen, die aus dem Holz des „sabucus" ge-
fertigt sind, lauter schallen, wenn das Holz dazu
da geschnitten wurde, „wo der Strauch das Krähen
der Hähne nicht hören kann". An anderer Stelle -)
bespricht er die Heilkraft des Holunders. Seine
Angaben decken sich ungefähr mit dem bei
Dioskurides Gesagten. Die Masern werden
vertrieben, schreibt Plinius, wenn man die von
ihnen befallenen Körperstellen mit einem Holunder-
strauch peitscht. Es erinnert dies an die „Über-
tragung" des Rotlaufs auf einen Holunderzweig,
wie sie die deutsche Volksmedizin kennt.
Die medizinischen und botanischen Schriften
des deutschen Mittelalters behandeln den Holunder
ausführiich, nicht nur weil ihn die alten Arzte so
hoch schätzten, sondern weil der Baum auch im
deutschen Volksglauben ein ganz besonderes An-
sehen genoß. Albertus Magnus (gest. 1280)
sagt am Schluß seines Kapitels über den Holunder, ^j
daß er nicht alle Eigenschaften des Strauches be-
sprochen habe, weil sie ja ohnehin allgemein be-
kannt seien. Ferner behauptet er, daß die innere
Rinde des Holunders, wenn sie von unten nach
oben geschabt werde, ein Brechmittel, wenn von
oben nach unten ein Abführmittel sei;
ja er setzt sogar hinzu: „et haec saepius est ex-
pertum" (und dies ist schon öfter erprobt worden).
Daß diesem Glauben eine Art „Sympathie" zu-
grunde liegt, ist ohne weiteres ersichtlich. Ein
schlagender Beweis für die Gleichartigkeit des
primitiven Denkens ist, daß wir diese Meinung
bei den verschiedensten Volksstämmen finden,
so daß es ausgeschlossen ist, daß sie von einem
Volk zum anderen gewandert und über-
nommen worden ist. Wir treffen nämlich den-
selben Glauben im südlichen und westlichen Ruß-
land in der Form an, daß der Saft der frühmorgens
von unten nach oben geschabten Rinde brechen-
erregend, der von oben nach unten geschabten
abführend sei.*) Dem Pharmakologen Kobert
wurde er aus Sibirien mitgeteilt und der Ethno-
graph Bartels berichtet ihn von den Winnebago-
Indianern, die der Meinung sind, daß die Ho-
lunderrinde (wohl von der verwandten S. cana-
densis L.) nur dann abführende Wirkung zeige,
wenn sie der Medizinmann von oben nach unten
schabe, d. h. von den Zweigen nach der Wurzel
zu. Schabt er sie aber in umgekehrter Richtung,
also von der Wurzel aufwärts, so wirkt sie nicht
') Hist. nat. 16, 180.
^) Hist. nat. 24, 52 f.
') De Vegctabilius, 6, 220 f.
*) Demitsch 1889, 230.
abführend, sondern als Brechmittel.^) Entsprechend
glauben die Rumänen in der Bukowina, daß man
die Spulwürmer los werde, wenn man Hollerrinde,
die man nach unten geschält hat, kocht und
diesen Absud trinkt, denn dann „kommen sie
herunter", hat man aber die Hollerrinde nach
oben geschält, dann kommen die Spulwürmer
zum Mund heraus.-) Noch heute ist diese Meinung
im deutschen Volksglauben ziemlich verbreitet.
Aus Röckingen am Hesseiberg (Mittelfranken) wird
mir berichtet (1909), daß die aufwärts geschabte
und in Milch gekochte Holunderrinde Erbrechen
bewirke („es geht überschie"), die nach unten ge-
schabte aber Diarrhöe („es geht unterschie"). Das
Tatsächliche an diesem wirklich „internationalen"
Aberglauben ist übrigens, daß die Holunderrinde
brechenerregende und abführende Wirkung zeigt.
Wie volkstümlich übrigens der Holunder auch in
früheren Jahrhunderten war, beweisen schließlich
noch die Worte Bocks:") „In Teutscher Nation
ist freilich der Holder jederman bekant / darumb
nit von nötten viler wort / wie / wo oder wann
derselbig wachse / sintemal ein jeder zuvor den
Holder kennet. Denn kaum ein gemeiner bäum
under allen zu finden / als eben Holder."
Soweit die ältere Geschichte des Holunders.
Was seine Stellung in der Volkskunde betrifft, so
kann hier über dieses Gebiet nur ein kurzer
Überblick gegeben werden, denn der Holunder
ist wohl die Pflanze, die die meisten volkskund-
lichen Beziehungen aufweist, und eine „Volkskunde
des Holunders" würde eine umfassende Arbeit
sein. Was ist nun der Grund, daß gerade der
Holunder so innig mit dem Denken und Fühlen
des Volkes verknüpft ist? Als Baum, der schon
in der Urzeit bei den Wohnungen der Menschen
wuchs, der diesem in allen seinen Teilen Heil-
mittel liefert — „die lebendige Hausapotheke des
deutschen Einödbauern", wie Höfler so treffend
sagt — , ist er die Personifikation oder der Sitz
eines guten Hausgeistes, dem der Mensch zu Dank
verpflichtet ist. „Vor dem Holunder soll man
den Hut abnehmen", heißt ein Bauernspruch. Er
ist heilig, unverietzlich. Wenn man einen Holunder-
busch umhaut, so stirbt jemand, meint man auf
der schwäbischen Alb *) und im Bergischen glaubt
man, daß der Verstümmler eines Holunderbusches
bisweilen am dritten Tag nach seinem Frevelwerk
verschieden sei. ^) Hierher gehört es wohl auch,
wenn man sich vielerorts scheut das Holunder-
holz zu verbrennen. In verschiedenen Gegenden
wird dies verschieden begründet. In Siebenbürgen
glaubt man, daß man sonst das ganze Jahr Zahn-
schmerzen habe,«) in der Schweiz, daß man sich
Krankheiten oder andere Unfälle zuziehe, ') in der
') Henri ci 1894, &•
^) Zeitschr. f. österr. Volkskunde 7, 256.
") Kreutterbuch 1551, 376a.
*) Thierer, Ortsgesch. v. Gussenstadt 1912, 1, 204.
S) Zeitschr. Ver. rliein.-westf. Volkskunde 11 (1914), 266,
*) Schullerus 1901, 3.
') Schweiz. Id. 2, 1185.
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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Altmark würden die Pferde des Bauern, der mit
Holunderholz einheizt, zugrunde gehen.') Nach
dänischem Glauben sitzt im Holunder ein Geist,
die Hyldemoer (Holundermutter), ihr opferte man,
indem man Milch über die Wurzeln des Baumes
goß. Zahlreiche Beispiele für die Personifikation
des Holunders als guter Dämon bringt W. Mann-
hardt in seinen geistvollen, für mythologische
und volkskundliche Forschungen so fruchtbaren
„Wald- und Feldkulten". ^) Der Holunder ist nach
dem Volksglauben der geeignetste Baum, auf den
Krankheiten „übertragen" werden können. Manch-
mal geschieht dies auf eine recht einfache Weise
z. B. wenn man in Schlesien, um sich von Zahn-
schmerzen zu befreien, am Karfreitag in einen
Holunderast beißt.^) Oft wird dagegen der Ho-
lunder mit einem Spruch angeredet. Einen alten
„Schwinsegen" (Schwindsegen, d. i. Segen gegen
die Schwindsucht) enthält eine 161 7 niederge-
schriebene Handschrift aus dem Kloster St. Blasien:
„Gang an einem Sonntag zu Vesperzeit zue einem
Holderstock und brich ein schoß darab, daß in
einem jähr gewachsen ist und brich dreimal daran
ab und sprich dreimal allemal wann du es brichst:
Was ich brich das schwin, und was ich darmit
bestrich das wachs. Im Namen usw." *) Das
Fieber zu vertreiben bindet man in Zechlin (Ost-
Prignitz) in der Nacht bei abnehmendem Mond
einen Bindfaden um einen Fliederbaum, der auf
der Scheid' (Grenze) steht und spricht:
Guten Morgen, Herr Flieder,
Ich bring dir mein Fieber
Ich binde dich an
Nun gehe ich in Gottes Namen davon 1 °)
In Mecklenburg geht man drei Tage hinter-
einander vor Sonnenaufgang zu einem Flieder-
baum, umfaßt ihn und spricht:
„Fleder, ich hevv de Gicht,
Du best se nich
Nimm se mi af,
So hevT ik se nich." ^)
Auch das geschriebene Wort tut seine Wirkung.
Auf ein Blatt Papier werden folgende Worte ge-
schrieben: Gott der Herr ging über das Land;
da begegneten ihm die siebenzigerlei Gichter und
Gichtinnen. Da sprach der Herr: Ihr siebenziger-
lei Gichter und Gichterinnen, wo wollt ihr hin?
Da sprachen die siebzigerlei Gichter und Gichte-
rinnen: Wir gehen über das Land und bringen
die Menschen um ihre Gesundheit und Glieder.
Da sprach der Herr: ihr sollt zu einer Holler-
staude gehen, da sollt ihr alle Ästlein abbrechen
und lassen nur dem N. N. (Name des Kranken)
seine geraden Glieder. Im Namen usw. Dieser
Spruch muß in Bockleder genäht und dem Kranken
als Amulett umgehängt werden." ')
') Danneil 1859, 53.
2) 2. Aufl. 1904, z. B. 1, 10 ff.
') Drechsler 1 (1903), 90.
*) Mones Anz. f. Kde. Vorz. 6 (1837), 461.
^) Zeitschr. Ver. f. Volkskunde 7 (1897), 70.
•) Bartsch 2 (1879), 404.
') Panzer, Beitr. 2 (1855), 305.
Ganz besondere Wirkung hat der Holunder
am Johannistag, der verchristlichsten Feier der
heidnischen Sommer- Sonnenwende, an der die
Geister besondere Macht haben. Wer am St.
Johannistag um 12 Uhr mittag unter der Feuer-
esse (Sitz der Hausgeister!) eine Holunderdolde,
die in Butter gebraten wurde, ißt, bekommt ein
Jahr lang kein Fieber.') Ebenso wird, wer am
Johannistag gebackene Hollerküchlein ist, das
ganze Jahr nicht krank.-)
Daß der Holunder als „guter Hausgeist" die
bösen Geister vertreibt, ist nach dem Gesagten
ohne weiteres verständlich. „Die Leipziger nehmen
um die Hexen zu vertreiben Holunder", sagt
Praetorius (1668, 459) im 17. Jahrhundert und
die alte „Rockenphilosophie" ^) schreibt: „Einen
Holunder-Strauch vor eine Stall-Thür gepflantzt,
bewahret das Vieh vor Zauberey". Der Holunder-
strauch am Haus oder Stall schützt gegen Hexen
und böse Geister, meint noch heute der Grau-
bündner.*) Ähnlich wie mit Hilfe des Gunder-
manns kann man auf der schwäbischen Alb die
Hexen entlarven: In der Nacht vom Gründonners-
tag auf den Karfreitag muß man mit dem Schlag
12 Uhr auf dem Kirchhof einen Holunderzweig
abschneiden und aushöhlen. Damit kann man am
Karfreitag während des vormittägigen Gottes-
dienstes die Hexen ausfindig machen, die verkehrt
dasitzen. Jedoch dreht die Hexe ihrem Beobachter
den Kragen um, wenn er sich nicht vor dem
Läuten aus der Kirche macht.*)
Und doch ist auch der Holunder in schlechten
Ruf gekommen, denn nach einem weitverbreiteten
Volksglauben (z. B. Posen, Mecklenburg, aber auch
in der Haute-Bretagne) hat sich der Verräter Judas
an ihm aufgehängt. Als Erinnerung an diese Be-
gebenheit sendet der Strauch einen unangenehmen,
leichenartigen Geruch aus. Ein Nachklang an
diese Sage ist es, wenn der an den Stämmen des
Holunders wachsende Holunderschwamm (Auri-
cularia auricula Judae) häufig als „Judasohr" be-
zeichnet wird. Dieser zu den Basidiomyzeten ge-
hörige Pilz war übrigens früher als Fungus Sam-
buci offizineil.
An dem Namen Holunder ist vielfach von
Unberufenen herumgedeutelt worden, und er wurde
bald mit „hohl", auch mit der „Göttin Holle"
(Frau Holle), ja sogar mit „heilig" in Verbindung
gebracht. Die althochdeutsche Form holuntar
zeigt, daß im 2. Bestandteil die Ableitung -tar
steckt, die wir auch in Maßholder (ahd. mazzaltra),
Wacholder (ahd. wechalter) finden. Sie bedeutet
soviel wie „Baum" (vgl. engl. tree). Den ersten
Bestandteil treffen wir z. B. in hyll, der schwe-
dischen Bezeichnung des Holunders an. Ein ety-
mologischer Zusammenhang mit dem russischen
jkalina' (Viburnum opulus) wird vermutet. Im
') Mitteil. Nordböhm. Exk -Kl. 20, 71-
^) Oberösterreich; Baumgarten 1862, 28.
') 1707, 2, 328.
') Ulrich, 1S97, 39-
''} Alemannia 13, 199.
136
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. XX. Nr. 9
Oberdeutschen ist das Wort oft zu Holler, Holder sowie Kelke, Keilke sind ebenfalls niederdeutsch,
verkürzt. Die Bezeichnung Flieder ist Ursprung- Thüringisch sind Zwebchen, Zwöbbeken, Ziwecken,
lieh eine niederdeutsche. EUhorn und Älhorn sächsisch Schibicke.
Einzelberichte.
Untersuchungen von Metallen mittels
Röntgenstrahlen.
Hierüber berichten S. Nishikawa und
G. Asahara in „The Physical Review" (Americ.
Phys. Soc.) Band XV, S. 38—45 (Januar 1920). —
Läßt man ein enges Bündel inhomogener (weißer)
Röntgenstrahlen durch ein dünnes Metallblech
gehen, so erhält man photographisch ein Röntgeno-
gramm, das außer von der allgemeinen kristal-
linischen Beschaffenheit des betr. Metalls abhängig
ist besonders auch von der Vorgeschichte des
untersuchten Stückes, d. h. z. B. von mechanischer
Bearbeitung oder von verschiedenartiger Bean-
spruchung durch Wärme usw. Die Verfasser
haben in dieser Hinsicht die Wirkung des Walzens
mit nachfolgendem Glühen bei verschiedenen
Metallen untersucht und glauben, daß derartige
Studien zu wichtigen Schlüssen für die Metallurgie
führen werden. Geprüft wurden AI, Cd, Cu, Pb,
Ag, Th, Sn, Zn und verschiedene Arten von
Messing. Die Metalle wurden in jedem Falle zu
Stücken von 30X30X4 mm geschnitten; diese
Platten wurden dann bis zu einer Dicke von
0,1—0,18 mm (bei AI bis 0,54 mm) ausgewalzt.
Die Photogramme wurden durch heterogenes
Röntgenlicht von einer CoolidgeRöhre bei 60000
Volt Maximalspannung erhalten. Abstand von
photographischer Platte und Objekt betrug 5 cm,
der Durchmesser des Strahlenbündels war 3 mm.
Expositionszeit i Stunde bei einer Stromstärke
von 5 Milliampere. Insgesamt wurden über 100
Photogramme aufgenommen.
Gewalztes AI uminium,Ca dm ium,Kupfer,
Zink und Messing lieferte schlecht ausgebildete,
verwaschene Röntgenogramme, aber alle sym-
metrisch in bezug auf die Walzrichtung
und in jedem Falle charakteristisch für das be-
treffende Metall. — Silber und Zinn gaben
ebenfalls schlecht ausgebildete verwaschene Laue-
Diagramme, aber diese gingen während der
folgenden 2 oder 3 Wochen allmählich bei Wieder-
holung der Aufnahme in deutliche Punktdiagramme
über, wie sie bei den anderen Metallen nur nach
längerem Glühen erhalten werden. Für diese
beiden Metalle tritt also das Kristallwachstum,
das für den geglühten Zustand charakteristisch
ist, bereits bei Zimmertemperatur ein. Selbst bei
-j-S" dauert hier noch die Erholung der kristalli-
nischen Struktur von der kristalldeformierenden
Beanspruchung durch das Walzen in gleicher
Weise an, wenn auch weniger schnell. — Blei
und Thallium ergaben unregelmäßig verteilte
Flecke, die keinerlei Symmetrie in bezug auf die
Walzrichtung erkennen ließen. Für diese Metalle
ist also entweder die kristallinischen Struktur
durch das Walzen überhaupt nicht gestört worden,
oder die Wiederherstellung der ursprünglichen
Struktur ist außerordentlich schnell schon bei
gewöhnlicher Temperatur erfolgt. Beim Thallium
war indessen das Röntgenogramm nicht identisch
mit dem durch Glühen erhaltenen.
Die Wirkung des Glühens nach dem Walzen
wurde mit Hilfe eines besonderen Ofens beobachtet,
der die Herstellung der Röntgenogramme ermög-
lichte, während die Metallbleche bei jeder ge-
wünschten Temperatur bis zu 800" gehalten wurden.
Die verschiedenen Metalle unterscheiden sich hin-
sichtlich ihres Verhaltens beim Glühen ganz be-
trächtlich. Bei Silber und Zinn genügen z. B.
30 Minuten langes Erwärmen auf 80", um die
Wirkungen des Walzens zum Verschwinden zu
bringen, während beim Kupfer zweistündiges
Erwärmen auf 800" hierzu noch nicht genügt.
In beigegebenen Photogrammen werden die ver-
schiedenenWirkungen des Erhitzens für C a d m i u m
bei 100", 150^', 200" und 250" gezeigt. Die Ver-
fasser glauben auf Grund ihrer Ergebnisse sagen
zu können, daß diese Methode sich zur Unter-
suchung der Wirkung aller Arten von mechanischer
wie thermischer Behandlung von Metallen besonders
eignen wird.
Übrigens hätten sich auch auf Grund der ver-
schiedenen Röntgenogramme die Umwandlungs-
punkte von Thallium und Zinn bestimmen
lassen. Wenn man nämlich die in oben geschil-
derter Weise erzeugten Röntgenogramme von
erhitztem Thallium für eine Reihe von steigenden
Temperaturen herstellt, so ergibt sich, daß nach
Überschreitung des Umwandlungspunktes das Dia-
gramm plötzlich in das eines einfachen Kristalles
übergeht. Beim Abkühlen des Metalles kehrt sich
der Wechsel um. Unter Berücksichtigung der
Verzögerungserscheinungen ergab sich hierdurch
als Umwandlungspunkt ca. 227", in guter Über-
einstimmung mit Bestimmungen nach anderen
Methoden. Auch Zinn wurde in dieser Weise
nachgeprüft und zwar besonders in der Nach-
barschaft von 160", es wurde jedoch keinerlei
Veränderung des Röntgenogramms beobachtet.
Spbg.
Untersuchungen über Osmose.
Zu einer neuen Methode der Bestimmung von
Molekulargewicht und Dissoziationsgrad, die wie
die bekannte de Vriessche Methode der plas-
molytischen Grenzkonzentration auf pflanzen-
N. F. XX. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
137
physiologischer Grundlage ruht, gelangte neuer-
dings C. V. Wisse li n gh "^j bei seinen Unter-
suchungen über die Epidermiszellen der Samen
der Gattung Cuphea. Es handelt sich dabei um
folgendes: Wie die Lythraceen überhaupt, so
besitzen auch die Samen von Cuphea die Eigen-
schaft, beim Quellen in Wasser auf ihrer ge-
samten Oberfläche Haare auszustülpen, so daß
sie nachher aussehen wie ein krauses Lockenhaupt.
Diese Erscheinung, die man bisher irrtümlicher-
weise auf Quellungsprozesse zurückführte, beruht
nach den Versuchen von Wisselingh auf osmo-
tischen Vorgängen. Normalerweise ragen die
Haare ins Innere der Epidermiszellen herein und
sind dort ihrer Länge halber spiralig aufgerollt.
Bringt man nun die Samen in Wasser, dann ent-
steht ein osmotisches Gefalle, das sich dadurch
auszugleichen sucht, daß Wasser durch die Plasma-
haut in die Zellvakuole eindringt. Dadurch wird
der Turgordruck in der Zelle so erhöht, daß die
Haare mit Gewalt durch die Außenwand heraus-
gequetscht werden, wobei sie sich handschuh-
fingerartig umstülpen, bis sie das Innere vollstän-
dig nach außen gekehrt haben. Das Volumen
der Zelle kann auf diese Weise durch das ein-
dringende Wasser auf das Vierfache erhöht wer-
den. Bringt man nun die Haare während dieses
Vorgangs in immer höher konzentrierte Salz-
lösungen, dann kommt ein Moment, wo das Aus-
stülpen innehält, weil die Außenkonzentration der
Innenkonzentration das Gleichgewicht hält. Ist
der osmotische Wert der Außenlösung bekannt,
dann ist damit auch derjenige der Zelle in dem
gerade erreichten Ausstülpungsstadium gegeben.
Mit dieser einen Lösung (a) kann man nun jede
beliebige andere Lösung (b) aichen. Man braucht
zu dem Zwecke nur zu bestimmen, welche Konzen-
tration dieser zweiten Lösung ein Verharren des
Haares in genau demselben Stadium bedingt, a
und b werden dann isosmolisch sein. Ist b ein
Nichtelektrolyt (z. B. Saccharose), dann kann man
das Molekulargewicht direkt berechnen; ist es
dagegen ein Elektrolyt, also dissoziiert, dann er-
gibt sich aus dem Gleichgewichtszustand unmittel-
bar der Dissoziationsgrad von b. Von Wisselingh
hat diese Bestimmung für verschiedene Sub-
stanzen (Saccharose, Glyzerin, NaCl, KNOg) be-
stimmt und gefunden, daß die Genauigkeit
der Methode der Größenordnung nach hinter den
physikalischen Methoden (Gefrierpunktserniedri-
gung, Siedepunktserhöhung, elektrolytisches Leit-
vermögen) keineswegs zurücksteht. So bestimmte
er, um nur 2 Beispiele anzuführen, das Molekular-
gewicht von Saccharose auf 342,1 (statt 342,2) und
von Glyzerin auf 93,3 (statt 92,1). Weiterhin
kann man auf Grund des Ausstülpungsvorganges
auch die Permeabilitätsverhältnisse bestimmter Sub-
stanzen näher umgrenzen, und das bildet eine zweite
Analogie zu der Methode der plasmolytischen
Grenzkonzentration von de Vries. Handelt es
*) Flora, N. F. 13, 1920.
sich um Stoffe, für die das Plama in höherem
Maße permeabel ist, dann wird bei der Über-
tragung von Wasser in die isotonische Lösung
kein dauernder Stillstand eintreten, sondern in
dem Maße, als der Stoff eindringt und mithin die
Konzentration im Zellinnern wächst, das Aus-
stülpen weiter fortschreiten, und die Schnelligkeit,
mit der dieser Prozeß sich fortsetzt, wird als Maß
für die eingedrungenen Stoffmengen dienen können.
Auf diesem Wege stellte von Wisselingh fest,
daß z. B. für Salze wie NaCl und KNO3 eine leicht
nachweisbare Permeabilität vorhanden ist und daß
selbst Saccharose — wenn auch in beschränkten
Mengen — aufgenommen wird. Es wird der
Zukunft überlassen bleiben, den Anwendungsbe-
reich und die praktische Bedeutung dieser neuen
Methode schärfer herauszuarbeiten.
Peter Stark.
Eigenartige Form des Parasitismus.
Sowohl der Parasit (Chaetocladium) als auch
der Wirt (Mucor) gehören der Gruppe der Joch-
pilze (Zygomyzeten) an. Der Vorgang der In-
fektion wurde von H. Burgeff (Zeitschr. f. Bo-
tanik, 12, 1920) Schritt für Schritt auf Objekt-
trägerkultur beobachtet. Sporen von Parasit und
Wirt wurden gemeinsam ausgesät und keimten zu
Hyphen aus. Es ergab sich nun die merkwürdige
Tatsache, daß die Fäden des Mucor (Wirtspflanze !)
— offenbar durch einen chemischen Reiz ange-
lockt — auf die Hyphen des Parasiten gerade-
wegs zuwuchsen, bis Berührung stattfand. Nun
machen sich in dem Parasiten folgende Änderungen
bemerkbar. In der Hyphenspitze, die dem Mucor-
faden anliegt, reichern sich die Kerne an und die
Spitze wird durch eine Zellwand von dem übrigen
Faden abgegrenzt. Diese Zelle tritt nun dadurch,
daß die Mucorzellwand resorbiert wird, in offene
Kommunikation mit dem Plasrria des Wirtes. Nun
treten Plasma und Kerne aus dem Mucorfaden in
den „Schröpfkopf", wie die Zelle weiterhin ge-
nannt werden kann, über, der also nebeneinander
lebende Substanz zweier verschiedener Gattungen
enthält und sich weiterhin zu einer auffälligen
Gallenbildung auswächst. Die Zelle schwillt kugelig
an und bildet Seitenverzweigungen, an die sich
weitere Chaetocladiumhyphen eng anschmiegen,
so daß ein inniger Kontakt zwischen Galle und
Parasit erzielt wird und ein Stoffaustausch über
möglichst große Flächen stattfinden kann. Bur-
geff nimmt an, daß die Chaetocladiumkerne in
der Galle („Pionierkerne") die Aufgabe haben, die
Plasmahaut permeabel zu machen für die Stoffe,
die aus dem Wirte übertreten wollen. Um die
Entstehungsgeschichte dieser seltsamen Gallen,
die innerhalb einer einzigen Zelle zweierlei art-
fremde Kerne friedlich nebeneinander beherbergen
(„Heterocaryose") verständlich zu machen, erinnert
Burgeff an die geschlechtlichen Vorgänge, wie
sie für die Jochpilze bezeichnend sind. In der
Mehrzahl der Fälle werden die Geschlechtspro-
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dukte, die Zygoten, dadurch gebildet, daß die
Hyphenenden zweier Mycelien miteinander ver-
schmelzen. Im einzelnen spielt sich dieser Vor-
gang in folgender Weise ab : ^ Fadenäste wachsen
aufeinander zu, platten sich an der Berührungs-
stelle gegeneinander ab und grenzen sich von der
Traghyphe jeweils durch eine Zellwand ab. An
der Berührungsstelle selbst wird die trennende
Wand gelöst und die Zellinhalte der beiden ab-
gegrenzten Zellen, der Gametangien, verschmelzen
miteinander. Die so entstandene Zygote, welche
die absterbenden Myzelien überdauert und einer
neuen Generation den Ursprung gibt, enthält also,
genau wie die beschriebenen Gallen, zweierlei Kerne'
ist also ebenfalls heterokaryotischer Natur. Es be-
steht demnach eine weitgehende Anologie zwischen
beiderlei Prozessen. Da nun selbst zwischen weit
entfernten Arten und Gattungen der Jochpilze
wenigstens Versuche sexueller Betätigung bestehen
und da auf der anderen Seite auch der Parasit
nicht jede beliebige Gattung befällt, sondern sich
auf bestimmte systematische Gruppen beschränkt,
so besteht die Möglichkeit, die Chaetocladium-
gallen so zu erklären, daß sie sich von Kopulations-
vorgängen herleiten, und daß erst sekundär die
Entwicklung in andere Bahnen gedrängt worden